«Dantons Tod», Georg Büchners Drama vom Aufstieg und Fall der französischen
Revolutionäre, ist – was soll man auch anderes erwarten – ein Männerstück. Wenn man das
Personenverzeichnis überfliegt, so sind von 27 benannten Personen gerade einmal fünf
weiblichen Geschlechts und diese sind gemäss Shakespeares Tradition der ständischen
Gliederung auch noch ganz am Ende der Liste aufgeführt1. Auch scheint die Statistik in
Anbetracht des szenischen Auftretens ein eindeutiges Argument: Nur in zwölf der 32 Szenen
treten Frauenfiguren auf und dann oftmals auch nur am Rande. Die Disposition von
Büchners Stück lässt also den Schluss erahnen, dass die Frauen in «Dantons Tod» nicht viel
zu sagen hätten. Das stimmt. Zumindest dort, wo das Drama von politischen Wirren handelt,
von Machtkämpfen in der Gesellschaft und zwischen den Parteien. Doch wie gesagt, eben
nur dort.
Auch wenn zur männerdominierten Thematik der Revolution die Frauenfiguren Marion, Julie
und Lucile nur marginalen Beitrag leisten, so wird mit diesen drei Figuren ein anderer
inhaltlicher Bogen gespannt, der - fernab des historischen Gewichts der Ereignisse - bei
näherer Betrachtung nicht minder von Bedeutung ist. Die Rede ist vom Verhältnis des
Menschen zu sich selbst und zu seiner Natur. Dieses zeigt sich in beeindruckender Weise in
den weiblichen Dramenfiguren und findet dort seinen Prüfstein in der Liebe, sei es durch die
seelische und sinnliche Liebe, oder durch die symbiotische Verschmelzung von Leben und
Lieben.
Kontrastierend dazu steht schliesslich das Verhältnis des Menschen zur Gesellschaft,
beziehungsweise zu gesellschaftlichen Konventionen, welches Büchner durch den
Handlungsbereich – oder besser, durch die fehlenden Handlungsmöglichkeiten der
führenden Revolutionäre darstellt.
Dabei stellen sich die Sinnfragen nach der Lebensweise und der Selbstzufriedenheit nicht nur
bei Danton im Stück, sondern sie erhalten auch in meinem Aufsatz eine zentrale Bedeutung.
Die thematischen Schwerpunkte der vorliegenden Seminararbeit stehen zueinander in
Bezug: Die Analyse der drei wichtigen Frauenfiguren Julie, Marion und Lucile macht
Kontraste zu den Revolutionären offenbar. Eine Gegenüberstellung von männlichen und
weiblichen Dramenfiguren aus «Dantons Tod» klärt dieses Verhältnis. Es zeigt sich, dass die
Topoi Tod, Freiheit und Treue geschlechtsspezifisch verschieden aufgefasst werden und
mitunter massgebend die Lebensweise der Protagonisten beeinflussen.
[...]
1 Vgl. Behrmann (1980), S. 65.
Inhalt
Einleitung
1. Männer und Frauen in Dantons Tod - verschiedene Bilder des Menschseins
1.1 Revolutionäres Sendungsbewusstsein und individuelle Selbstverwirklichung
1.2 Der Tod als Scheideweg
1.3 Von Huren und Grisetten
2. Drei Frauen - drei Symbole seelischer und menschlicher Integrität
2.1 Marion - Einheit des Seins
2.2 Julie - Kraft durch Liebe
2.3 Lucile - Heldin ohne Pathos
3. Schlussbemerkungen 26
Literaturverzeichnis
a) Quelle
b) Literatur
Einleitung
«Dantons Tod», Georg Büchners Drama vom Aufstieg und Fall der französischen Revolutionäre, ist – was soll man auch anderes erwarten – ein Männerstück. Wenn man das Personenverzeichnis überfliegt, so sind von 27 benannten Personen gerade einmal fünf weiblichen Geschlechts und diese sind gemäss Shakespeares Tradition der ständischen Gliederung auch noch ganz am Ende der Liste aufgeführt[1]. Auch scheint die Statistik in Anbetracht des szenischen Auftretens ein eindeutiges Argument: Nur in zwölf der 32 Szenen treten Frauenfiguren auf und dann oftmals auch nur am Rande. Die Disposition von Büchners Stück lässt also den Schluss erahnen, dass die Frauen in «Dantons Tod» nicht viel zu sagen hätten. Das stimmt. Zumindest dort, wo das Drama von politischen Wirren handelt, von Machtkämpfen in der Gesellschaft und zwischen den Parteien. Doch wie gesagt, eben nur dort.
Auch wenn zur männerdominierten Thematik der Revolution die Frauenfiguren Marion, Julie und Lucile nur marginalen Beitrag leisten, so wird mit diesen drei Figuren ein anderer inhaltlicher Bogen gespannt, der - fernab des historischen Gewichts der Ereignisse - bei näherer Betrachtung nicht minder von Bedeutung ist. Die Rede ist vom Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zu seiner Natur. Dieses zeigt sich in beeindruckender Weise in den weiblichen Dramenfiguren und findet dort seinen Prüfstein in der Liebe, sei es durch die seelische und sinnliche Liebe, oder durch die symbiotische Verschmelzung von Leben und Lieben.
Kontrastierend dazu steht schliesslich das Verhältnis des Menschen zur Gesellschaft, beziehungsweise zu gesellschaftlichen Konventionen, welches Büchner durch den Handlungsbereich – oder besser, durch die fehlenden Handlungsmöglichkeiten der führenden Revolutionäre darstellt.
Dabei stellen sich die Sinnfragen nach der Lebensweise und der Selbstzufriedenheit nicht nur bei Danton im Stück, sondern sie erhalten auch in meinem Aufsatz eine zentrale Bedeutung. Die thematischen Schwerpunkte der vorliegenden Seminararbeit stehen zueinander in Bezug: Die Analyse der drei wichtigen Frauenfiguren Julie, Marion und Lucile macht Kontraste zu den Revolutionären offenbar. Eine Gegenüberstellung von männlichen und weiblichen Dramenfiguren aus «Dantons Tod» klärt dieses Verhältnis. Es zeigt sich, dass die Topoi Tod, Freiheit und Treue geschlechtsspezifisch verschieden aufgefasst werden und mitunter massgebend die Lebensweise der Protagonisten beeinflussen. Diese Themenkomplexe werden den roten Faden meiner Textinterpretation bilden.
Wenn schliesslich im Stück die Auseinandersetzung mit der Natur des Seins nicht nur bei den Frauen stattfindet, sondern auch bei Camille Desmoulins und vor allem dann auch bei Danton, so findet die Erkenntnis dieser beiden Männer doch nur in Interaktion mit ihren Ehefrauen oder mit der Geliebten statt. Büchner hat mit seinen Frauenfiguren Ideale geschaffen, modellartige Charakter, an welchen sich die verwirrten und selbstbekennend fehlgeleiteten Revolutionäre orientieren. Robespierre und Konsorten dürfen getrost die Revolutionsbühne beherrschen – der Stempel des büchnerschen Liebesdogmas wird ihnen indes von den Frauenfiguren aufgedrückt!
So sind es zum Beispiel die Frauen, die dem Stück - wiederum strukturell betrachtet - Anfang und Ende setzen. Auch die freie Feder, mit welcher Büchner Lucile und Julie weit entfernt von ihren historischen Vorbildern gestaltet hat, lässt auf deren dramaturgische Wichtigkeit schliessen. Weder die historische Julie, noch Lucile sind ihren Männern aus Liebe in den Tod gefolgt. Während Sophie (im Drama Julie) sich einen nächsten Mann nahm und ihren Danton mehr als 50 Jahre überlebte, wurde Lucile auch ohne Anfall von Wahnsinn zwar hingerichtet, jedoch aufgrund der Denunziation Laflottes und nicht wegen ihres antirevolutionären Ausrufs. Dass es aber dennoch verzweifelte Ehefrauen gab, die auf solche Weise das Schicksal ihrer Männer teilten, ist dagegen historisch belegt.[2]
Unter dem Strich hat man in «Dantons Tod» also auf der einen Seite einen knappen, marginalen Katalog an Auftritten und Äusserungen von Frauenfiguren und auf der anderen Seite eine inhaltliche Relevanz – teilweise wohl gerade durch diese Reduktion bedingt – welche die Bedeutung der Frauen im Stück erst offensichtlich macht.
Dem wurde in der Fachliteratur erst in jüngeren wissenschaftlichen Publikationen vermehrt Rechnung getragen. Umfassend wurde dieses Gebiet bis anhin jedoch noch wenig beackert und auf den Missstand der Auseinandersetzung mit den Frauenfiguren in «Dantons Tod» sei damit hingewiesen. Auch wenn sich Reinhold Grimms wichtiger Aufsatz vor allem mit der Liebe in Georg Büchners Werken befasst, so ist seine berechtigte Kritik der Forschungslage gerade auch auf die ‚Vertreterinnen’ von Büchners Liebesauffassung übertragbar: «Die Sachlage ist eindeutig, die Forschungslage einfach ein Skandal. [...] Denn keine von den vielen Dutzenden von Studien, Monographien und Dissertationen, die über diesen Dichter vorliegen, befasst sich wirklich mit der Liebe»[3]. Nur gerade einer Monographie, Theo Bucks «Grammatik einer neuen Liebe», wurde ich fündig, welche sich fundiert dem Stellenwert der Frau in «Dantons Tod» widmet. Doch auch diese Jahresgabe der Georg Büchner Gesellschaft Marburg fiel mit mickrigen 24 Seiten Text ziemlich mager aus. Das nur am Rande erwähnt als Beispiel, dass seit Grimms Kritik in diesem Bereich der Büchner-Forschung ein Steinchen zwar ins Rollen gebracht wurde, jedoch damit noch keinerlei Lawinen ausgelöst wurden.
1. Männer und Frauen in Dantons Tod - verschiedene Bilder des Menschseins
Am Anfang steht die Frage, was die Frauen, was die Männer in Büchners Revolutionsstück repräsentieren. Bei den männlichen Figuren liegt die Bestimmung auf der Hand: Agitatoren sind sie, Politiker, Machtfiguren, geschichtsbildende Personen im positiven, wie im negativen Sinne. Bei den Frauen ist dagegen der konzeptionelle Sinn ihres Wirkens schwieriger aus dem Drama ‚herauszulesen’. Das weibliche Personal von «Dantons Tod» steht bezüglich des Plots marginal im Hintergrund, hat wenige Auftritte und ist wenig handlungsbestimmend. Und dennoch, Büchner hat seine wichtigen Frauenfiguren Julie, Lucile und Marion keineswegs als machtlos oder gar als verzweifelte Opfer katastrophaler Revolutionsumstände geschaffen. Im Gegenteil, sie sind überzeugter als das restliche Personal und ihr Selbstvertrauen gründet in einer bescheidenen Selbstzufriedenheit und Versöhnlichkeit mit der Umwelt. Ganz im Gegensatz dazu steht das charakterliche Wechselspiel der Revolutionäre.
1.1 Revolutionäres Sendungsbewusstsein und individuelle Selbstverwirklichung
Unterschiedliche Zentren sind es, in welchen sich im Drama die Wirkungsbereiche von Mann und Frau etablieren. Ganz im patriarchalischen Sinne sind es die Männer, die mit ihren Taten nach den Annalen der Weltgeschichte streben. Den Frauen bleibt die unscheinbare Position am Rande dieser Ereignisse (Julie, Lucile) oder der gewollte Rückzug in sich selbst, beziehungsweise die Fixierung auf das Ich und die eigene Natur (Marion). Im Verlaufe des Dramas entstehen jedoch in diesem statischen Konzept der geschlechtsorientierten Figurencharakteristika Risse und Brüche, welche sich in der existentiellen Sinnsuche der Revolutionäre zunehmend bemerkbar machen. Das revolutionäre Credo der Gleichheit verhöhnend, äussert Büchner in diesen unterschiedlichen Rollenkonzepten ansatzweise – und auch unverhohlen am Beispiel der rabiaten Anklage von Simons Weib – Kritik an der geschlechtlichen Ungleichberechtigung.
Soziologisch lassen sich die geschlechtlichen Rollenkonzepte wie folgt festhalten: Die Revolutionäre handeln gemäss einem philogenetischen Zweck, welcher sich im Werden und in der Bildung einer postrevolutionären Gesellschaftsform, der Republik, zeigen soll. Den Frauenfiguren in «Dantons Tod» bleibt dagegen der ontogenetische Wirkungsbereich vorbehalten, der sich vornehmlich auf das eigene Wesen und die eigene Identität bezieht. In der pursten Form wird dieser Individualismus in der Figur Marion sichtbar, die ihre Selbstdefinition – abgekoppelt von Gesellschaftseinflüssen – gänzlich auf sich selbst zurück führt: «Ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins.» (DT, S. 82) Auf Marion und ihre auffällige Einheit des Seins werde ich noch in Kapitel 2.1 zu sprechen kommen.
Danton, Robespierre und Konsorten definieren und verwirklichen sich durch die Arbeit im und am Kollektiv. Lucile, Julie und Marion erstreben die Verwirklichung ihrer selbst durch nach innen gerichtete Selbstfindung und Selbsterkennung. Dass Büchner in «Dantons Tod» die weibliche ‚Auseinandersetzung mit sich selber’ schliesslich über die männliche ‚Arbeit an der Gesellschaft’ stellt, dass er diese sogar zur unerlässlichen Bedingung für die Auseinandersetzung mit dem Kollektiv macht, ist Gegenstand meiner nun folgenden Ausführungen.
Wie bereits angetönt, findet im Denken der Dantonisten eine Entwicklung statt: Die gesellschaftsorientierte Handlungsweise verschiebt sich zunehmend auf eine Ebene der Auseinandersetzung mit sich selbst. Die Revolutionäre beginnen nicht nur, sukzessive ihr Handeln in Frage zu stellen, sondern sie versuchen auch selbstreflexiv, sich in ihren revolutionären Taten und Verbrechen zu erkennen. Danton ist der Erste, der darob verzweifelt dem Burn-Out-Syndrom erliegt: «Ich muss fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf.» (DT, S. 72) Der Fokus auf das eigene Seelenbefinden findet in jeder Hinsicht zu spät statt: In der Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Tod, als Danton schon im Staatsgefängnis Luxemburg inhaftiert ist (ab 3. Akt).
Begreift er sich zu Beginn dieser Auseinandersetzung noch als ruhmreichen Märtyrer, erwächst mit nahender Hinrichtung die Angst vor dem Sterben, die zwar nicht dem revolutionären Ethos des Heldentums entspricht, aber – in Anbetracht der ausserordentlichen Situation – nur allzu menschlich ist. In seiner ersten Rede vor dem Revolutionstribunal bekennt er sich noch voller Pathos, sozusagen im Singularis Majestatis, zum Heldentod: «Noch wenige Stunden und er [Danton] wird in den Armen des Ruhmes entschlummern.» (DT, S. 112) In der Nacht vor der Enthauptung offenbaren sich dann seine Todesgedanken ganz anders:
Doch hätt ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eignen Lippen totküsst, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluten sich begräbt. (DT, S. 124)
Der sprachliche Gestus veranschaulicht es zusätzlich: Bedient sich Danton in der ersten Äusserung im Rahmen der politischen Rhetorik seiner Verteidigungsrede noch einer floskelhaften Personifikation des Ruhmes, so zeugt der zweite Ausspruch von einer intimeren Sprache und von intimeren Gedanken. Danton reflektiert dazwischen seine Gefühle, entdeckt sein wahres Ich und muss auf tragische Weise erkennen, dass der Sinn des Lebens nicht in der Revolution begründet liegt, sondern einzig in der Liebe, für die allein es sich lohnt, mit dem Leben für das Leben zu kämpfen:
O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam liesse!
Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste – ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr.
Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir müssen schreien, sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reissen. (DT, S. 119)
Auch Camille überwindet die Skrupellosigkeit des machtpolitischen Denkens, das ihn zum Instrument eines übergeordneten Zwecks werden liess, und findet die Sensitivität – auch er schon in der Gewissheit des Todes – zum individuellen Schicksal, als ihm «die Augen über das Los einiger Unglücklichen nass geworden» (DT, S. 109) sind. Camille geht sogar noch weiter als Danton und stellt schliesslich sein eigenes revolutionäres Werk in Frage. Er kommt zum Schluss, dass eine Reform zwar angeregt, aber schliesslich nicht initiativ von einigen Wenigen zu Ende geführt werden kann und dass sich die gesellschaftliche Veränderung aus ihrer eigenen Natur heraus entwickeln muss: «Die Gestalt [der Staatsform] mag nun schön oder hässlich sein, sie hat einmal das Recht zu sein wie sie ist, wir sind nicht berechtigt ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden.» (DT, S. 71)[4]
Büchner betont im tragischen Ende der Revolutionäre die Notwendigkeit von unverklärter Selbstreflexion, ohne die Danton und seine Anhänger zu politischen Schachfiguren, zum Kanonenfutter der Revolution geworden sind: «Die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf sein Echo, der Grund seine Folge.» (DT, S. 77)
Sie agierten und reagierten nur im Sinn der Sache ‚Revolution’ und damit an ihren individuellen Träumen und Bedürfnissen vorbei, was sie – und später auch Robespierre – schliesslich zum Scheitern bringen musste: «Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.» (DT, S. 91) Bei Danton zeigt sich das, indem er zunehmend seiner Natur gemäss handelt. Als «Gesetzgeber des Volks» macht er mit «allen Lastern und allem Luxus der ehemaligen Höflinge Parade» (DT, S. 79). Dadurch wird er von dem unmenschlich revolutionären System vernichtet, das er entschieden mitentwickelt hat, was Büchner in seiner sarkastischen Sentenz, die zum geflügelten Wort wurde, auf den Punkt bringt: «Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder.» (DT, S. 84)
Zweifel gegenüber dem eigenen Wirken und die zunehmende Diskrepanz zwischen Denken und Handeln führt bei Danton und Camille in eine Rechtfertigungskrise. Wo die Revolutionäre eine notwendige Entwicklung durchmachen, die sich durch Ambivalenz kennzeichnet, besteht bei Julie, Lucile und Marion eine konstante Übereinstimmung von Empfindung und Handlung. In einem Drama, das gemäss Alfred Behrmann «das Gegeneinandersetzen von nicht Vereinbarem als Gestaltungsprinzip»[5] verfolgt, muss die innere Harmonie der Frauenfiguren, gerade auch aufgrund ihres sporadischen Auftretens, um so auffälliger wirken. Was das heissen will? Nun, dass Büchner die weiblichen Figuren in «Dantons Tod» vollkommener, sprich idealer konzipiert hat:
Wenn sich Danton und seinen Freunden die Schönheit des Daseins vor allem als unverwirklichte Möglichkeit, als Entbehrtes und Entzogenes, darstellt, so ist sie als Vorhandenes und Gewährtes in diesen Frauengestalten gegenwärtig. [...] in sich selbst, als Geschöpfe, sind diese Frauen gelungen.[6]
Die effektive Unterlegenheit des Mannes zeigt sich denn auch klar: Obwohl sie sich für all die grossen, gesellschaftsverändernden Ereignisse verantwortlich zeigen, fällt es den Revolutionären schwer, Verantwortung für ihre politischen Vergehen zu übernehmen, zumal sie auch unerbittlich im Beil der Guillotine gipfelt. Couragierter und überzeugter zeigen sich dagegen Julie und Lucile. Aus purer Liebe geben sie sich freiwillig wie versöhnlich ihrer unverschuldeten Bestimmung hin – auf dass die Vereinigung mit dem Geliebten im Tode stattfinde.
So zeigt sich also eine Verlagerung der Handlungskompetenz von den männlichen Charakteren auf die weiblichen. Die handelnden Revolutionäre werden in Ketten gelegt, die Macht wird ihnen geraubt, ihre Redefreiheit wird beschränkt. Nicht nur der Freiheitsentzug macht sie handlungsunfähig, auch die Zweifel vergangener Taten und die Angst vor dem nahenden Ende wirken lähmend. Die Ablösung der politisch-gesellschaftlichen Orientierung durch zunehmende Selbstreflexion wirkt für die Revolutionäre ernüchternd und paralysierend zugleich. Die Frauen dagegen werden zu agierenden Figuren. Zu Beginn der dritten Szene des zweiten Akts ist Lucile noch Camilles Anhängsel, das ihn zwar «so gern sprechen sieht», aber nichts beizufügen hat und «wahrhaftig nicht» (DT, S. 96) versteht, was dieser sagt. Doch nur wenige Äusserungen später ist sie es, die Camille eindringlich auffordert, Robespierre zum Gespräch aufzusuchen und die Realität zu akzeptieren: «Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus? Man muss sich fassen.» (DT, S. 97) Danton sucht Rechtfertigung für seine zwiespältigen Taten durch die Absolution Julies (II, 5). Und Lucile und Julie sind es schliesslich, die «Geld unter das Volk werfen» (DT, S. 116) und einen Komplott schmieden, um ihre Ehemänner aus dem Gefängnis zu befreien.
All dies belegt, dass die Möglichkeit des Agierens vom einen Geschlecht auf das andere übergeht – und dass es am Ende des Dramas die Frauen sind, die Entscheidungen fällen «mit einer Sicherheit, die kein Erwägen und keine Erörterung kennt.»[7]
[...]
[1] Vgl. Behrmann (1980), S. 65.
[2] Vgl. Behrmann (1980), S. 33 ff.
[3] Grimm (1979), S. 199.
[4] Ein kleiner Exkurs zur Aktualität Büchners sei erlaubt. Es ist eindrücklich, wie Camilles geschilderte Einsicht auf Kriegssituationen, auf rassisch und religiös motivierte Bürgerkriege der jüngsten Zeitgeschichte umzumünzen ist. Durch punktuelle Eingriffe ist in betroffenen Gebieten das Kriegstreiben zwar unterdrückt worden, doch wurde der Krieg im Kopf damit nicht gelöst. Dafür braucht es die kollektive Verarbeitung über Generationen hinweg. Gesellschaftliche Veränderung kann gefördert, aber schliesslich nicht erzwungen werden. Das hat Büchner durch seine Revolutionäre ausgedrückt und das zeigt sich auch im ehemaligen Jugoslawien und in Nahost. d.V.
[5] Behrmann (1980), S. 173.
[6] Behrmann (1980), S. 156.
[7] Ebd., S. 177.
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