Karl Mays Orientdarstellung am Beispiel der Reiseerzählung "Durchs wilde Kurdistan". Unterhaltungsroman, Reiseerzählung oder Missionarsschrift?


Hausarbeit, 2003

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Leben und Werk Karl Mays

3. Historische Einordnung

4. Die Darstellung des Orients in „Durchs wilde Kurdistan“
4.1 Vorbemerkungen
4.2 Zusammenfassung von „Durchs wilde Kurdistan“
4.3 Kara Ben Nemsis Auftreten im Orient
4.4 Kara Ben Nemsi, der Missionar
4.5 Die Verwendung von Stereotypen

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Karl May gilt als einer der meistgelesene deutsche Unterhaltungsschriftsteller. Seine Reiseerzählungen von Kara Ben Nemsi, dem deutschen Abenteurer, und seinem Gefährten, dem gläubigen Moslem Hadschi Halef Omar, im Orient sowie seine Wild-West-Romane mit Winnetou und Old Shatterhand sind Klassiker geworden. Die Auflage seiner Bücher im deutschen Sprachraum wird mit rund 75 Millionen Exemplaren angegeben. Seine Werke sind in 29 Sprachen für weltweit fast 200 Millionen Leser übersetzt worden1. Daneben wurden viele seiner Romane erfolgreich verfilmt. Sie werden heute noch in regelmäßigen Abständen ausgestrahlt.

Vor dem Hintergrund der historischen Situation des imperialistischen Machstrebens der westlichen Kulturen lassen sich in Mays Roman ‚Durchs wilde Kurdistan’ Rückschlüsse auf das damals vorherrschende Orientbild ziehen. Durch die im 19. Jahrhundert vorherrschende Faszination des Orients reiht sich May mit seinem ‚Orientzyklus’ in diese Mode ein. Dass er neben der reinen Darstellung keine, auch heute noch bestehenden, Stereotype auslässt, kann ihm sicher angekreidet werden. Trotzdem üben die Erzählungen von Karl May nach wie vor eine gewisse Anziehungskraft auf die weltweite Leserschaft aus. Sei es beim jugendlichen Leser, für den der Abenteuerroman im Vordergrund steht, oder als Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen. Damit kann die abenteuerliche Reise von Kara Ben Nemsi durch Arabien und den Balkan stellvertretend für die kulturelle Auseinandersetzung von Orient und Okzident gesehen werden.

In meiner Hausarbeit möchte ich versuchen, die landläufig gängige Meinung des Orients zu skizzieren, und zwar so, wie sie vornehmlich durch den Ich-Erzähler Kara Ben Nemsi geschildert wird. Gleichzeitig kann dabei die Meinung seines Schöpfers Karl May, der sich über die Maßen mit dieser Figur identifizierte, nicht außer Acht gelassen werden. Außerdem soll die Darstellung des religiösen Aspektes hinsichtlich der westlichen Vorurteile überprüft werden. Immerhin ist ein gewisser Missionierungseifer Mays nicht zu verleugnen. Ausgehend von dieser Grundlage kann schließlich das allgemeine Orient-Bild, das häufig durch Vorurteile hervorgerufen und untermauert wird, in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden.

Gerade hinsichtlich der Orientalismusforschung in Bezug auf Kara Ben Nemsis Reiseschilderungen existiert reichlich Forschungsliteratur. Vor allem die Karl-May-Gesellschaft hat eine Vielzahl an Publikationen herausgebracht, die sich mit unterschiedlichen Fragen bezüglich Karl Mays Werken beschäftigen. So erläutert Rainer Jeglin den Rettungsstil und das Heilgeschehen in ‚Durch wilde Kurdistan’, während sich Walter Schönthal mit Karl Mays Stellung zum Islam und Christentum beschäftigt. Außerordentlich hilfreich ist die Veröffentlichung von Nina Berman, die mehr als 80 Seiten Mays ‚Orientzyklus’ widmet. Daneben habe ich für meine Recherche auf unterschiedliche Werke zurückgreifen können, die sich mit Karl Mays Leben und Werk, und damit auch unweigerlich der Orientalismusfrage, befassen. Hier liefert Gert Ueding reichlich Information in seinem außerordentlich umfangreichen Karl-May-Handbuch. Ebenfalls hilfreich ist das Figurenlexikon, das von Bernhard Kosciuszko herausgegeben wurde. Neben inhaltlichen Zusammenfassungen finden sich Kurzcharakteristiken über alle Personen in den Mayschen Werken, sowie Essays über die Protagonisten. Heinz-Lothar Worm geht in seiner Veröffentlichung psychologisch an den Autor heran, und findet so Entsprechungen in den Werken beziehungsweise Figuren, die Rückschlüsse auf May zulassen sollen. Sowohl Walther Ilmer und Christoph F. Lorenz als auch Dieter Sudhoff und Hartmut Vollmer haben jeweils diverse Aufsätze verschiedener Autoren herausgegeben, die sich exemplarisch mit Karl Mays Orient befassen. Zwar lag mir von den letzten beiden nur die Ausgabe zu „Im Reiche des Silbernen Löwen“ vor, aber die darin veröffentlichte Analyse der Reise-Erzählungen von Adolf Droop war dennoch informativ.

2. Leben und Werk Karl Mays

Karl May wird am 25. Februar 1842 als fünftes von insgesamt 14 Kindern in Ernstthal im Erzgebirge geboren. Er wächst in den ärmlichen Verhältnisse einer Weberfamilie auf; von den 14 Kindern überleben nur Karl und zwei Schwestern die frühe Kindheit. Er versucht sich in unterschiedlichen Ausbildungen, die er alle nicht zu Ende bringt. Seine Vorhaben Medizin zu studieren oder Lehrer zu werden, sind zum Scheitern verurteilt. Auch zum Militärdienst wird er nicht zugelassen. Während der ganzen Zeit liest May außerordentlich viele Bücher, vor allem Unterhaltungsromane, aber auch Fachpublikationen aus den Bereichen Medizin, Militärtechnik und Geographie. „Da die väterliche Großmutter von May als hochbegabte Erzählerin geschildert wird, die durch ihre Märchen entscheidenden Einfluß auf seine spätere schriftstellerische Laufbahn gewonnen habe, ist esgut möglich, dass die erzählerischen, religiösen und didaktischen Neigungen Mays ihm aus diesem Zweig der Familie überkommen sind.“2 Um der ihm verwehrten Anerkennung als gebildeter Mann zu begegnen, gibt er sich häufig als falsche Personen aus. Auffallend ist, dass es sich meist um solche Berufe handelt, an denen er im richtigen Leben scheitert. Unter anderem stellt er sich als Arzt und Seminarleiter vor, was ihm Haftstrafen wegen Amtsanmaßung und Hochstapelei einbringt. Karl May hat die Neigung, sich, aber auch seine Romanfiguren, als mehr darzustellen, als er eigentlich ist: „Akte der Amtsanmaßung sindauch die Auftritte Kara Ben Nemsis als Arzt […] einem alten Wunschtraum seines Autorsentsprechend, der in seiner Jugend unter anderem als „Dr. med. Heilig“ Straftaten begangen hatte.“ 3

May beginnt nach der Haft für den Verleger Münchmeyer Kolportageromane zu schreiben. Innerhalb von sechs Jahren schreibt er 12390 Seiten, fast die Hälfte seines gesamten Lebenswerkes.4 Er veröffentlicht außerdem bei der katholischen Familienzeitschrift „Deutscher Hausschatz“ Reiseerzählungen mit sehr christlichem Charakter, die bei seiner Leserschaft sehr beliebt sind. 1892 bringt der Verleger Fehsenfeld Mays Reiseromane in Buchform heraus, die vorher nur in Zeitschriften gedruckt wurden. Die Darstellung seiner Romane legt den Schluss nahe, May müsse das Erzählte selbst erlebt haben. Er identifiziert sich so sehr mit den Romanfiguren Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand, dass er später die Reiseromane sogar in Reiseerzählungen umbenennt, und so den authentischen Charakter verstärkt. Letzten Endes glaubt sogar sein Verleger an die vermeintlichen Weltreisen Mays und die Echtheit des Erzählten.

Karl May kauft sich eine Villa in Radebeul, die er „Villa Shatterhand“ nennt, lässt sich Requisiten nachbauen und ins Haus stellen und posiert auf Fotos als Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi.

1899 reist Karl May tatsächlich in den Orient. Dort erleidet er mehrere Nervenzusammenbrüche und psychische Krisen, weil er entdeckt, dass seine Fantasie nicht mit der Realität übereinstimmt. „Die Zusammenbrüche Mays und der allmähliche Veränderungsprozeßerklären sich zunächst aus dem Konflikt, der durch die Konfrontation mit den „orientalischen Realitäten“ entstand. Die Begegnung mit afrikanischen und asiatischen Lebenswelten stellte Mays Darstellung dieser Kulturen in seinen bis dahin geschriebenen Texten inFrage.“ 5

Unterdessen melden sich in Deutschland viele Kritiker Mays und werfen ihm sein angeblich bigottes Christentum vor. Seine wieder entdeckten, trivialen Jugendromane und seine Vorstrafen werden publik. Mays Ansehen wird dadurch in der Öffentlichkeit stark beschädigt. Mit einer gewissen Überheblichkeit, die sein Romanheld Kara Ben Nemsi gelegentlich auch an den Tag legt, muss Karl May eingestehen, „daß er seine Erzählungen nicht selbst erlebt habe, daß der geographische Rahmen anderen Werken entnommen worden

war. Der Inhalt müsse - und das sei von Anfang an von ihm angestrebt gewesen - symbolisch verstanden werden. Wer das nicht gleich erkannt habe, dessen Intelligenz lasse zu wünschen übrig.“ 6

1912 stirbt Karl May in Radebeul.

3. Historische Einordnung

Karl May schreibt seinen Orientzyklus während der Regentschaften von Kaiser Wilhelm I. (1871-1888) und Wilhelm II. (König von Preußen und Deutscher Kaiser von 1888-1918). Diese Epoche ist geprägt durch die Schlagworte Imperialismus, Kolonialismus und Militarismus. Wilhelm II. hatte eine Vorliebe für Prunk, militärische Paraden und Manöver. Das Deutsche Reich wollte im maßgeblich von England vorangetriebenen Kolonialismus mithalten, und wurde so zu einer Hochburg des Militarismus.

Das letztes Drittel des 19. Jahrhunderts bis 1914 war die Epoche des Imperialismus und Kolonialismus: meist überseeische Gebiete wurden von den europäischen Großmächten, maßgeblich Großbritannien und Frankreich, zu Kolonien gemacht. Gründe dafür waren zumeist wirtschaftliche Interessen, wie neue Absatzmärkte und Rohstofflieferanten, später kamen auch strategische Gesichtspunkte dazu. Der Imperialismus wurde durch pseudowissenschaftliche Thesen, wie beispielsweise dem Sozialdarwinismus, der das Recht des Stärkeren propagiert, gerechtfertigt. „Karl Mays ‚Orientzyklus’ stellt eines der Beispiele exotischer und orientalistischer Literatur dar, die im Zusammenhang mit deutschem Kolonialismus, wirtschaftlichem Expansionismus und im Kontext der zeitgenössischen Diskussionüber deutsche nationale Identität verstanden werden können.“ 7 Denn Deutschland hatte sich ab 1890 intensiv am imperialistischen Weltmachtstreben beteiligt, woraus die Gründungen von einflussreichen nationalistischen und militaristischen Vereinen wie der Deutsche Kolonialgesellschaft, dem Altdeutscher Verband, und dem Flottenverein hervorgingen.

Der Militarismus entstand in Frankreich um 1860. Er steht für eine Überbewertung des militärischen Denkens auch in nicht-militärischen, zivilen Lebensbereichen, und für die Vorherrschaft des Militärs im Staatswesen. Das Militär hatte im preußisch geprägten Deutschland traditionell eine herausragende Bedeutung, verstärkt noch durch den Nationalismus und den Imperialismus der Zeit. Hinzu kam Kaiser Wilhelms II. spezielle Vorliebe für das Militär und für die kaiserliche Marine - „des Kaisers liebstes Kind“. Im Deutschland dieser Zeit galt man mehr, wenn man gedient hatte. Karl May selbst wurde ausgemustert.8 Damit lebte er in einer Zeit, in der das Denken stark von einer Überbewertung des Militärs geprägt war, von Uniformen und damit verbundenen gesellschaftlichen Stellungen, von nationalistischen Strömungen und dem Kolonialismus der europäischen Großmächte.

4. Die Darstellung des Orients in „Durchs wilde Kurdistan“

4.1 Vorbemerkungen

Von 1881 bis 1887 entstehen Mays Orient-Reiseerzählungen „Im Schatten des Großherrn“. Der Zyklus besteht aus sechs Bänden: ‚ Durch die Wüste’, ‚Durchs wilde Kurdistan’, ‚Von Bagdad nach Stambul’, ‚In den Schluchten des Balkan’, ‚Durch das Land derSkipetaren’ und ‚Der Schut’. Kara Ben Nemsi zieht mit Hadschi Halef Omar durch Orient und Balkan und besteht dort viele Abenteuer. Alle sechs Romane kennzeichnen sich durch recht exakte geografische und kulturelle Beschreibungen, die ein intensives Quellenstudium vermuten lassen. Die Art der Darstellung als Reiseerzählung impliziert der Berichtstil des Ich-Erzählers Kara Ben Nemsi. Die Fiktion ist nicht ohne weiteres als solche erkennbar und von Karl May auch in dieser Art der Rezeption als Tatsachenbericht gefördert.

„In den Jahren des sich in Deutschland konstituierenden Kolonialismus geschrieben, reflektiert Mays ‚Orientzyklus’ kolonialistische Ideologie. Überlegenheit wird zur Basis derLegitimation für Intervention, die rückständigen Länder und Menschen bedürfen Hilfe aus dem aufgeklärten, entwickelten Westen.“ 9 Damit ist die Gestaltung als pseudo-reale Beschreibung des Orients, in dem die Einheimischen weitgehend als dem Westen unterlegene, vergleichsweise unzivilisierte Menschen dargestellt werden, äußerst fragwürdig.

4.2 Zusammenfassung von „Durchs wilde Kurdistan“

Der Roman ‚Durch wilde Kurdistan’ ist der zweite Band in Mays ‚Orientzyklus’. Er baut auf dem ersten Roman ‚Durch die Wüste’ auf.

Der Ich-Erzähler Kara Ben Nemsi ist mit dem Scheich Mohammed Emin auf dem Weg nach Amadije um dessen Sohn, Amad el Ghandur, zu befreien. Mit Kara Ben Nemsi reist sein Diener Hadschi Halef Omar, später schließt sich noch der englische Abenteurer Sir David Lindsay der Gruppe an.

[...]


1 Gert Ueding (Hg.): Karl-May-Handbuch. Würzburg 2001, S. 519.

2 Gert Ueding (Hg.): a.a.O., S. 69.

3 Bernhard Kosciuszko (Hg.): Das große Karl May Figurenlexikon. Berlin 2000, S. 220.

4 Gert Ueding: a.a.O., S. 91.

5 Nina Berman: Orientalismus, Kolonialismus, Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900. Stuttgart 1996, S. 42f.

6 Inge Hofmann u. Anton Vorbichler: Das Islam-Bild bei Karl May und der islamo-christliche Dialog. Beiträge zur Afrikanistik, Bd. 4, Wien 1979, S. 17.

7 Nina Berman: a.a.O., S. 49.

8 Gert Ueding: a.a.O., S. 79.

9 Nina Berman: a.a.O., S.95.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Karl Mays Orientdarstellung am Beispiel der Reiseerzählung "Durchs wilde Kurdistan". Unterhaltungsroman, Reiseerzählung oder Missionarsschrift?
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die interkulturelle Germanistik
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
15
Katalognummer
V24055
ISBN (eBook)
9783638270274
ISBN (Buch)
9783638836784
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Karl, Mays, Orientdarstellung, Beispiel, Reiseerzählung, Durchs, Kurdistan, Unterhaltungsroman, Reiseerzählung, Missionarsschrift, Einführung, Germanistik
Arbeit zitieren
M.A. Florian Schneider (Autor:in), 2003, Karl Mays Orientdarstellung am Beispiel der Reiseerzählung "Durchs wilde Kurdistan". Unterhaltungsroman, Reiseerzählung oder Missionarsschrift?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24055

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