Über das Märchenhafte bei Charles Chaplins am Beispiel von "Modern Times"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

15 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Fragestellung

2 Einleitung

3 Die Figur des Tramp

4 Themen, Stil und Figuren im Märchen und bei Chaplin

5 Modern Times

6 Spannung und Erwartung im Märchen und bei Chaplin

7 Schluss

8 Literaturverzeichnis

1 Fragestellung

In dieser Hausarbeit möchte ich schildern wie in Charles Chaplins Filme, Thema und Stil des Märchens einfließen. Zu diesem Zweck werde ich zunächst auf die Figur des Tramps eingehen, welche ich in Abgrenzung zu Charles Chaplin dem Regisseur, Komponisten und Produzenten, als Charlie bezeichnen werde. Die Benennungen Charles Chaplin und Charlie werden also nicht Synonym verwendet, sondern betiteln einmal den Filmemacher und einmal dessen Bildschirmpräsenz. Anschließend zeige ich die Parallelen zwischen Themen, Stil und Figuren des Märchens und Chaplins auf, wofür ich am abschließen besonders auf den Film Modern Times eingehen werde.

2 Einleitung

In seinen Filmen begegnet Charles Spencer Chaplin dem Zuschauer in unterschiedlichen Rollen, vor dem Hintergrund verschiedenster Schauplätze und bisweilen sogar in wechselnder Aufmachung. Wir sehen ihn mal als Boxer (The Champion 1915), entflohenen Sträfling (The Pilgrim 1923), als Soldaten im Krieg ( Shoulder Arms 1918), liebevollen Adoptivvater (The K id 1921), oder als hungernden Goldgräber (The Gold R ush1925). Wir sehen ihn vor Polizisten, Feuerwehrmännern oder Raufbolden flüchten, Ziegelsteine mit dem Hinterteil auffangen, auf einer gefährlich schwankenden Leiter balancieren oder einen Brötchentanz aufführen. Dennoch möchte ich behaupten, das es nicht „auf das Gewirr von Prügeln, Feuerwehrschläuchen, jungen Mädchen, auslaufenden Milchflaschen und herunterfallenden Gipsbüsten“ ankommt, wie Kurt Tucholsky bemerkte, „Es kommt auf ihn an, auf Mister Chaplin“[1]. Oder genauer gesagt auf die Figur die Charles Spencer Chaplin in seinen Filmen verkörpert. Einer Figur deren Bekanntschaft das Publikum erstmals 1914 im Kurzfilm Kid Auto Races at Venic e machte, die im einen Moment noch in eine wilde Verfolgungsjagd mit einem bulligen Polizisten verwickelt ist und im nächsten Moment mit vollendeten Manieren und schüchternem Blick seiner Liebsten ein Blume reicht. Charlie dem Tramp, der Charles Chaplin zu Weltruhm verhalf, der weiterhin weltweit einer der bekannteste Spielfilmheld der Geschichte bleibt, „ known in parts of the world by people who have never heard of Jesus Christ"[2], wie Chaplin selbst einmal äußerte. Die bemerkenswerten Merkmale dieser Figur möchte an folgender Szene aus The Kid veranschaulichen

3 Die Figur des Tramp

Zwischen heruntergekommenen, baufälligen Häusern führt ein schmale, schmutzige Gasse hindurch. Am Ende selbiger erscheint eine kleine, schmächtige Männerfigur in dunkler Hose, Frack und Hut. Sein aufrechter Gang, der leicht tänzelnde Schritt mit dem er uns entgegenkommt, die Art und Weise mit welcher er seinen Spazierstock hin- und herschwingen lässt, seine Zigarre zum Mund führt, und leicht pikiert den Staub von seinem Jackenärmel fegt, entspricht, zusammen mit seiner Kleidung, dem Habit eines gepflegten Gentleman. Ein Eindruck, der sich jedoch in der nächsten Minute durch den Wechsel der Kameraeinstellung von der Totalen, über die Großaufnahme, zur Halbtotalen verändert. Aus dem gepflegten Gentleman wird nun eine Männerfigur, deren Äußeres in mehrfacher Hinsicht unpassend ist: die Jacke ist um den Leib herum zu eng wie die Hose zu weit, die Schuhe zu groß wie der Hut zu klein ist, den Lederhandschuhen fehlen die Fingerkuppen und der Zustand der Kleidung ist im allgemeinen eher schäbig und heruntergekommen.

In diesen wenigen Minuten offenbart sich schon die elementare Disposition in der Anlage der Figur, die Chaplin in seinen Filmen verkörperte. Dem Zwiespalt der sich auftut zwischen dem tatsächlichen sozialen Sein, offenbart durch den Zustand der Kleidung und dem noblessen Auftreten des „Gentleman Tramp“[3]. „Der zu kleine Derbyhut bedeutet das Streben nach Würde. Der Schnurrbart ist Eitelkeit. Der eng geknöpfte Mantel, der Stock und sein ganzes Benehmen sind eine Geste in Richtung Galanterie, Weltgewandtheit und vorgeschobener Selbstsicherheit. Er versucht, der Welt tapfer zu begegnen, sie zu bluffen, und weiß es auch.“[4]

Das Kostüm bringt sozusagen die Figur. Einen kleinen Mann mit dem Habitus des heruntergekommenen Vagabunden, der sich selbst in den absurdesten Situationen einen Rest von Würde bewahren will. Der sich mit absoluter Ernsthaftigkeit und vollendeten Benehmen seine Krawatte zurechtrückt und seinen Hut wieder auf den Kopf setzt, wenn auf diesem auch eben noch eine Milchflasche, ein Ziegelstein oder sonst etwas gelandet oder ausgelaufen ist. Und eben hierdurch entsteht die Komik in Chaplins Filmen. Nicht infolgedessen jemand in eine peinliche oder lächerliche Situation gerät, ihm etwas komisches geschieht, sondern indem dieser entweder vom komischen Wesen der Geschehnisse nichts weiß, oder aber dieses bewusst ignoriert und unbeirrt galant und würdevoll verhält.

Charlie ist demnach unabdingbar, sowohl für die Komik, als auch für das Geschehen. Er, seine Gegner und Helfenden sind Hauptträger der Handlung die vor allem darin besteht „daß ich [Charlie] in Schwierigkeiten gerate und damit die Chance bekomme, mich verzweifelt ernsthaft darum zu bemühen, als normaler kleiner Herr zu erscheinen. [...] Ich brauche keine Bücher zu lesen, um zu wissen, dass das Grundthema unseres Lebens Konflikt und Leid ist. Rein instinktiv entspringen alle meine Clownerien dieser Erkenntnis. Mein Grundkonzept der Komödie war einfach und besteht darin, Menschen in Schwierigkeiten geraten und sich wieder herausfinden zu lassen"[5], erläutert Charles Chaplin in seiner Autobiografie. „Ich bin mir in dem Punkt so sicher, daß ich nicht nur versuche, mich in peinliche Situationen zu bringen, sondern auch bestrebt bin, die anderen Figuren des Films mit hineinzuziehen. Dabei bemühe ich mich stets, sparsam mit den Mitteln umzugehen. Damit meine ich, wenn ich mit einem Ereignis zwei große, getrennte Lacher erzielen kann, dann ist das viel besser als zwei getrennte Ereignisse.“ In The Adventurer erreicht er dieses etwa indem er Charlie mit einem jungen Mädchen auf einen Balkon setzt und ihn ein Eis essen lässt. Direkt unter dem Balkon nimmt eine leicht untersetzt, gutangezogene und würdevoll wirkende Dame an einen Tisch platz. Beim Eisessen fällt Charlie dann eine Kugel Eis von seinem Löffel. Wir sehen wie die Eiskugel durch Charlies weites Hosenbein und einen Spalt im Balkon hinab in den Nacken der Dame fällt. Diese beginnt zu schreien und in wilden, unkontrollierten Bewegungen hin und her zu hopsen. Wie gesagt, es war „nur ein Ereignis, aber es brachte zwei Leute in Schwierigkeiten und außerdem zwei große Lacher. So einfach dieser Kunstgriff auch erscheinen mag, so macht er sich doch zwei Grundzüge der menschlichen Natur zunutze. Zum einen bereitet es dem Durchschnittsmenschen stets Vergnügen, wenn Wohlstand und Luxus in Schwierigkeiten geraten. Zum andern hat der Mensch die Neigung, selbst unmittelbar nachzuempfinden, was er auf der Bühne oder der Leinwand sieht. [...] Wenn das Eis zum Beispiel einer Putzfrau in den Nacken gefallen wäre, dann hätte das keinen Lacher ergeben, sondern Mitleid mit der Frau hervorgerufen. Und weil eine Putzfrau keine Würde zu verlieren hat, wäre diese Pointe auch nicht witzig gewesen. Wenn reichen Frauen Eis in den Nacken fällt, bedeutet das dagegen für das Publikum, daß die Reichen nur das bekommen, was sie verdienen".[6]

[...]


[1] Zit.n. Tichy (1974), S. 20

[2] Zit.n. Tichy (1974), S.5

[3] Zit.n. Tichy (1974), S.5

[4] Zit.n. Tichy (1974), S.46

[5] Zit.n. Tichy (1974), S.89

[6] Zit.n. Tichy (1974), S.89

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Über das Märchenhafte bei Charles Chaplins am Beispiel von "Modern Times"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Soziologie)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
15
Katalognummer
V24229
ISBN (eBook)
9783638271462
ISBN (Buch)
9783656881926
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Hausarbeit schildere ich wie in Charles Chaplins Filmen, Thema und Stil des Märchens einfließen. Zu diesem Zweck werde ich zunächst auf die Figur des Tramps eingehen. Anschließend zeige ich die Parallelen zwischen Themen, Stil und Figuren des Märchens und Chaplins auf, wofür ich besonders auf den Film Modern Times eingehe.
Schlagworte
Märchenhafte, Charles, Chaplins, Beispiel, Modern, Times
Arbeit zitieren
Bisrat Wolday (Autor:in), 2003, Über das Märchenhafte bei Charles Chaplins am Beispiel von "Modern Times", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24229

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