Charisma und Religion


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Skizze der Alltagsverwendung des Begriffes Charisma

3 Charisma als Fachbegriff der Soziologie und sein Zusammenhang mit religiösen Themen
3.1 Charisma und Religion bei Max Weber
3.2 Nimbus bei Gustave LeBon

4 Abschließende Bemerkungen

5 Literatur

1 Einleitung

Charisma ist ein Begriff, der gerne und oft verwendet wird. Wenn Deutschland den Superstar sucht, macht sich ganz Deutschland Gedanken darüber, welche Eigenschaften ein Superstar eigentlich haben sollte. Die Antwort: Charisma. Wenn dann einer zum Superstar gekürt wurde, aber ein anderer mehr Erfolg hat, wird die Frage gestellt, wie das sein kann. Die Antwort: Charisma. Der eine mag vielleicht der musikalisch bessere sein, aber der andere hat nun mal mehr Charisma. Wenn Ole von Beust Bürgermeister wird, obwohl die Mehrheit der Hamburger mit der Politik seines Senats unzufrieden ist, fragen viele, warum er die Wahl gewonnen hat und nicht Thomas Mirow. Die Antwort: Charisma. Von Beust hat es, Mirow nicht. Mir scheint, als ob Charisma im Alltag ein diffuses Konzept ist, das herangezogen wird, um Fragen zu beantworten, bei denen die Ratio versagt.

Dies ist eine Beschreibung, die ich selbst und andere oft auf Religion angewendet habe. Dies ist die Sichtweise, dass Religion stets die Lücken füllte, die die Wissenschaft offen ließ, und sich vehement wehrte, wenn Wissenschaft sich dieser Lücken wieder annahm. Ob dies eine adäquate Sichtweise auf religiöse Zusammenhänge ist, sei dahingestellt. Die Ähnlichkeit der Rolle die Charisma spielt und der Rolle der Religion ist jedoch interessant. So ist doch die älteste Verwendung des Begriffes Charisma, die ich ausmachen konnte, in den Briefen der Apostel Paulus und Petrus zu finden, die mit Charisma die Gaben des Heiligen Geistes, vor allem die Gabe zur Heilung, bezeichneten.

Auch wissenschaftliche Literatur zum Thema Charisma führen unweigerlich zu einem Themenkreis, der sich mit religiösen und rituellen Zusammenhängen beschäftigt. Ich möchte in dieser Hausarbeit den Zusammenhang zwischen Charisma und Religion herausarbeiten und eventuell Rückschlüsse auf die Konzepte zu ziehen, die hinter den heutigen Verwendungen des Begriffes Charisma stehen. Hierzu möchte ich zuerst eine Skizze der Alltagsverwendung dieses Begriffes versuchen und mich dann dem soziologischen Fachbegriff und seinem Zusammenhang mit Religion nähern.

2 Skizze der heutigen Alltagsverwendung des Begriffes Charisma

Sich der Alltagsverwendung eines Begriffes zu nähern ist ein schwieriges unterfangen. Wissenschaftliche Literatur, die sich mit dem Begriff Charisma beschäftigt, bezieht sich meist auf die webersche Verwendung dieses Begriffes, oder ist theologischer Natur und befasst sich mit den Geistesgaben. Eine Skizze der alltäglichen Verwendung dieses Begriffs anzufertigen, die lediglich auf meinem eigenen Sprachgefühl basiert, fand ich jedoch unbefriedigend. Ich entschloss mich daher, auf zwei Wegen weitere Informationen einzuholen.

Zum ersten führte ich eine unstrukturierte Mini-Umfrage bei Kommilitonen, die nicht Soziologie studieren, durch, um die Bedeutungen und Konnotationen, die der Begriff Charisma in ihrem Sprachgebrauch bzw. Sprachgefühl einnimmt, miteinzubeziehen. Zum zweiten gab ich den Begriff Charisma als Suchbegriff für eine undifferenzierte Dokumentensuche im Internet ein, um ein Bild davon zu bekommen, in welchen Kontexten der Begriff Charisma verwendet wird.

Die Mini-Umfrage war unstrukturiert und mit 21 Befragten auch nicht repräsentativ. Sie diente lediglich dazu, mir zusätzlichen Input für die Skizze der Alltagsverwendung von Charisma zu verschaffen. Ich fragte die Kommilitonen, was Charisma sei, bzw. was dieser Begriff für sie bedeute. Auf diese Eingangsfrage folgte dann ein Gespräch, bei dem auch Assoziationen, die die Befragten haben, wenn sie diesen Begriff hören, thematisiert wurden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: H Äufigkeit der Nennungen und Verh Ältnis zur Gesamtzahl der Befragten

Alle Befragten nannten bei der ersten Frage den Begriff „Ausstrahlung“ (vgl. Tabelle

1). Auf Rückfrage, ob dies ein Übersetzungsversuch sei, bejahten dies 80% der Befragten und versicherten, diese Begriffe synonym zu verwenden.

18 der 21 befragten Personen verstanden Charisma als eine Fähigkeit, Menschen zu beeinflussen (vgl. Tabelle 1). Von diesen 18 erwähnten 15 explizit rhetorische bzw. rednerische Fähigkeiten, 12 fügten auch noch subtile Signale wie z.B. Blicke hinzu. Religiöse Bedeutungen des Begriffes wurden nicht erwähnt. Viele Kommilitonen zeigten sich gar überrascht über einen möglichen Zusammenhang zwischen diesem Begriff und religiösen Themen.

Die undifferenzierte Suche nach Dokumenten im Internet unter dem Suchbegriff „Charisma“ diente dazu, weitere Kontexte, in denen dieser Begriff verwendet wird, zu finden bzw. mir einen Überblick über die Häufigkeiten dieser Kontexte zu verschaffen. Ich verwendete die Suchmaschine „Google“, beschränkte meine Suche auf Seiten in deutscher Sprache und sichtete die ersten 400 Suchergebnisse.

Ich ordnete die Vorkommnisse des Begriffes in folgende Kategorien ein, die sich bei der Sichtung des Materials ergaben.

- Karriere und Job
- Partnersuche, sexuelle Attraktivität
- Fachbegriff der Theologie
- Marken-, Künstler- und Produktnamen
- Fachbegriff der Soziologie
- Fachbegriff der Sozialpsychologie
- Persönlichkeitsentwicklung
- Eigenschaft von Charakteren in (Rollen-)Spielen
- Einträge in Lexika und Wörterbüchern
- Eigenschaft von unbelebten Objekten
- Eigenschaft von Prominenten
- Keine Zuordnung

Zum besseren Verständnis möchte ich zu einigen dieser Kategorien ein paar Erklärungen hinzufügen.

Die Kategorien „Karriere und Job“, „Partnersuche, sexuelle Attraktivität“ und „Persönlichkeitsentwicklung“ sind sich sehr ähnlich. Alle drei verstehen Charisma als eine Eigenschaft von Personen, die erlernt bzw. weiterentwickelt werden kann. Ich habe sie hier als getrennte Kategorien angeführt, da in dieser Verwendung des Begriffes Charisma einem bestimmten Zweck dient. Das Erlernen von zielgerichteter und zweckdienlicher Anwendung des Charisma steht in den Texten dieser Kategorie an erster Stelle. Da der Zweck bei dieser Bedeutung eine tragende Rolle spielt, wollte ich ihn nicht unter den Tisch fallen lassen.

Die Kategorie „Marken-, Künstler- und Produktnamen“ hat mich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es diese Kategorie überhaupt geben würde, geschweige denn eine solch große Menge und Vielfalt. Die Palette reicht von Musikgruppen und Künstlern über Autos bis hin zu Computersoftware für Präsentationen. In dieser Kategorie traten viele Dopplungen auf, die ich dann nicht wertete. Das Auto namens Charisma z.B. wurde auf mehreren Seiten beworben. Ich zählte es jedoch nur einmal.

Aufgrund solcher Dopplungen beziffert sich die Gesamtzahl der gezählten Dokumente auch nur auf 275, obwohl ich 400 Dokumente sichtete. In der Kategorie „Keine Zuordnung“ finden sich alle Dokumente wieder, die zwar unter dem Suchbegriff Charisma gefunden wurden, bei denen jedoch im eigentlichen Dokumenttext keinen Hinweis auf diesen Begriff zu finden war.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2:Verteilung der WWW-Dokumente auf Kategorien

Die Verteilung war für mich sehr überraschend. Vor allem die starke Präsenz von Charisma als Fachbegriff der Theologie hatte ich nicht erwartet (vgl. Tabelle2). Da es aber um die Alltagsverwendung des Begriffes geht, entschloss ich mich, die folgenden Dokumentkategorien nicht weiter zu berücksichtigen: „Fachbegriff der Theologie“, „Fachbegriff der Soziologie“, „Fachbegriff der Sozialpsychologie“, „Marken-, Künstler- und Produktnamen“ und „Keine Zuordnung“. Die Einträge in Lexika beziehen sich größtenteils auf die Bedeutung von Charisma, die auch bei Paulus und Petrus zu finden ist.

Bei den Dokumenten der übrigen Kategorien wird Charisma durchweg als eine Eigenschaft von Personen oder unbelebten Objekten gesehen. Bei Personen ist dies die Fähigkeit, Menschen zu beeinflussen. Der Zweck und die Art der Beeinflussung variiert, jedoch ist die Grundlage, dass diese Menschen eine hohe Meinung von dem Charismaträger haben und sich in seiner Gegenwart wohlfühlen. Bei unbelebten Objekten ist das Konzept ähnlich. In einem „Haus mit Charisma“ wohnt es sich angenehmer, man fühlt sich dort wohler als in einem gewöhnlichen Haus. Bevor ich zur Skizze der Alltagsverwendung des Begriffes Charisma komme, möchte ich noch auf einige interessante Funde in den Dokumenten hinweisen. Die Dokumente in der Kategorie „Eigenschaft von Charakteren in (Rollen-)Spielen“ war für mich äußerst interessant, da hier Charisma nicht nur als eine Eigenschaft von Personen verstanden wird, sondern auch als solche quantifiziert wird. Diese Spiele basieren auf jeweils unterschiedlichen mathematischen Systemen, mit denen berechnet wird, was ein Charakter, in dessen Rolle ein Spieler schlüpft, kann oder nicht kann. In diesen Spielen werden also Eigenschaften, Talente und Fähigkeiten von Personen genau definiert und dann in Zahlen ausgedrückt. Diese Definitionen müssen alltagstauglich sein, wenn im Spiel die Interaktion von Personen und die Wirkung von Charisma simuliert werden soll. Dies fand ich einer näheren Betrachtung würdig. Ich recherchierte in dem Grundregelwerken von zwei der meistgespielten Rollenspielsysteme, „Vampire - Die Maskerade“ (vgl. Rein-Hagen, 1999) und „Dungeons & Dragons“ (vgl. Cook et. al., 2000).

In „Vampire - Die Maskerade“ gehört Charisma zu den gesellschaftlichen Attributen, zusammen mit Manipulation und Erscheinungsbild. Es ist wie folgt definiert: „Charisma ist ein Maß für Ihre Fähigkeit, andere zu umgarnen und zu faszinieren. Charisma ist gefragt, um andere gefühlsmäßig für sich zu gewinnen und ihr Vertrauen zu erlangen. Charisma bedeutet nicht unbedingt eine geschliffene Zunge oder Geschick in der Kunst der körperlichen Einschüchterung. Diese Eigenschaft ist eher eine Facette einer charismatischen Persönlichkeit. Charisma spiegelt Ihre Macht wider, andere dazu zu bringen, Vertrauen in Sie zu setzen.“ Rein-Hagen 1999, S. 123 Charisma ist hier also die Fähigkeit Vertrauen zu erheischen. Es ist klar abgegrenzt von der Fähigkeit zur aktiven Selbstdarstellung und von Schönheit oder Attraktivität. Diese Eigenschaften werden über „Manipulation“ und „Erscheinungsbild“ abgebildet (vgl. Rein-Hagen 1999, S.123).

In „Dungeons & Dragons“ werden die gesellschaftlichen Eigenschaften nicht so stark differenziert wie bei „Vampire - Die Maskerade“. Es ist hier das einzige gesellschaftliche Attribut und ist wie folgt definiert:

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Charisma und Religion
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Soziologie)
Note
1.0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V24452
ISBN (eBook)
9783638273268
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit versucht, sich dem Begriff Charisma in seiner theologischen Herkunft, seiner alltäglichen Verwendung und seiner Rolle als Fachbegriff der Soziologie zu nähern und diese Bedeutungen einander gegenüberzustellen, um ein klareres Konzept von Charisma zu erhalten.
Schlagworte
Charisma, Religion
Arbeit zitieren
Stefan Thesing (Autor:in), 2004, Charisma und Religion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24452

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