Informelles Staats- und Verwaltungshandeln in der Politikformulierung


Seminararbeit, 2004

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriff
2.1 Definition
2.2 Merkmale des Informellen Staats- und Verwaltungshandelns

3. Staatliche Handlungsmuster
3.1 Hierarchie
3.2 Kooperation
3.3 Fazit

4. Beispiel Chemikaliengesetz
4.1 Darstellung der Entstehung des Chemikaliengesetzes
4.2 Die verschiedenen Ebenen der Problembehandlung
4.2.1 EG-Ebene
4.2.2 Bundesebene
4.3 Probleme der Kooperation
4.4 Einordnung der Akteure
4.4.1 Internationale Akteure
4.4.2 Beteiligte Ministerien, Verbände und Gewerkschaften
4.4.2.1 Die Regierung
4.4.2.2 Die Verbände und Gewerkschaften
4.4.3 Formale Institutionen
4.5 Die Rolle der Ministerialbürokratie
4.5.1 Machtpotential
4.5.2 Verhandlungspotential
4.5.3 Tauschpotential

5. Schlussbemerkung

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Informelles Staats- und Verwaltungshandeln in der Politikformulierung

1. Einleitung

In der heutigen Zeit entstehen viele Gesetze, die große Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben. Diese gelangen jedoch meist erst an die Öffentlichkeit, wenn große Verhandlungen anstehen, die eigentlich nur einen letztlich geringen Beitrag zur Tragweite des Gesetzes leisten. Wie weit und ob überhaupt im vorhinein Verhandlungen und Beratungen mit der Wirtschaft bestehen, soll hier anhand des Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen untersucht werden.

2. Begriff

2.1 Definition

Für die sich mehr und mehr auf Kooperation stützende Praxis, Umweltschutz-maßnahmen und ähnliches durch Konsens zu vereinbaren, hat sich zunehmend der Begriff informal-kooperativen Staats- und Verwaltungshandelns1 gefestigt.2 Dieser Begriff beinhaltet jedoch einen großen Spielraum für Interpretationen. Rechtliche Bewertungen können je nach gewählter Erscheinungsform differieren.3

Der Begriff sowie die Erscheinungsformen sind bisher annähernd gleich unsicher. Bei dieserart bezeichneten Verhaltensweisen geht es um Mischtatbestände, in denen zugleich einzelne Sachverhaltselemente, wie z.B. Bindungswille oder Regelungsumfang unsicher sind, und aber auch die Zuordnung zu den verschiedenen Formen Schwierigkeiten bereitet.4

Obwohl diese Differenzen in der Abgrenzung und Klassifikation des informellen Handelns bestehen, findet sich eine Mehrzahl rechtswissenschaftlicher Autoren, die durch die Abgrenzung des Begriffs „informal/informell“ von den traditionellen Handlungsarten auf die fehlende rechtliche Strukturierung des Staats- und Verwaltungshandelns hinweisen.5 Im Vordergrund stehen hier Absprachen oder ähnliche Kontakte zwischen staatlichen Institutionen und deren Mitarbeitern und

Privaten bevor es zu einer Regelung kommt oder die vollständige Ersetzung der eigentlichen hoheitlichen Entscheidung. Informeller Natur sind demzufolge alle staatlichen Handlungsformen, die nicht den traditionellen staatlichen Rechtsformen zugeordnet werden können, diese aber in der Verwaltungswirklichkeit vorbereiten oder ersetzen wollen.6 Der Begriff „kooperativ“ soll zudem betonen, dass auf hoheitlichen Zwang weitgehend verzichtet wird und die Aktivierung privater Initiative mehr Beachtung findet. Analog zur dogmatischen Leitlinie des Kooperationsprinzips wird dabei beabsichtigt, die verstärkte Einbeziehung der Privaten als eigenständige Akteure in den staatlichen Entscheidungsprozeß aufzuzeigen, um so die begrenzte Leistungs-kraft des Staates bei der Informationsgewinnung, bei der Herstellung angemessener Interessenausgleiche und der Sicherung von Akzeptanz und Implementierbarkeit herzustellen.7

2.2 Merkmale des Informellen Staats- und Verwaltungshandelns

In der Literatur existieren verschiedene Strukturierungen um der Vielfalt des Vorhandenen gerecht zu werden. Bohne unterscheidet drei Merkmale informellen Handelns: Rechtliche Nichtregelung und Unverbindlichkeit, Alternativenverhältnis zu rechtlichen Handlungsformen und Tauschprinzip.8 Diese Unterteilung bezieht sich allerdings nicht auf die Vertragsform, die auch zum informellen Handeln gerechnet werden muss. Wird diese miteingeschlossen, fällt das erste Merkmal Bohnes weg. Zudem wird das Zustandekommen durch Verhandlungen hervorgehoben. Hinzu kommt die angestrebte Verantwortungsübertragung vom Gesetzes- bzw. Verordnungsgeber auf die Verwaltung oder auf Private.9

3. Staatliche Handlungsmuster

Zur Regelung von gesellschaftlichen Konflikten lassen sich zwei unterschiedliche Typen von Handlungen unterscheiden. Im folgenden sollen diese beiden Formen kurz charakterisiert und einander gegenübergestellt werden.

3.1 Hierarchie

Die hierarchische Lösung basiert vor allem auf der demokratischen Legitimation der Mehrheit und der Durchsetzung der Konfliktlösung mittels staatlichen Zwanges.10 Gesellschaftlich verbindliche Entscheidungen trifft das Parlament, welches eine Exekutive einsetzt, die die demokratisch legitimierten Entscheidungen mit autoritativen Mitteln durchsetzt.11 Dabei wird von der grundsätzlichen Kongruenz von den an der Entscheidung Beteiligten und den von der Entscheidung Betroffenen ausgegangen. Durch die Mehrheitsregelung wird eine Konsensbildung überflüssig, wodurch die Effizienz erhöht wird. Außerdem wird die Bevölkerung in ihrer Souveränität entlastet, indem Verantwortlichkeit auf die Regierung verlagert wird.

3.2 Kooperation

Die Konfliktlösung beruht hier auf dem Prinzip der Einigung. Deren Durchsetzung erfolgt durch die Einbeziehung der von der Entscheidung Betroffenen in das Verhandlungssystem.12 Diese Art von Lösung ermöglicht eine hohe Komplexität von Argumenten, Positionen und Wissen sowie einen hohen Grad an Austauschbeziehungen. Charakteristisch für Verhandlungslösungen sind sachliche, soziale und zeitliche Flexibilität.13 Die egoistisch-rationale Handlungsorientierung aller Akteure fördert die Effizienz.

3.3 Fazit

Die egoistisch-rationale Handlungsorientierung kann als Vorteil der Kooperation und als Nachteil der Hierarchie gewertet werden. Sind bei der Kooperation alle Akteure an einem Gelingen interessiert, so wäre eine derartige Einstellung bei Regierenden fatal, würde sie doch zur Ausbeutung der Minderheiten führen.14 Die Verantwortung kann auch bei der Kooperation zugeordnet werden: nämlich den Akteuren als Kollektiv. Die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung ist jedoch größer als die der Hierarchie.15 Die Effizienz und Problemlösungskapazität der Verhandlung spricht für eine überwiegende Anwendung im Alltag, doch bestehen auch hier

Nachteile, die empirisch gezeigt werden können. Verbreitet ist demzufolge eine Mischform von Kooperation und Hierarchie, die als Verschränkung beider Ausprägungen bezeichnet werden kann.

4. Beispiel Chemikaliengesetz

Zur praktischen Anwendung des zuvor Beschriebenen, soll hier nun die Entstehung des Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen, kurz Chemikaliengesetz (ChemG), dargestellt und analysiert werden.

4.1 Darstellung der Entstehung des Chemikaliengesetzes

Einen wichtigen Anstoß für das Chemikalienproblem gab ein internationales Symposium im Jahre 1969. Es folgten Gesetzesinitiativen in den USA, Schweden und Japan in den Jahren 1973 bis 1975. Aus handelspolitischen Gründen intensivierte die Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) ihre Aktivitäten. Als Frankreich 1975 reagierte, wurde auch die EG tätig, weil vor allem technische Handelsschranken befürchtet wurden. Im Februar 1976 wurde der Europäischen Kommission ein Richtlinienentwurf vorgelegt, der im September 1976 an den Rat weitergeleitet wurde. Im Mai 1976 hatten die deutsche Regierung und der Verband für Chemische Industrie (VCI) einen Gegenentwurf, der einen Stufenplan vorsah, erarbeitet und den anderen EG-Staaten vorgelegt. Die IG Chemie war erst nach einer breiten Mobilisierungskampagne an den Beratungen beteiligt worden.

Eine erste deutsche Gesetzesfassung wurde 1977 durch das Bundesinnenministerium (BMI) erarbeitet. 1978 wurde dann vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) ein Entwurf vorgelegt, in dem der Umweltschutz nur eine untergeordnete Rolle spielte. Das BMI schickte im November 1978 eine Vorversion des Gesetzesentwurfes an Behörden und Verbände. 1979 entstand eine neue Vorlage des Gesundheitsministeriums. Am 20. Juni 1979 wurde dann eine gemeinsame Kabinettsvorlage eingereicht.

Einen Tag zuvor hatte der EG-Ministerrat eine Richtlinie verabschiedet, die der deutschen Gesetzgebung einen Rahmen setzte. Am 21. Juni wurde der Gesetzesentwurf vom Bundeskabinett beraten und dem Bundesrat zugeleitet. Die erste Lesung im Bundestag erfolgte im November 1979. Im Juni 1980 schlossen sich 4

die zweite und dritte Lesung an. Der Entwurf wurde mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen und trat am 1. Januar 1982 in Kraft.16

4.2 Die verschiedenen Ebenen der Problembehandlung

Bei der Entstehung des Chemikaliengesetzes fanden mehrere Handlungsabläufe gleichzeitig statt. Parallel zu der Ausarbeitung einer Änderungsrichtlinie für die seit 1967 existierende Richtlinie über die Kennzeichnung gefährlicher Stoffe auf EG-Ebene17 beschäftigte sich der Bund mit der Ausarbeitung eines eigenen Gesetzes.

4.2.1 EG-Ebene

Erste Bewegungen auf EG-Ebene verursachten die einzelstaatlichen Regelungen der Schweiz, Japans und der USA. Die eigentliche Initiative ging aber im Juni 1975 von Frankreich und dessen Gesetzesentwurf aus. Schon am 5. Januar 1976 folgte ein Vorschlag der EG-Kommission zur 6. Änderungsrichtlinie des Rates vom 27.06.1967 (67/548/EWG),18 worauf sich eine intensive Beratungsphase anschloss. Der offizielle Entwurf wurde am 08.09.1976 dem Ministerrat vorgelegt. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss wurde am 30.09.1976 ersucht und verabschiedete sechs Monate später seine Stellungnahme. Den Verbänden war somit theoretisch die Möglichkeit zur Stellungnahme über ihre Dachverbände in den Ausschüssen gegeben. Hinzu kamen Versuche der Chemieindustrie über bundesdeutsche Ministerien auf die EG einzuwirken, was vor allem in dem deutschen Gegenvorschlag, der Mitte 1977 eingereicht wurde und sehr industriefreundlich angelegt war, deutlich wurde. Der VCI spielte hier eine besonders große Rolle, verfügte er doch über zahlreiche Experten und Kontakte um auf die Ministerien Einfluss zu nehmen. Auf Initiative der IG Chemie hin beschäftigte sich der Koordinationsausschuss von Chemie- und Fabrikarbeitergewerkschaften in der Europäischen Gemeinschaft (ICEF) am 24./25.05.1978 mit der Gesamtproblematik „gefährlicher Stoffe“.19 Die vom ICEF verabschiedete Resolution, welche eine stärkere Beteiligung der Gewerkschaften am Entscheidungsprozess forderte, wurde dem EG-Ministerrat und der EG-Kommission, sowie den nationalen Regierungen

vorgelegt.20 Des weiteren wurde der deutsche Gegenvorschlag abgelehnt. Die zuständige „Generaldirektion für Binnenmarkt und Gewerbliche Wirtschaft“ bei der EG-Kommission sicherte der IG Chemie daraufhin eine Beratungsfunktion zu. Es schlossen sich Gespräche der IG Chemie und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit der Kommission an, obwohl der Vorschlag schon an den Ministerrat weitergeleitet worden war. Als jedoch am 01.07.1978 der Vorsitz im EG-Ministerrat auf Deutschland wechselte, schwenkten viele EG-Staaten auf den deutschen Stufenplan um. Unter französischem Vorsitz ein Jahr später erfolgte am 29./30.01.1979 die erste Ratssichtung und am 19.06.1979 verabschiedete der Ministerrat die endgültige Fassung. Am 18. September wurde die Richtlinie offiziell erlassen.21 Außerdem wurde die Entscheidung getroffen,22 einen „Beratenden Wissenschaftlichen Ausschuss für die Prüfung der Toxizität und Ökotoxizität chemischer Verbindungen“ zu gründen, welche den Verbänden auch im nachhinein Einflussmöglichkeiten bieten sollte.

[...]


1 Vgl. Veith, 2001, S. 13

2 Vgl. Bohne, 1984; Kloepfer/Elsner, 1996; Di Fabio, 1997; Fluck/Schmitt, 1998

3 Vgl. Veith, 2001, S. 13

4 Vgl. Schmidt-Aßmann, 1989, S. 541

5 Vgl. Dose, 1995, S. 10 1

6 Vgl. Maurer, 1997, S. 399

7 Vgl. Veith, 2001, S. 14

8 Vgl. Bohne, 1984, S. 344

9 Vgl. Veith, 2001, S. 20 2

10 Vgl. Brennecke, 1996, S. 17

11 Vgl. ebd, 1996, S. 19

12 Vgl. Brennecke, 1996, S. 17

13 Vgl. ebd., S. 21

14 Vgl. Scharpf, 1992a, S. 16f.

15 Vgl. Brennecke, 1996, S. 22 3

16 Vgl. Schneider, 1992, S. 114-121

17 Vgl. Schneider, 1992, S. 117

18 Vgl. EG-ABl. C 260/1976, S. 4 ff.

19 Vgl. presse-dienst der IG Chemie, 20.07.1978 5

20 Vgl. Schreiben d. ICEF, 29.06.78

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Informelles Staats- und Verwaltungshandeln in der Politikformulierung
Hochschule
Universität Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Verwaltung und ihre Umwelt
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
22
Katalognummer
V24494
ISBN (eBook)
9783638273589
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Informelles, Staats-, Verwaltungshandeln, Politikformulierung, Verwaltung, Umwelt
Arbeit zitieren
Sabrina Daudert (Autor:in), 2004, Informelles Staats- und Verwaltungshandeln in der Politikformulierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24494

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