Die jüngsten Einschränkungen der Rückstellungsbildung durch den Steuergesetzgeber


Hausarbeit, 2002

35 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Anlagenverzeichnis

1 Rückstellungen als Bilanzposition
1.1 Zum Begriff „Rückstellungen“
1.1.1 Funktion und wirtschaftliche Bedeutung der Rückstellungen

2 Rechtliche Grundlagen der Rückstellungsbildung im Handels- und Steuerrecht
2.1 Rückstellungen nach Handelsrecht
2.2 Steuerrechtliche Anerkennung handelsrechtlich bilanzierter Rückstellungen

3 Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung
3.1 Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
3.1.1 Zum Begriff des „schwebenden Geschäfts“
3.1.2 Das Wesen des drohenden Verlustes
3.1.3 Das Imparitätsprinzip als bilanzrechtliche Grundlage
3.2 Rückstellungen für drohende Verluste aus Dauerschuldverhältnissen
3.3 Der „Apotheker-Fall“ – Bedeutung des Beschlusses des Großen Senats

4 Der § 5 Abs. 4a EStG – die Zerstörung des geltenden Geflechts von Handels- und Steuerbilanz?

5 Die Reform des bilanzsteuerlichen Rückstellungsrechts durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (StEntlG)
5.1 Die grundlegenden Ziele des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/
5.2 Die steuerrechtliche Bilanzierung von Rückstellungen nach dem StEntlG
5.2.1 Der Ansatz von Jubiläumsrückstellungen - § 5 Abs. 4 EStG
5.2.2 Der § 5 Abs. 4b EStG – Ansatzverbot von Rückstellungen für Anschaffungs- und Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern
5.3 Die neuen Regelungen der Rückstellungsbewertung nach dem StEntlG
5.3.1 Der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe a EStG
5.3.2 Bewertung von Sachleistungsverpflichtungen - § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe b EStG
5.3.3 Der § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe c EStG – die Berücksichtigung künftiger Vorteile
5.3.4 Der § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe d EStG
5.3.5 Abzinsung von Rückstellungen - § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe e EStG

6 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Rechtsprechungsverzeichnis

Verzeichnis der Gesetze und Rechtsverordnungen

Anlagen

Eidesstattliche Erklärung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anlagenverzeichnis

Anlage 1: Rückstellungsbildung nach Handelsrecht

Anlage 2: Passivierung handelsrechtlich bilanzierter Rückstellungen in der Steuerbilanz

1 Rückstellungen als Bilanzposition

Um die Thematik der Rückstellungsbildung und –Bewertung näher zu betrachten, muss zunächst definiert werden, was unter „Rückstellungen“ zu verstehen ist. Weiterhin ist zu analysieren, welche wirtschaftliche Bedeutung und Funktion die­sen zuteil werden und welche rechtlichen Regelungen zwischen Handels- und Steuerbilanz bestehen, wodurch der Ansatz und/oder die Bewertung festgelegt werden.

Hauptgegenstand der Arbeit ist die Betrachtung der Rückstellungen in der Steuer­bilanz. Dabei wird herausgearbeitet, welchen Einfluss die aktuelle Recht­sprechung und die vom Steuergesetzgeber erlassenen Gesetze, wie das „Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform“ und das „Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002“ nunmehr auf den Ansatz und die Bewertung der Rückstellungen haben.

1.1 Zum Begriff „Rückstellungen“

Bei den Rückstellungen handelt es sich um eine Bilanzposition, die auf der Passiv­seite ausgewiesen wird. Mit Hilfe dieser werden zukünftig anfallende Aus­gaben im Jahr ihrer Verursachung berücksichtigt. Mittels der Rückstellungen also erfolgt keine Korrektur von auf der Aktivseite bilanzierter Vermögensgegenstände (vgl. Maus 2002, 1).

Rückstellungen „.. dienen der frühzeitigen Erfassung von am Bilanzstichtag noch nicht genau bestimmbarem Aufwand des Unternehmens. Rückstellungen setzen eine Verbindlichkeit bzw. eine rechtliche Verpflichtung gegenüber Dritten voraus, die mit Gewissheit besteht. Ungewiss ist, wann und/oder in welcher Höhe die Rechtspflicht den Betrieb belasten wird“ (Huber-Jahn 2000, 17).

Das Ziel eines bilanziellen Rückstellungsausweises ist es, die am Bilanzstichtag noch ungewissen bzw. ungenauen Aufwendungen eines Unternehmens im Wirt­schaftsjahr der Verursachung und nicht erst zum späteren Zeitpunkt der Veraus­gabung bzw. des Erfüllens zu berücksichtigen (vgl. Maus 2002, 2).

Die bilanzierten Rückstellungen sind im Zeitpunkt der Inanspruchnahme mit den tatsächlichen Aufwendungen (Geld- oder Sachleistungen) zu verrechnen.

Soweit es sich um adäquate Beträge handelt, erfolgt zu diesem Zeitpunkt keine erfolgswirksame Auswirkung (vgl. Niemann 2000, 7).

1.1.1 Funktion und wirtschaftliche Bedeutung der Rückstellungen

Entgegen mancher Assoziationen handelt es sich bei den Rückstellungen nicht um eine Art „Spardose“ für Unternehmen, nur, weil das Entstehen von (ungewissen) Verbindlichkeiten und die Erfüllung dieser zeitlich auseinander liegen. Das Aus­einanderliegen des Entstehens und des Erfüllens berührt einzig die Liquidität eines Unternehmens und nicht seinen Erfolg oder sein Ergebnis (vgl. Niemann 2000, 8).

So gilt, dass die Bildung von Rückstellungen zu einer Gewinnminderung beim Unternehmen führt. Im Zeitpunkt des tatsächlichen Kostenanfalls bleiben die Aufwendungen bis zur Höhe des Rückstellungsbetrages ohne Gewinnauswirkung.

Wurde die Rückstellung zu niedrig bemessen, so entsteht bei Erfüllung der Ver­bindlichkeit ein Aufwand in Höhe der Differenz. Anders ist es, wenn die Rück­stellung höher ist als letztlich der Erfüllungsbetrag, hierbei ergibt sich ein Gewinn (vgl. Niemann 2000, 7).

Wirtschaftlich betrachtet erhält ein Unternehmen durch die vorgezogene Auf- wandsberücksichtigung in Form einer Rückstellungsbildung einen vorüberge­henden Liquiditätsvorteil bzw. einen Zinsgewinn (vgl. Maus 2002, 2).

2 Rechtliche Grundlagen der Rückstellungsbildung im Handels- und Steuer­recht

Der in Punkt 1.1 behandelte Begriff der Rückstellungen ist im Handels- und Steuerrecht identisch. Dennoch ergeben sich auf Grund gesetzlicher Spezialvor­schriften gewisse Unterschiede in Bezug auf Ansatz- und Bewertung der Rück­stellungen in Handels- und Steuerbilanz.

2.1 Rückstellungen nach Handelsrecht

Ausgehend vom Ziel der Handelsbilanz, der Unternehmensleitung, den Gläu­bigern und der interessierten Öffentlichkeit einen Einblick in die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens zu geben, steht der Gläubigerschutzgedanke im Vordergrund. Davon ausgehend leiten sich auch die „Höchstwertvorschriften“ in der Handelsbilanz ab (vgl. Blödtner u. a. 2001, 220).

„Für Verpflichtungen gegenüber Dritten, die bis zum Bilanzstichtag rechtlich und/oder wirtschaftlich verursacht sind, müssen gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 HGB in der Handelsbilanz ... Rückstellungen gebildet werden... . Das Bilanzierungsgebot von Rückstellungen ist Ausdruck des Realisationsprinzips“ (Perlet 1997, 2).

Das Realisationsprinzip, eine Ableitung des Grundsatzes der Vorsicht (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) zum Schutze der Gläubiger und Anteilseigner, besagt, dass Gewinne, i. S. von Erträgen erst dann ausgewiesen werden, wenn sie realisiert worden sind.

Weiterhin sind nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB „... Rückstellungen .. für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bil­den. Ferner sind Rückstellungen zu bilanzieren für im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von drei Monaten, oder für die Beseitigung von Abraum, die im folgenden Geschäfts­jahr nachgeholt werden (§ 249 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 HGB)“ (Niemann 2000, 9).

Ferner müssen laut § 249 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 HGB Rückstellungen für Gewähr­leistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, gebildet werden. Es handelt sich hierbei um eine handelsrechtliche Passivierungspflicht dieser Rückstellungen. (vgl. Niemann 2000, 9).

Ein Passivierungswahlrecht regelt § 249 Abs. 1 S. 3 HGB für Rückstellungen, die Aufwendungen für unterlassene Instandhaltung darstellen, wenn die Instand­haltung nach Ablauf der ersten drei Monate des folgenden Geschäftsjahres nach­geholt wird.

Des weiteren dürfen – handelsrechtliches Passivierungswahlrecht – Rück­stellungen gebildet werden „für ihrer Eigenart nach genau umschriebene, dem Ge­schäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnende Aufwendungen ..., die am Abschlussstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt sind (siehe § 249 Abs. 2 HGB)“ (NWB-Textausgabe 1999, 51).

Ein Passivierungsverbot für Rückstellungen besteht laut § 249 Abs. 3 HGB für alle Rückstellungen, deren Zwecke nicht in den Absätzen 2 und 3 des § 249 HGB aufgeführt sind.

Diese Thematik ist in der Anlage 1 zusammenfassend dargestellt.

2.2 Steuerrechtliche Anerkennung handelsrechtlich bilanzierter Rück­stellungen

„Zweck der Steuerbilanz ist es, .. für eine dem Grundsatz der Gleichbehandlung entsprechende Ermittlung des Gewinns zwecks Messung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu sorgen (vgl. Wagner 1993, Sp. 1870). Oder anders formuliert bildet die Steuerbilanz die Grundlage für die Finanz­behörden. Auf Grund des Gewinnausweises dieser, wird der Gewinn als Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der Unternehmung gebraucht, dies ist auch der Grund für die steuerrechtlichen „Mindestwertvorschriften“ (vgl. Blödtner u. a. 2001, 220).

Auf der Basis des „§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG haben Gewerbetreibende, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen – oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen – für den Schluss des Wirtschaftsjahrs das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist“ (Niemann 2000, 11).

Dieses grundsätzliche Prinzip für die steuerliche Gewinnermittlung im Bereich des Betriebsvermögensvergleichs ist die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, verankert im § 5 Abs. 1 EStG (vgl. Fenzl/Günkel 1999, 649).

Verbal lässt sich die Maßgeblichkeit wie folgt beschreiben: „Nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz (§ 5 Abs.1 S. 1 EStG) sind die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sowohl hinsichtlich der Bilanzierungsfähigkeit als auch für den Wertansatz auch für die steuerliche Gewinnermittlung heranzuziehen“ (Dechant u. a. 2000, 34).

Damit gelten die handelsrechtlichen Vorschriften – hier die HGB-Vorschriften bezüglich der Bildung von Rückstellungen als Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, welche unter § 252 HGB näher definiert sind – auch für die Bilanzie­rung der Rückstellungen bei der steuerrechtlichen Gewinnermittlung. Um jedoch den Unternehmensgewinn als steuerliche Bemessungsgrundlage nicht mani­pulieren zu können, gibt es neben diesen allgemeinen Grundsätzen Aus­nahmen, sogenannte steuerliche Spezialvorschriften i. S. v. § 5 Abs. 6 EStG.

So gilt steuerrechtlich ein Passivierungsverbot, wenn handelsrechtlich keine Passi­vierungspflicht besteht. Daraus folgt, dass Rückstellungen, die laut Handels­recht gebildet werden dürfen, für die allerdings keine Passivierungspflicht besteht, in der Steuerbilanz nicht gebildet und entsprechend passiviert werden dürfen (vgl. Niemann 2000, 11). Eine Zusammenfassung der Verknüpfungen von Handels- und Steuerbilanz ist in der Anlage 2 näher verdeutlicht.

Auf Grund der Tatsache, dass die heutige Bilanzerstellung zunehmend mit Blick auf die Steuer geschieht, erfolgt die Erstellung der Steuerbilanz zuerst. Vielerorts wird auch die Einheitsbilanz praktiziert (vgl. Blödtner u. a. 2001, 222). Diese Praktiken/Ansätze sind durchführbar, da der Gesetzgeber steuerrechtliche Wahl­rechte laut § 5Abs. 1 S. 2 EStG ermöglicht. Dieser Sachverhalt bekannt als „ um­gekehrte Maßgeblichkeit“ besagt, dass die steuerrechtlichen Wahlrechte „in Über­einstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben“ sind (Niemann 2000, 11).

Es kann festgestellt werden, dass auf Grund der bisher dargestellten Fakten zu­mindest in der Vergangenheit (bis zum Oktober 1997) kein Anlass zur Kritik wegen der steuerrechtlichen Regelungen für die Bildung bzw. des Ansatzes von Rückstellungen bestand.

3 Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung

Niemann schrieb dazu treffend: „Es ... kommt darauf an, dass eine dem Grunde oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit besteht, dass sie im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht worden ist und dass mit einer Inan­spruchnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden muss“ (Niemann 2000, 12).

Die Passivierung einer Rückstellung setzt zwingend das Vorhandensein ent­scheidender Kriterien voraus: Das „Vorliegen einer Außenverpflichtung deren wirtschaftliche Verursachung im abzuschließenden Geschäftsjahr liegt und die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme“ durch den Kaufmann bzw. das Unter­nehmen (Kessler/Ranker 2001, 326).

Dem Grunde nach wird bei einer Rückstellungsbildung vorausgesetzt, dass der entstehende Aufwand Vergangenheitsbezug und eine wirtschaftliche Verur­sachung durch das Unternehmen/den Betrieb hat (vgl. Koths 1999, 252, 253).

3.1 Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften

„Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften sind zu bil­den, wenn ein Verpflichtungsüberschuss aus einem schwebenden Geschäft zum Bilanzstichtag besteht, dessen Bestehen und/oder dessen Höhe ungewiss ist“ (Eck­stein/Fuhrmann 1998, 530). Es handelt sich um zukünftige Leistungsverpflich­tungen aus einem zumindest zweiseitigen Vertrag, wobei es um die Passivierung noch ausstehender Leistungsverpflichtungen geht (vgl. Eckstein/Fuhrmann 1998, 530).

Der § 249 Abs. 1 S. 1 HGB „verpflichtet den nach HGB Rechnung legenden Kaufmann zur Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwe­benden Geschäften“ (Kessler 1999, 820).

Um die steuerrechtlichen Auswirkungen dieses handelsrechtlichen Passivierungs­gebot näher zu diskutieren, soll zunächst verdeutlicht werden, was unter einem drohenden Verlust bzw. einem schwebenden Geschäft zu verstehen ist.

3.1.1 Zum Begriff des „schwebenden Geschäfts“

Kessler versteht unter einem „schwebenden Geschäft in sachlicher Hinsicht einen gegenseitigen, auf Leistungsaustausch gerichteten Vertrag, der als Beschaffungs- oder Absatzgeschäft einmalige Lieferungen oder Leistungen, ein dauerndes Ver­halten oder wiederkehrende Einzellieferungen oder -leistungen zum Gegenstand haben kann“ (Kessler 1999, 820 f.).

Für Eckstein/Fuhrmann sind schwebende Geschäfte „i. S. des § 249 HGB ..alle mindestens zweiseitig verpflichtenden Verträge, die auf einen Leistungsaustausch gerichtet und von beiden Seiten noch nicht erfüllt worden sind, unabhängig da­von, welche Rechtsnatur diese Verträge haben und ob es sich um einmalige oder sich wiederholende Rechtsgeschäfte handelt“ (Eckstein/Fuhrmann 1998, 530).

Der „Schwebezustand eines gegenseitigen Vertrages“ beginnt bei seinem recht­mäßigen Abschluss und erstreckt sich bis zu seiner Erfüllung durch den Ver­pflichteten mittels seiner Sachleistung (vgl. Kessler 1999, 821).

3.1.2 Das Wesen des drohenden Verlustes

„Ein Verlust droht immer dann, wenn der Wert der vom Unternehmer zu erbrin­genden Verpflichtung über dem Wert seines Anspruches liegt“ (Maus 2002, 79). Es liegt demnach ein Verpflichtungsüberschuss aus einem gegenseitigen Vertrag vor.

Der BFH ist der Auffassung, dass „ein Verlust ‚droht’ wenn konkrete Anzeichen dafür vorliegen, dass der Wert der eigenen Verpflichtung aus dem Geschäft den Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung übersteigt (sog. Verpflichtungs- oder Aufwendungsüberschuss)“ (Bundessteuerblatt 1997 Teil II, 738).

Allgemein können in der Praxis drohende Verluste bei schwebenden Geschäften entstehen. Unterschieden wird dabei nach:

- Beschaffungsgeschäften,
- Absatzgeschäften,
- Dauerschuldverhältnissen (vgl. Maus 2002, 80).

3.1.3 Das Imparitätsprinzip als bilanzrechtliche Grundlage

„Die Passivierung eines Verpflichtungsüberschusses des Bilanzierenden aus einem schwebenden Geschäft beruht auf dem im Gesetz kodifizierten Impa­ritätsprinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB und somit auf dem GoB..“ (Eck­stein/Fuhrmann 1998, 539).

In Ergänzung des unter Punkt 2.1 dargestellten Realisationsprinzips werden i. S. vorsichtiger Bilanzierung beim Imparitätsprinzip Verluste – gemeint Aufwen­dungen – in der Bilanz ausgewiesen, wenn sie am Bilanzstichtag vorhersehbar sind (vgl. Versin 2000, 1209).

Zusammenfassend ist anzumerken, dass sich die Pflicht zur Verlustrückstellung aus dem bilanzrechtlichen Imparitätsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) ergibt (vgl. BStBl II 1997, 738). Das Ziel des Imparitätsprinzips ist es, „im Interesse der Kapital­erhaltung und des Gläubigerschutzes künftige Rechnungsperioden von vorhersehbaren Risiken freizuhalten, die am Bilanzstichtag zwar noch nicht re­alisiert, aber .. bereits verursacht sind. Die als Verlust ermittelten Beträge sollen mit Hilfe der Rückstellung von der Gewinnverteilung ausgenommen und für einen späteren Bedarf bereitgehalten werden“ (BStBl II 1997, 738).

Auf Grund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 EStG (siehe Punkt 2.2) sind die Verlustrückstellungen deshalb „normalerweise“ in der Steuerbilanz anzu­setzen.

3.2 Rückstellungen für drohende Verluste aus Dauerschuldverhältnissen

Bei Dauerschuldverhältnissen, wie z. B. Miet-, Leasing-, Lizenz-, Darlehens-, Versicherungs- und bei Arbeitsverhältnissen könnte auf Grund von drohenden Verlusten ein Ausweis von Rückstellungen in der noch abzuwickelnden Zeit­spanne erforderlich sein (vgl. Maus 2002, 89).

3.3 Der „Apotheker-Fall“ – Bedeutung des Beschlusses des Großen Senats

„Der Vorteil, der sich für den Betrieb einer Apotheke aus der Weitervermietung von angemieteten Praxisräumen an einen Arzt ergibt, steht grundsätzlich der Bil­dung einer Rückstellung wegen drohender Verluste aus den Mietverhältnissen entgegen“ so der Beschluss vom 23. Juni 1997 GrS 2/93 des Großen Senats (BStBl II 1997, 735).

Mit diesem Urteil sollte eine Grundsatzfrage der deutschen Bilanzierung geklärt werden. Der Große Senat ist mit dieser Entscheidung nicht Akkord mit dem An­rufungsbeschluss des X. Senats gegangen. Dieser entschied im Jahre 1993 gegen die Einbeziehung des Standortvorteils in den Saldierungsbereich und sprach sich für eine Rückstellungsbildung aus (vgl. Herzig/Rieck 1997, 1881).

Um die Argumentationen des Großen Senats und dessen Auswirkungen treffender darstellen zu können, erfolgt zunächst eine kurze Zusammenfassung des Sachver­haltes.

„Ein Apotheker .. mietet in einem seiner Apotheke gegenüberliegenden Wohn- und Geschäftshaus Räume für die Dauer von 20 ½ Jahren an. Im Mietvertrag heißt es, er wolle die Räume in erster Linie an einen Arzt untervermieten. Der monat­liche Mietzins beträgt zunächst 2000 DM. Die angemieteten Räume werden von dem Apotheker sodann seinerseits wie geplant für ebenfalls 20 ½ Jahre an einen Arzt zum Zwecke des Betriebs einer Arztpraxis weitervermietet. Der Mietzins für die Untervermietung beträgt monatlich 1000 DM. Für den Fall der Aufgabe der in den gemieteten Räumen betriebenen Arztpraxis steht dem Apotheker ein außeror­dentliches Kündigungsrecht zu. Für das aus seiner Ansicht verlustträchtige Miet­verhältnis begehrt der Apotheker in seiner Bilanz zum 31.12.1981 eine Drohver­lustrückstellung ...“ (Herzig/Rieck 1997, 1881).

Der Drohverlustrückstellung lag ein ermittelter Verpflichtungsüberschuss für die Restlaufzeit der Mietverträge zuzüglich Umbaukosten für die Praxis und Aus­gleichszahlungen an den Arzt und seinen früheren Praxisvermieter zugrunde. „In keiner Form vom Apotheker erwähnt blieb der „(vermeintliche) Standortvorteil“ in Gestalt der erhofften Umsatz- und Gewinnsteigerung .., die sich erfahrungs­gemäß aus der räumlichen Nähe einer Arztpraxis für eine Apotheke ergibt“ (Küting/Kessler 1997, 1666).

Der Große Senat lehnt die Verlustrückstellung im „Apotheker-Fall“ ab, da hier der Kompensationsbereich der Verlustrückstellung nach wirtschaftlichen Ge­sichtspunkten abzugrenzen ist. Neben der Hauptleistungspflicht, der Zahlung des Mietzins als schuldrechtliches Synallagma, nutzt der Arzt als vertragliche Neben­pflicht die angemieteten Räume zum Zwecke des Betriebs einer Arztpraxis. Daraus ergibt sich für den Apotheker ein „bestimmter wirtschaftlicher Vorteil“, nämlich die Aussicht, durch den erweiterten Kundenkreis ein höheres betrieb­liches Ergebnis in Form von höheren Umsätzen zu erzielen, das sog. wirtschaft­liche Synallagma (vgl. Herzig/Rieck 1997, 1883).

Der Standortvorteil des Apothekers entsteht faktisch als Anspruch auf den Betrieb einer Arztpraxis, welcher unmittelbar aus dem Untermietvertrag hervorgeht. Da­bei ist zu vernachlässigen, ob es sich bei den einzubeziehenden wirtschaftlichen Vorteilen um die Qualität eines Vermögensgegenstandes oder eines Wirtschafts­gutes handelt (vgl. Herzig/Rieck 1997, 1885).

An dieser Stelle wird von einer „dominant-statischen Deutung der Drohverlust­rückstellung“ ausgegangen. Dies beinhaltet eine stichtagsbezogene Ermittlung des Verpflichtungsüberschusses aus dem gegenseitigen Vertrag unter Berücksichti­gung von Leistung und Gegenleistung beider Partner des Vertrages (vgl. Küting/Kessler 1997, 1673).

Mit dieser Entscheidung gab der BFH eine klare Linie vor, in welche Richtung sich das deutsche Bilanzrecht orientieren soll (vgl. Küting/Kessler 1997, 2446). Die Entscheidung des Großen Senats ist auf „wirtschaftlich geprägte Bilanzin­halte“ abgestellt. Es erfolgte eine wirtschaftliche Abgrenzung des Saldierungsbe­reichs, „indem neben den miteinander verknüpften Hauptleistungspflichten im Rahmen des schuldrechtlichen Synallagmas .. auch alle Nebenleistungen und sonstigen wirtschaftlichen Vorteile, die nach dem Inhalt des Vertrages oder den Vorstellungen beider Vertragspartner eine Gegenleistung für die vereinbarte Sachleistung darstellen, in den Kompensationsbereich einzubeziehen sind (wirt­schaftliches Synallagma)“ (Herzig/Rieck 1997, 1885).

Neben der „eingeläuteten“ wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Bilanzsteuer­rechts, werden als direkte Konsequenz des Beschlusses des Großen Senats auch weiterhin Drohverlustrückstellungen aus unbewusst eingegangenen Verlustge­schäften möglich sein (vgl. Küting/Kessler 1997, 1673).

Im Fall der bewusst eingegangenen Verlustgeschäfte ist nunmehr im Zuge der Entscheidung des Großen Senats zu prüfen, ob unter Bezugnahme aller wirt­schaftlichen Vorteile eine Verlustrückstellung nach wie vor gerechtfertigt ist (vgl. Herzig/Rieck 1997, 1885).

4 Der § 5 Abs. 4a EStG – die Zerstörung des geltenden Geflechts von Handels- und Steuerbilanz?

Noch bevor sich alle Beteiligten sich des Beschlusses des Großen Senats bewusst wurden, reagierte der Steuergesetzgeber anders, denn für das Steuerrecht hatte die Entscheidung des Großen Senats (konkret für Wirtschaftjahre, die nach dem 31.12.1996 endeten) keine Bedeutung mehr. Die Bildung von Drohverlustrück­stellungen für schwebende Geschäfte in der Steuerbilanz wurde durch die Einfüh­rung des § 5 Abs. 4a EStG nicht mehr zugelassen (vgl. Scherrer 2000).

„Mit der durch das Unternehmenssteuerreformgesetz vom 29.10.1997 in das Ein­kommensteuergesetz eingefügten Vorschrift durchbricht der Steuergesetzgeber die Maßgeblichkeit des nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungs­mäßiger Buchführung auszuweisenden Betriebsvermögens“ (Niemann 2000, 13).

„Diesem steuerlichen Verbot ... steht das handelsrechtliche Gebot des § 249 Abs.1 S. 1 HGB entgegen: § 249 Abs. 1 S. 1 HGB schreibt die Bildung von Rück­stellungen bei drohenden Verlusten aus schwebenden Geschäften zwingend vor“ (Niemann 2000, 13).

Des weiteren wird durch diese Regelung das im § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB ge­festigte Imparitätsprinzip, welches über das o.g. Maßgeblichkeitsprinzip auch für das Steuerrecht zutreffend ist, missachtet. „Das Imparitätsprinzip befindet sich im Bilanzsteuerrecht auf dem Rückzug“ stellten Küting/Kessler treffend fest (Küting/Kessler 2000, 21).

Ziel der großen Steuerreform in Durchführung des Unternehmenssteuerreformge­setzes von 1997 war es, die Erweiterung der Steuerbemessungsgrundlage zu er­reichen (vgl. Stobbe 1997, 364).

Erreicht wurde, dass die bilanzierenden Personen- und Kapitalgesellschaften nunmehr gezwungen waren, sich von der Einheitsbilanz zu lösen, da in der Handels­bilanz angesetzte Rückstellungen in der Steuerbilanz verboten sind.

Darüber hinaus ist dieses Rückstellungsverbot aufgrund des Gläubigerschutzes nicht mittels umgekehrter Maßgeblichkeit in die Handelsbilanz übertragbar, da es sich hierbei nicht um eine Steuervergünstigung handelt, sondern um eine Maß­nahme, die den Gewinn und damit die Ausschüttungen erhöhen würde (vgl. Stobbe 1997, 364).

So führt diese Maßnahme des Verbots der Drohverlustrückstellungen durch den Steuergesetzgeber zu „zwingenden Differenzen zwischen Handels- und Steuer­bilanz“ (Stobbe 1997, 364).

Auf Grund dieser Neuregelung liegt der Gedanke nahe, dass der Gesetzgeber mit diesem Verbot die Unternehmensgewinne zu einem früheren Zeitpunkt besteuern will, die Verluste aber erst steuerlich realisiert, wenn diese wirklich entstanden sind (vgl. Stobbe 1997, 365).

Moxters direkte Argumentation, „dass es sich um einen rein fiskalischen Beute­feldzug handelt“, unterstreicht die Intension des Gesetzgebers, sich beim Verbot der Drohverlustrückstellungen alleinig auf die Steuerbilanz zu beschränken (Moxter 1997, 1480). In seiner Begründung: „ Sähe der Gesetzgeber in den Ver­lustrückstellungen wirklich eine unzulässige Verkürzung von Gewinnansprüchen, hätte er zu berücksichtigen, dass auch die Vorschriften zur Handelsbilanz dazu dienen, Verkürzungen von Gewinnansprüchen zu verhindern“ (Moxter 1997, 1480). Dadurch wird die Durchtrennung des Geflechts von Handels- und Steuer­bilanz nochmals deutlich.

5 Die Reform des bilanzsteuerlichen Rückstellungsrechts durch das Steuer­entlastungsgesetz 1999/2000/2002 (StEntlG)

Die Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen entwarfen das Steuerent­lastungsgesetz, dem der Bundesrat am 19.03.1999 zustimmte. Das Gesetz erlangte zum 01.04.1999 seine Wirkung, wobei einzelne Artikel schon zum 01.01.1999 in Kraft traten (vgl. BStBl I 1999, 402).

5.1 Die grundlegenden Ziele des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002

Der Gesetzgeber verfolgte mit denen im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 erarbeiteten Gesetzesänderungen bzw. –erweiterungen u. a. die folgenden Ziele:

- „Einschränkung zur Bildung von stillen Reserven bzw. der Verlagerung des Ausweises erwirtschafteter Gewinne in die Zukunft,
- Objektivierung der steuerlichen Gewinnermittlung durch Entkopplung von der handelsrechtlichen Gewinnermittlung mit dem Ziel einer Besteuerung nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit“ (Koths 1999, 250).

Küting und Kessler sahen im Gesetz folgende Zielsetzungen: „Steuerver­günstigungen und Steuerschlupflöcher zu schließen und damit zu einer im Sinne des Leistungsfähigkeitsprinzips gerechteren Besteuerung beizutragen“ (Küting/Kessler 1998, 1937).

Mehr Steuergerechtigkeit zu schaffen, dies kann nur mittels einer Steuerum­verteilung geschehen, unter gleichzeitiger Vereinfachung des deutschen Steuer­rechts (vgl. Küting/Kessler 1998, 1937).

Die Schaffung von mehr Steuergerechtigkeit bedeutet unter Beachtung des Leistungsfähigkeitsprinzips zu agieren (vgl. Küting/Kessler 1998, 1937).

Das Prinzip der Leistungsfähigkeit als „klassisches“ Besteuerungssystem, dessen Wurzeln bei Smith und Mill liegen, hat sich in der heutigen Besteuerung als grundlegendes Prinzip durchgesetzt. Dabei soll „der Steuerpflichtige .. nach dem Grad der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden“ (Wilke/Wunsch 1997, 10, 37). Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, „wer ein großes Ein­kommen bezieht, soll gegenüber dem weniger Verdienenden mehr zur Finanzie­rung öffentlicher Ausgaben beitragen“, also mehr Steuern zahlen (Wilke/Wunsch 1997, 10, 37).

Indikatoren der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen sind Einkommen, Vermögen oder der Konsum. Die derzeitige Einkommens- bzw. auch Körperschaftssteuer orientiert sich am Indikator „Einkommen“ (vgl. Küting/Kessler 1998, 1939).

Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist im deutschen Grundgesetz fest eingebettet. Das Bundesverfassungsgericht interpretiert das Prinzip als “steuerspezifische Ausfor­mung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG)“ (Versin 2000, 1208).

Inwieweit die Gesetzesänderungen mit dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Ausdruck dieses verfassungsrechtlichen Grundsatzes zu vereinbaren sind, soll nachfolgend erörtert werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die jüngsten Einschränkungen der Rückstellungsbildung durch den Steuergesetzgeber
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule  (Betriebswirtschaft)
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
35
Katalognummer
V24523
ISBN (eBook)
9783638273763
Dateigröße
549 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einschränkungen, Rückstellungsbildung, Steuergesetzgeber
Arbeit zitieren
Berit Stephan (Autor:in), 2002, Die jüngsten Einschränkungen der Rückstellungsbildung durch den Steuergesetzgeber, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24523

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