Heinrich Heine erschließt sich dem Interpreten nicht beim ersten Lesen, im Gegenteil, um die Vielfalt und den Tiefgang der Lyrik und Prosa im Ganzen zu erfassen, bedarf es nicht nur einer Menge an Kontextwissen, sondern auch einer wiederholten gründlichen Lektüre. Der Bezug auf aktuelle Ereignisse, Situationen und Persönlichkeiten, der hohe Anteil an Witz und Ironie und die Vielzahl an literarischen Zitaten gestaltet manchen Text derart vielschichtig, dass er sich einer Interpretation gar zu entziehen scheint. Aber es ist nicht nur die vielfältige Verwendung von Stilmitteln, die Probleme macht, auch der Autor an sich entzieht sich oft einer genauen Positionierung und Bestimmung. Heine gibt seine Haltung nicht einfach preis, sondern versteckt sie in der Diskussion populärer Strömungen, Meinungen und Ansichten. Seine Intention, neben der politischen und künstlerischen Gestaltung, war es immer auch, den Leser zum kritischen Reflektieren und einer eigenen Meinung zu bewegen.
Um die Position Heines überhaupt annähernd bestimmen zu können, um seine Meinung aus dem Text zu extrahieren, muss man sich deshalb zwangsläufig auf das Feld der Interpretation begeben.
Durch diese Form der Parteilosigkeit wird das Problem der Literaturwissenschaft, dass sie keine genaue Wissenschaft ist, dass Interpretation immer von dem subjektiven Standpunkt und dem gewählten Kontext abhängt, verschärft. Es ist nicht verwunderlich, dass verschiedene Interpreten immer wieder zu teils verblüffend unterschiedlichen Auslegungen ein und derselben Textstelle kommen und man objektiv nur unter Vorbehalt von falsch oder richtig sprechen kann.
Das Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ ist ein Paradebeispiel für die Heinesche Polyvalenz und Vielschichtigkeit. Immer wieder wird der Leser mit ironischen oder fantastischen Episoden voller Witz und Pathos konfrontiert, und es hängt von seiner Perspektive ab, welche Bedeutung sie entfalten. Es gibt kaum einen Zusammenhang, der von Heine einseitig behandelt wird, weder die großen Themenkomplexe Preußen, Deutschland oder das Bürgertum, noch die kleinen Anspielungen auf Freunde, Kollegen, Orte und Ereignisse, die sogar in der Kürze vielschichtig bleiben. Im Jahr 1840 wurde Heine diese Vielschichtigkeit zum Verhängnis, als er das Buch über den jüngst verstorbenen Ludwig Börne veröffentlichte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Vorwort
3. Umgang mit Zeitgenossen
3.1. Die Romantik
3.2. Die Tendenzpoesie
4. Der Kosmopolit Heine
5. Die Bildsprache Heines
5.1. Wort und Tat
5.2. Positionierung im aktuellen Literaturgeschehen
5.3. Die Konsequenz des Konsequenten
6. Das Wintermärchen als das neue Literaturkonzept
7. Schlussüberlegungen
Bibliografie
1. Einleitung
Heinrich Heine erschließt sich dem Interpreten nicht beim ersten Lesen, im Gegenteil, um die Vielfalt und den Tiefgang der Lyrik und Prosa im Ganzen zu erfassen, bedarf es nicht nur einer Menge an Kontextwissen, sondern auch einer wiederholten gründlichen Lektüre. Der Bezug auf aktuelle Ereignisse, Situationen und Persönlichkeiten, der hohe Anteil an Witz und Ironie und die Vielzahl an literarischen Zitaten gestaltet manchen Text derart vielschichtig, dass er sich einer Interpretation gar zu entziehen scheint. Aber es ist nicht nur die vielfältige Verwendung von Stilmitteln, die Probleme macht, auch der Autor an sich entzieht sich oft einer genauen Positionierung und Bestimmung. Hei- ne gibt seine Haltung nicht einfach preis, sondern versteckt sie in der Diskussion popu- lärer Strömungen, Meinungen und Ansichten. Seine Intention, neben der politischen und künstlerischen Gestaltung, war es immer auch, den Leser zum kritischen Reflektieren und einer eigenen Meinung zu bewegen.
Um die Position Heines überhaupt annähernd bestimmen zu können, um seine Meinung aus dem Text zu extrahieren, muss man sich deshalb zwangsläufig auf das Feld der Interpretation begeben.
Durch diese Form der Parteilosigkeit wird das Problem der Literaturwissenschaft, dass sie keine genaue Wissenschaft ist, dass Interpretation immer von dem subjektiven Standpunkt und dem gewählten Kontext abhängt, verschärft. Es ist nicht verwunderlich, dass verschiedene Interpreten immer wieder zu teils verblüffend unterschiedlichen Auslegungen ein und derselben Textstelle kommen und man objektiv nur unter Vorbehalt von falsch oder richtig sprechen kann.
Das Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ ist ein Paradebeispiel für die Heine- sche Polyvalenz und Vielschichtigkeit. Immer wieder wird der Leser mit ironischen oder fantastischen Episoden voller Witz und Pathos konfrontiert, und es hängt von sei- ner Perspektive ab, welche Bedeutung sie entfalten. Es gibt kaum einen Zusammen- hang, der von Heine einseitig behandelt wird, weder die großen Themenkomplexe Preußen, Deutschland oder das Bürgertum, noch die kleinen Anspielungen auf Freunde, Kollegen, Orte und Ereignisse, die sogar in der Kürze vielschichtig bleiben. Im Jahr 1840 wurde Heine diese Vielschichtigkeit zum Verhängnis, als er das Buch über den jüngst verstorbenen Ludwig Börne veröffentlichte. Nicht nur aufgrund der persönlichen Angriffe auf Börne, sondern auch Heines Parteilosigkeit, sein scheinbar frivoler Ton und seine vordergründig ambivalenten Aussagen ließen die zeitgenössi- sche Rezeption größtenteils negativ verlaufen. Die Rezipienten, durch das moralische Fehlverhalten aufgebracht, fanden in seinem Stil jede Möglichkeit, ihn bewusst oder unbewusst falsch zu verstehen. So wurde im Verlauf der Rezeption dann auch meist nicht mehr beachtet, dass Börne für Heine auch Repräsentant der oppositionellen politi- schen Dichtung und die politische Positionierung von Dichtung wichtiger Aspekt des Werkes war.
Umso interessanter erscheint es, was Heine in seiner ersten Buchveröffentlichung nach diesem persönlichen Fiasko gerade in Bezug auf politische Funktion und Verantwor- tung zu sagen hat. Das Wintermärchen, welches zunächst in den „Neuen Gedichten“, kurz darauf aber auch als Separatdruck, erschien, beinhaltet tatsächlich eine Fülle an direkten Aussagen und versteckten Anspielungen auf sein Selbstverständnis als Dichter in Bezug zur Politik. Auch wenn der politische Dichter sicher nur ein Teilaspekt der Heineschen Persönlichkeit ist, gerade im Wintermärchen ist es der herausragende As- pekt.1
Heine positioniert sich im Verhältnis zu den bestehenden Formen und bietet ein Litera- turkonzept an, das erst im Kontrast zu der damals aktuellen Literatur Kontur gewinnt. Dieses Konzept bezieht sich vorrangig auf die politische Funktion, die gesellschaftliche Verantwortung, auf das Selbstverständnis des Dichters und wird mit verschiedenen Methoden behandelt.
2. Das Vorwort
Nach der ausgeprägten Kritik, die Heine für seine letzte Veröffentlichung, das BörneBuch, einstecken musste, äußert sich Heine schon im Vorwort dazu, wie er das Wintermärchen verstanden wissen möchte. Vor allem darauf bedacht, sich nicht wieder ins literarische und politische Abseits zu manövrieren, erläutert er wichtige Aspekte seiner politischen Haltung als Dichter und muss daher zwangsläufig seine Auffassung von schriftstellerischer Verantwortung zur Sprache bringen.
Zwei wesentliche Aspekte werden angesprochen; die politische Verantwortung des Dichters und die Verpflichtung gegenüber der Kunst.
Indem er einen Blick auf die letzte Phase der Entstehungsgeschichte gewährt, über die Probleme spricht, mir denen er sich in dieser Zeit konfrontiert sah, zeigt sich sein Anspruch. Sein Hauptproblem liegt darin, eine Balance zwischen dem ästhetischen und dem politischen Anspruch zu finden, während er zusätzlich mit der Aufgabe der Selbstzensur belastet ist. Weil er zudem eine schnelle Drucklegung und Veröffentlichung anstrebt, muss er dann aber eingestehen, dass er unter dem Druck nur einen Teil der gestellten Anforderungen erfüllen kann.
„ … und da mag es wohl geschehen sein, dass die ernsten Töne mehr als nötig abged Ämpft oder von den Schellen des Humors gar zu heiterüberklingelt wurden. Einigen nackten Gedanken habe ich im hastigen Unmut ihre Feigenbl Ätter wieder abgerissen und zimperlich spröde Ohren habe ich vielleicht verletzt. “ 2
Weil er aufgrund der Zensur Kompromisse eingehen muss, wird sowohl der künstlerische als auch der politische Anspruch offenbar.
3. Umgang mit Zeitgenossen
Innerhalb des Wintermärchens vermittelt Heine seine Ansichten und Überlegungen mit verschieden Methoden, wie der ironischen Satire, dem scharfen Witz, aber auch dem Pathos der Tendenzpoesie und der Bildsprache der Romantik.
Häufig greift er sich einen seiner Zeitgenossen, schlägt einen „ persönlich treffenden, destruktiven “3 Ton an und übt so scharfe Kritik an der Person. Es ist genau diese Stra- tegie, die den Blick auf die eigentliche Aussage schwer machte. Die angesprochenen Persönlichkeiten waren meist öffentliche Personen, die nicht nur von Heine mit be- stimmten Parteien oder Strömungen in Verbindung gebracht wurden und deshalb stell- vertretend die Kritik einstecken mussten. Dass Heine dazu neigte, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und oft wirkliche Differenzen zwischen ihm und dem Ge- nannten bestanden, verhindert oft die Einsicht, dass die Kritik an der Person vieles über seinen Standpunkt in Bezug auf unterschiedliche Aspekte des literarischen Lebens of- fenbart.
3.1 Die Romantik
Die Romantik war lange Zeit die vorherrschende Form der Lyrik und auch in der Ent- stehungszeit des Wintermärchens noch populär und weit verbreitet. Heine, der mit der Romantik aufgewachsen war, in seinen jungen Jahren selber romantische Lyrik verfass- te, wurde im Laufe seines Lebens zu dem Kritiker, der auch im Wintermärchen zu Wort kommt.
Zu Aachen, im alten Dome, liegt Carolus Magnus begraben. (Man muß ihn nicht verwechseln mit Carl Mayer, der lebt in Schwaben.)4 Karl Mayer5 wird als Repräsentant der schwäbischen Schule aufgegriffen, die wieder- um repräsentativ für romantische, vor allem aber unkritische Dichtung steht. Vorder- gründig ist dieser Vers Karl dem Großen gewidmet. Heine zieht die Möglichkeit in Betracht, dass man den großen König mit dem kleinen Dichter verwechseln könnte und wertet dessen Bedeutung damit ab; gleichzeitig findet damit auch eine Abwertung des Vergleichsobjektes statt, alleine weil es dafür herhalten muss, den Bedeutungsfall zu verdeutlichen.6 Auch wenn man aufgrund dieses Verses keine Ursache für eine solche Einschätzung der schwäbischen Schule ermitteln kann, ist die Distanzierung zunächst deutlich zu erkennen.
Doch noch im selben Caput wird ein widersprüchlicher Aspekt der Romantik aufge- deckt. Obwohl sie sich als unpolitisch empfindet, entfaltet sie eine politische Wirkung. Das ist so ritterthümlich und mahnt An der Vorzeit holde Romantik, An die Burgfrau Johanna von Montfaucon, An den Freyherrn Fouqué, Uhland, Tieck.
Nur fürcht´ ich, wenn ein Gewitter entsteht, Zieht leicht so eine Spitze Herab auf euer romantisches Haupt Des Himmels modernste Blitze! --7 Eingebettet in die Kritik an dem Restaurationsgedanken, den Heine in der preußischen Politik feststellt, werden Fouqué, Uhland und Tieck aufgezählt, Vertreter der romantischen Dichtung. Auch wenn Heine die drei Namen scheinbar unkommentiert anführt, wird durch die Stellung mitten in einer deutlichen Kritik an den Restaurationsambitionen Preußens, die ironische Betrachtung, die die preußische Politik kritisch hinterfragt, auch auf diese Dichter bezogen.
Die Romantik zeichnete sich durch einen verklärten Blick auf die Vergangenheit, der Sehnsucht nach überholten Zuständen aus, und durch die Nennung im Kontext von Beispielen für den Rückschritt, wird ihr eben jene Altertümlichkeit attestiert, die den Anlass zur Belustigung liefert. Diese Art von Patriotismus ist dann auch der Grund für ein endgültiges und eindeutiges Abschiednehmen von der Romantik.
Ich spreche nicht gern davon; es ist Nur eine Krankheit im Grunde. Verschämten Gemüthes verberge ich stets Dem Publiko meine Wunde.
Schamlos schäbbige Bettler sind´s, Almosen wollen sie haben - Ein´n Pfennig Popularität Für Menzel und seine Schwaben!8
3.2 Die Tendenzpoesie
Eine literarische Strömung der Zeit, die Heines Poesieverständnis auf den ersten Blick näher steht, ist die Tendenzpoesie, die man als politische Spielart der Romantik begrei- fen kann. Sie ist eine „ Lyrik, die mit positiv besetzten Allgemeinbegriffen, wie Deutsch- land, Volk, Einigkeit, Geschichte, nationale Gr öß e operiert, identifikationsheischende Fluchttr Äume anbietet. “ 9 Die Tendenzpoesie ist zur Zeit der Rheinkrise und der resul- tierenden nationalistischen Stimmungen sehr populär und wird dann zur gemeinsamen Sprache der verschiedenen oppositionellen Gruppierungen. Die verbindenden Ziele sind die Abschaffung der Kleinstaaterei, die Einheit Deutschlands und die bürgerliche Freiheit.
[...]
1 Um einen Eindruck von Heines Meinung zu der künstlerischen, religiösen, oder einfach menschlichen Funktion des Dichters zu erhalten, bietet sich z. B „Die romantische Schule“ oder das Gedicht „Jehuda ben Halevi“ an.
2 Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. Hrsg. v. Klaus Briegleb. München 1997, S. 573.
3 Fingerhut, Karlheinz: Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur. Heinrich Hei- ne. Deutschland. Ein Wintermärchen. Frankfurt/Main 1992, S.94. (Im folgenden angegeben als: Finger- hut).
4 Heine, Heinrich: historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe. Hrsg. v. Manfred Windfuhr. Hamburg 1973 ff., S.95. (Im folgenden angegeben als: DHA).
5 Deutscher Lyriker, der der schwäbischen Schule zugerechnet wird, 1786 - 1870.
6 Schon im Atta Troll wird Karl Mayer immer wieder zum Ziel des Heineschen Spottes.
7 DHA, S.96.
8 DHA, S.147.
9 Fingerhut, S.94.
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