Wenn man von der Erde aus drei Monate lang geraden Weges nach der Sonne fliegt und dann in derselben Richtung noch drei Monate lang über die Sonne hinaus, so kommt man an einen Stern, der Sitara heißt. Sitara ist ein persarabisches Wort und bedeutet eben ‚Stern'.
Dieser Stern hat mit unserer Erde viel, sehr viel gemein. Sein Durchmesser ist 1700 Meilen und sein Äquator 5400 Meilen lang. Er dreht sich um sich selbst und zugleich auch um die Sonne. Die Bewegung um sich selbst dauert genau einen Tag, die Bewegung um die Sonne ebenso genau ein Jahr, keine Sekunde mehr oder weniger. Seine Oberfläche besteht zu einem Teil aus Land und zu zwei Teilen aus Wasser. Aber während man auf der Erde bekanntlich fünf Erd- oder Weltteile zählt, ist das Festland von Sitara in anderer, viel einfacherer Weise gegliedert. Es hängt zusammen. Es bildet nicht mehrere Kontinente, sondern nur einen einzigen, der in ein sehr tiefgelegenes, sümpfereiches Niederland und ein der Sonne kühn entgegenstrebendes Hochland zerfällt, die beide durch einen schmäleren, steil aufwärtssteigenden Urwaldstreifen miteinander verbunden sind.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Verhängnisvolle Vergangenheit
2. Der Ursprung des Märchens von Sitara
3. Das Märchen von Sitara
3.1. Ardistan und Dschinnistan bzw. die Polarität zwischen „Gut“ und „Böse“
3.2. Märdistan und die Geisterschmiede: der Weg zur Überwindung der Polarität zwischen „Gut“ und „Böse“
4. Die Menschheitsfrage in Karl Mays Werken
III. Zusammenfassung
Das Märchen von Sitara
I. Einleitung
Karl May ist Umfragen zufolge einer der bekanntesten aber auch gleichzeitig der umstrittensten Schriftsteller Deutschlands. Durch Reiseerzählungen wie Winnetou oder die Orientreihe erlangte er Weltruhm. Im Zuge der sogenannten „Karl May-Frage“, die ihren Höhepunkt im Jahre 1910 erlebte, wurde der Schriftsteller von seinen Gegnern als „Lügner“ bzw. Trivialliterat bezeichnet. Auch wurde seine recht unrühmliche Vergangenheit wieder aufgerollt und publiziert. Trotz dieser diffamierenden Hetzkampagne erlangten Mays Werke im Laufe der Jahre einen recht hohen Stellenwert in der Literaturwissenschaft. Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts existierte, bis auf eine Dissertation in den 30er Jahren, keine Karl May Forschung im eigentlichen Sinne. Das aufopferungsvolle Engagement der Karl-May-Gesellschaft (gegr. 1969) führte im wesentlichen zu einer Akzeptanz des Autors und seiner Werke als wissenschaftliche Disziplin. Die diesbezügliche Forschung erstreckte sich u.a. auf die Gebiete der Soziologie, Psychologie, Poetologie und auch der Kulturhistorik.
Die vorliegende Arbeit soll den pädagogischen Wert der Publikationen Mays und seiner Person hervorheben. Im Zusammenhang mit dem Themenkomplex „Bildung und Macht“ ist es das Bestreben des Autors dieser Abhandlung, die Polarität der Attribute „Gut und Böse“ anhand der Erzählung „Das Märchen von Sitara“ und deren gleichzeitig existierenden Zusammenhang bzw. deren Untrennbarkeit darzustellen. Zuvor erfolgt ein kurzer Überblick über die schon erwähnte weniger ruhmvolle Vergangenheit Mays, deren unverschuldetes Opfer er wurde. Es soll weiterhin der Begriff der „Menschheitsfrage“ erörtert werden, mit deren Sinnbild sich der Schriftsteller identifizierte, dem eigentlichen Auslöser für seine literarische Tätigkeit. In einer kurzen Zusammenfassung soll der Ursprung des „Märchens von Sitara“ aufgezeigt werden. Die ausführliche Erörterung der o.g. Erzählung enthält Grundlagen der Interpretation Karl Mays bezüglich der eben schon erwähnten Frage nach dem Zustand der „Menschheitsseele“. Danach erfolgt ein Vergleich der bisherigen Erkenntnisse mit einer Auswahl seiner berühmtesten Werke, die durchaus als gelungene Parabeln bezeichnet werden können.
Grundlagen hierzu sind Auszüge der autobiographischen Werke „Meine Beichte“ und. „Mein Leben und Streben“, bzw. die Reiseerzählungen der Orientreihe und die Bände Winnetou I bis III.
II. Hauptteil
„Wenn dich die Welt aus ihren Toren stößt,
so gehe ruhig fort und laß das Klagen.
Sie hat durch die Verstoßung dich erlöst
und ihre Schuld an dir nun selbst zu tragen.“
(Karl May „Im Reich des silbernen Löwen“)
1. Verhängnisvolle Vergangenheit
Karl May wurde als Sohn sehr armer Webersleute geboren. Um ihm eine ansprechende Ausbildung zu gewährleisten, mußte seine Familie eine schwere Zeit voll Entbehrungen erleben. Mit großem Einsatz, Willen und viel Fleiß war der junge Schüler Karl in der Lage ein Seminar abzuschließen um fortan als Lehrer an einer Fabrikschule zu unterrichten. Um während des Unterrichts über die genaue Uhrzeit informiert zu sein, lieh er sich von seinem Zimmergenossen eine alte Taschenuhr, die jener nicht mehr benötigte.
Der Macht der Gewohnheit folgend, steckte May diese Taschenuhr auch bei Antritt seines ersten Urlaubes ein. Mit Freude, seine Familie wiedersehen zu dürfen und mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft kam er gerade zur Weihnachtszeit zu Hause an. Doch das Familienglück währte nicht lange. Aufgrund des Besitzes der geliehenen Uhr wurde May im Haus seiner Eltern von ihm nachgereisten Gendarmen des Diebstahls bezichtigt. Er wurde verhaftet und zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt.
Der Verurteilte erlebte während dieser Zeit wahre seelische Höllenqualen. In Anbetracht seiner Unschuld verdammte er alle die Personen, die nach seiner Meinung an seiner jetzigen Lage schuld waren. Er sann auf Rache, die sich folgendermaßen äußern sollte: Da die Öffentlichkeit ihn für einen richtigen Verbrecher hielt, wollte May dem Ruf gerecht werden, indem er nun wirklich Straftaten beging. Unterstützt wurde er in seinem verhängnisvollen Vorhaben, durch ihn bedrohende, innere Stimmen seiner Feinde, die ihm keine Ruhe ließen.
Diese durchaus als Paranoia zu bezeichnende, seelische Krankheit erschwerte dem entlassenen „Strafgefangenen“ auch in der Freiheit das Leben. Er verspürte den inneren Zwang, auch weiterhin sinnlose, dem Wahn entsprungene Delikte zu verüben. So wurde May noch weitere Male zu Haftstrafen verurteilt. Sogar das schwere Verbrechen Brandstiftung wurde ihm in einem Falle zur Last gelegt.
Nur im Gefängnis fand Karl May seinen inneren Seelenfrieden. Doch kaum befand er sich in der Nähe seiner Heimat, überfielen ihn wieder jene geheimnisvollen, bedrohlich wirkenden Erscheinungen in Form von Stimmen.
Daß May nach einer schrecklichen Zeit des Verfolgungswahns dennoch geheilt wurde, verdankte er u.a. einem katholischen Anstaltskatecheten und dem Einfluß des Orgelspielens, das er während seiner Gefangenschaft ausübte.
Während dieser für ihn schweren Zeit beschäftigte sich May verstärkt mit dem Begriff der Menschheitsseele bzw. der Menschheitsfrage. Diese wurde von Gott selbst geschaffen, als er durch das Paradies ging, um zu fragen: „Adam, wo bist du? - Edelmensch, wo bist du? Ich sehe nur gefallene, niedrige Menschen!“ Er sah sich als Stellvertreter für die Probleme der Menschheit, die seiner Meinung nach ähnliche, grundsätzliche Situationen zu meistern hatte, wie er selbst. Als Schriftsteller konnte er als Medium agieren und der Öffentlichkeit die Brisanz seines Anliegens präsentieren. Sein eigenes Schicksal vor Augen, sah May es als seine Aufgabe an, die Öffentlichkeit aufzuklären und ihr Alternativmöglichkeiten zur Konfliktbewältigung zur Verfügung zu stellen. Diese lauteten kurz zusammengefaßt wie folgt: Um das momentane Tief zu verlassen, in dem sich das menschliche Individuum gerade befindet, ist es notwendig, die Seele unter Entbehrungen zu ihrem Ursprung zurückzuführen. Erst dann ist der Betroffene in der Lage, seinen Seelenfrieden zu finden und in eine höhere, geistige Sphäre einzudringen.
Eben diese These, die auch in dem Märchen von Sitara Beachtung fand, versuchte Karl May den Lesern seiner Werke symbolisch zu vermitteln. Als Protagonist schilderte er seine eigenen, schicksalhaften Erlebnisse. Um das Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema zu wecken, versetzte er seine Abenteuer in den Wilden Westen oder in den fernen Orient. Dennoch sind seine Erzählungen keine reine Unterhaltungslektüre, sondern Parabeln, in denen der Autor beabsichtigte, dem Konsumenten die Beantwortung der Menschheitsfrage näherzubringen.
2. Der Ursprung des Märchens von Sitara
Johanne Christiane Kretschmar war als Großmutter des jungen Karl mehr als nur ein naher Familienangehöriger. Sie war dessen Bezugs- und Vertrauensperson, vor allem zu jener Zeit, als May infolge einer Krankheit sein Augenlicht verloren hatte. Der Knabe verehrte die alte Dame, die für ihn Mutter bzw. Vater zur gleichen Zeit war. Durch ihre plastischen, zugleich aber auch symbolischen Erzählungen war der blinde Junge in der Lage, sich auch ohne Sehkraft ein eigenes Weltbild zu schaffen. Da er aufgrund seiner Blindheit nicht fähig war, Gegenstände direkt, bildlich zu erfassen, mußte er diese seelisch erkennen.
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