Aldous Huxley: Brave New World im Kontext der Sloderdijk-Debatte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

28 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

I. Inhaltsangabe

II. Einführung
1. Vorwort
2. Exkurs zur Themengenesis von „Brave New World”
3. Einführung in die Utopie und die negative Utopie
1. Die Utopie
2. Die negative Utopie

III. Aldous Huxley: Brave New World
1. Inhaltsangabe
2. Die Gesellschaft der negativen Utopie „Brave New World”
1. Stabilität
1. Soziale Stabilität
2. Wirtschaftliche Stabilität
2. Die Gegenwelt.
3. Konflikte in einer konfliktlosen Welt

IV. Die Sloterdijk - Debatte
1. Einführung
2. Peter Sloterdijk: Regeln für den Menschenpark
3. Die Debatte

V. Conclusion

VI. Literaturverzeichnis und Bildnachweis.

II. Einführung

II.1. Vorwort

Im Jahre 1932 schrieb Aldous Huxley seinen Roman "Brave New World", eine Utopie deren Gesellschaftssystem wesentlich darauf beruht, daß man in der Lage ist, Menschen künstlich zu reproduzieren und sie physisch und psychisch ihrer zukünftigen Funktion im Staat anzupassen.

Angesichts des aktuellen Standes der Wissenschaft erscheint Huxleys Utopie fast prophetisch. Die Gentechnik entwickelt sich mit großen Schritten vorwärts. Was 1932 noch utopisch war, ist in der Gegenwart bereits möglich. 1997 gelang es ein erwachsenes Schaf zu klonen und prinzipiell wäre das selbe auch mit Menschen möglich. Da verwundert es nicht, daß der Begriff "schöne neue Welt" bereits zu einem geflügelten Wort geworden ist.

Doch die Möglichkeiten, die sich durch die Gentechnik ergaben und zukünftig noch ergeben werden, stellen neue Anforderungen hinsichtlich der Grenze zwischen dem Möglichen und dem Nötigen (dem ethisch-moralisch Vertretbaren) an den Menschen.

In dieser Arbeit soll zunächst in das literarische Genre der Utopie sowie den Roman selbst eingeführt, dann auf Huxleys Utopie eingegangen und anschließend ein Einblick in die immernoch aktuelle Debatte um die Gentechnik gegeben werden.

II.2. Exkurs zur Themengenesis von "Brave New World"

Bereits in den Werken der 20er Jahre entwickelt Huxley Ideen, die in seinem 1932 erstmals veröffentlichtem Roman „Brave New World” (dt. „Schöne, neue Welt”) wieder auftreten und neu verknüpft werden.

In „Crome Yellow” (1921) zum Beispiel findet man bereits die Idee zur Trennung von Eros und Fortpflanzung in der Vision eines Zukunftsstaates. Es taucht ebenfalls die Anlage einer streng hierarchisch aufgebauten Gesellschaftsordnung auf, in der die Elite mit Hilfe von Suggestion und Konditionierung ihre Gesellschaftsmitglieder lenkt. In seinen „Proper Studies” (1926/27) zeichnet er bereits die Planungsskizze der Gesellschaft der „Brave New World” als eine mit Hilfe der Eugenik konstruierte, pyramidenförmige Gesellschaft.

In „Point Counterpoint” (1928) findet man das Thema der aus Büchern gewonnenen, vergeistigten und idealisierten Liebe, wie sie John Savage und zum Teil auch Bernhard Marx in der brave new world empfinden werden. Außerdem sieht man in diesem Roman deutlich die Weiterentwicklung der Vision aus „Crome Yellow” in Gestalt einer vergnügungssüchtigen, in sexueller Promiskuität lebenden jungen Witwe, in der damit bereits wesentliche Charakterzüge der Frauen in der schönen, neuen Welt vorgezeichnet sind. Die Figur des Mark Rampion begreift „die Geschichte der menschlichen Gesellschaft als Degenerationsprozeßes, der aber im wesentlichen geistige Ursachen haben soll (...) Nach Rampions idealisierter Geschichtsauffassung sind die Probleme der Industriegesellschaft (...) letztlich Folge des ‘Intellektualismus’, also einer geistigen Vorentscheidung.”[1]

Dies wird der Argumentationsansatz für den controller in „Brave New World” sein, der sich (im Sinne der Gruppe der controller, dt. Weltaufsichtsräte) für die Wahl der Abschaffung solcher Probleme und die Konstruktion einer problemlosen Gesellschaftsordnung mit der absoluten und damit auch geistigen Kontrolle in der Gesellschaftsordnung dieses Romans rechtfertigt.[2]

Ein Jahr vor der Veröffentlichung des Romans „Brave New World”, wird der Essayband „Music at Night” (1931) herausgegeben, in dem sich die thematischen Stränge noch einmal verdichten; zum Beispiel: systematische Eugenik und Verringerung der Weltbevölkerung, leisure-syndrom (Langeweile aufgrund von zu viel Freizeit) in industrialisierten Gesellschaften, Beschäftigung mit Kultur als Zeitverschwendung und fundamentale Bedrohung des industriell gewollten Massenkonsumverhaltens, Kastensystem und dementsprechende Bildung (bzw. Nichtbildung) sowie Synthetisierung einer Droge. Laut Jacob Vinocur ist ” ’Music at Night’ ‘Brave New World’ im Embryonalzustand”.[3]

Es wurde ersichtlich, daß Huxley bereits Jahre vor „Brave New World” Ideenstränge entwickelte, immer wieder aufgriff und weiterentwickelte, bis sie schließlich in diesem Roman neu zusammengestellt wurden. Waren Huxleys Werke jedoch bis zu diesem Zeitpunkt immer Ideenromane oder Essays, ist die ausgewachsenen „Music at Night” einer für ihn neuen literarischen Konvention zugehörig - der Utopie, genauer der negativen Utopie.

II.3. Einführung in die Utopie und die negative Utopie

II.3.1. Utopie

Der Begriff Utopie ist ein Kunstwort. Eingeführt wurde er von Thomas More mit seinem Roman „De optimo statu reipublicae deque nova inslua Utopia” (1612, dt. „Die Insel Utopia”). Dabei setzt sich der Begriff aus dem griechischen ou für nicht und topos für Ort ab. Man spricht bei einer Utopie folglich im räumlichen Sinne von einem Nichtort oder Nirgendwo. Zieht man nicht fachbezogene Lexika zu Rate, wird im Zusammenhang mit der Utopie häufig sozial-konditional von „nicht realisierbar” oder „im übertragenen Sinne ‘Hirngespinst’" gesprochen.[4] Bei allen diesen Begriffen handelt es sich mehr oder weniger deutlich um einen Ausschluß der Utopie von der Realität. Es wird an späterer Stelle darauf zurückzukommen sein.

Es erweist sich als schwierig, die Utopie sowohl nach außen von anderen Literaturgattungen als auch nach innen typologisch abzugrenzen. So bestehen unter anderem Gemeinsamkeiten mit dem Staatsroman. Wie in Huxleys „Brave New World” wird auch in Staatsromanen ein Staatsideal aufgestellt.[5] Jens grenzt den Staatsroman dadurch ab, daß er sich „im engeren Sinne an den vorhandenen staatlichen Einrichtungen orientiert, während die Utopie der Phantasie sowohl in historischer als auch in geographischer Hinsicht freieren Lauf läßt.”[6]

Mit der Science Fiktion ist die Utopie ebenfalls eng verwandt. Doch während die Science Fiction stärker drauf ausgerichtet ist, die naturwissenschaftlich-technische Seite des fiktionalen Fortschritts darzustellen, beschäftigt sich die Utopie vorrangig mit dem Staat und der Gesellschaft. So werden wir in „Brave New World” zunächst soweit es für das Verständnis des Staates und der Gesellschaft nötig ist, in die technischen Voraussetzungen eingeführt, jedoch durch einen literarischen Kniff - der Leser erfährt nur soviel, wie die Studenten, die durch die technischen Anlagen geführt werden, wissen dürfen - entzieht sich Huxley dem Problem, ins wissenschaftlich-technische Detail einer Science Fiction gehen zu müssen. Die künstlerische Sprache zielt in diesem Zusammenhang auch nicht auf wissenschaftliche Denotation ab, sondern will lediglich die Vorstellung von einer speziellen, imaginären Welt wecken. In der fiktiven, negativ-utopischen Welt Huxleys, können so wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungstendenzen seiner Zeit überspitzt und zur Blühte gebracht werden.

Wie bereits im Titel von Thomas Mores „Die Insel Utopia” ersichtlich, sind die Schriftsteller gezwungen ein räumlich abgeriegeltes System zu erschaffen, in dem konstante Bedingungen herrschen, um Ursache und Wirkung innerhalb der Utopie genau berechnen zu können. Bei Thomas More ist dieses utopische System eine Insel, bei Huxley haben wir es mit der gesamten Welt zu tun, die zu einem Weltstaat zusammengeschlossen wurde.

Im Laufe dieser Arbeit wird ebenfalls auf zwei weitere negative Utopien eingegangen werden, die mit „Brave New World” sehr eng zusammenhängen und an dieser Stelle bereits für die Illustration der Merkmale von Utopien und später auch negativen Utopien herangezogen werden sollen. Das wäre zum einen Jewgeni Samjatins „Wir” und zum anderen George Orwells „1984”. Bei Samjatin besteht die utopische Welt aus einer Stadt, die mit einer Mauer umgeben wurde und keinen äußeren Einflüssen zugänglich ist. Bei Orwell begrenzt sich der Staat auf England, das in Oceania umbenannt wurde. Dennoch sind Kontakte mit der Außenwelt nicht gänzlich ausgeschlossen, so liegt Oceania jederzeit im Krieg mit Eurasia oder Eastasia.

Utopien sind ebenfalls geschlossene Systeme im inneren Bau. Nur so sind Ursache und Wirkung berechenbar und die Erschaffung eines vollkommenen Systems der Psychologie und Sozialwissenschaft möglich. Das wird daran deutlich, daß es in einer Utopie kaum Außenseiter gibt. Falls solche doch auftreten, müssen sie eliminiert werden, um das innere System nicht zu gefährden. Als exemplarisch können hier die Schlußdebatte in „Brave New World” (Kap. 16/17) und der dritte Part von „1984” (Kap.1-5) angesehen werden. In ihnen wird jeweils das System erklärt und dabei deutlich, wie wenig möglich es ist, eine andere Position darin einzunehmen als die, die das Funktionieren des Systems garantiert.

Das hängt wesentlich damit zusammen, daß die Utopie keine Entwicklung mehr kennt. Die Geschichte ist zum Stillstand gekommen. In der brave, new world hat man dieses Prinzip bereits vervollkommnet und stability zur Maxime erklärt. Bei Samjatin ist man gerade dabei ins Weltall zu expandieren und in dieser Hinsicht noch fortschrittlich zu sein. In Orwells Utopie wird die Geschichte jedoch tagtäglich umgeschrieben und der neuen Situation im Land angepaßt. Statisch ist das System jedoch insofern, daß es kein Entkommen aus dieser Situation gibt. Einmal in Oceania muß man sich dem System anpassen und/oder wird hingerichtet. Das utopische System schützt sich so vor Unordnung durch ein radikales Strafrecht.

Der utopische Staat erzeugt die Menschen, die er selbst braucht. Der Mensch erhält seine gesamte Struktur und alle Antriebe von der Gesellschaft, er wird ihr sozusagen völlig angepaßt. Aus diesem Grund begehrt er auch nicht aus ihr heraus. Was sich in „Wir” mit der sogenannten Mutternorm nur andeutet, ist bei Huxley vollständig zu einer systematischen Menschenzucht ausgearbeitet worden. Und in der Anwendung und Verhältnissmäßigkeit verschiedener Mittel unterscheiden sich positive und negative Utopien und kreieren so antagonistische Staats- und Gesellschaftssysteme, die jeweils an der Gegenwartsgesellschaft gemessen als positiv oder negativ empfunden werden. Die positive Utopie löst das Problem einer als gestört empfundenen Weltordnung, durch eine optimistischen Bejahung der der natürlichen Weltordnung. Es wird ein paradisisches System geschaffen, aus der das Böse völlig ausgeklammert wird. Die negative Utopie hingegen, verneint pessimistisch die dargestellte Weltordnung. Hier überwiegt das Böse.

II.3.2. Die negative Utopie

Der Fortschrittseuphorismus der Jahrundertwende wurde spätestens durch den 2. Weltkrieg gedämpft, der überdeutlich vor Augen führte, daß technischer Fortschritt nicht nur zur Verbesserung des menschlichen Lebens genutzt werden sondern irgendwann gegenläufig werden und sogar zur Bedrohung ausarten kann. Angesichts immer stärker anwachsender Institutionen, deren Macht ebenso wuchs, wurde klar, daß die moderne Gesellschaft, von den Zwängen der Natur befreit, neue Regulierungen erforderte. Zudem wurde der Fortschrittsglauben auch dadurch erschüttert, daß sich der irdische Expanionsraum inzwischen erschöpft hatte.[7]

Diese Ansätze einer pessimistischen Weltsicht greift sich die negative Utopie heraus. So werden Furcht, Schrecken und Abscheu vor einer technisch perfektionierten und völlig polarisierten Gesellschaft übersteigert und das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, in der die irrationalen und destruktiven Tendenzen, wie sie in den Jahren um 1900 abzulesen waren, ihre Vollendung fanden.

Der Glaube an das Gute im Menschen und die Hoffnung auf eine positive, neue Welt werden abgelöst durch Elemente der Angst, des Hasses, der Lüge und der Grausamkeit. Finden wir alle diese Elemente ganz deutlich in „1984” so sind sie bei Huxley, bis auf die Lüge, und Samjatin, bis auf die Angst, eher unterschwellig verborgen.

In der negativen Utopie wird Liberalismus und die Pluralität der Gesellschaft zugunsten einer totalen Machtmaximierung, Machtzentralisierung und radikalen Entmenschung abgeschafft. Bei Orwell gibt es die Partei des „Großen Bruders”, die alles kontrolliert. Bei Samjatin gibt es den Wohltäter, der am Tag der Einstimmigkeit regelmäßig wiedergewält wird. Bei Huxley teilt sich die absolute Macht auf 10 Weltaufsichtsräte auf. Gemeisam ist den drei Romanen ebenfalls, daß Sexualität und Gefühle sowie Individualität und Freiheit so gut wie oder bereits gänzlich abgeschafft sind.

[...]


[1] Bohde, S.34

[2] vergleiche BNW, Kap. 16/17, besonders S.232

[3] zitiert nach Bohde, S.37

[4] Bassermann Universallexikon, Bassermann'sche Verlagsbuchhandlung, Niedernhausen,1991

[5] Für diesen Vergleich erscheint es mir sinnvoll in „Brave New World” von einem Staatsideal zu sprechen, da die Anti-Utopie auch eine Utopie ist und ergo ein Staatsideal verkörpern muß, wenn auch negativ konnotiert.

[6] Jenkis, S.6

[7] Die Fachwelt scheint sich mit dem Terminus für Huxleys, Samjatins und Orwells Romane schwer zu tun. Während sie Bohde als neagtive Utopien ansieht, die zwar die Gegenwart satirisch angreifen, jedoch nicht - und darauf käme es bei einer Anti-Utopie an - Wells persiflieren, werden diese drei Werke noch bei Schulte-Herbrüggen als Anti-Utopien bezeichnet. Bei Deery findet man den Begriff dystopia, der als Dystopie in der deutschsprachigen Literatur ebenfalls anzutreffen ist, und Jenkis bezeichnet sie als (negative) Gegen-Utopien. Hier soll diskussionslos der Begriff negative Utopie verwendet werden, da es in dieser Arbeit nicht darum geht zu klären, inwieweit welcher Begriff zutreffend ist.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Aldous Huxley: Brave New World im Kontext der Sloderdijk-Debatte
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)  (Kulturwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Modernität und Barbarei
Note
2,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
28
Katalognummer
V24622
ISBN (eBook)
9783638274517
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aldous, Huxley, Brave, World, Kontext, Modernität, Barbarei, Science, Fiction, Utopie, Dystopie, Antiutopie, Samjatin, Orwell, Zamjatin, Wir, My, Sloterdijk, Debatte, postmodern, Postmoderne, Brave New World, Schöne, neue, Welt, schöne neue welt, Menschenzoo, in vitro, künstlich, künstliche, Befruchtung
Arbeit zitieren
Corinna Hein (Autor:in), 2000, Aldous Huxley: Brave New World im Kontext der Sloderdijk-Debatte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24622

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