Hitchcock meets Aristoteles - Sein Werk unter aristotelischen Gesichtspunkten mit besonderer Berücksichtigung des Spielfilms 'Psycho'


Seminararbeit, 1998

37 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einführung

2. Aristoteles
2.1. Die aristotelische Poetik
2.2. Lessings Aristoteles-Kommentar
2.3. "Aristotelischer Forderungen-Katalog"

3. Hitchcock
3.1. Einführung
3.2. Analyse seines Werks nach "Aristotelischem Forderungen-Katalog"
3.2.1. "Erfundene Geschichte"
3.2.2. "Form"
3.2.3. "Lerneffekt"
3.2.4. "Inhalt"
3.2.5. "Aufbau"
3.2.6. "Charaktere"
3.2.7. "Naheverhältnisse"

4. Der Film "Psycho"
4.1. "Psycho" als Beispiel eines typischen Hitchcock-Films im Sinne des "Aristotelischen Forderungen-Katalogs"
4.2. Detailanalyse der "Duschszene"

5. Resümee
5.1. Hitchcock als moderner Aristoteliker
5.2. Weiterführende Fragestellung

6. Bibliographie

1.Einführung

Zu Anfang stehen die Fragen: Wie hat Alfred Hitchcock Gewalt in (ästhetische) Filmform verwandelt? Was lösen diese Bilder aus? Und was waren seine Ziele? Dabei tauchen überraschende Parallelen auf zwischen dem am häufigsten kopierten Filmregisseur des 20. Jahrhunderts und dem großen Lehrmeister der Dramaturgie, Aristoteles. Am Ende schälen sich Hitchcocks grundlegende „Rezepte“ heraus, die zu einem Großteil schon in der Antike "funktionierten".

Laut Aristoteles ist die Tragödie "Nachahmung einer edlen und abgeschlossenen Handlung von einer bestimmten Grosse in gewählter Rede, derart, dass jede Form solcher Rede in gesonderten Teilen erscheint und dass gehandelt und nicht berichtet wird und dass mit Hilfe von Mitleid und Furcht eine Reinigung von eben derartigen Affekten bewerkstelligt wird".(1)

Und Hitchcock äußert in einem Interview:

"Ich muss die Leute mit wohltätigen Schocks füttern. Unsere Zivilisation ist eine protektive Zivilisation; sie schirmt uns behutsam vor allem ab, mit dem Resultat, dass wir nicht mehr in der Lage sind, intuitiv eine Gänsehaut zu bekommen. Die einzige Methode, dieser allgemeinen Betäubung entgegenzuwirken und unser moralisches Gleichgewicht wieder zu erwecken, ist die künstliche Verabreichung von Schocks. Und am besten funktioniert das mit einem Film."(2)

Beide beabsichtigen folglich in einer bestimmten Art und Weise auf die Emotionen des Zuschauers einzuwirken: Aristoteles nennt es "Mitleid und Furcht" und Hitchcock "Schock".

Und beide tun dies mit einem bestimmten Ziel: Aristoteles nennt es "Reinigung" und Hitchcock "Moralisches Gleichgewicht".

Aufzuzeigen wie eng Hitchcock den von Aristoteles in seiner "Poetik" aufgestellten Forderungen folgt, wird Aufgabe dieser Arbeit sein.

2. Aristoteles

2.1. Die aristotelische Poetik

Wie bereits erwähnt, hat die Tragödie bei Aristoteles die Aufgabe durch Erregung "von Mitleid und Furcht eine Reinigung von eben derartigen Affekten" zu bewerkstelligen. Um dieses Ziel der Reinigung oder Katharsis zu erreichen, muss ihr Aufbau nach seinen Vorstellungen verschiedene Forderungen erfüllen.

Hauptmerkmal der Tragödie ist für Aristoteles, "dass in dieser Kunstart die Menschen handelnd nachgeahmt werden"(3). Er sagt, "dass es nicht die Aufgabe des Dichters ist, zu berichten, was geschehen ist, sondern vielmehr was geschehen könnte(...)"(4). Diese Forderung nach erfundener Handlung anstelle eines wahrheitsgetreuen Berichts begründet er wie folgt:

"Denn die Dichtung redet eher vom Allgemeinen, die Geschichtsschreibung vom Besonderen. Das Allgemeine besteht darin, was für Dinge Menschen von bestimmter Qualität reden oder tun nach Angemessenheit oder Notwendigkeit (...)" (5).

Diese Bevorzugung einer erfundenen Handlung, d.h. einer Nachahmung der Wirklichkeit vor der Wirklichkeit selbst, liegt aber auch in der menschlichen Natur begründet, weil uns das Nachahmen "von Kindheit an angeboren ist (...) und das Lernen sich bei ihm (dem Menschen)am Anfang durch Nach-ahmung vollzieht"(6).

Neben einem Lerneffekt kommt der Dichtung bzw. der Tragödie bei Aristoteles auch eine Art ästhetischer Gewinn zu. Dass wir beim Anblick von gemalten oder bewegten Bildern "lernen oder herausfinden, was ein jedes sei"(7), macht nur zum einen Teil unsere Freude daran aus. Zum anderen Teil ist "die Kunstfertigkeit, die Farbe oder irgendeine andere derartige Ursache"(8) der Grund unseres Gefallens an Nachahmungen.

Außerdem bieten Nachahmungen den Vorteil, dass sie uns mit Dingen vertraut machen können, die wir in Wirklichkeit kaum begegnen oder sogar scheuen:

"Was wir nämlich in Wirklichkeit nur mit Unbehagen anschauen, das betrachten wir mit Vergnügen, wenn wir möglichst getreue Abbildungen davon haben, wie etwa die Gestalten von abstoßenden Tieren oder von Leichnamen" (9).

Am geeignetsten für den Inhalt einer Tragödie hält Aristoteles eine pathetische Handlung:

"Pathos ist eine zum Untergang führende oder qualvolle Handlung, wie etwa Tod (...), Schmerzen, Verwundungen und dergleichen" (11).

Weitergehende inhaltliche Forderungen auch an die Wahrscheinlichkeit ihrer Geschichte stellt Aristoteles an die Tragödie keine, "denn es ist wahrscheinlich, dass sich die Dinge auch gegen die Wahrscheinlichkeit ereignen" (10).

Am wichtigsten für die Tragödie erachtet Aristoteles den Aufbau ihrer Handlung. Er fordert deshalb einen möglichst klaren und chronologischen, folgerichtigen und in sich abgeschlossenen Handlungsablauf:

"Vorausgesetzt ist, dass die Tragödie die Nachahmung einer vollständigen und ganzen Handlung ist (...). Ganz ist was Anfang, Mitte und Ende besitzt. Anfang ist, was selbst nicht notwendig auf ein anderes folgt, aus dem aber ein anderes natürlicher wird oder entsteht. Ende umgekehrt ist, was selbst natürlicherweise aus dem anderen wird oder entsteht, aus Notwendigkeit oder in der Regel, ohne dass aus ihm etwas weiteres mehr entsteht" (12).

Darüber hinaus soll die Handlung, oder der Mythos, wie es Aristoteles nennt, so auf gebaut sein, "dass auch ohne zu sehen jener, der die Handlung hört, bei den Ereignissen Schauder und Mitleid empfindet" (13).

Dieses Ziel glaubt er am ehesten durch eine Art Überraschungsmoment verwirklicht, "wenn die Ereignisse wider Erwarten (...) eintreten und gleichwohl folgerichtig auseinander hervorgehen" (14).

Eine Schlüsselfunktion für den Aufbau der Handlung kommt bei Aristoteles der "Peripetie" und der "Entdeckung" zu. Sie bilden eine Art Kulminationspunkt der Handlung, den Höhepunkt, auf den sich die ganze Spannung des Zuschauers konzentrieren soll.

"Peripetie ist der Umschlag der Handlung in ihr Gegenteil, und zwar (...) mit Wahrscheinlichkeit oder mit Notwendigkeit. (...) Die Entdeckung ist, wie das Wort sagt, der Umschlag aus Unwissenheit in Erkenntnis, zur Freundschaft oder Feindschaft, je nach dem die Handelnden zu Glück oder Unglück bestimmt sind. Am schönsten ist die Entdeckung, wenn sie mit der Peripetie zusammenfällt, wie im Ödipus". (15)

Sein Hauptaugenmerk richtet Aristoteles also auf den Aufbau der Handlung, und aus der Handlung ergeben sich für ihn auch zwangsläufig die Charaktere der dargestellten Personen.

"Qualifiziert sind die Menschen je nach ihrem Charakter, glücklich oder unglücklich sind sie aber aufgrund ihrer Handlungen. Sie handeln also nicht, um die Charaktere darzustellen, sondern in der Handlungen sind auch die Charaktere eingeschlossen"(16).

Ebenso wie für den Handlungsablauf formuliert Aristoteles auch "für die Darstellung der Charaktere seine Richtlinien. Nach seinen Worten findet man in der Tragödie eine Einteilung der Personen in gut und schlecht:

"Es sind nun handelnde Menschen, die auf solche Weisen nachgeahmt werden. Sie sind notwendigerweise entweder
edel oder gemein; die Charaktere halten sich nämlich nahezu immer ausschließlich an diese beiden Kategorien; denn jedermann unterscheidet die Charaktere nach Tugend und Schlechtigkeit. So werden entweder Menschen nachgeahmt, die besser sind, als es bei uns vorkommt, oder schlechtere oder solche wie wir selber"(17)

Aristoteles hält Jedoch eine Schwarz-Weiß-Malerei wie diese in der Tragödie für weniger wirkungsvoll. Er gibt weder den "besseren" noch den "schlechteren", sondern Personen " wie wir selber" den Vorzug. Er fordert Mischcharaktere, die weder ganz gut noch ganz schlecht sind.

"(...) und da sie(die Tragödie) Nachahmung von Furcht- und Mitleiderregendem sein soll (...), so ist klar, dass nicht anständige Leute beim Umschlag von Glück in Unglück gezeigt werden sollen (...) und auch nicht der Übergang schlechter Menschen von Unglück zu Glück (...), noch darf der gar zu Schlechte von Glück in Unglück stürzen (...); Mitleid entsteht nur, wenn der, der es nicht verdient, ins Unglück gerät, Furcht, wenn es jemand ist, der dem Zuschauer ähnlich ist. (...) Es bleibt also nur der Fall dazwischen übrig. Er tritt ein, wenn einer weder an Tugend und Gerechtigkeit ausgezeichnet ist noch durch Schlechtigkeit und Gemeinheit ins Unglück gerät, sondern dies erleidet durch irgendeinen Fehler"(18).

Die Ausgestaltung der Charaktere nach diesem Prinzip allein aber ist Aristoteles noch nicht ausreichend. Es kommt ihm auch auf deren Verhältnis untereinander an. Am geeignetsten erscheinen ihm Personen in einem besonders nahen Verhältnis:

"Es sei nun gesagt, welche Ereignisse erschreckend oder bemitleidenswert erscheinen. (...) Wenn aber Freunde solches erleiden, dass etwa der Bruder den Bruder oder der Sohn den Vater oder die Mutter den Sohn oder der Sohn die Mutter erschlägt oder es zu tun im Begriffe ist oder anderes dergleichen tut, dann haben wir das, was zu erstreben ist." (19)

Durch Erfüllung all dieser eben genannten Forderungen sieht Aristoteles sein Ziel der Tragödie, nämlich eine "Reinigung oder Katharsis" durch Erregung von "Mitleid und Furcht" verwirklicht. Aber gerade zu diesen Kernbegriffen seiner Theorie unterlässt er nähere Erläuterungen. Es ist anzunehmen, dass er diese in einer weiteren Schrift erklärt, die für uns heute verloren ist. Diese Interpretationslücke ist vielfach zu schließen versucht worden. Einer der bekanntesten Kommentare zu dieser Frage findet sich bei Lessing.

2.2. Lessings Aristoteles-Kommentar

In seiner 'Hamburgischen Dramaturgie' versucht Lessing die Begriffe "Furcht und Mitleid" als Voraussetzungen für die Katharsis zu erklären. Die "Furcht "erklärt er durch eine Begriffsabgrenzung gegenüber dem "Schrecken". "Furcht" darf nach seinen Worten nicht mit "Schrecken" verwechselt werden, wie es vielfach in älteren Übersetzungen der Fall gewesen ist,

"(...) wenn unter Schrecken das Erstaunen über unbegreifliche Missetaten, das Entsetzen über Bosheiten, die unsern Begriff übersteigen, wenn darunter der Schauder zu verstehen ist, der uns bei Erblickung vorsätzlicher Greuel, die mit Lust begangen werden überfällt." (20)

Das Mitleid, das ebenso wie Furcht und Schrecken "aus einem Gefühl der Menschlichkeit" (21) entspringt, nennt Lessing dagegen "welches uns bei der plötzlichen Erblickung eines Leidens befällt, das einem anderen bevorsteht" (22). Durch diese kurzen Erklärungen von Furcht und Mitleid wird bereits deutlich, wie nahe diese beiden Begriffe bei Aristoteles aneinanderrücken. Für Lessing stehen sie in unmittelbarem Zusammenhang:

"Er (Aristoteles) spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines anderen, für diesen anderen erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, dass die Unglücksfälle, die wir über diese verhängt sehen, uns selbst treffen könnten (...)
Mit einem Wort: Diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid. " (23)

Trotz ihrer nahen Verwandtschaft unterscheiden sich aber Furcht und Mitleid in ihrer Wirkungsweise. Während das Mitleid eher eine augenblickliche Empfindung bei der Betrachtung von Leiden oder Schmerz ist, hat die Furcht eine längere Nachwirkung:

"Sobald die Tragödie aus ist, hört unser Mitleid auf, und nichts bleibt von allen den empfundenen Regungen in uns zurück, als die wahrscheinliche Furcht, die uns das bemitleidete Übel für uns selbst schöpfen lassen." (24)

Die Reinigung bzw. Katharsis nennt Lessing den "moralischen Endzweck" (25) der Tragödie. Sie vollzieht sich durch diese augenblickliche Wirkung des Mitleids und durch die fortdauernde der Furcht:

"Sie (die Tragödie) erregt sie (Mitleid und Furcht) indem sie uns das Unglück vor Augen stellet, in das unseresgleichen durch nicht vorsätzliche Fehler gefallen sind; und sie reinigt sie, indem sie uns mit diesem nämlichen Unglücke bekannt macht und uns dadurch lehret, es weder allzu sehr zu fürchten, noch allzu sehr davon gerührt zu werden, wenn es uns wirklich selbst treffen sollte. – Sie bereitet die Menschen, die aller widrigsten Zufälle mutig zu ertragen(...)." (26)

Furcht und Mitleid sind für Lessing die Affekte oder Leidenschaften, die durch die Tragödie gereinigt werden sollen. Reinigung aber bedeutet für ihn die "Verwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten." (27)

Unter Tugend ist hier eine Art moralische Ausgeglichenheit zu verstehen, da eine Reinigung "von beiden Extremis" (28) des Mitleids und der Furcht angestrebt wird:

"Das tragische Mitleid muss nicht allein (...) die Seele desjenigen reinigen, welcher zuviel Mitleid fühlet, sondern auch desjenigen, welcher zuwenig empfindet." (29)

Um auf Aristoteles zurückzukommen, bewirkt also die Tragödie durch Erregung von Leidenschaften oder Affekten eine Reinigung und dadurch die Erlangung eines moralischen Gleichgewichts.

2.3. "Aristotelischer Forderungen-Katalog"

Kehrt man an dieser Stelle zurück zu dem bereits erwähnten Zitat von Alfred Hitchcock:

"Die einzige Methode (...)unser moralisches Gleichgewicht wieder herzustellen, ist die künstliche Verabreichung von Schocks." (30)

Wird nicht nur Hitchcocks Nähe zu Aristoteles, sondern auch zu Lessings Kommentar deutlich. Von Gleichgewicht sprechen beide, nur was bei Lessing Affekt oder Emotion ist, wird bei Hitchcock – vielleicht nur in Anpassung an andere Zeitumstände – zum 'Schock'. Um zu zeigen, dass solche Übereinstimmungen nicht nur an Einzeläußerungen festzumachen sind, soll im Folgenden anhand des bisher Gesagten ein kurzer Forderungen-Katalog aus der Poetik des Aristoteles erarbeitet werden, an dem wir dann das Werk Hitchcocks messen wollen.

"Dass mit Hilfe von Mitleid und Furcht eine Reinigung von eben derartigen Affekten bewerkstelligt wird"(31),muss die Tragödie für Aristoteles u.a. folgende Forderungen erfüllen:

1.) Sie muss "Nachahmung einer Handlung"(vergl.1) sein, d.h. einer erdichteten Handlung wird der Vorzug vor einem detailgetreuen Bericht gegeben.
2.) Sie muss eine bestimmte ästhetische Form haben, weil ihre "Kunstfertigkeit (vergl. 8) einen Grossteil unseres Vergnügens bei der Betrachtung von Nachahmungen ausmacht.
3.) Sie hat einen bestimmten "Lerneffekt", weil sie Begegnungen mit uns unbekannten oder in Wirklichkeit Schreckenserregenden Lebensbereichen ermöglicht (vergl. 9).
4.) Sie soll nach Möglichkeit inhaltlich voller "Pathos", Tod und Schmerzen sein.(vergl. 11).
5.) Sie soll ihrem Aufbau nach a) in sich "abgeschlossen" und folgerichtig sein (vergl. 12) b) voller Überraschungsmomente sein (d.h. voller "wider Erwarten" eintretender und trotzdem auseinander hervorgehender Ereignisse) (vergl. 14) und c)einen "Umschlag der Handlung" bzw. eine Peripetie oder Entdeckung beinhalten (vergl. 15).
6.) Ihre Charakter sollen a) "in den Handlungen (...) eingeschlossen" (vergl. 16) sein, d.h. sich durch ihre Handlungen erklären, b) "dem Zuschauer ähnlich" (vergl. 17), d.h. Personen unseres unmittelbaren Alltags sein und c) "Mischcharaktere" seih, d.h. weder gut noch böse, sondern mit "irgendeinem Fehler" behaftet (vergl. 18).

3. Hitchcock

3.1. Einführung

Aus heutiger Sicht hat Hitchcock dem einst als vulgär betrachteten Spielfilm-Genre des Thrillers durch seine ganz spezielle Original! tat und virtuose Technik Würde und den Rang einer Kunstform verliehen.

Seine eigene Person verflocht sich im Laufe der Zeit mit dem Mythos seiner Filme und so mancher Interpret seines Werkes sucht die Ursachen und Beweggründe in Hitchcocks Kindheit, in seinem Status als Katholik, in seiner Angst vor der Polizei und in seiner englischen Korrektheit, unter deren Oberfläche bestimmt einiges "im Argen lag und brodelte". Zu dieser Legende gehört auch das Gerücht, dass er dem Publikum die "Duschszene" in Farbe nicht zumuten wollte, er selber aber angeblich Farbmaterial besitzt. Er selbst hat sich aus den Kontroversen um seine Person genauso herausgehalten wie aus den Interpretationsdiskussionen um seine Filme. Mit lächelnder Gleichgültigkeit sagte er, er läse niemals Kritiken und Filme drehe er zu seinem eigenen Vergnügen, zwar gehe es ihm auch um das des Publikums, aber letztlich ist "meine Liebe zum Kino stärker als jede Moral" (33).

Solche und ähnliche Aussprüche können sowohl Steinchen im Mosaik der Persönlichkeit Hitchcocks sein, aber genauso Teile einer Selbstinszenierung und im Grunde ist es müßig, diese zwei Pole in Hitchcocks Leben auseinanderhalten zu wollen, denn der Mythos Hitchcock nährte sich aus seiner Person und umgekehrt und soll hier auch nicht Gegenstand der Diskussion sein. Wichtiger und kaum zu widerlegen ist die Tatsache, dass Hitchcock sich selbst als Zeremonienmeister eines Entertainments, das sein Publikum anregt, aufregt, kitzelt und fesselt, bezeichnete.

In den fünfziger Jahren wurde Hitchcock noch als nur brillanter Techniker verkannt, was in dem Satz Andre Bazins "Hitchcock macht den absurden Eindruck eines Topfes, der leer vor sich hin kocht" gipfelte. Selbst Ulrich Gregor und Enno Patalas geben zwar zu, sein Werk sei nach wie vor aktuell, aber "dies freilich nicht, indem er wie Chaplin den sich verändernden Verhältnissen durch ständig erneuerte Reflexion gerecht geworden wäre, sondern im Gegenteil, indem er sich ewig gleich blieb." (35)

[...]


(1) Aristoteles: Poetik, Stuttgart 198o, S. 3o

(2) Robert A. Harris /Michael S. Lasky: Alfred Hitchcock und seine Filme,

München 1979, S. 225

(3) Aristoteles: a.a.O. S. 26

(4) und (5) Ebda. S. 36

(6) Ebda. S. 26

(7) bis (9) Ebda. S. 27

(1o) Ebda. S. 66

(11) Ebda. S. 39

(12) Ebda. S. 33/34

(l3) Ebda. S. 42

(14) Manfred Fuhrmann (Hg.): Aristoteles-Poetik, München 1976, S. 61

(15) Aristoteles: a.a.O. S. 38/39

(16) Ebda. S. 31/32

(17) Ebda. S. 24/25

(18) Ebda. S. 4o/41

(19) Ebda. S. 42/43

(20) Gotthold E. Lessing: Hamburgische Dramaturgie, Stuttg. 1978, S. 29o

(21) und (22) Ebda. S. 292

(23) Ebda. S. 294

(24) Ebda. S. 3o1

(25) Ebda. S. 3o3

(26) Ebda.S.3o7

(27) bis (29) Ebda. S. 3o8

(30) Harris/Lasky: a.a.O. S. 225

(31) Aristoteles: a.a.O. S. 3o

(32) Fuhrmann: a.a.O. S. 42

(33) Francois Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht ?,

5. Auflage, München 198o, S. 19

(34 )Claude Chabrol: Papa Hitch, in: Tip Magazin, Nr. 3, Berlin 1984, S. 56

(35) Ulrich Gregor/Enno Patalas: Geschichte des Films Band 2, Reinbeck bei

Hamburg 1976, S. 346

((36)) Truffaut: a.a.O. S. 19

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Hitchcock meets Aristoteles - Sein Werk unter aristotelischen Gesichtspunkten mit besonderer Berücksichtigung des Spielfilms 'Psycho'
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Ästhetik der Gewalt
Note
1,5
Autor
Jahr
1998
Seiten
37
Katalognummer
V24716
ISBN (eBook)
9783638275231
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zu Anfang stehen die Fragen: Wie hat Alfred Hitchcock Gewalt in Filmform verwandelt? Was lösen diese Bilder aus? Und was waren seine Ziele? Dabei tauchen überraschende Parallelen auf zwischen dem am häufigsten kopierten Filmregisseur des 20. Jahrhunderts und dem großen Lehrmeister der Dramaturgie, Aristoteles. Am Ende schälen sich Hitchcocks grundlegende 'Rezepte' heraus, die zu einem Großteil schon in der Antike "funktionierten".
Schlagworte
Hitchcock, Aristoteles, Sein, Werk, Gesichtspunkten, Berücksichtigung, Spielfilms, Psycho, Gewalt
Arbeit zitieren
Gerd Wilser (Autor:in), 1998, Hitchcock meets Aristoteles - Sein Werk unter aristotelischen Gesichtspunkten mit besonderer Berücksichtigung des Spielfilms 'Psycho', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24716

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