Tristan und Isolde lieben einander, seit sie durch einen Liebeszauber verbunden wurden,
irrtümlich zwar, aber doch nachhaltig. Wohlgemerkt: nicht durch den Zauber der Liebe
fanden sie einander, sondern ein magischer Trank band sie aneinander. Untrennbar
auch? Es könnte scheinen, daß Tristan annimmt, es wäre möglich, die Liebe zu Isolde
abzutöten durch Ablenkungen ritterlicher Art: durch Reisen ins befreundete Ausland
etwa „ze Swâles / zem herzogen Gilâne“ (vv. 15770f.)1, Söldnerdienst in fremden Kriegen
„z’ Almânje“ (v. 18445), Hilfsdienst „ze Arundêle“ (v. 18717) und dort gar durch
die Beziehung zu einer anderen Frau, Isolde Weißhand. Letztere Bemühung erscheint
sogar recht ernsthaft. Denn kaum hat er erfahren, daß in Arundel Krieg herrscht, da
„gedahte [er] sîner swaere / aber ein teil vergezzen dâ“ (vv. 18718f.). Das Unternehmen
gelingt, Tristan befreit das Land aus der Bedrängnis, entlässt generös seine Feinde und
schafft sich „da ze hove und dâ ze lande / vil lobes und êren“ (vv. 18950f.). Der junge
Sohn des Königs, Kaedin, wird sein Gefährte und Freund, und als Tristan dessen
Schwester Isolde mit den weißen Händen kennen lernt, da
er üebete an ir dicke
sîn inneclîche blicke
und sante der sô manegen dar,
daz sî binamen wol wart gewar,
daz er ir holdez herze truoc.2
Es könnte also scheinen, als sei das Vorhaben, sich die Königin Isolde im fernen und
angenehmen Arundel aus Kopf und Herz zu schlagen, auf dem besten Wege, zu gelingen.
Jedoch, es scheint nur so.
Kaum bei Herzog Gilan angekommen – wohin er sich nach günstig erfolgter Beeinflussung
des Gottesurteils über Isolde und zur Beruhigung der Lage daheim begibt –, zeigt
Tristan alle Anze ichen einer ernsthaften depressiven Verstimmung:
wan der trûraere Tristan
der was ze allen stunden
mit gedanken gebunden,
mit trahte und mit triure
umbe sîn âventiure.3
So krisenhaft ist diese Schwermut, daß er selbst in der Öffentlichkeit alle höfische Erziehung
vergisst und in der Gegenwart seines Gastgebers „saz / in triure unde in trahte /
und ersûfte ûzer ahte“ (vv. 15792ff.), daß der ihn mit etwas Besonderem trösten muß. [...]
1 Gottfried von Straßburg, Tristan, hrsg., übers. u. komm. v. Rüdiger Krohn, 3 Bde. mittelhochdeutsch
/ neuhochdeutsch, Stuttgart 61993. Die Verse in Klammern beziehen sich als Quellenangabe
auf diese Ausgabe.
2 vv. 19063-19067.
3 vv. 15786-15790.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kleine Logik der Erinnerung
- Wissen
- Vergessen
- Petitcreiu
- Herkunft
- Aussehen
- Wirkung
- Liebe
- Tristans Geschenk
- Isoldes Reaktion
- Amor purus vs. amor mixtus?
- Schluß
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit untersucht die Rolle des Hündchens Petitcreiu in Gottfried von Straßburgs „Tristan“ und beleuchtet, wie es in der komplexen Beziehung zwischen Tristan und Isolde eine Rolle spielt. Dabei wird die Verbindung zwischen der Liebe und dem Vergessen, insbesondere im Kontext der Liebe zwischen Tristan und Isolde, betrachtet.
- Die Bedeutung des Hündchens Petitcreiu als Gegen-Zauber gegen die Liebe
- Die Ambivalenz der Erinnerung und das Streben nach Vergessen in der Liebe
- Die Dialektik der Vergeblichkeit in Tristans Bemühungen, seine Liebe zu Isolde zu überwinden
- Der Einfluss des Wissens auf das Vergessen und die Frage nach der aktiven Steuerung von Vergessen
- Die Ambivalenz des Geschenks und der Rolle von Petitcreiu in der Beziehung zwischen Tristan und Isolde
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die komplexe Beziehung zwischen Tristan und Isolde ein, die durch einen Liebeszauber verbunden sind. Sie beleuchtet Tristans Bemühungen, seine Liebe zu Isolde durch Ablenkungen zu überwinden, die jedoch zu einer verstärkten Erinnerung an Isolde führen.
Das Kapitel „Kleine Logik der Erinnerung“ stellt die Frage, wie Vergessen überhaupt aktiv betrieben werden kann. Es wird argumentiert, dass Tristan durch die Erinnerung an Isolde ständig an ihren Verlust erinnert wird und dieses Wissen ihn daran hindert, zu vergessen.
Im Kapitel „Petitcreiu“ wird das Hündchen Petitcreiu als Mittel des Vergessens eingeführt. Es wird beschrieben, wie Tristan durch die Betrachtung von Petitcreiu sein Leid vergisst, und es wird spekuliert, ob es sich um einen ästhetischen Reiz oder einen Gegen-Zauber handelt.
Das Kapitel „Liebe“ analysiert Tristans Geschenk von Petitcreiu an Isolde. Es wird argumentiert, dass Petitcreiu ein ideales Geschenk wäre, da es die Liebeskummer von Tristan und Isolde lindern könnte, indem es ihnen ermöglicht, die Erinnerung an einander zu vergessen.
Schlüsselwörter
Die Seminararbeit konzentriert sich auf die Schlüsselbegriffe Liebe, Erinnerung, Vergessen, Zauber, Petitcreiu, Tristan und Isolde sowie auf die Themen der Ambivalenz, der Dialektik der Vergeblichkeit und der instrumentalen Verwendung von Gegenständen und Personen in der Liebe.
- Arbeit zitieren
- Martin Andiel (Autor:in), 2001, Petitcreiu - Petitcreiu als Allegorie auf den Ineinanderblick der Liebenden in Gottfried von Straßburgs "Tristan", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24758