Prosodische Merkmale von natürlichen Gesprächen zwischen Erwachsenen und Kleinkindern


Seminararbeit, 2003

16 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1. Prosodische Merkmale von Ein-Einheiten-Turnkonstruktionen, konversationellen Fragen und Wiederholungen
2.2. Clare Tarplees Untersuchung
2.3. Transkriptionsinventar: GAT und die phonetische Umschrift

3. Das untersuchte Material
3.1. Bedingungen der Materialgewinnung
3.2. Makroskopische Merkmale
3.3. Detailanalysen
3.3.1. Parallele Tonhöhenverläufe der Turns von Erwachsenem und Kind
3.3.2. Kontrastive Tonhöhenverläufe der Turns von Erwachsenem und Kind
3.3.3. Pausen im Erwachsenen-Turn als Chance zur Selbstkorrektur des Kindes

4. Vergleich mit Tarplees Material und Zusammenfassung der Ergebnisse

5. Literatur

1. Einleitung

Kommunikation zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden war und ist immer auch mehr oder weniger stark von Unsicherheiten und Missverständnissen geprägt. Gerade bei kleinen Kindern, die gerade erst die sozialen Interaktionsmuster ihrer Mitmenschen begreifen lernen, ist der Erwachsene häufig gezwungen, Äußerungen der Kinder auf ihre lexikalischen wie auch artikulatorischen Merkmale hin zu interpretieren, zu werten und das Gespräch durch Rückmeldungen an das Kind aufrecht zu erhalten. In natürlichen Gesprächen wird er dies in den seltensten Fällen durch direktes Aussprechen seiner Wertung ‚richtig’ oder ‚falsch’ tun. Insbesondere seit dem die Psychologie die Mechanismen der Ausbildung eines positiven oder negativen Selbstkonzeptes und Selbstbewusstseins aufzudecken beginnt, werden Eltern und Erzieher dazu angehalten, nicht durch direkte Korrekturen und Aufforderungen zum Nachsprechen eines Wortes in die Sprachentwicklung ihrer Kinder einzugreifen. Subtilere Methoden sind gefragt, um dem Kind die Freude am Sich-Mitteilen nicht zu nehmen. Allerdings sind viele Eltern verunsichert, wie sie denn nun die Sprachentwicklung ihres Kindes positiv beeinflussen können. Der Hinweis, ‚ganz normal’ mit den Kindern zu sprechen, sie möglichst wenig zu korrigieren und bewusst viele Situationen mit Sprechanreizen zu schaffen, befriedigt insbesondere diejenigen Eltern wenig, deren Kinder eine vom gängigen Modell abweichende Sprachentwicklung durchmachen, und kann leicht als Zeichen der Inkompetenz von Fachkräften gedeutet werden, da Eltern und Erzieher häufig zu wenig über die Mechanismen wissen, die auch in ganz normalen Alltagssituationen ohne direkte Eingriffe dazu beitragen, dass die Kinder die gezeigten Interaktionsmuster als Modell erkennen und in der Folge nachahmen.

Als Mutter eines mittlerweile dreieinhalbjährigen Sohnes, dessen Sprachentwicklung ebenfalls nicht ganz unauffällig verlief, stellte ich mir häufig die Frage, warum das Kind beim Betrachten von Bilderbüchern so unterschiedlich auf Antworten oder Aufforderungen des Erwachsenen reagiert. Angeregt durch das Seminar „Prosodie im Gespräch“, in dem die Wichtigkeit prosodischer Merkmale für die reibungslose Kommunikation klar heraus gearbeitet wurde, möchte ich mit dieser Arbeit eine eigene kleine Untersuchung zu diesem Thema vorstellen und die in meinem Material gefundenen Merkmale denen von Claire Tarplee in „Working on young childrens`s utterances: prosodic aspects of repetition during picture labelling“ beschriebenen gegenüber stellen.

2. Theoretische Grundlagen

Natürliche Gespräche zwischen Erwachsenen und Kleinkindern sind in einem größeren Maß als Gespräche zwischen Erwachsenen und älteren Kindern von Wiederholungen geprägt. Kinder, die sich noch nicht in der Phase des selbständigen Fragens („Warum“-Fragen) befinden, arbeiten noch viel deutlicher an der Erweiterung ihres Wortschatzes und der Anpassung ihrer Artikulation. Dies wird jedem schnell deutlich, der sich unbefangen mit Kleinkindern unterhält. Auch ist es mittlerweile allgemeine Lehrmeinung, dass schon Kleinkinder ihre sprachliche Entwicklung – und nicht nur diese – aktiv vorantreiben, in dem sie einerseits ihre Bezugspersonen nachahmen, andererseits aber auch eigene Entscheidungen treffen. Wie genau diese sprachliche Interaktion zwischen Erwachsenen und Kleinkindern vorsichgeht, soll an Tarplees Ergebnissen und dem selbst ausgewerteten Material dargestellt werden. Dazu ist die Untersuchung der prosodischen Interaktionsmuster nötig, die die einzelnen Situationen der Gespräche charakterisieren. Das Augenmerk soll dabei auf den Tonhöhenverläufen von Wiederholungssequenzen, aber auch auf den Pausen im Gespräch liegen. Die möglichst genaue Analyse soll Hinweise auf die Funktion der genannten prosodischen Parameter im Interaktionsprozess liefern.

2.1. Prosodische Merkmale von Ein-Einheiten-Turnkonstruktionen, konverstionellen Fragen und Wiederholungen

Um die genannten prosodischen Parameter adäquat untersuchen und interpretieren zu können, ist es zunächst einmal nötig, sich mit ihren Merkmalen auseinanderzusetzen, die bereits aus einer Fülle von Datenmaterial herausgefiltert wurden.

Die Untersuchung von Tonhöhenverläufen spielt vor allem bei der Signalisierung und Abgrenzung von Turnkonstruktionseinheiten und der Organisation des Sprecherwechsels eine entscheidende Rolle. Im vorliegenden Fall sind vor allem die Ein-Einheiten-Turns von Interesse, da Kleinkinder im Allgemeinen noch keine längeren Äußerungen bilden können und die mit ihnen sprechenden Erwachsenen mit Rücksicht darauf meist ebenfalls nur Äußerungen mit einer Sinneinheit produzieren. In Gesprächen mit Kleinkindern sind diese häufig als Frage formuliert oder aber über einen längeren Zeitraum expandiert, um gesprächsstörende Pausen zu vermeiden. Ein-Einheiten-Konstruktionen zeichnen sich entweder durch „die störungsfreie Produktion einer kookurierenden syntaktisch vollständigen Struktur mit einem prosodisch einheitlichen globalen Tonhöhenverlauf“[1] aus oder „durch eine ganz bestimmte Kontextualisierung einheiten-interner Produktionsstörungen und Pausen“[2], wie die Unvollständigkeit der begonnenen syntaktischen Sequenz, Verzögerungssignale, lokal gleichbleibende Tonhöhe, verzögernde Lautdehnungen und über eine Pause gehaltener Glottalverschluss. Am Ende eines Turns erfolgt eine lokale Tonhöhenbewegung, die bei Vorliegen der schon beschriebenen Signale das Turnende signalisiert. Die lokale Tonhöhenbewegung am Ende eines Turns ist jedoch nicht dazu geeignet, den Status des Turns als Frage, Aufforderung oder Aussage zu charakterisieren, da die prosodischen Signale unabhängig von der Grammatik auftreten[3]. Vielmehr wählen die Sprecher zur Signalisierung einer Frage aus verschiedenen „autonomen Signalisierungssystemen […] aus und verwenden sie als Bündel kookkurierender Signale für die Kontextualisierung eines bestimmten Fragetyps“[4]. Dabei wird einerseits ausgewählt zwischen finitem Fragesatz (oder dessen Ellipse), W-Phrase oder Phrase mit Verberststellung, andererseits wird die „semantische Beziehung zum Vorgängerturn“ bestimmt, in Form von Neufokussierung, Fokuserweiterung, Refokussierung, Wiederaufnahme. Außerdem kommen noch die Merkmale der letzten Tonhöhenbewegung hinzu, also steigende oder fallende Tonhöhenbewegung bzw. Markiertheit oder Unmarkiertheit „gegenüber den umliegenden Äußerungen“. Durch die Bündelung der Signale fokussiert der Fragende seinen Interaktionspartner auf die Art der Antwort, die er erwartet als Einladung zu einer semantisch wie auch zeitlich uneingeschränkten Antwort, als eingeschränkte Antwort, z. B. in Form eines einzigen Turns oder als Nebensequenz.[5]

Neben den konversationellen Fragen spielen auch Wiederholungen im Gespräch zwischen Kindern und Erwachsenen eine große Rolle. Allgemein treten Wiederholungen bzw. Zitierungen von bereits Gesagtem vorwiegend bei der „Manifestation von Bedeutungsverstehensproblemen“ auf, und zwar in Form von sog. „Echofragen“. Diese zeichnen sich außer durch die fokussierte Zitierung des Bezugselements noch durch eine steigende letzte Tonhöhenbewegung und durch eine Aufforderung zur Bedeutungserklärung aus. Ob im speziellen Fall des Gesprächs zwischen Erwachsenem und Kleinkind der letzt genannte Punkt bedeutsam ist, muss zunächst untersucht werden. Dass Wiederholungen bzw. Zitierungen jedoch in diesen Gesprächen allgemein noch andere Funktionen innehaben können, hat Clare Tarplee bereits nachgewiesen und wird im entsprechenden Abschnitt dargestellt.

Wie schon oben beschrieben, bestehen die untersuchten Gespräche überwiegend aus relativ kurzen Ein-Einheiten-Turns, die nur in Ausnahmefällen von Seiten des Erwachsenen expandiert sein können. Demgemäß sind Pausen, die als Störung innerhalb von Turns auftreten können, sog. ‚holding pauses’ für die vorliegende Untersuchung von eher untergeordneter Bedeutung. Ganz im Gegensatz dazu müssen jedoch Pausen betrachtet werden, die im turnübergaberelevanten Raum entstehen. Diese sog. ‚trail off pauses’, die mit fallender oder steigender letzter Tonhöhenbewegung und hörbarem Ausatmen (im Gegensatz zum Glottalverschluss bei ‚holding pauses’) eingeleitet werden, signalisieren die Möglichkeit der Übernahme des Turns durch den Gesprächsteilnehmer. Inwieweit dies schon von Kleinkindern verstanden wird bzw. wie Erwachsene bei einem Missverständnis von Seiten des Kindes reagieren, um das Gespräch aufrecht zu erhalten, soll im Folgenden aufgezeigt werden.

2.2. Clare Tarplees Untersuchung

Während das am besten untersuchte Phänomen in der Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern die Expansion ist, d. h. die Verlängerung einer kindlichen Äußerung durch einen Erwachsenen zu einer grammatikalisch korrekten syntaktischen Einheit, widmet sich Clare Tarplee in ihrer Untersuchung überwiegend einem anderen, oft erwähnten Phänomen, der direkten, nicht expandierten Wiederholung. Dabei betrachtet Tarplee in erster Linie die prosodischen Charakteristika dieser Wiederholungen, da sich bisher gebildete Kategorien und deren Definitionen meist auf lexikalisch-syntaktische Phänomene beziehen und die phonetischen Beziehungen zwischen der originalen kindlichen Äußerung und der Reproduktion durch den Erwachsenen dabei ignoriert wurden. Verschiedene Untersuchungen legen jedoch nahe, dass die Äußerungen der Erwachsenen unterschiedliche interaktionale Funktionen integrieren, die es zu differenzieren gilt. Innerhalb der Korrekturen kindlicher Äußerungen sind dabei besonders Tonhöhenverläufe und Pausen besonders zu betrachten.

[...]


[1] Selting, Margret: Prosodie im Gespräch. Aspekte einer interaktionalen Phonologie der Konversation. Tübingen: Niemeyer, 1995, S. 63

[2] Ebd.

[3] vgl. Selting, Margret: Prosodie im Gespräch. Aspekte einer interaktionalen Phonologie der Konversation. Tübingen: Niemeyer, 1995, S. 232 ff.

[4] Selting, Margret: Prosodie im Gespräch. Aspekte einer interaktionalen Phonologie der Konversation. Tübingen: Niemeyer, 1995, S. 239

[5] vgl. Selting, Margret: Prosodie im Gespräch. Aspekte einer interaktionalen Phonologie der Konversation. Tübingen: Niemeyer, 1995, S. 239

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Prosodische Merkmale von natürlichen Gesprächen zwischen Erwachsenen und Kleinkindern
Hochschule
Universität Potsdam  (Lehrstuhl für Kommunikationstheorie und Linguistik)
Veranstaltung
Seminar: Prosodie im Gespräch
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V24830
ISBN (eBook)
9783638276078
ISBN (Buch)
9783638781824
Dateigröße
499 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Es handelt sich um die Auswertung einer in Eigenregie durchgeführten, kleinen Untersuchung. Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Prosodische, Merkmale, Gesprächen, Erwachsenen, Kleinkindern, Seminar, Prosodie, Gespräch
Arbeit zitieren
Manuela Wolf (Autor:in), 2003, Prosodische Merkmale von natürlichen Gesprächen zwischen Erwachsenen und Kleinkindern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24830

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