Der erste Romzug Karls IV. und die Kaiserkroenung von 1355


Hausarbeit (Hauptseminar), 1991

55 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Zur Quellen- und Forschungslage

2 Vorgeschichte und Planungen
2.1 Wahl Karls von Luxemburg zum Römischen König
2.2 Erste Romzugpläne (1350-52)
2.2.1 Cola di Rienzo und Petrarca
2.3 Innocenz VI.: ein neuer Papst und eine neue Politik
2.4 Die oberitalienische Liga

3 Der Hinzug
3.1 Aufbruch und Alpenüberquerung
3.2 Der Weg durch die Lombardei: der König, die Liga und die Visconti
3.2.1 Friedensverhandlungen in Mantua
3.2.2 Krönung zum König der Lombardei
3.3 Fortgang der Verhandlungen mit der Kurie
3.4 Der Zug durch die Toscana
3.4.1 Verhandlungen im Vorfeld
3.4.2 Ankunft in Pisa
3.4.3 Unterwerfung der Guelfenkommunen
3.4.4 Ankunft der Königin, der deutschen Truppen und des Kardinalbischofs
3.4.5 Umsturz in Siena

4 Kaiserkrönung in Rom
4.1 Der Zustand Roms um die Mitte des 14. Jahrhunderts
4.2 Als Pilger in Rom
4.3 Unterhandlungen mit den Römern
4.4 Die Krönungsfeierlichkeiten
4.5 Kaiserlager in Tivoli?

5 Der Rückzug
5.1 Von Tivoli nach Siena
5.2 Revolution in Pisa
5.3 Pietrasanta: Abschluß aller italienischen Angelegenheiten
5.4 Durch die Lombardei zurück nach Deutschland

6 Politische Ergebnisse

7 Fazit: Schande für die Kaiserwürde oder Erfolg der Realpolitik?

8 Verzeichnis der benutzten Quellen und Darstellungen
8. 1 Quellen
8.2 Darstellungen

Anhang: Itinerarkarten

1 Einleitung

Am 25. September des Jahres 1354 brach Karl IV. mit einem kleinen Gefolge von Nürnberg auf Richtung Süden, Richtung Rom. Seine Abreise erscheint überstürzt und unvorbereitet: Karl hatte keinerlei klare Nachricht von der Kurie aus Avignon bezüglich der Kaiserkrönung; er sah sich in Oberitalien einem gefährlichen Gegner gegenüber, nämlich dem Erzbischof Giovanni Visconti von Mailand; ob die toscanischen Kommunen ihm den Durchzug durch ihr Gebiet gestatten würden, war unsicher; er hatte zunächst kein ausreichendes Truppenaufgebot zur Verfügung, da kein Aufruf zur Heerfolge ergangen war.

Dennoch spricht alles dafür, dass Karl sein Vorgehen sehr wohl bedacht hat. Seit seiner Wahl und Krönung zum Römischen König hatte er die Planungen für Romzug und Kaiserkrönung nie aus den Augen verloren. In den Bereich des Realisierbaren rückten diese allerdings erst, nachdem Innocenz VI. 1352 den Papstthron bestiegen hatte. Dieser neue Papst stand Karls Romzugplänen erheblich wohlwollender gegenüber als sein Vorgänger Clemens VI. Zudem hatte der König ein Bündnis mit einer Liga oberitalienischer Herren geschlossen, das ihn zu militärischem Eingreifen gegen die Visconti verpflichtete.

Karl entschloss sich, aufzubrechen und seinen Zug quasi von unterwegs zu organisieren, anstatt vorher alle Details auszuhandeln. Das ersparte ihm langwierige Verhandlungen im Vorfeld. Sein Prinzip, erst einmal vollendete Tatsachen zu schaffen, sich selbst in eine möglichst günstige Ausgangsposition zu bringen und dann die anfallenden Probleme Stück für Stück anzugehen, sollte ihm letztendlich Erfolg bringen. Dass er sich dabei in erster Linie auf sein diplomatisches Geschick verließ anstatt auf militärische Stärke, ist ihm oft genug und nicht nur von Zeitgenossen als Schwäche ausgelegt worden. Die vorliegende Untersuchung soll den Verlauf von Karls Krönungszug nachzeichnen und besonders sein politisches Vorgehen beleuchten: bedeutete es eine Schande für die Kaiserwürde oder einen Erfolg der Realpolitik?

1.1 Zur Quellen- und Forschungslage

Die Menge der Quellen zu Karls erstem Romzug ist erfreulich reichhaltig. Aufschlussreich ist zunächst seine Korrespondenz mit der Kurie[1] und mit dem Humanisten Francesco Petrarca.[2] Mehr noch als aus den während des Zuges ausgestellten Urkunden ist der Verlauf des Zuges anhand der zeitgenössischen italienischen Städtechroniken nachvollziehbar, die mehr oder weniger detailliert über die Krönungsreise berichten, speziell über die Ereignisse, die die jeweilige Stadt bzw. Region betreffen. Die Chronisten nördlich der Alpen handeln den Romzug hingegen in vergleichsweise knapper Form ab.[3]

Heranzuziehen sind hier insbesondere die Chroniken des Florentiners Matteo Villani[4], des Pisaners Ranieri Sardo[5] und des Senesen Donato Neri[6] sowie die 'Chronica de Novitatibus Padue et Lombardie' des Cortusius.[7] Einen ausführlichen und verlässlichen Augenzeugenbericht liefert Johannes Porta de Annoniaco in seinem 'Liber de coronatione Caroli IV. imperatoris'[8]: Der Autor begleitete den Kardinalbischof von Ostia als dessen Sekretär zur Krönung nach Rom.

Bei Betrachtung dieser Chroniken muss berücksichtigt werden, dass sie alle tendenziös sind. Im traditionell kaiserfreundlichen Pisa werden die Ereignisse anders bewertet als im ebenso traditionell reichsfeindlichen Florenz. Johannes Porta vertritt dagegen den Standpunkt der Kurie. Es fällt auf, dass keine aus dem unmittelbaren Umkreis des Kaisers stammende Darstellung überliefert ist.

Die Quellen divergieren teilweise erheblich, nicht zuletzt in Fragen der Datierung und Chronologie. Da eine Überprüfung innerhalb des vorgegebenen Rahmens nicht möglich wäre, soll bei der Rekonstruktion des Zuges weitgehend Emil Werunsky gefolgt werden, der sämtliche verfügbaren Quellen ausgewertet hat.

Die mehr als ein Jahrhundert alten Arbeiten Werunskys zu Vorgeschichte und Ablauf des Krönungszuges[9] sind bis heute maßgebend geblieben. Allerdings wird seine Interpretation der Politik Karls, die vom Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts geprägt ist, mittlerweile in Zweifel gezogen. Ferdinand Seibt[10] und Heinz Stoob11[11] analysieren Karls Italienpolitik aus einer aktuelleren Sicht, wenn auch leider nur sehr verkürzt.

2 Vorgeschichte und Planungen

2.1 Wahl Karls von Luxemburg zum Römischen König

Im Jahre 1346 hatte Ludwig der Bayer, der von der Kurie nie als König oder gar Kaiser anerkannt worden war, seinen Prozess gegen Exkommunikation und Kirchenbann endgültig verloren. Die Wahl eines Gegenkönigs stand bevor. Derjenige Kandidat, der die Unterstützung des Papstes Clemens VI. und der Mehrheit der Kurfürsten gewinnen konnte, war Karl von Luxemburg, Markgraf von Mähren.

Dem Papst war sehr daran gelegen, Ludwig zu stürzen. Dennoch hatte Karl die päpstliche Zustimmung nur gegen weit reichende Zugeständnisse erlangt. Seine feierlichen Gelöbnisse wurden durch Gesandte dem Papst noch vor dem Wahltermin vorgetragen.[12] Diese Eide, die Karl bei seiner Kaiserkrönung persönlich zu wiederholen hatte, beinhalteten u. a., dass der gewählte Römische König erst nach Approbation durch den Papst die Reichsrechte in Italien ausüben dürfte, ferner die Anerkennung der päpstlichen Oberhoheit im Kirchenstaat und den unmittelbar der Kurie unterstehenden Gebieten (wie den Lehenskönigreichen Sizilien, Sardinien und Korsika) und den Widerruf aller anders lautenden Verfügungen seiner Vorgänger. Für den Romzug bedeutungsvoll werden sollte Karls Versprechen, Rom nur für einen Tag zur Krönung zu betreten und die Stadt noch am selben Tage wieder zu verlassen:

„Promitto..., quod ante diem michi pro coronatione mea Imperiali prefigendam non ingrediar Urbem Romanam; quodque eadem die, vero et legitimo impedimento cessante, Imperialem recipiam coronam, ipsa die, qua coronam huiusmodi recepero, dictam Urbem, vero et legitimo impedimento cessante, exibo cum tota etiam, quantum in me fuerit, gente mea; et cessante etiam impedimento legitimo, continuatis moderatis dietis extra totam terram Romane ecclesie me recto gressu transferam versus terras Imperio subiectas; numquam postmodo ad Urbem, Regna predicta Sicilie, Sardinie et Corsice, provincias, civitates vel alias terras Romane ecc!esie, nisi de speciali licencia Sedis apostolice accessurus.“[13]

Karls Gelöbnisse sind oft als demütigende Unterwerfung interpretiert worden; hierdurch, so meint Werunsky, „vollendete er die tiefste Entwürdigung der Reichsautorität zu einem leeren Titel und machte die deutsche Herrschaft über Italien geradezu illusorisch.“[14] Zweifellos war dies der einzige Weg, das Einverständnis des Papstes zur Kaiserkrönung zu bekommen. Karl mag aber erkannt haben, dass es ohnehin unrealistisch gewesen wäre, die Reichsautorität in Italien aufrechterhalten zu wollen. Es ist bezeichnend, wie groß zu dieser Zeit der Einfluss der Kurie auf das Königtum war: Wer König wurde und ob er es blieb, bestimmte letztlich der Papst. Mit dem Inkrafttreten der Goldenen Bulle zehn Jahre später sollte sich das allerdings ändern.

Die Kurfürsten wählten am 11. Juni 1346 in Rhens Karl von Luxemburg zum König. Seine Krönung am 26. November desselben Jahres fand in Bonn statt, nicht in Aachen. Dies zeigt schon, dass Karls Stellung im Reich zunächst alles andere als gefestigt war. Nach dem Tode Ludwigs des Bayern 1347 musste er sich gegen drei Gegenkönige durchsetzen. Erst 1349 wurde er allgemein anerkannt und in Aachen zum zweiten Mal gekrönt. Bis Anfang 1350 gelang ihm auch die Aussöhnung mit seinen ärgsten Widersachern, den Wittelsbachern, deren Haupt Ludwig von Brandenburg war.

2.2 Erste Romzugpläne (1350-52)

Nach dem Friedensschluss mit Ludwig von Brandenburg sandte der König im März 1350 ein Schreiben an die Kommune Florenz, in dem er seine bevorstehende Romfahrt ankündigte; auf einem Reichstag in Nürnberg im April sollten die entsprechenden Beschlüsse gefasst werden.[15] Die Florentiner nahmen sofort Rücksprache mit der Kurie. Die Reaktion aus Avignon war wenig begeistert. Clemens VI. konnte nicht daran interessiert sein, dass der König in die italienischen Angelegenheiten eingriff. Die weltliche Herrschaft der Kirche war am Zerfallen, der Kirchenstaat in Auflösung begriffen. Der Papst befand sich schließlich weit weg von Rom. Seine Befürchtung war, der König könne mit den italienischen Herren gemeinsame Sache machen und die Kirche endgültig aus ihren Territorien hinausdrängen. Unter Clemens VI. bestand wenig Aussicht auf das Zustande kommen eines Krönungszuges.

2.2.1 Cola di Rienzo und Petrarca

Den italienischen Herren war im Großen und Ganzen auch nicht an einer Einmischung seitens des Königs gelegen. In dieser Zeit, als in Italien das humanistische Denken aufkam und man begann, sich mit der Antike auseinanderzusetzen, gab es aber durchaus Stimmen, die eine Rückbesinnung auf die Ideale des antik-römischen Kaisertums forderten. In Rom selbst hatte Cola di Rienzo versucht, als Volkstribun eine Herrschaft nach antikem Vorbild aufzurichten. Nach anfänglichen Erfolgen wurde er jedoch bald wieder gestürzt. Cola musste aus Rom fliehen. Im Sommer 1350 erschien er am Hofe Karls in Prag, um den König zum Romzug zu bewegen; er selbst wollte als Vikar des Kaisers im Rom das Regiment führen.[16] Karl hörte ihn zwar an, ließ ihn dann aber vorsichtshalber inhaftieren. „Man konnte ihn weder abweisen noch mit offenen Armen empfangen; man konnte seine Meinung weder gutheißen noch verwerfen; man musste ihn hören, denn er war wichtig genug; aber man konnte ihm nicht folgen, denn er war ein Phantast. Jede andere Reaktion hätte dem Prager Hof kaum eine gute Note in politischen Erwägungen eingebracht.“[17]

Ähnlich skeptisch reagierte Karl auf die Gedanken Francesco Petrarcas. Dieser schrieb im Februar 1351 erstmals an den König. Was er vortrug, nennt Seibt „ein naives Programm der Wiedererrichtung von Roms antiker Größe.“[18] Karl, der nüchtern denkende Staatsmann, ließ sich davon wenig beeindrucken. Sein Antwortbrief an den Gelehrten gibt eine pessimistische Einschätzung der Lage wider: „Tempora enim antiqua, que memoras, condiciones aduersas presencium nesciebant.“ Die politische Wirklichkeit Italiens würde eine Wiederherstellung der römischen Caesarenherrschaft wohl kaum zulassen. Dennoch weist Karl darin den Gedanken an einen Zug nach Italien nicht grundsätzlich von sich; seine Italienpolitik müsse jedoch gründlich durchdacht werden, um einen Krieg zu vermeiden: "Omnia nam prius temptanda quam ferrum et medici volunt et Cesares didicerunt.“[19] Trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten setzten Karl und Petrarca ihren Briefwechsel fort.

2.3 Innocenz VI.: ein neuer Papst und eine neue Politik

Am 6.Dezember 1352 starb Clemens VI. Damit standen die Dinge für Karl plötzlich wesentlich günstiger, denn der neue Papst Innocenz VI. zeigte sich eher bereit, eine Kaiserkrone zu vergeben.

Innocenz war zunächst bestrebt, die unter seinem Vorgänger entfremdeten Gebiete des Kirchenstaates zurück zu gewinnen. Die Territorialherrschaft der Kurie im Patrimonium Petri war praktisch nicht mehr existent.[20]

Im Sommer 1353 sandte der Papst den spanischen Kardinal Aegidius Albornóz als seinen Legaten nach Italien mit dem Auftrag, den Kirchenstaat zurückzuerobern. Albornóz, der nicht nur Kleriker, sondern auch ein fähiger Feldherr war, konnte dieses Vorhaben im Laufe der folgenden zwei Jahre erfolgreich abschließen.[21]

Zu Beginn des Jahres 1354 wandte Karl sich zum ersten Mal an den neuen Papst, um dessen Haltung bezüglich der Kaiserkrönung in Erfahrung zu bringen. Innocenz zeigte sich nicht abgeneigt, auch wenn er noch keine konkreten Zusagen machte. Eine Kaiserkrönung in Rom würde die päpstliche Autorität in Italien und im Reich eindrucksvoll demonstrieren. Ferner brauchte die Kurie Geld für Albornóz' Feldzug, den man durch einen neuen Kirchenzehnten aus dem Reich zu finanzieren gedachte. Eine Übereinkunft mit dem König und eine Stärkung der Reichsgewalt in Italien, die dem Machtstreben der italienischen Tyrannen Grenzen setzte, waren durchaus im Interesse des Papstes.

Karl hatte um die Organisation der Krönungszeremonie und um die Absendung beauftragter Kardinäle nachgesucht - Innocenz selbst würde die Reise nach Rom sicher nicht auf sich nehmen - aber er wartete nicht ab, bis aus Avignon endlich eindeutige Termine angegeben würden. Das Beispiel Rudolfs von Habsburg, der nacheinander mit fünf verschiedenen Päpsten verhandelt hatte, ohne sein Ziel, die Kaiserkrone, zu erreichen, war ihm vielleicht eine Mahnung. Als Karl nach mehrfachem Drängen endlich die Bestätigung erhielt, dass ein Vertreter des Papstes auf dem Weg nach Rom war, befand er sich längst auf italienischem Boden.

2.4 Die oberitalienische Liga

Lombardei und Toscana waren in dieser Zeit zersplittert in eine Vielzahl von Stadtstaaten und kleinen Territorien. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts vollzog sich zunächst in der Lombardei ein Wandel von der Kommune, der autonomen Bürgergemeinde, hin zur Stadttyrannis. Aus innerstädtischen Parteikämpfen ging vielerorts eine einzelne Familie als Sieger hervor, die eine dynastische Herrschaft begründete. Diese Signoren, die zumeist als Tyrannen herrschten, strebten nach Ausweitung ihrer jeweiligen Machtbereiche und führten daher beständig Kriege gegeneinander. Söldnerbanden, deren Führer, die Condottieri, mehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren als auf den ihrer Auftraggeber, verwüsteten das Land.

Zum bedeutendsten politischen Faktor in der Lombardei stiegen die Visconti von Mailand auf. Unter Erzbischof Giovanni Visconti hatten diese ihr Territorium so weit ausbauen können, dass sie in der übrigen Lombardei, der Romagna und auch der Toscana als echte Bedrohung empfunden wurden.

Der erbitterte Krieg zwischen den Seemächten Venedig und Genua bot Giovanni Visconti Anlass zum Eingreifen. Nach ihrer vernichtenden Niederlage bei Alghieri (29.Aug.1353) sahen die Genuesen keinen anderen Ausweg, als sich Mailand zu unterwerfen: eine gewaltige Gebietserweiterung für die Visconti. Venedig konnte und wollte das nicht hinnehmen. Man sah aber ein, dass man allein den militärischen Kräften des Erzbischofs nicht würde gefährlich werden können.

Die Venezianer brauchten Verbündete. Nach langen und zähen Verhandlungen schlossen sie im Dezember 1353 Verträge mit den Carrara von Padua, den della Scala von Verona, den Gonzaga von Mantua und dem Markgrafen d'Este, Signore von Ferrara. Diese Liga gegen die Visconti, die für zwei Jahre gelten sollte, drohte durch Intrigen und Kontroversen wiederholt auseinander zu brechen, doch die gemeinsame Bedrohung und intensive diplomatische Bemühungen hielten sie letztlich doch zusammen.

Die aggressive Politik Giovanni Viscontis bedrohte nicht nur die unmittelbaren Nachbarn, sondern auch den Kirchenstaat - Mailand hatte das päpstliche Bologna besetzt und annektiert - und das Reich. Bis dahin war keine der italienischen Mächte interessiert gewesen, eine Einmischung des Königs in ihre Angelegenheiten zu provozieren. „Die Fernhaltung der Einwirkung des römischen Königs war das einzige gemeinsame Streben der massgebenden Mächte Italiens... So lange sich die Kirche und die Guelfenstädte vor dem rücksichtslos seine Macht ausbreitenden Visconti selbst helfen konnten, widerstrebten sie eifrig einer Berufung des Königs.“[22] Als ihnen das jedoch nicht mehr möglich war, erging doch ein Hilferuf an den König. Karl war durchaus bereit, die Liga zu unterstützen, stand doch Mailand auch seinen Romzugplänen im Wege.

Im März 1353 nahm Karl an einem Fürstentag in Wien teil, auf dem venezianische Gesandte anwesend waren. Hier soll der Zug nach Oberitalien beschlossen worden sein.[23] Einige Monate später erteilte Karl seinem Rat Raimondino Lupi, Markgraf von Soragna, die Vollmacht, Bündnisse abzuschließen mit der Republik Venedig, den Herren der Lombardei und Romagna sowie den toscanischen Kommunen.[24]

Raimondino Lupi schloß im Namen des Königs am 19.März 1354 einen Vertrag mit Venedig und den Herren von Padua, Ferrara und Faenza, worin Karl verpflichtet wurde, bis Mai mit einem Heer in der Lombardei zu erscheinen:

„Item quod dictus dominus Romanorum rex venire et esse debeat personaliter ... in Lombardiam supra territoria et districtus archiepiscopi Mediolani per totum mensem Maii ad longius bona fide sine fraude vel dolo cum helmis duobus millibus quingentis et peditibus in numero, sicut poterit, armatis de bona gente ..., de quibus gentibus dictus dominus dux et commune Venetiarum et colligati cum eis teneantur solvere helmos mille pro tribus mensibus in ratione ducatorum viginti pro helmo.“[25]

Die Gonzaga und die della Scala traten der Liga mit dem König im April bei. Der hielt jedoch seine Verpflichtung, bis Mai nach Italien zu kommen, nicht ein. Er zögerte, wie Stoob feststellt, "da seine Verhandlungen mit Avignon ... noch nicht abgeschlossen waren und er auch ungern ohne die eiserne Lombardenkrone am Tiber erscheinen wollte. Sie war aber gegen die Visconti nach Lage der Dinge kaum zu gewinnen. Also blieb die Liga zunächst auf sich gestellt. Karl war ohnehin entschlossen, sich nicht in Parteikämpfe verwickeln zu lassen. Führten sie zur Schwächung beider Gegner, bevor er in der Lombardei erschien, so konnte das für sein schiedsrichterliches Eingreifen eher günstig sein.“[26]

3 Der Hinzug

3.1 Aufbruch und Alpenüberquerung

Der König war Anfang September 1354 mit Truppen vor Zürich eingetroffen, um Herzog Albrecht II. von Habsburg in seinem Kampf gegen die Stadt Hilfe zu leisten. Als die Zürcher sich jedoch, abgesehen von ihrer Streitsache mit den Habsburgern, dem Reich dienstbar erklärt hatten, zog Karl schon nach wenigen Tagen wieder ab und wandte sich nach Nürnberg. Von hier brach er am 26. September „quasi occulte“[27] nach Italien auf. Eine offizielle Ankündigung auf einem Reichstag scheint ebenso wenig erfolgt zu sein wie ein Aufruf zur Heerfolge. Für die Zeit seiner Abwesenheit ernannte Karl den Pfalzgrafen bei Rhein, Ruprecht den Älteren, zum Reichsvikar.[28] Eine Nachfolgeregelung erfolgte nicht, da kein lebender Sohn vorhanden war.[29]

Karls Begleitung bestand aus nur 300 Rittern, kaum mehr als ein bewaffnetes Gefolge. Jedenfalls war dies nicht das kriegstaugliche Heer, das seine Verbündeten von ihm erwarteten: ein eklatanter Bruch seiner Verpflichtungen gegenüber der Liga. Karl hatte nicht vor, sich in größere bewaffnete Auseinandersetzungen verwickeln zu lassen, zumal er damit rechnen musste, dass Giovanni Visconti sich als gefährlicher, wenn nicht übermächtiger Gegner erweisen würde. Heinrich VII., Karls Großvater, hatte versucht, Italien mit Waffengewalt zu unterwerfen, und daran seine Kräfte aufgerieben. Karl hingegen ging den Weg der Diplomatie. Indem er ohne Streitmacht kam, bekundete er seine friedfertigen Absichten. Die Krone der Lombardei und den ungehinderten Durchzug durch mailändisches Gebiet konnte er nur erlangen, wenn er sich mit den Visconti einigte.[30]

[...]


[1] Die Schreiben des Papstes an den König finden sich vollständig in: THEINER, Augustin: Codex Diplomaticus Dominii Temporalis S. Sedis. Bd.II. (Rom 1862) Nachdruck Frankfurt 1964.

[2] Vollständiger Briefwechsel in: PIUR, Paul (Hrsg.): Petrarcas Briefwechsel mit deutschen Zeitgenossen. (= Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung. Hrsg. v. Konrad BURDACH. Bd.7) Berlin 1933.

[3] Unter den deutschen Chronisten widmen lediglich Heinrich von Diessenhoven und der Verfasser der Continuationes Cronice Matthie Nuewenburgensis dem Romzug etwas mehr Aufmerksamkeit. Beide Texte sind ediert in: BÖHMER, Johann Friedrich: Fontes rerum Germanicarum, Bd.IV: Henricus de Diessenhoven und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späten Mittelalter. Hrsg. v. Alfons HUBER. Stuttgart 1868.

[4] VILLANI, Matteo: Cronica. Tomo 1-111. Firenze 1825-26.

[5] SARDO, Ranieri: Cronaca di Pisa. A cura di Ottavio BANTI. (= Fonti per la storia d' Italia 99). Roma 1963.

[6] Cronaca Senese di Donato di Neri e di suo figlio Neri. (= Muratori Rer. It. SS., T.XV P.6 Fasc.7). Bologna 1936.

[7] Guilelmus de CORTUSIUS: Chronica de novitatibus Padue et Lombar die. A cura di Beniamino PAGNIN. (= Muratori Rer. It. SS., T.XII P.5 Fasc.1-2) Bologna 1941.

[8] Johannes PORTA de Annoniaco: Liber de coronatione Caroli IV. imperatoris. Ed. Ricardus Salomon. SS. rer. Germ. Hannover/Leipzig 1913.

[9] WERUNSKY, Emil: Italienische Politik Papst Innocenz VI. und Kö nig Karl IV. in den Jahren 1353-1354. Wien 1878. - Ders.: Der erste Römerzug Kaiser Karl IV. (1354-1355). Innsbruck 1878.

[10] SEIBT, Ferdinand: Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346-1378. München 1978.

[11] STOOB, Heinz: Kaiser Karl IV. und seine Zeit. Graz/Wien/Köln 1990.

[12] Kompletter Text der Eide bei Theiner, Bd.II, Nr.CLVI (S.1S5-159).

[13] Ebd. S.157.

[14] Werunsky, Ital. Politik, S.15.

[15] BÖHMER, Johann Friedrich: Regesta Imperii. Bd.VIII: Die Regesten des Kaiserreichs unter Karl IV. 1346-1378. Hrsg. v. Alfons HUBER. (1877) Neudruck Hildesheim 1968. Nr.1248. - Die auf dem Nürnberger Reichstag 1350 ausgestellten Urkunden beinhalten jedoch keinerlei Hinweise auf einen konkret geplanten Romzug.

[16] Ein ausführlicher Bericht über die Unterredung zwischen König und Tribun (dessen Verlässlichkeit unsicher scheint) findet sich in: Chronicon Estense. A cura di Giulio BERTONI e Emilio Paolo VICLINI. (= Muratori Rer. It. SS., T.XV P.3 S.172f.) Citta di Castello o.J.

[17] Seibt S.213.

[18] Ebd. S.216.

[19] Karl an Petrarca, Prag, Frühjahr 1351. Piur S.15.

[20] „Tunc temporis fere omnes civitates cum castris et locis que spectabant ad ius et proprietatem romane Ecclesie in partibus Ytalie erant extra manus ipsius, tenebanturque seu verius detinebantur et occupabantur per tirannos aut alios in dicte Ecclesie preiudicium, detrimentum et iacturam.“ - BALUZIUS, Stephanus: Vitae Paparum Avenonensium. Ed. G. MOLLAT. Paris 1914. Bd.l, S.310.

[21] Innocenz rehabilitierte Cola di Rienzo, der seit zwei Jahren in Avignon inhaftiert gewesen war, und sandte ihn zur Unterstützung des Legaten nach Italien. Cola konnte so, diesmal mit Billigung des Papstes, kurzzeitig ein neues Regiment in Rom aufrichten.

[22] Werunsky, Ital. Politik, S.130. - Florenz hatte 1352 einen separaten Frieden mit den Visconti geschlossen.

[23] „Parlamentum maximum fuit in Alemannia in civitate vienense domini ducis Austrie, ubi accessit dominus Karolus imperator, rex Ungarie, dominus marchio de Brandiburgo, Archiepiscopus treverensis, Archiepiscopus coloniensis, Archiepiscopus moguntinus, archiepiscopus Prage, ambaxiatores regis de Charco, ambaxiatores Venetorum, dominus marchio de Cuber... Tunc firmaverunt, quod dominus Imperator descenderet in partibus Lombardie.“ - Chron. Estense, S.188.

[24] Urkunden vom 10. u. 11. Feb. 1354 bei Werunsky, Ital. Politik,im Anhang abgedruckt (S.187-189).

[25] Ebd. S.194 (Gesamttext S.190-196).

[26] Stoob S.79.

[27] Cont. Matth. Nuewenburgensis S.291.

[28] „Robertum seniorem Bawarum palatinum Reni tempore absencie vicarium regni constituit generalem.“ Ebd.

[29] Karl hatte bis dato aus zwei Ehen drei Kinder, von denen nur eine Tochter noch am Leben war. Der Sohn Wenzel war am 26. Dez. 1351 im Alter von zwei Jahren verstorben.

[30] So beurteilt schon Villani (IV.27) sein Vorgehen.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Der erste Romzug Karls IV. und die Kaiserkroenung von 1355
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Mittelalterliche Geschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar: Die Romzüge des Mittelalters
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
1991
Seiten
55
Katalognummer
V25204
ISBN (eBook)
9783638279086
ISBN (Buch)
9783638702096
Dateigröße
1375 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Lateinische und italienische Quellen verwendet
Schlagworte
Romzug, Karls, Kaiserkroenung, Hauptseminar, Romzüge, Mittelalters
Arbeit zitieren
Kathrin Ellwardt (Autor:in), 1991, Der erste Romzug Karls IV. und die Kaiserkroenung von 1355, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25204

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