Die geschichtlichen Dimensionen des Schillerschen Idyllenbegriffs


Hausarbeit, 2003

14 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Hauptteil
I. Die gesellschaftskritische Funktion der Kunst
II. Die Autonomie der Kunst

Ausblick

Literatur

I. Primärliteratur

II. Sekundärliteratur

Einleitung

Politische und bürgerliche Freiheit bleibt immer und ewig das heiligste aller Güter, das würdigste Ziel aller Anstrengungen [...] aber man wird diesen herrlichen Bau nur auf dem festen Grund eines veredelten Charakters aufführen, man wird damit anfangen müssen, für die Verfassung Bürger zu schaffen, ehe man den Bürgern eine Verfassung geben kann.[1]

Der Verlauf der Französischen Revolution ließ Schiller über die Idee eines politischen Fortschritts resignieren. Er erkannte, dass das ideale Geschichtsziel vom „Paradies der Erkenntnis und der Freiheit“[2] auf dem gesellschaftlichen Weg nicht herbeizuführen sei. Schiller gab jedoch seine Idee vom idealen Staat nicht auf, sondern verlegte ihre Verwirklichung ins Ästhetische. In seinen philosophischen Schriften sah sich Schiller dazu veranlaßt, diesen idealen Staat zu entwerfen, um den Menschen die `Veredelung ihres Charakters` zu ermöglichen. Denn nur so bestehe überhaupt die Möglichkeit einer „Annäherung an eine paradiesische Vollendung der Geschichte“.[3]

In seinen großen philosophischen Schriften verbindet Schiller Anthropologie, Geschichte und Ästhetik miteinander. Vor allem seine Abhandlungen Über die ästhetische Erziehung des Menschen[4] und Über naive und sentimentalische Dichtung[5] können als Antwort auf die Begebenheiten der Französischen Revolution und als Auseinandersetzung mit seiner eigenen Dichtungsweise gelesen werden.

Für das Ende des 18. Jahrhunderts – einer Zeit grundlegender und radikal tiefgreifender Veränderungen - ist es sehr kennzeichnend, nach dem Sinn der Kunst überhaupt zu fragen. Schiller sucht in seinen ästhetischen Schriften die Wirksamkeit der Dichtung in dieser ganz bestimmten historischen Situation zu ermitteln, indem er der modernen Gesellschaft einen Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Ideal diagnostiziert. Die ursprüngliche Einheit von Natur und Kultur existiere nicht mehr. Die sentimentalische Dichtung beruhe auf dieser gegenwärtigen Trennung zwischen Natur und Kultur und beziehe sich aus der Besinnung auf ihre ehemalige arkadische Ausgewogenheit auf ihren zukünftigen elysischen Zusammenschluß. Auf den Widerspruch der modernen Gesellschaft könne der moderne Dichter in dreifacher Weise reagieren. Diesen drei möglichen Beziehungen zwischen Ideal und Wirklichkeit entsprächen die drei sentimentalischen Dichtungsarten Satire, Elegie und Idylle. Die satirische und elegische Dichtungsweise entwickeln sich aus dem Mangel des Ideals in der Gegenwart, während die Idylle durch „die poetische Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschheit“[6] den ideellen Zustand als wirklich anwesend darstellt und seine Zukunft als präsent vorstellen läßt. An dieser Stelle gerät Schillers Gattungspoetik in Auseinandersetzung mit seinem Geschichtsverständnis. Die Voraussetzungen der sentimentalischen Dichtung erlauben es, das Ideal als zurückliegendes oder als zukünftiges darzustellen, bestehen aber gleichzeitig auf einer strengen Abgrenzung von der Gegenwart. Damit wird der Bereich der sentimentalischen Dichtung verlassen. Schiller war sich dieser Problematik bewußt, dennoch hielt er an der elysischen Idylle fest.

Schillers Entwurf eines ästhetischen Staates vor dem Hintergrund der Französischen Revolution in Verbindung mit seiner Gattungspoetik der utopischen Idylle hat in den 70 er Jahren des 20. Jahrhunderts eine ausführliche Diskussion ausgelöst. Das Verhältnis von Geschichte und Kunst trat in den Fokus des Interesses. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Geschichte, Ästhetik und künstlerischer Praxis? Schlugen sich Schillers Zeiterfahrungen in seiner Dichtungsweise nieder? Worin besteht überhaupt der Sinn und die Möglichkeit einer philosophischen Ästhetik?

Die literaturwissenschaftliche Utopieforschung bewegt sich hierbei zwischen zwei extremen Grundannahmen über den geschichtlichen Sinn der Kunst. Die eine Seite, vor allem vertreten durch Gethmann-Siefert[7], Sautermeister[8] und Karthaus[9], vertritt die Ansicht, Schillers Entwurf der Idylle besäße eine gesellschaftskritische Funktion und sei somit als zeitgemäße Alternative zu den real historischen Umständen zu verstehen. Die andere Seite, angeführt von Kaiser[10], verfolgt dagegen den Standpunkt, dass es sich hierbei um eine zeitlose Idee handle. Schiller sei nicht um die Verbesserung der irdischen Verhältnisse bemüht gewesen. Er habe vielmehr mit seinen ästhetischen Schriften ein zeitloses unpolitisches Glaubensbekenntnis erschaffen wollen.

Im Rahmen dieser Arbeit sollen die Konzeptionen dieser beiden Extreme nachgezeichnet werden. Es soll geklärt werden, ob sich Schiller aufgrund der Folgen der Französischen Revolution bewußt von der Wirklichkeit abgewandt hat oder ob seine ästhetischen Schriften gerade eine Auseinandersetzung mit der Realität darstellen.

Oder kann gar Kunst sowohl Autonomie als auch Kritikfähigkeit in sich vereinigen?

Fraglich ist, ob diese Vorstellung eines Gattungsweges [...] überhaupt noch in einem gehaltvollen und empirisch erfüllten Sinn auf historische Wirklichkeiten und bestimmbare Geschichtszeiten zielt oder ob sie nicht zutreffender als zeitenthobene Chiffre einer empirisch und phänomenal nicht faßbaren Gegenwirklichkeit zu zerrissenen Gegenwart und zur Welt der Geschichte überhaupt gelesen werden will.[11]

Hauptteil

1. Die gesellschaftskritische Funktion der Kunst

Das Gebäude des Naturstaates wankt, seine mürben Fundamente weichen, und eine physische Möglichkeit scheint gegeben, das Gesetz auf den Thron zu stellen, den Menschen endlich als Selbstzweck zu ehren, und wahre Freiheit zur Grundlage der politischen Verbindung zu machen.[12]

Die allgemeine Behauptung, Schiller habe wie andere deutsche Dichter und Philosophen anfangs mit Sympathie die Revolution in Frankreich verfolgt, läßt sich schwer belegen. Es gibt Äußerungen in seinen Briefen und Gesprächen, aber diese bleiben sehr sporadisch und ihre Auslegung sehr zweifelhaft. Beispielsweise berichtet Schiller in einem Brief vom 30. Oktober 1789 an Charlotte von Lengefeld über das Verhalten von König Ludwig XVI. und fügt hinzu: „Schulz weiß sehr unterhaltende Partikularitäten von dem Aufruhr in Paris zu erzählen, gebe der Himmel daß alles wahr ist was er sagt.“[13] Diese knappe Anmerkung wird oft als Beleg für Schillers Begeisterung für die revolutionären Begebenheiten in Paris angeführt. Diese Äußerung wird damit jedoch aus ihrem gesamten Zusammenhang herausgerissen und stellt daher keine explizite Äußerung zu Schillers eventueller Sympathie gegenüber den Geschehnissen in Paris dar.

Jedoch spätestens im April 1794 als Danton und andere revolutionäre Mittstreiter ermordet wurden, wendet sich Schiller von der Schreckensherrschaft der Jakobiner ab. In einem Brief an seinen Freund Körner vom 8. Februar 1793 schreibt er, er könne „seit 14 Tagen keine französische Zeitung mehr lesen, so ekeln diese elenden Schindersknechte“[14] ihn an. Nach Schiller habe die Aufklärung und ihr politisches Ergebnis, die Revolution, die Freiheit der Menschen nicht weiterentwickelt, sondern reduziert. Die Aufklärung habe nicht erkannt, dass einer rein begrifflichen Kultur eine in der Wirklichkeit auftretende vorangehen müsse. Die Französische Revolution habe den Bürgern eine Verfassung gegeben, ohne ihre Mündigkeit abzuwarten. Schiller sucht nun einen anderen Weg, damit die Ziele der Aufklärung doch noch erreicht werden können. Die Lösung findet er in der Kunst. Die Erziehung des Menschen solle nun nicht mehr über die Politik gehen, sondern über die Ästhetik. Das Instrument, um Freiheit herstellen oder wenigstens darstellen zu können, findet Schiller in der „Kunst des Ideals“ als „eine Tochter der Freiheit.“[15] Nur so könne die ästhetische Erziehung die politische realisieren.

[...]


[1] Erwin Streitfeld/ Victor Zmegaç (Hrsg.): Schillers Briefe, Königstein 1983, S. 208.

[2] Eduard von der Hellen (Hg,): Schillers sämtlichen Werke. Säkularausgabe in 16. Bdn , Bd. 13, Stuttgart 1904-1906, S. 25.

[3] Gert Sautermeister: Idyllik und Dramatik im Werk Friedrich Schillers. Zum geschichtlichen Ort seiner klassischen Dramen, Stuttgart 1971, S. 23.

[4] Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, Weimar 1987, S. 309-412.

[5] Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung. In: Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, Weimar 1987, S. 413-503.

[6] Schiller ebd. , S. 67.

[7] Annemarie Gethmann-Siefert: Idylle und Utopie. Zur gesellschaftlichen Funktion der Kunst in Schillers Ästhetik. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 24 (1980), S. 32-67.

[8] Sautermeister (Anm. 3).

[9] Ulrich Karthaus: Schiller und die Französische Revolution. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 33 (1989), S. 210-239.

[10] Gerhard Kaiser: Von Arkadien nach Elysium. Schiller Studien, Göttingen 1978.

[11] Werner Frick: Philosophische und poetische Konstruktionen der Gattungsgeschichte bei Schiller. In: Schiller als Historiker, hrsg. Von Otto Dann u.a., Stuttgart 1995, S. 77-107, hier S. 105.

[12] Julius Petersen (Hg.): Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, Weimar 1987, S. 319.

[13] Petersen ebd. S. 312.

[14] Fritz Jonas (Hg.); Schillers Briefe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 3, Stuttgart o. J., S. 246.

[15] Petersen (Anm.12), S. 311.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die geschichtlichen Dimensionen des Schillerschen Idyllenbegriffs
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Deutsches Seminar)
Veranstaltung
Einführung in das Studium der neueren deutschen Literatur
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
14
Katalognummer
V25309
ISBN (eBook)
9783638279796
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dimensionen, Schillerschen, Idyllenbegriffs, Einführung, Studium, Literatur
Arbeit zitieren
Julia Hermanns (Autor:in), 2003, Die geschichtlichen Dimensionen des Schillerschen Idyllenbegriffs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25309

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