Der Tod als Tabuthema: Eine Institutionalisierung zugunsten des Kindes?


Hausarbeit, 2004

23 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Der Tod als Tabuthema: Eine Institutionalisierung zugunsten des Kindes?

2. „Der Tod in unserer Gesellschaft“ – Eine Umfrage unter Menschen
2.1 Grundlegende Informationen über die Studie
2.1.1 Soziokulturelle und personale Bedingungen der Befragten
2.1.2 Spezielle Organisations- und Rahmenbedingungen der Befragung
2.2 Der Fragenkatalog
2.3 Darstellung und Interpretation der gegebenen Antworten
2.3.1 Was verbindet das Kind mit dem Tod?
2.3.2 Der Tod- ein angstauslösender Gedanke?
2.3.2.1 ‚ Wenn ja, wovor fürchtest du dich genau?’
2.3.2.2 ‚ Wenn nein, warum fürchtest du dich nicht?’
2.3.3 Der Tod als Gesprächsthema- Integraler Bestandteil oder gar Mangelware unseres sozialen Gefüges?
2.3.4 Religiös oder laizistisch geprägt? Die Frage nach dem ‚Danach’?
2.4 Das Kind und der Tod – kein Antagonismus

3. Der andere Umgang mit dem Tod: ‚Das Totenbuch der Tibeter’
3.1 Der Begriff ‚Bardo’
3.2 Der Bardo des Lebens
3.3 Der Bardo des Todes
3.4 Zusammenfassung: Praktische Konsequenzen für die Alltagswelt

4. Schlussbetrachtung: Der kindliche Umgang mit dem Tod

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG: Beispiel-Fragebögen

1. Der Tod als Tabuthema: Eine Institutionalisierung zugunsten des Kindes?

Was ist der Tod? Diese Frage spiegelt wohl einen grundlegenden Gedankengang des Menschen wider. Rein lexikalisch wird ihm auf diese Frage folgendermaßen geantwortet: „Stillstand der Lebensfunktionen bei Mensch, Tier und Pflanze. Als klin. Tod wird der Stillstand von Herz und Kreislauf sowie Atmung bezeichnet: Zum Hirn -T. kommt es nach dem unwiderrufl. Absterben von Gehirnzellen, wenn das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird.“[1]

Diese wissenschaftlich geprägte Definition mag zwar plausibel sein, doch liefert sie dem Menschen keine wirkliche Befriedigung.

Die derzeitige Situation in unserer Gesellschaft ist paradox: Zum einen werden wir, besonders über die neuen Medien, tagtäglich sowohl mit fiktiven als auch mit realen Bildern des Todes konfrontiert. Auf der anderen Seite scheint es am zwischenmenschlichen und offenen Dialog darüber zu mangeln.

Der Tod als Tabu. Vermeidet man ihn als Thematik, handelt man , so scheint es, ganz im Sinne des Funktionalismus’, rollenkonform und ist augenscheinlich in das soziale System integriert. Tut man das Gegenteil, so zeigt man ein abweichendes Verhalten, aus denen bestimmte Sanktionen resultieren können. Der Tod ist also auf eine besondere Art und Weise institutionalisiert worden.

Über die möglichen Gründe kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich vielfältiger Entwicklungsprozesse in keiner existenziellen Not mehr befindet. Wirtschaftlich, politisch, aber auch aus gesundheitlich-hygienischen Gründen, sind wir mit keinen größeren Problemsituationen mehr konfrontiert, die das Überleben der Bewohner ernsthaft gefährden. Außerdem leben wir viel länger, streben nach Jugend und Schönheit. Warum sollte man in diesem Kontext an das Ende dieses Lebens denken?

An dieser Stelle auch folgendes Zitat David Bohms verwiesen, der besagt, dass der Mensch „im allgemeinen nicht bereit“ sei, „sich tiefer gehenden Fragen zuzuwenden“[2]. Im Zusammenhang mit dem Thema des Sterbens scheint dieses Zitat sehr passend zu sein.

Es wird offenkundig ignoriert, dass der Tod, heute wie gestern, stets existent ist. Eine Ignoranz, die sich gegen das existenzielle Sein des Menschen richtet:

Denn der Mensch, als denkendes, fühlendes und über seine Extistenz stets reflektierendes Wesen, möchte zweifelsfrei wissen, was es mit Sterben auf sich hat. Doch durch drohende Sanktionen seitens des sozialen Gefüges, vermeidet der sozialisierte Mensch häufig den Dialog darüber.

Doch wie begegnen die noch nicht vollends sozialisierten Menschen, die Kinder, dieser Thematik? Kinder, die noch nicht alle Werte und Normen internalisiert haben. Kinder, die durch Bilder, aber auch eventuell durch persönliche Erfahrungen innerhalb der Familie oder im Bekanntenkreis, mit dem Tod bereits in Kontakt getreten sind.

Werden die kindlichen Fragen nach Leben und Tod, nach Schmerz und Leid innerhalb der Gesellschaft beantwortet? Oder erfolgt seitens der Institutionen Familie und Schule, ganz im Sinne ihrer Funktion, als „Hüter der Gesellschaft für die Integration des Kindes in das soziale System“[3] zu agieren, keine ausreichende Aufklärung über diesen Prozess? Wird das Kind schon in frühen Jahren dahingehend sozialisiert, dass der Tod ein Tabu darstellt?

Durch die unterschiedlichsten Einflüsse, wie der Reformpädagogik oder der öffentlichen Moral, versucht man immer wieder, das Kind von allem Schrecklichen und Schmerzhaften fernzuhalten.

Ganz im Sinne des Grundthemas des Seminars, ‚Wahrnehmung und Kommunikation’, soll in dieser Hausarbeit geprüft werden, wie das Kind zunächst das Thema Tod selbst wahrnimmt, es sollen aber auch die gesellschaftliche Reaktion darauf dargestellt werden.

Anhand der Resultate einer persönlich konzipierten Studie soll aufgezeigt werden, wie das Kind, als integraler Bestandteil unserer Gesellschaft, dem Thema begegnet.

Dahingehend soll auch auf den Kommunikationsaspekt eingegangen werden. Die Wahrnehmung ist immer mit dem Wunsch nach Dialogen verbunden. Wird der Durst des Kindes, über den Tod zu sprechen, gestillt? Wenn ja, wie und in welcher Institution erfolgt das?

Inwiefern spiegelt sich außerdem in einer zunehmend säkularisierten Welt das Gewicht der etablierten Kirchen wider? Wird das Kind auch heute noch durch Religion geprägt?

Anhand der Ergebnisse möchte ich einen gewissen Einblick über die derzeitige Situation verschaffen.

Der dritte Teil dieser Hauarbeit soll im Kontrast dazu eine andere kulturelle Sicht aufzeigen: Den buddhistisch- geprägten Begriff des Sterbens. Dabei wird es primär um das Werk ‚Die Insel des JETZT im Strom der Zeit’ von Chögyam Trungpa und seine moderne Interpretation des im vierzehnten Jahrhundert geschriebenen ‚Totenbuch der Tibeter’ gehen.

Folgendes Zitat des Verfassers steht symbolisch für die Gesamtthematik dieser Hausarbeit: „Es scheint, dass die Menschen in der tibetanischen Kultur den Tod nicht als besonders unangenehme oder schwierige Situation ansehen, aber hier im Westen fällt es uns oft sehr schwer, damit umzugehen. Niemand sagt uns die letzte Wahrheit[4].“

2. „Der Tod in unserer Gesellschaft“ – Eine Umfrage unter Menschen

2.1. Grundlegende Informationen über die Studie

2.1.1 Soziokulturelle und personale Bedingungen der Befragten

Es wurden insgesamt 61 Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis fünfzehn Jahren befragt, die aus der mittelgroßen Voreifel- Kreisstadt Euskirchen und aus seinem noch teilweise ländlich und katholisch geprägten Umland stammen.

Jene Befragung erfolgte in Kooperation mit einer örtlichen Grundschule[5], einer Körperbehindertenschule[6] und einem ortsansässigen Sportverein[7]. Institutionen also, die das Leben des jungen Menschen entscheidend prägen und in denen wichtige Interaktionsprozesse stattfinden.

Die Schüler selbst leben zur Zeit in den unterschiedlichsten Familienstrukturen und repräsentieren darüber hinaus verschiedene soziale Schichten: Sowohl Kinder aus wohlsituierten, als auch aus relativ mittellosen Familien waren darunter, sowie Kinder, deren Eltern in erster, aber auch in zweiter Ehe leben oder alleinerziehend sind.

Was den ethnische Hintergrund angeht, so ist zu sagen, dass neben der Mehrzahl der deutschen Kinder, auch Kinder teilnahmen, deren Eltern ursprünglich aus Russland, China oder der Türkei stammen. Der Umstand der Multi-Kulturalität, ein spezifisches Merkmal der deutschen Gesellschaft, beeinflusste somit auch diese Befragung.

Konfessionell gesehen nahmen passend zu den unterschiedlichen Wurzeln an der Befragung Christen und Muslime teil. Außerdem war ein Buddhist darunter. Die Mehrzahl der Kinder waren jedoch römisch-katholisch.

Mit diesen Merkmalen als Grundlage, stellen die befragten Schülerinnen und Schüler eine durchaus repräsentative Gruppe unserer Gesellschaft dar, anhand derer man Schlüsse auf das Gesamtkonstrukt ziehen kann.

2.1.2 Spezielle Organisations- und Rahmenbedingungen der Befragung

Zunächst muss erwähnt werden, dass die Lehrkräfte der Grundschule den Fragebogen als Einstieg in eine Unterrichtseinheit nutzten und vor der Beantwortung ein allgemeines Gruppengespräch veranstaltete, um die Kinder auf dieses sensible Thema einzustimmen. In Folgegesprächen stellte sich bereits heraus, dass einige Kinder sich dagegen sträubten, an den Unterhaltungen teilzunehmen. Ein achtjähriges Mädchen sagte nach Aussagen der Klassenlehrerin, dass ihre Mutter ihr gesagt habe, man spreche nicht über den Tod.

Aufgrund solcher möglich unerwarteten Reaktionen wurde im Zusammenhang mit der Befragung Wert darauf gelegt, dass jede beteiligte Person an dem Interview freiwillig teilnehmen durfte. Es sollte ihr jederzeit Gelegenheit gegeben werden, aufzuhören bzw. sich der Beantwortung bestimmter Fragestellungen zu enthalten.

Die Bearbeitung selbst erfolgte jeweils individuell und in ruhiger Atmosphäre. Dabei konnte sich die oder der Befragte jederzeit mit Fragen, Anregungen oder Wünschen an den beistehenden, pädagogisch ausgebildeten Erwachsenen wenden.. Andererseits sollte gegebenenfalls dem Wunsch des beteiligten Kindes, in Ruhe arbeiten zu dürfen, stattgegeben werden.

Bei den Schülerinnen und Schüler der Körperbehindertenschule wurde der Fragenkatalog in eine bereits begonnene Unterrichtsreihe eingebaut, welche durch einen Todesfall innerhalb der Klassengemeinschaft und das Buch ‚Ruf mich an, wenn die Engel kommen!’[8] von Elke Andersen angeregt wurde.

Bei einem solch seriösen Thema sollte die Individualität jeder Person und ihr persönliches Umgehen damit akzeptiert werden. Dies war ein Grundprinzip, das bei der Befragung stets beachtet werden sollte.

2.2 Der Fragenkatalog

Um Aussagen über den Umgang des Kindes mit dieser, die Existenz und den Geist des Menschen stark beeinflussende Thematik machen zu können, wäre es zu einfach erschienen, lediglich Fragen zu formulieren, die mit ‚Ja’ oder ‚Nein’ beantwortet hätten werden müssen. Daher wurde der Fragebogen so konzipiert, dass ebenfalls Raum für Reflexionen gelassen wurde. Es wurden also neben Entscheidungsfragen auch Fragen gestellt, auf die Kinder selbstständig und kreativ antworten konnten. Nur das vorherige eigenständige Nachdenken stellt die Grundlage dafür, spätere kollektive Gespräche anzuregen und führen zu können.

2.3 Darstellung und Interpretation der gegebenen Antworten

2.3.1 Was verbindet das Kind mit dem Tod?

Die erste Frage lud zu einer Art Brainstorming ein, da das Kind seine persönlichen Assoziationen mit dem Tod äußern konnte. Als Erstreaktion darauf ist eine gewisse Ratlosigkeit herauszustellen, die zunächst bei geradezu allen Befragten anherrschte. Nach langen Überlegungsphasen begannen die Kinder jedoch zu schreiben. Lediglich ein Mädchen enthielt sich letztendlich völlig, zwei weitere Kinder gaben an, rein gar nichts mit diesem Begriff zu verbinden.

Die gegebenen Antworten unterscheiden sich sowohl inhaltlich, als auch vom Umfang stark voneinander. Es ist auffällig, dass die älteren Kinder ihre Gedanken zumeist in vollständigen und umfangreichen Sätzen formulierten, wobei die Grundschüler verstärkt einzelne Schlagworte aufschrieben.

Eine Mehrzahl der Befragten (20,75%) empfindet ein Gefühl der Trauer, wenn sie an den Tod denkt. Eine weiterhin hohe Zahl (15,09%) schrieb Schlagworte wie ‚Grausamkeit’ auf oder bezeichnete den Tod als ‚schrecklich’.

Im Gegensatz dazu wurde von einigen Kindern (13,21%) allerdings auch ‚das Leben danach’ als Verbindungselement genannt, wobei nicht hervorging, ob der Gedanke daran für sie mit positiven oder negativen Konnotationen verbunden ist.

Darüber hinaus gab eine kleinere Anzahl der Befragten (9,43%) an, an den Verlust von ihnen nahestehenden Personen oder eines Haustieres zu denken. Außerdem kamen bei der Beantwortung der Frage einzelne symbolhafte Begriffe wie ‚Sarg’, ‚Friedhof’, aber auch ‚Erlösung’ oder ‚Schlaf’ zu Tage.

Insgesamt ist als Resumée festzuhalten, dass Negativ- Emotionen bei den Antworten jedoch dominierten. Ein mögliches Zeichen dafür, dass das Kind schon in einem frühen Stadium mit dem Tabuthema Tod konfrontiert wird.

[...]


[1] Meyers Taschenlexikon A – Z. 6. Auflage. B.I.- Taschenbuchverlag. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 2002. S. 698.

[2] Bohm, David: Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Aus dem Englischen von Anke Grube. Klett-Cotta, 1998. S.52f.

[3] Meulemann, Heiner: Soziologie von Anfang an. Westdeutscher Verlag Wiesbaden, 2001. S. 240f.

[4] Das Totenbuch der Tibeter/hrsg. Von Francesca Fremantle und Chögyam Trungpa. Übers. Von Stephan Schumacher. – Sonderausgabe. Diederichs Gelbe Reihe, Kreuzlingen, München: Hugendubel 2002, S. 22.

[5] GGS Wisskirchen.

[6] Körperbehindertenschule Rheinland.

[7] PSV Euskirchen, Abteilung Tischtennis.

[8] Andersen, Elke: Ruf mich an, wenn die Engel kommen! Verlag Landpresse, Weilerswist, Bad Münstereifel 2003.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der Tod als Tabuthema: Eine Institutionalisierung zugunsten des Kindes?
Hochschule
Universität zu Köln  (Erziehungswissenschaftliche Fakultät, Seminar für Soziologie)
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V25411
ISBN (eBook)
9783638280433
ISBN (Buch)
9783640858866
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die verwendeten Fragebögen sind hier nicht enthalten.
Schlagworte
Tabuthema, Eine, Institutionalisierung, Kindes
Arbeit zitieren
Berit Schmaul (Autor:in), 2004, Der Tod als Tabuthema: Eine Institutionalisierung zugunsten des Kindes?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25411

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