Zum Motiv des Selbstmordes in der Literatur des Expressionismus


Seminararbeit, 2003

18 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Aufbau
1.3. Forschungsstand

2. Selbstmord als Ausbruch
2.1. Georg Heym
2.2. „Morituri“

3. Selbstmord als Weltflucht
3.1. Carl Einstein
3.2. „Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders“

4. Selbstmord als Geburt eines neuen Menschen
4.1. Georg Kaiser
4.2. „Die Bürger von Calais“

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis
6.1. Selbständig erschienene Literatur
6.2. Unselbständige erschienene Literatur
6.3. Internetquellen

1. Einleitung

1.1. Problemstellung

Die literarische Epoche des Expressionismus (ca. 1905 - 1925) kann heutzutage aus zwei verschiedenen Sichtweisen verstanden werden. Literaturhistorisch stellt sie die Antwort auf den Naturalismus dar und kritisiert dessen Oberflächlichkeit. Die Autoren forderten nicht nur eine rein äußerliche, sondern eine innerliche, d.h. subjektive Wahrnehmung der Geschehnisse[1]. Neben der inhaltlichen Abgrenzung von den Naturalisten, wählten insbesondere die expressionistischen Lyriker einen bewusst abgehackten Stil und mieden strahlende Akkorde[2]. Die Form folgte also dem Inhalt und nicht umgekehrt.

Gesellschaftshistorisch zeigte sich der Expressionismus als Auflehnung gegen die vorherrschenden überkommenen Normen des Wilhelminischen Kaiserreiches. Viele Schriftsteller wandten sich gegen den Autoritätsanspruch ihrer Väter und begannen die wahre Entwicklung der Gesellschaft zu hinterfragen. Hieraus ergaben sich die für den Expressionismus typischen Motive, wie z.B. die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit und die damit verbundene Ich-Dissoziation oder die Bedrohung der menschlichen Gesellschaft durch die Großstadt[3].

Thema dieser Arbeit soll die Untersuchung des Selbstmordmotivs in der expressionistischen Literatur sein. Während in älteren Werken die nicht erfüllte Liebe häufig zum Freitod des Protagonisten führte (z.B. in Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“), so werden in der Literatur des Expressionismus die sozialen Gegebenheiten als Beweggrund zum Suizid deutlich. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass kaum eine andere literarische Strömung sich so sehr an Allegorien und Symbolen bedient, wie der Expressionismus. Ebenso verhält es sich mit dem Selbstmord. Eine populärwissenschaftliche Definition, die diesen als überlegte Vernichtung des eigenen Lebens[4] bezeichnet, reicht also nicht aus, um dem Verständnis für dieses Motiv näher zu kommen. In den folgenden Kapiteln möchte ich anhand von konkreten Beispielen aufzeigen, welche unterschiedlichen Bedeutungen der Freitod für die expressionistischen Autoren hatte. Wurde dieses Motiv nur um der Darstellung des Selbstmordes willen verwendet? Oder ist der Suizid vielmehr als ein Hinweis zu verstehen, der auf die eigentliche Aussage eines literarischen Werkes aufmerksamen machen soll?

1.2. Aufbau

Zur Klärung dieser Fragen möchte ich ein lyrisches, ein prosaisches sowie ein dramatisches Werk der expressionistischen Literatur untersuchen. Hierzu werde ich zu Beginn der Kapitel kurz auf den biographischen Hintergrund des jeweiligen Schriftstellers eingehen. Anschließend erfolgt eine knappe inhaltliche Vorstellung des Werkes sowie eine detaillierte Interpretation des Selbstmordmotivs.

Kapitel zwei beschäftigt sich mit Georg Heyms Gedicht „Morituri“[5]. Im Mittelpunkt steht dabei die innere Zerrissenheit eines Selbstmörders, der zum Sterben einen Platz in der Nähe der Lebenden sucht, um wenigstens in seinen letzten Minuten von den Menschen erhört zu werden.

Im dritten Kapitel werde ich Carl Einsteins Roman „Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders“[6] analysieren. Diese experimentelle Erzählung, die komplett ins Absurde abgleitet, thematisiert den Gegensatz zwischen materieller und seelischer Welt. Da kein Wunder eintritt, entscheidet sich Bebuquin seine Existenz zu beenden. Das Besondere an diesem Werk ist, wie der Protagonist sein Leben beendet. Er tut dies nicht mit einem Gewaltakt gegen sich selber, sondern mit der Aussprache eines einzigen Wortes: Aus[7].

In Kapitel vier soll schließlich das Selbstmordmotiv in Georg Kaisers Drama „Die Bürger von Calais“[8] näher betrachtet werden. Hierbei steht der Freitod Eustache de Saint-Pierres gleichzeitig für die Geburt eines neuen Menschen, der an die Moral der Gemeinschaft appelliert und für deren Weiterexistenz die Aufopferung des Einzelnen fordert.

1.3. Forschungsstand

Die Literaturauswahl zur Epoche des Expressionismus ist mittlerweile sehr umfangreich. Neben den Publikationen zu den jeweiligen Autoren[9], die in dieser Arbeit betrachtet werden, war vor allen Dingen der Band von Silvio Vietta und Hans-Georg Kemper[10] hilfreich. Hier wird ein guter Gesamtüberblick expressionistischer Literatur gegeben, der sowohl auf einzelne Schriftsteller und Werke als auch auf wichtige Motive eingeht.

Zur spezifischen Themenwahl dieser Arbeit lässt sich sagen, dass auf den Selbstmord als eigenständiges Motiv so gut wie nie eingegangen wird. Suizid findet immer nur in Verbindung mit der Ich-Dissoziation, dem Wahnsinn oder der Erneuerung des Menschen Erwähnung[11]. Dementsprechend ließ sich zu diesem konkreten Thema keine Literatur ausfindig machen.

Am Rande bleibt festzuhalten, dass trotz des großen Literaturangebots der Expressionismus noch nicht komplett aufgearbeitet ist. Dies zeigte sich insbesondere bei einem eher unbekannten Autor wie Carl Einstein, zu dem es sehr viel widersprüchliche Aussagen gibt. Dementsprechend fordert die Forschung die Gesamtmasse der Manuskripte in einer kritischen Ausgabe[12] zu veröffentlichen. In jüngerer Vergangenheit hat sich die 1984 gegründete Carl-Einstein-Gesellschaft[13] diesem Thema angenommen und mit mehreren Publikationen gewürdigt.

2. Selbstmord als Ausbruch

2.1. Georg Heym

Georg Heym wurde am 30. Oktober 1887 in Hirschberg in Niederschlesien geboren. Bereits früh litt er seelisch unter den Depressionen und dem Jähzorn seines Vaters, der als Militäranwalt dem preußischen Beamtentum angehörte und aufgrund seiner Anstellung dem Ordnungswahn verfallen war. Auch Georg Heyms Flucht in die Arme der Mutter gelingt nicht, da sie die meiste Zuwendung der an Epilepsie leidenden kleinen Schwester widmete[14]. Genauso unglücklich wie die familiäre Beziehung verläuft für ihn die Zeit in der Oberstufe. Im Neuruppiner Friedrich-Wilhelm-Gymnasium erfuhr er den harten Drill des preußischen Schulsystems und wird mit dem Selbstmord eines begabten Schülers konfrontiert. Heym machte hierfür die Schule verantwortlich und bezeichnet sie als Verderb jeden Genies[15]. Nach außen hin ließ er sich kaum etwas von seiner Depression anmerken und trug auch während des für ihn unbefriedigenden Jurastudiums diese Maske mit soviel Geschick[16] . Georg Heym ertrank am 16. Januar 1912 nachdem er und sein Freund Ernst Balcke beim Schlittschuhlaufen auf der Havel ins Eis eingebrochen waren.

[...]


[1] Vgl.: Kahler, Erich von: Einleitung. Die Bedeutung des Expressionismus, In: Rothe, Wolfgang (Hrsg.): Expressionismus als Literatur. Gesammelte Studien, Francke Verlag, Bern, 1969, S. 13f.

[2] Becher, Johannes R.: Der Dichter meidet strahlende Akkorde, In: Vietta, Silvio: Lyrik des Expressionismus, 3., unveränderte Auflage, Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1985, S. 233.

[3] Vgl.: Vietta, Silvio / Hans-Georg Kemper: Expressionismus, 5., verbesserte Auflage, Wilhelm Fink Verlag, München, 1994, S. 21ff.

[4] Paulick, Siegrun: Der Brockhaus in einem Band, 9., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, F. A. Brockhaus, Leipzig, 2000, S. 826.

[5] Vgl.: Heym, Georg: Dichtungen und Schriften. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Karl Ludwig Schneider. Band 1 Lyrik, Verlag Heinrich Ellermann, Hamburg und München, 1964, S. 668.

[6] Vgl.: Einstein, Carl: „Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders“. Prosa und Schriften 1906 – 1929, Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig und Weimar, 1989, S. 6 – 52.

[7] Ebd., S. 52.

[8] Vgl.: Kaiser, Georg: Die Bürger von Calais. Text und Kommentar, C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2002.

[9] Vgl.: Schünemann, Peter: Georg Heym, 2., unveränderte Auflage, Morgenbuch Verlag, Berlin, 1993; Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur, Heft 95, 1987; Fivian, Eric Albert: Georg Kaiser und seine Stellung im Expressionismus, Verlag Kurt Desch, München, 1947.

[10] Vietta, Silvio / Hans-Georg Kemper: Expressionismus, 5., verbesserte Auflage, Wilhelm Fink Verlag, München, 1994.

[11] Vgl.: Ebd., S. 182 – 185.

[12] Heißenbüttel, Helmut: Auskunft über Carl Einstein, In: Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur, Heft 95, 1987, S. 8.

[13] Carl-Einstein-Gesellschaft/Société-Carl-Einstein e.V., http://www.carleinstein.de/Index2.htm (15.09.2003).

[14] Vgl.: Schünemann, Peter: Georg Heym, 2., unveränderte Auflage, Morgenbuch Verlag, Berlin, 1993, S. 14ff.

[15] Heym, Georg: Dichtungen und Schriften. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Karl Ludwig Schneider. Band 3 Tagebücher Träume Briefe, 3., durchgesehene Auflage, Verlag C.H. Beck, München, 1986, S. 15.

[16] Ebd., S. 138.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Zum Motiv des Selbstmordes in der Literatur des Expressionismus
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Germanistik)
Veranstaltung
Proseminar: Expressionismus
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V25555
ISBN (eBook)
9783638281409
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Motiv, Selbstmordes, Literatur, Expressionismus, Proseminar, Expressionismus
Arbeit zitieren
Michael Münch (Autor:in), 2003, Zum Motiv des Selbstmordes in der Literatur des Expressionismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25555

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