Nur wenige Texte des „Jahrhunderts der Aufklärung“ haben das politische Bewusstsein
der Nachgeborenen so wirkungsmächtig und anhaltend geprägt wie
das Kapitel De la Constitution d’Angleterre aus Montesquieus staatsphilosophischem
Hauptwerk De l’Esprit des lois. Während die dort entworfene Kombination
von Mischverfassung und Machtverteilung ihrem Autor schon recht bald
zu unsterblichem Ruhm verhalf, entdeckte erst die Forschung der letzten vier
Jahrzehnte in ihm wieder jenen „Combattant de la liberté“ (Goyard-Fabre), als
der er sich selbst zeitlebens verstand.1
Es gibt wohl kaum ein Wort, dem man mehr unterschiedliche Bedeutungen
gegeben hätte als dem Wort Freiheit, schreibt Montesquieu im XI. Buch seines
De l’Esprit des lois. So erblickten einige in ihr etwa die Leichtigkeit, mit der sie
jemand, dem sie eine tyrannische Macht verliehen hatten, wieder absetzen
konnten. Andere betrachteten sie dagegen als die Befugnis, denjenigen auszuwählen,
dem sie gehorchen mussten. Wieder andere hielten sie für das
Recht, Waffen zu tragen und Gewalttaten begehen zu können. Manche verstanden
darunter das Recht, sich nur von einem Mann aus ihrer Nation und
nach ihren Gesetzen regieren zu lassen. Ein gewisses Volk – gemeint sind
wohl die Russen unter Zar Peter I. – habe wiederum lange angenommen, der
Brauch, einen langen Bart tragen zu dürfen, sei die Freiheit. Und schließlich
hat ein jeder die seinen Gewohnheiten oder Neigungen entsprechende Regierung
Freiheit geheißen.2 In deutlicher Abgrenzung zu dieser Vielfalt formulierte
der Franzose erstmals einen genuin politischen Freiheitsbegriff, den es
auf den folgenden Seiten zunächst vorzustellen [Teil I] und anschließend zu
kontextualisieren [Teil II] gilt. [...]
1 Vgl. FETSCHER, Iring : Politisches Denken im Frankreich des 18. Jahrhunderts vor der Revolution,
in: DERS. / Herfried MÜNKLER (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. III : Von
den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München 1985, S. 441, und GOYARD-FABRE, Simone
: Montesquieu. La nature, les lois, la liberté, Paris 1993, S. 148.
2 MONTESQUIEU, Charles de : Vom Geist der Gesetze (EL XI 2). Auswahl, Übersetzung und
Einleitung von Kurt WEIGAND, Stuttgart 1994, S. 213f.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Der Präsident als Perser
- 2. Willensfreiheit und liberté politique
- 3. Montesquieus politischer Freiheitsbegriff
- 3.1. Liberté de la constitution
- 3.2. Liberté du citoyen
- 4. Bürgerliche Freiheit im Wirtschaftsleben
- 5. Esprit général contra liberté politique?
- 5.1. Montesquieu zur Sklavenfrage
- 5.2. Die Politik ist eine stumpfe Feile ...
- 6. Montesquieu und die Philosophes
- 6.1. Voltaire
- 6.2. Die Enzyklopädisten
- 6.3. Jean-Jacques Rousseau
- 7. Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Montesquieus politischem Freiheitsbegriff. Sie untersucht dessen Entstehung und Entwicklung, indem sie ihn von der philosophischen Freiheit abgrenzt und anschließend im Kontext der Machtverteilung, der Mischverfassung, des Straf- und Steuerrechts sowie der Handelsgesetzgebung analysiert. Zudem werden die komplexen Beziehungen zwischen dem esprit général d'une nation und dem Grad der politischen Freiheit beleuchtet. Abschließend erfolgt eine Einordnung des Montesquieu'schen Freiheitsbegriffes in den geistesgeschichtlichen Kontext.
- Montesquieus Freiheitsbegriff im Vergleich zur philosophischen Freiheit
- Der Einfluss der Machtverteilung und Mischverfassung auf die Freiheit
- Die Bedeutung von Straf- und Steuerrecht sowie der Handelsgesetzgebung für die bürgerliche Freiheit
- Die Wechselwirkungen zwischen dem esprit général und der politischen Freiheit
- Einordnung des Montesquieu'schen Freiheitsbegriffes in den Kontext der Aufklärung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und beleuchtet die Bedeutung von Montesquieus Werk De l'Esprit des lois für das politische Bewusstsein der Nachgeborenen. Sie stellt außerdem fest, dass Montesquieu in seinen Schriften einen genuin politischen Freiheitsbegriff formuliert, der von verschiedenen anderen Freiheitsauffassungen abgegrenzt werden muss.
Kapitel 1 zeichnet ein Bild von Montesquieu als Präsident des Parlaments in Bordeaux und verweist auf seine frühen politischen Ansichten. Der Abschnitt beleuchtet seine Kritik am absoluten Herrschaftsanspruch der französischen Könige und seine Hinwendung zu einer aufgeklärten Regierungsform.
Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Unterscheidung zwischen der philosophischen Freiheit (liberté pure) und Montesquieus politischem Freiheitsbegriff (liberté politique). Es wird hervorgehoben, dass Montesquieu Freiheit nicht nur als Abwesenheit von Zwang versteht, sondern auch als Möglichkeit zur aktiven Teilnahme am politischen Leben.
Schlüsselwörter
Montesquieu, Freiheitsbegriff, Liberté politique, Machtverteilung, Mischverfassung, Strafrecht, Steuerrecht, Handelsgesetzgebung, Esprit général, Aufklärung.
- Quote paper
- Arndt Schreiber (Author), 2004, Montesquieus politischer Freiheitsbegriff, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25619