Expertenmodell von Emil Schumacher - Entwicklung eines künstlerischen Expertenmodells am Beispiel von Emil Schumacher


Examensarbeit, 2004

64 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsanliegen und Fragestellung

3. Forschungsstand
3.1 Das Allgemeine vor dem Besonderen
3.2 Theorie zum Ablauf von Gestaltungsprozessen

4. Vorgehensweise
4.1 Kommunikationsgeschehen im Fokus der Untersuchung
4.1.1 Aussagen, Werk und Wissenschaft
4.1.2 Authentizität von Kommunikationsinhalten
4.1.3 Einschränkung bestehender Quellen
4.2 Qualitative Forschung
4.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
4.2.2 Vorgehensweise qualitativer Inhaltsanalyse mit induktiver Kategorienbildung
4.2.3 Computergestützte Analyse qualitativer Daten
4.2.4 Transkription

5. Expertenmodell von Emil Schumacher
5.1 Expertenmodell und Prozess
5.1.1 Definition künstlerische Prozesse
5.1.2 Beschränkung von Expertenmodellen
5.2 Das Informel
5.2.1 Der Künstler im Kontext der Kunst nach 1945
5.2.2 Autonomes Werk
5.3 Emotionen im Prozess
5.4 Die Vorphase
5.4.1 Inspirationserlebnisse durch die Umwelt
5.4.2 Gestaltung der Wohn- und Ateliersituation
5.5 Die Einstiegsphase
5.5.1 Unruhe und Zweifel
5.5.2 Entwurf, Skizze und Modell
5.5.3 Mentale Konstruktion und der Dialog mit den Mitteln
5.5.4 Beginn auf der Materialebene
5.5.4.1 Aufforderungscharakter des Werkträgers
5.5.4.2 Aufforderungscharakter des Mediums der Farbe
5.5.4.3 Malwerkzeuge
5.6 Die Arbeitsphase
5.6.1 Ausdrucksmittel von Farbe und Linie
5.6.1.1 Farbe und Materie
5.6.1.2 Linie und Form
5.6.1.3 Zeit und Geste
5.6.2 Abkehr vom Bildzentrum
5.6.3 Herstellung eines Bildganzen
5.6.4 Künstlerischer Prozess als Problemlöse-Prozess
5.6.5 Stör-Strategien gegen alles Programmatische
5.6.5.1 Spontaneität
5.6.5.2 Provozierter Zufall
5.6.5.3 Einschmuggeln von Fundstücken
5.6.5.4 Destruktion
5.6.5.5 Aggression
5.6.5.6 Zustand der Übermüdung
5.7 Die Bewertungsphase
5.7.1 Beurteilungsphasen
5.7.2 Erreichen des Zielzustandes
5.7.3 Akt der Taufe

6 Literaturverzeichnis

7. Schema- und Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

Ungegenständliche Kunst, wie die Informelle Malerei, löst auch noch heute bei vielen Menschen die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Diese reichen von spontaner Begeisterung, über verständnisloses Kopfschütteln, bis hin zur strikten Ablehnung. Dies zeigt, dass zu bestimmten Richtungen der Kunst, trotz ihrem Einzug in die Kunstgeschichte, immer noch ein gespaltenes Verhältnis und eine gewisse Sprachlosigkeit besteht.

„Nach Reinhard Pfennig erfolgt Lernen im Kunstunterricht durch Machen, Sehen und Sagen.“[1] Aber dies scheint gerade im Bereich der nicht an Gegenständen gebundenen Kunst gar nicht so einfach zu sein. Wie können daher Unterrichtssituationen geschaffen werden in dem Schüler Erfahrungen mit und an ungegenständlicher Kunst machen können? Eine Aufgabe die, wenn es darum geht Schülern ähnliche Prozesse wie der von Künstlern zu ermöglichen, nicht einfach zu lösen und zu beantworten ist.

Da verwundert es nicht, dass sich viele Lehrende zu Recht vor dem Formlosen scheuen. So „(…) fürchten viele Kunstpädagogen in der eigenen Praxis die Gefahr der Beliebigkeit und Zufallskunst sowie deren Überbewertung oder Fehlinterpretation“[2]. Darum wird der ungegenständlichen Kunst immer noch sehr wenig Raum im Unterrichtsgeschehen zugebilligt. Ist es daher überhaupt sinnvoll Schüler und Schülerinnen mit derartigen Kunstströmungen, wie der des Informel überhaupt zu konfrontieren?

Ich denke ja. Der institutionelle Ort des Kunstunterrichtes ist für Kinder und Jugendliche oftmals die erste Begegnungsstätte mit abstrakter und ungegenständlicher Kunst, manchmal bleibt sie leider auch die Einzige. Zweifel, ob Kinder und Jugendliche mit dem Formlosen konfrontiert werden sollten, kommen daher aus einem gewissen Ohnmachtmachtsgefühl Kindern und Jugendlichen authentische Prozesse in diesem Bereich zu ermöglichen. Gelingt einem dies nicht, so besteht in der Tat die Gefahr dass Schülerarbeiten zur Zufallskunst degenerieren und sich im Bereich der Willkür auflösen. Gelingt es jedoch Prozesse anzuzetteln, können Schüler grundlegend neue und wertvolle Erfahrungen machen.

2. Forschungsanliegen und Fragestellung

Meine Grundthese ist, dass zwischen Prozessen von Künstlern und denen von Schülern eigentlich enge Beziehungen bestehen. Die Probleme, welche sich im Prozessverlauf von Künstlern zeigen, treten in ähnlicher Weise auch bei Kindern und Jugendlichen auf. Auf beiden Seiten begegnet man im Prozess auf Freude, aber auch den schwer durchzuhaltenden Krisen. Im Gegensatz zum Schüler verfügt der Experte über ein reiches Kompetenz- und Strategienreservoir, welches er auch gezielt einzusetzen vermag. Wo der Novizenprozess gewöhnlich ins Stocken gerät, dem setzt der Experte in vergleichbaren Situationen seinen Fundus aus jahrelanger Erfahrung entgegen. Daher stellt sich die Frage, wie und ob Erkenntnisse aus Expertenprozessen auf die Ebene der Schüler überführt werden können. „Darin steckt die pädagogische Absicht, Lernende mit Plänen, Fähigkeiten und Fertigkeiten (…)“[3] auszustatten, um diesen ähnliche Erfahrungen und Prozesse wie denen von Experten zu ermöglichen.

Wie gestaltet sich aber überhaupt der Prozessverlauf eines Künstlers? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. „Wegen der Komplexität ist es tatsächlich schwierig künstlerische Prozesse zu analysieren.“[4]

Im ersten Teil dieser Arbeit, versuche ich, dem Phänomen von künstlerischen Prozessen auf die Spur zu kommen und daraufhin ein Expertenmodell zu entwickeln. Als Experte dient mir hier der deutsche Informelle Emil Schumacher.

Dies erfolgt mit der Absicht die genaue Vorgehensweise von Experten zu beleuchten, welche über eine große Bandbreite von Möglichkeiten verfügen, Prozesse einzuleiten, am Laufen zu halten und diese auch zu einem Ende zu bringen. Im zweiten Teil dieser Arbeit werden dann Überlegungen angestellt, wie und in welcher Form, ein solches Expertenmodell für einen prozessorientierten Unterricht fruchtbar gemacht werden kann. Damit verfolge ich das schwierige Anliegen, dass Kunstunterricht mehr erreichen kann, anstatt nur künstlerisch gefärbte Produkte hervorzubringen und stattdessen Schülern Prozesse zu ermöglichen, welche über eine bloße Werkerstellung hinausgehen.

3. Forschungsstand

3.1 Das Allgemeine vor dem Besonderen

Der bisherige Fokus der Kunstwissenschaft lag vor allem auf dem entstandenen Werk, seiner Wirkung auf den Betrachter, dem historischen Kontext seiner Entstehung und der Konzeption des Künstlers. Der künstlerische Schaffensprozess, welcher zwischen dem Inspirationserlebnis und dem vollendetem Kunstwerk steht, blieb hingegen fast gänzlich im Verborgenen. Gebräuchliche Redewendungen wie »von der Muse geküsst werden«, »Phantasie« oder »der Inspiration folgen« reichen aber bei weitem nicht aus, um die Genese eines Kunstwerkes zu erklären und damit einen Prozessverlauf nachzuspüren oder gar nachzuvollziehen.

Das sich auf der Betrachterebene präsentierende Werk ist in erster Linie ein visuelles Phänomen. Der Künstler, welcher aber einen künstlerischen Prozess vollzogen hat, ist dabei nicht mehr vorhanden.

Zwar lassen sich in der Regel durchaus die Materialbeschaffenheit und die angewandten Techniken benennen und auch nachvollziehen; der spezifische Schaffensverlauf, welcher zum Werk führte wird indessen wenig beleuchtet. Weitere Quellen, welche einen tieferen Einblick in die Werkgenese geben könnten, wurden meist mehr als schmückendes Beiwerk betrachtet, waren aber nur gering im Interesse einer systematischen Untersuchung.

Zwar bieten Psychologie, Philosophie, Kreativitätsforschung ( Vgl. hierzu 3.2 ) und Kunstwissenschaft Erklärungen für das Phänomen »künstlerischer Prozess« an, diese zielen aber vor allem auf das Allgemeine und nicht auf das Besondere.

Expertenmodelle von künstlerischen Prozessen von einzelnen Künstlern gibt es daher meines Wissens nicht. Allgemeingültige Kreativitätsmodelle reichen aber meiner Ansicht keinesfalls aus, um die Werke und Vorgehensweisen einzelner Künstler zu erklären. Schaffensakte sind zu verschieden, als dass man diese in verallgemeinerte Formeln verkürzen und subsumieren kann. Verallgemeinerte Prozesstheorien helfen durchaus, den künstlerischen Prozess in seinem Grundwesen zu verstehen, werden aber den einzelnen Ich-Theorien von Künstlern leider nicht gerecht da das Besondere, was diese künstlerischen Prozesse gerade ausmacht und auszeichnet, kaum Berücksichtigung findet.

„Der künstlerische Schaffensprozess stellt daher immer noch ein diffuses kunstwissenschaftliches Problem dar.“[5] Erst langsam geraten die individuellen Ich-Theorien von Künstlern in den Blickpunkt des Interesses, um einen spezifischeren Einblick in jene Vorgänge zu gewinnen, welche sich innerhalb der Werkgenese ereignen.

Derzeit bemüht sich vor allem der Graduiertenkolleg der UDK Berlin[6] in einem interdisziplinären Forschungsvorhaben künstlerischen Prozessen auf die Spur zu kommen. Aber auch diese verbleiben im Moment auf Ergebnisse, welche den Blick auf die Werkgenese einzelner Künstler lediglich bruchstückhaft beleuchten.

3.2 Theorie zum Ablauf von Gestaltungsprozessen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Das 4-Phasen-Modell ist ein Mischmodell, das heißt, die Phasen laufen nicht nacheinander ab, so dass automatisch nach Abschluss einer Phase die nächste Phase beginnt. Sie treten daher nie in Reinkultur und in der Folge auf, sondern wiederholen sich, überschneiden sich, bis der Prozess ein Ende findet.“[7] Die Theorie versucht den Ablauf von Gestaltungsprozessen darzulegen und in verschiedene Phasen zu gliedern, kann aber individuelle Prozessen nicht ausreichend beleuchten.

- Präparationsphase

Am Anfang dieser Phase steht ein Problem. Die Präparationsphase dient der Aufnahme und dem Sammeln von Informationen zur Problemfindung.

- Inkubationsphase

„Die Phase, in der man sich nicht mehr bewusst mit einem Problem beschäftigt, sondern scheinbar abschaltet, wird Inkubationsphase genannt (…).“[8] Die Lösung >>gärt<< im Unbewussten der Person heran.

- Illuminationsphase

Man hat eine Lösung gefunden! „Weil Einfälle vom Individuum oft als eine blitzartige Erleuchtung erlebt werden, nennt man diese Stufe auch Illumination. Andere charakteristische Bezeichnungen für diesen Vorgang sind Einsicht, Aha-Erlebnis oder Heureka-Erlebnis.“[9] Die Lösungen fallen meist dann ein, wenn über das Problem nicht mehr bewusst nachgedacht wird. „Diese Erlebnisse erscheinen daher auch oft überraschend, zufällig oder gar durch eine äußere Inspiration kommend.“[10]

- Verifikationsphase

„In der Verifikationsphase stellt sich heraus ob die in der Illuminationsphase gefundenen Erlebnisse wirklich eine erstrebte und mögliche Lösung des Problems darstellen. Stellt sich diese als nicht zufrieden stellend heraus, kann das eine erneute Inkubationsphase notwendig machen.“[11]

4. Vorgehensweise

4.1 Kommunikationsinhalte im Fokus der Untersuchung

4.1.1 Aussagen, Werk und Wissenschaft

Der Betrachter wird in der Regel nur mit dem fertig gestellten Kunstwerk konfrontiert. In das Geschehen, welches dem Kunstwerk vorausging, erhält er aber indessen kaum Einblick. Um einem künstlerischen Prozess nachzuspüren ist es daher notwendig, die visuelle Ebene des Kunstwerks zu verlassen und weitere Quellen, welche den Schöpfungsakt beschreiben, aufzuspüren und zu nützen. Dies macht Kunstwerk und Kunstwissenschaften keineswegs überflüssig, dennoch bedarf es einer Erweiterung derartiger Quellen.

Diese liegen vor allem im Bereich der Kommunikation. Daher geraten neben dem Kunstwerk, welches am Ende eines Prozesses steht, vor allem Künstlerschriften und Aussagen des jeweiligen Künstlers in den Fokus des Interesses, um ein tieferes Verständnis in den Schaffensprozess zu gewinnen.

4.1.2 Authentizität von Kommunikationsinhalten

„Künstler fördern gern den Mythos der Inspiration, der mysteriösen Eingebung oder des göttlichen Funkens.“[12] Aus diesem Grund müssen Künstleräußerungen stets kritisch geprüft werden und dürfen nicht ohne jegliche Vorbehalte gesehen werden. Des Weiteren muss man beachten, dass es sich bei künstlerischen Prozessen um sehr sensible und intime Vorgänge handelt. So darf es keineswegs verwundern, wenn Künstler der Öffentlichkeit einen Einblick in diese Privatsphäre gerne verwehren und stattdessen auf andere, das Werk betreffende Aspekte, ausweichen. Hier geraten unweigerlich Fragen nach der Authentizität der Kommunikationsinhalte in den Vordergrund. Äußert sich der Künstler zu verschiedenen Zeitpunkten kontrovers zu seinem Werk? Revidiert oder berichtigt der Künstler bestimmte Aussagen? Lässt sich der Künstler von Tendenzen in der Kunst beeindrucken und adaptiert diese für sein eigenes Werk? Werden bestimmte Fragestellungen in Interviewsituationen bewusst umgangen?

Die größte Schwierigkeit erachte ich darin, dass es auch Künstlern schwer fallen dürfte, ihren eigenen Prozessverlauf zu beschreiben und damit ihr Tun in Form von Sprache für andere nach außen zu tragen. Künstlerische Prozesse sind nicht nur auf äußere Handlungen beschränkt, sondern vollziehen sich vor allem im Innern des Künstlers. „Die Schwierigkeit liegt in der verbalen Umsetzung dessen, was im gewöhnlich ablaufenden Gestaltungsprozess ohne begriffliche Benennung bleibt (…).“[13]

Aber auch Erkenntnisse wie Kommunikationsinhalte überhaupt zustande kommen bedürfen der Aufmerksamkeit. Denn auch zwischen der gestellten Frage und der darauf folgenden Antwort vollzieht sich ein komplexer und nicht sichtbarer Prozess.

Atteslander lieferte folgendes Modell über das Geschehen, welches zwischen der Frage und der Antwort steht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Verarbeitung der gestellten Frage vollzieht sich auf kognitiver, emotionaler und rationaler Ebene.

Durch diese Verarbeitung kann eine Antwort auch nie rein objektiver Natur sein. Vor allem die Phase des Urteilens ist problematisch, da hier nochmals abgewogen wird, was, wie viel und in welcher Form ein Inhalt als Antwort preisgegeben wird.

Auch Persönlichkeit des Interviewers, die emotionale Befindlichkeit des Interviewten, wie auch die jeweilige Art und Form der Fragestellung spielen eine nicht unbeteiligte Rolle und können sich positiv, wie negativ auf die Antworten des Befragten auswirken.

Meine Einschätzung der Person Emil Schumacher ist, dass diese als sehr authentisch betrachtet werden kann.

Sein Gesamtwerk reifte stetig und nachvollziehbar heran. Es gab weder nicht nachvollziehbare Sprünge im Werk, noch widersprüchliche Positionierungen des eigenen künstlerischen Standpunktes.

Natürlich ist ein Gesamtwerk über die Jahrzehnte einer Entwicklung und dadurch auch einem gewissen Wandel unterworfen, dieser bleibt aber nachvollziehbar. „Er vermied bewusst eine offene Haltung gegenüber künstlerischen Einflüssen. Sein Bezugpunkt war stets das Bild vor ihm und nicht die Entwicklung um ihn.“[14]

Betrachtet man den Menschen Emil Schumacher genauer, fällt einem auf, dass es dem Künstler nie um eine übertriebene Selbstdarstellung ging, daher lag es ihm nicht nahe einen Mythos um seine Person aufzubauen. Die Person Emil Schumacher wird dadurch im Gegensatz zu zeitgenössischen »Malerfürsten« nah- und fassbar. Dadurch müssen auch nicht erst Fassaden der Selbstdarstellung und des Selbstschutzes abgetragen werden, um an den Kern der eigentlichen Aussagen zu gelangen. Das Werk stand für Schumacher stets im Vordergrund und er dahinter.

4.1.3 Einschränkung bestehender Quellen

Sofern keine eigenen Datenerhebungen vorgenommen werden, ist man bei einer Untersuchung immer auf den verfügbaren Bestand von Kommunikationsinhalten beschränkt. So verfügen die Daten nicht immer über den Inhalt der für die eigene Fragestellung relevant und brauchbar wäre. Während man bei eigenen Datenerhebungen unklare Gebiete durch weitere Befragung ergänzen kann, ist dies bei der Auswertung von bereits erhobenen Kommunikationsinhalten nicht mehr möglich. Die Lücken, welche sich ergeben, müssen damit durch kritische Auswertung, Interpretation und der eigenen Prozesserfahrung gefüllt und ergänzt werden.

4.2 Qualitative Forschung

4.2.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring

Auch Quellen in Form von Kommunikationsinhalten geben ihren Inhalt nicht ohne weiteres Preis. Wichtige Textfragmente, welche einen Aufschluss über künstlerische Prozesse liefern sind oft weit zerstreut und meist auch nur in fragmentarischer Form vorhanden. Daher gilt es geeignete Auswertungsmethoden zu finden um diese Fragmente zu einem anschaulichen Ganzem zusammenfügen zu können. Auswertungsmethoden müssen dabei den Kommunikationsinhalten gerecht werden, sie dürfen den Inhalt weder verkürzen noch diesen verfälschen.

Bei der Suche nach wissenschaftlich korrekten Auswertungsmöglichkeiten gelangt man bei den Methoden der qualitativen Forschung an. Zur Auswertung der Interviews und Künstleraussagen bediene ich mich daher der Auswertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse. „Ziel der Inhaltsanalyse ist (…) die Analyse von Material, das aus irgendeiner Art von Kommunikation stammt.“[15] „Dabei wird eine mehr oder weniger subjektive Bewertung des zu analysierenden Datenmaterials vorgenommen.

Die qualitative Inhaltsanalyse konzentriert sich damit nicht auf eine Auswertung durch exakt zählbare Häufigkeiten, wie dies in der quantitativen Inhaltsanalyse geschieht.“[16]

Eine quantitative Vorgehensweise kann meiner Ansicht nach einer Untersuchung und Auswertung von Künstlerzeugnissen nicht gerecht werden. Quantitative Methoden suchen stets nach dem allgemein gültigen.

Qualitative Methoden suchen hingegen nach dem Besonderen und Einzigartigen. Quantitative Methoden suchen nach Fakten und versuchen damit Interpretation und Deutung von Inhalten möglichst zu vermeiden. Künstleraussagen bedürfen allerdings der Interpretation, da gewisse Inhalte nicht verbalisiert oder nicht verfügbar sind. Damit handelt es sich bei Künstleräußerungen um Datenmaterialien, denen quantitative Methoden nicht gerecht werden können.

Dokumenten kommt in der qualitativen Forschung besondere Bedeutung zu. Als Dokumente werden sämtliche Zeugnisse angesehen, welche als Quelle zur Erklärung von menschlichen Verhalten dienen können. Darunter fallen beispielsweise Urkunden, Schriftstücke wie auch in meinem Fall Aussagen und Interviews des Künstlers Emil Schumacher.

Der Hintergrund der qualitativen Forschung ist, dass Dokumente als Objektivierung, als Vergegenständlichung der Psyche des Urhebers angesehen werden. Die Dokumente werden in der qualitativen Inhaltsanalyse dabei einer systematischen Auswertung unterzogen. Dies geschieht mit dem Ziel, einen neuen Text zu erstellen. „Die methodisch kontrollierte Analyse von Texten unterscheidet sich prinzipiell von der Textrezeption im Alltagsleben. (…) Im Zentrum der Analyse (…) steht die systematische Textbearbeitung, d. h. eine weitgehend codifizierte Vorgehensweise, bei der es nicht nur um bloße selektive Plausibilisierung eigener Hypothesen durch entsprechend gewählte Zitate geht.“[17]

4.2.2 Vorgehensweise qualitativer Inhaltsanalyse mit induktiver Kategorienbildung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zu Beginn der Analyse erfolgen die Sichtung des zu untersuchenden Datenmaterials und die Entwicklung einer Fragestellung. Nach Festlegung von Selektionskriterien für die Kategorien erfolgt der Zeilenweise Materialdurchgang. Werden für die Fragestellung relevante Textstellen gefunden, werden für diese Textpassage Kategorien definiert.

Dabei handelt es sich dann um eine induktive Kategorienbildung. Hier wird nicht von einem bereits vorgegebenen Kategoriensystem ausgegangen. Das Kategoriensystem wird aus dem vorliegenden und zu analysierenden Material heraus erst entwickelt und formuliert werden. „Diese Kategorien müssen aber erst erarbeitet werden, müssen am Material ausprobiert werden.“[18]

Dieses Vorgehen ermöglicht es sich nicht vorzeitig in eine bestimmte Richtung der Auswertung festzulegen.

„Kategorien sind Operationalisierungen eines theoretischen Konstruktes durch Suchbegriffe.“[19] Wichtige Textpassagen werden aufgrund ihres Inhaltes und ihrer Aussage entsprechenden Kategorien zugewiesen. „Kategorien bedeuten dabei nichts anderes als eine Bezeichnung, die vom Bearbeiter der Texte definiert worden sind, also ein Wort oder eine Wortkombination, die nicht notwendigerweise auch im Text zu finden sein muss.“[20] Aus den Einzelkategorien wird ein so genanntes Kategoriensystem[21] entwickelt, das heißt durch Subsumption[22] werden Kategorien unter andere Kategorien geordnet und dadurch in Beziehung gesetzt. Ein solches Kategoriensystem mit der Bezeichnung Baum könnte damit Unterkategorien wie Nadelbäume oder Laubbäume und wiederum weitere Subkategorien wie Ahorn, Buche, Eiche sowie Tanne, Kiefer, usw. zusammenfassen. Kategorien können so genannte Ankerbeispiele zugewiesen werden. Ankerbeispiele sind Textstellen die ganz eindeutig unter eine bestimmte Kategorie fallen und diese damit näher beschreiben.

An diese Kategorien werden bestimmte Anforderungen gestellt.

Diese deshalb notwendig, da bei qualitativen Inhaltsanalysen meist mehrere Bearbeiter das zu untersuchende Material kodieren. Ohne gewisse Maßstäbe an das Kategoriensystem käme es daher leicht zu Missverständnissen und somit wiederum zu Fehlern in der Analyse.

„Die Kategorien sollten daher vollständig, theoretisch begründet, voneinander unabhängig, einheitlich gestaltet und nicht mehrdeutig sein sowie sich auch gegenseitig ausschließen.“[23]

In heutzutage verwendeten QDA- Programmen, welche im Anschluss näher erläutert werden, spricht man anstatt von Kategorien von Codings, sowie statt von Kategoriensystemen von Codesystemen. Nach etwa 10% bis 50% werden die Kategorien auf ihre Zuverlässigkeit und Genauigkeit überprüft und entsprechend aktualisiert. Dies erfolgt in der formativen ( begleitenden ) Reliabilitätsprüfung. Daraufhin erfolgt der endgültige Materialdurchgang. Die Kategorien werden dabei summativ ( abschließend ) überarbeitet. Daraufhin kann die Auswertung und Interpretation der gewonnenen Auswertungen beginnen.

4.2.3 Computergestützte Analyse qualitativer Daten

In den letzten Jahren wurden diverse QDA- Computerprogramme entwickelt, um die qualitative Auswertung zu unterstützen.

Die Abkürzung QDA steht dabei für „Qualitative Data Analysis“[24]. Im Rahmen dieser Arbeit wurde die QDA- Software MaxQDA[25] verwendet.[26] QDA- Programme bieten in vielerlei Sicht Vorteile gegenüber einer manuell durchgeführten Auswertung. Mit der Verwendung von Computern wird heute auch gleichzeitig eine gewisse Automatisierung von Arbeitschritten durch die Maschine verbunden, das heißt der Computer nimmt dem Benutzer bestimmte Aufgaben ab. QDA- Programme übernehmen zeitaufwendige Aufgaben, welche ansonsten von der Person selbst zu leisten wären. Diese Unterstützung liegt aber vor allem in der Übersichtlichkeit und Archivierung. Computerprogramme unterstützen damit zwar die qualitative Arbeit mit Texten, ersetzen diese aber nicht.

[...]


[1] Vgl. Pfennig, Reinhard: Gegenwart der Bildenden Kunst, Erziehung zum Bildnerischen Denken. 4. verbesserte und erweiterte Auflage, Oldenburg: Verlag Isensee 1970, S. 151.

[2] Oswald, Martin: Informel, Annäherung an ein schwieriges Terrain im Unterricht, in: Kunst+Unterricht ( 203/1996 ), S. 49.

[3] Eiglsperger, Birgit: Differenziertes Raumwahrnehmen im plastischen Gestaltungsprozess, Eine Untersuchung des ´Cognitive-Apprenticeship-Ansatzes´ beim Modellieren eines Selbstportraits, München: Herbert Utz Verlag 2000, S. 35.

[4] Vgl. Preiser, Siegfried / Buchholz, Nicola: Kreativität, Ein Trainingsprogramm in sieben Stufen für Alltag und Beruf, Heidelberg: Roland Assanger Verlag 2000, S. 7.

[5] Vgl. Universität der Künste Berlin: Universität der Künste Berlin, http://www.udk-berlin.de/forsch/gradukolleg/programm/index.htm ( 17.01.2004 ).

[6] UDK Berlin = Universität der Künste Berlin

[7] Eiglsperger, Birgit: Differenziertes Raumwahrnehmen im plastischen Gestaltungsprozess, Eine Untersuchung des ´Cognitive-Apprenticeship-Ansatzes´ beim Modellieren eines Selbstportraits, München: Herbert Utz Verlag 2000, S. 38.

[8] Preiser, Siegfried / Buchholz, Nicola: Kreativität, Ein Trainingsprogramm in sieben Stufen für Alltag und Beruf, Heidelberg: Roland Assanger Verlag 2000, S. 141.

[9] Vgl. Preiser, Siegfried / Buchholz, Nicola: Kreativität, Ein Trainingsprogramm in sieben Stufen für Alltag und Beruf, Heidelberg: Roland Assanger Verlag 2000, S. 165.

[10] Vgl. Preiser, Siegfried / Buchholz, Nicola: Kreativität, Ein Trainingsprogramm in sieben Stufen für Alltag und Beruf, Heidelberg: Roland Assanger Verlag 2000, S. 165.

[11] Vgl. Eiglsperger, Birgit: Differenziertes Raumwahrnehmen im plastischen Gestaltungsprozess, Eine Untersuchung des ´Cognitive-Apprenticeship-Ansatzes´ beim Modellieren eines Selbstportraits, München: Herbert Utz Verlag 2000, S. 37.

[12] Vgl. Preiser, Siegfried / Buchholz, Nicola: Kreativität, Ein Trainingsprogramm in sieben Stufen für Alltag und Beruf, Heidelberg: Roland Assanger Verlag 2000, S. 7.

[13] Eiglsperger, Birgit: Differenziertes Raumwahrnehmen im plastischen Gestaltungsprozess, Eine Untersuchung des ´Cognitive-Apprenticeship-Ansatzes´ beim Modellieren eines Selbstportraits, München: Herbert Utz Verlag 2000, S. 41.

[14] Ohlsen, Nils: Ich erschaffe mir eine Welt – eine Welt, in die ich meine Zeichen setze, Zur Linie im Werk von Emil Schumacher, in : Werke aus sieben Jahrzehnten, S. 9

[15] Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse, Grundlagen und Techniken, 5. Auflage, Weinheim: Deutscher Studienverlag 1994, S. 11.

[16] Vgl. Berth, Hendrik: Inhaltsanalyse.de, http://www.inhaltsanalyse.de/inhalt/lexikon.html#q ( 10.01.2004 ).

[17] Kuckartz, Udo: Computergestützte Analyse qualitativer Daten, Eine Einführung in Methoden und Arbeitstechniken, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH 1999, S. 17.

[18] Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse, Grundlagen und Techniken, 5. Auflage. Weinheim: Deutscher Studienverlag 1994, S. 19.

[19] Vgl. Berth, Hendrik: Inhaltsanalyse.de, http://www.inhaltsanalyse.de/inhalt/lexikon.html#k ( 10.01.2004 ).

[20] Vgl. Kuckartz, Udo: Computergestützte Analyse qualitativer Daten, Eine Einführung in Methoden und Arbeitstechniken, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH 1999, S. 77

[21] Vgl. Anhang Wissenschaftliche Hausarbeit S. 31.

[22] „Die Subsumtion ist der Vorgang, bei dem man einen Begriff unter einen anderen ordnet. Das Wort stammt aus dem Lateinischen (sub, unter, und sumere, nehmen, 2. Partizip sumptum), daher ist auch die Schreibweise "Subsumption" korrekt.“ Vgl.: Berth, Hendrik: Inhaltsanalyse.de, http://www.inhaltsanalyse.de/inhalt/lexikon.html#s ( 10.01.2004 ).

[23] Berth, Hendrik: Inhaltsanalyse.de, http://www.inhaltsanalyse.de/inhalt/lexikon.html#k ( 10.01.2004 ).

[24] Kuckartz, Udo: Computergestützte Analyse qualitativer Daten, Eine Einführung in Methoden und Arbeitstechniken, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH 1999, S. 9.

[25] Vgl. Anhang Wissenschaftliche Hausarbeit S. 30.

[26] Mittlerweile befinden sich diverse QDA-Programme unterschiedlicher Qualität und Preisklassen auf dem Markt. Die derzeit führenden Programme sind ATLAS-TI und MaxQDA ( früher unter Winmax bekannt ). An der Programmierung von ATLAS-TI war Prof. Philipp Mayring, an der Erstellung von MaxQDA Prof. Dr. Udo Kuckartz beteiligt. Nach Rücksprache mit Herrn Mayring, welches der Programme für die Analyse von Künstleraussagen wohl besser geeignet sei, wurden mir beide genannten Programme gleichermaßen empfohlen. Für die Auswertung der qualitativen Daten wurde die Software MaxQDA verwendet. Weitere Ausführungen beziehen sich daher speziell auf die Software MaxQDA. Diese Software ist von der Benutzeroberfläche klarer gestaltet und dadurch auch weitaus übersichtlicher in ihrer Bedienung. Darüber hinaus ist MaxQDA momentan die einzige verfügbare QDA-Software welche in deutscher Version sowie mit deutschsprachigem Handbuch lieferbar ist, was wiederum die Handhabung vereinfacht. Bei der Analyse von Videosequenzen sind die Möglichkeiten noch sehr beschränkt. ATLAS-TI verfügt beispielsweise über Möglichkeiten zur Analyse von Bild, Video und Ton. Meiner Meinung nach sind diese Möglichkeiten aber noch recht verbesserungswürdig so dass an dieser Stelle Videosequenzen auf herkömmliche Art und Weise transkriptioniert werden sollten.

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Details

Titel
Expertenmodell von Emil Schumacher - Entwicklung eines künstlerischen Expertenmodells am Beispiel von Emil Schumacher
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten
Autor
Jahr
2004
Seiten
64
Katalognummer
V25926
ISBN (eBook)
9783638284189
Dateigröße
671 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Expertenmodell über die Arbeitsweise und das Werk des deutschen informellen Malers Emil Schumacher. Auschnitt / gekürzte Fassung einer Zulassungsarbeit
Schlagworte
Expertenmodell, Emil, Schumacher, Entwicklung, Expertenmodells, Beispiel, Emil, Schumacher
Arbeit zitieren
Rainer Leyk (Autor:in), 2004, Expertenmodell von Emil Schumacher - Entwicklung eines künstlerischen Expertenmodells am Beispiel von Emil Schumacher, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25926

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