Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. THEMENWAHL
2. REZENSION (CESARI 2009)
2.1 Fragestellung
2.2 Disziplinäre Sichtweise
2.3 Ergebnis
2.4 Argumentationslinie
2.5 Methoden der Autorin
2.6 Beurteilung der Wissenschaftlichkeit
2.7 Kritische Bewertung
3. LITERATURRECHERCHE
4. FIKTIVE HAUSARBEIT
4.1 Thema
4.2 Untersuchungsinteresse / Fragestellung
4.3 Vorgehensweise/Methodik
4.4 Theoretische Verortung
4.5. Definitionen von Schlüsselbegriffen
4.6. Arbeitshypothesen
4.7. Gliederung und Begründung
5. DEFINITION DES SCHLÜSSELBEGRIFF
6. LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
6.1 Suchstrategie und Fundorte
6.2 Verzeichnis zur Rezension
6.3 Verzeichnis zur fiktiven Hausarbeit
6.4 Verzeichnis zum Schlüsselbegriff
1. THEMENWAHL
Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon in den USA ist das Thema „Muslime und Islam im Westen“ dauerhaft in Politik und Medien präsent. In der Öffentlichkeit wird es immer wieder und meist sehr emotionalisiert diskutiert. In der Bevölkerung gibt es ein starkes Interesse und großen Diskussionsbedarf. Insofern ist diesem Thema eine besondere politische und soziale Bedeutung zuzuschreiben.
Dies sind die wichtigsten und ausschlaggebenden Gründe dafür, weshalb ich mich bei der Bearbeitung der Hausarbeit für den Text von Dr. Jocelyn Cesari „Islam in the West: From Immigration to Global Islam.“ aus dem Jahre 2009 entschieden habe.
Dr. Jocelyne Cesari ist Politikwissenschaftlerin an der Harvard University. Sie hat in Frankreich studiert und promoviert. Ihr Fachgebiet sind der Mittlere Osten sowie der Islam.
2. REZENSION
Cesari, Jocelyne: Islam in the West: From Immigration to Global Islam. In: Harvard Middle Eastern and Islamic Review 8 (2009), S.148–175.
2.1 Fragestellung
Das zentrale Thema des Artikels sind die sozioreligiösen Dynamiken der Immigration von Muslimen im Westen. Dr. Cesari behauptet, dass der Islam als religiöse Tradition in der Forschung noch immer eine terra incognita ist. Hauptursache dafür ist der mangelnde Konsens über die Religion als Gegenstand und ein Mangel an geeigneten Methoden.
Die Autorin gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand sowie über Unterschiede in der Islamforschung in Amerika und Europa. In einem historischen und vergleichenden Abriss beschreibt sie, welche Ansätze es bereits gegeben hat. Sie untersucht, welche methodischen und inhaltlichen Vorteile bzw. Mängel diese Ansätze haben.
Die Autorin will Impulse geben zur Methoden- und Theorieentwicklung, die Aspekte herausarbeiten, die zur Erforschung des modernen Islams unabdingbar sind und somit den Weg weisen, den die Erforschung des Islams in Zukunft gehen muss. Dabei plädiert sie für die Entwicklung neuer Methoden zur Erforschung des Themas und inhaltlich wie methodisch für einen interdisziplinären Ansatz, der die multivalenten Realitäten, denen Muslime im Westen begegnen, berücksichtigen kann.
2.2 Disziplinäre Sichtweise
Eine eindeutige disziplinäre Verortung nimmt Dr. Cesari in ihrem Artikel nicht vor. Sie nennt jedoch verschiedene akademische Disziplinen, die zur Bearbeitung des Themas herangezogen werden können bzw. sollten: Soziologie (speziell Religions- und politische Soziologie), Anthropologie, Politikwissenschaften, Religionswissenschaften (insbesondere Islamwissenschaft), Geschichtswissenschaft, Orientalistik und Ethnologie. Dies zeigt klar eine interdisziplinäre Sichtweise an. Die Autorin begründet diese Herangehensweise damit, dass keine einzelne Wissenschaft allein in der Lage sein kann, das Thema „Islam im Westen“ allumfassend zu verstehen und zu erklären.
Auch aus meiner Sicht ist das Thema nur interdisziplinär zu bewältigen. Zusätzlich könnten hier noch weitere akademische Fächer eingebracht werden, z.B. Kulturwissenschaften (hier: Vergleichende Kulturwissenschaften) und Psychologie (z.B. Kultur-, Religions-, Sozialpsychologie).
2.3 Ergebnis
Dr. Cesari kommt zu dem Ergebnis, dass das Thema „Islam im Westen“ zwar schon seit Jahrzehnten erforscht wird (speziell in Europa), es aber noch immer einen Mangel an geeigneten Methoden gibt. Diesen Mangel zu beheben und entsprechende Methoden zu entwickeln, betrachtet sie als die vordringliche Aufgabe für die weitere Erforschung des Themas.
Zudem fordert sie einen methodischen wie theoretischen Paradigmenwechsel, der ein tieferes Verständnis für Realitäten, Zusammenhänge und Entwicklungen ermöglicht. Sie stellt der Zerstückelung der Islamforschung inhaltlich
und methodisch einen interdisziplinären Ansatz entgegen, dessen Ausgangspunkt die Betrachtung des Islams als globale religiöse Tradition sein sollte.
2.4 Argumentationslinie
Dr. Cesari argumentiert, dass die Islamforschung im Westen zwar auf eine gewisse Forschungstradition zurückschauen kann, vor allem in Europa, aber infolge der politischen Entwicklungen in den letzten Jahren die Diskussion und Einschätzung des modernen Islam weitestgehend den Terrorismus- und Sicherheitsexperten mit all ihren Vorurteilen und Ressentiments überlassen worden ist.
Die Folge dieser Entwicklung ist ein Mangel an geeigneten Methoden und Theorien zur Erforschung des modernen Islams. Daher ist die Entwicklung methodischer und theoretischer Konzepte die dringlichste Aufgabe an die Forschung. Gleichzeitig muss ein Perspektivwechsel folgen: heute erforschen zahlreiche Einzelwissenschaften den modernen Islam, was ein tieferes Verständnis der Entwicklungen im jeweiligen kulturellen und religiösen Kontext unmöglich macht und nur durch einen interdisziplinären Ansatz überwunden werden kann.
Die Atlantische Kluft
Deutlichstes Beispiel der Zerrissenheit der Islamforschung ist laut Dr. Cesari die atlantische Kluft. Sie beschreibt damit die Unterschiede in der Erforschung des Islams in Europa und in Amerika, die vor allem durch historische und politische Entwicklungen bedingt sind.
In Europa kann die Erforschung des modernen Islams auf eine 30-jährige Geschichte zurückblicken, wobei sie vor allem unter dem Eindruck der Einwanderung von Muslimen in den europäischen Wirtschafts- und Kulturraum stand. Demzufolge standen sozialwissenschaftliche Fragen mit dem Schwerpunkt Integration im Mittelpunkt der Forschung, die vor allem einem strukturellen und einem kulturellen Ansatz sowie der Theorie der Politischen Partizipation folgte.
Mit der Institutionalisierung des Islams rückte auch die Religion in den Blickpunkt der europäischen Forschung, vor allem die Debatten um den Bau von Moscheen und islamischen Schulen sowie um die Bedeutung religiöser Autoritäten.[1] Auseinandersetzungen innerhalb der islamischen Gemeinschaften zu religiöser Praxis sind bisher nur wenig erforscht.
Islam als Religion
Seit den 1990er Jahren befasst sich die europäische Forschung auch mit dem Status der Religion in der modernen Gesellschaft, den Folgen der Individualisierung islamischer Praktiken und der Multiziplität religiöser Möglichkeiten in einer säkularen Demokratie. Die Frage, ob die Individualisierung zu einer Liberalisierung oder zu einer Fundamentalisierung des Islams führt, ist bislang unbeantwortet.
Die europäische Forschung hat versucht, einen allgemeinen Rahmen für das Studium des Islams im Westen zu schaffen, u.a. mit dem Konzept des Minderheitenstatus. Dr. Cesari präferiert jedoch einen innovativeren, prozessorientierten Ansatz, der auch die Interaktion zwischen Muslimen und westlicher Gesellschaft einbezieht.
Die Zersplitterung der amerikanischen Forschung
In Amerika hingegen war das Thema lange randständig und interessierte nur ein paar Soziologen, Islamwissenschaftler und Anthropologen. Vorherrschend war ein ethnographischer Ansatz, der auf ethnische Zugehörigkeiten innerhalb fest umrissener Territorien achtete und die Religion als besonderes Merkmal von Immigranten sowie den Transnationalismus religiöser Anschauungen und Gruppen ausschloss. Es fehlen direkte Vergleiche der ethnischen Gruppen mit Bezug auf die Diversifikation religiöser Praktiken im amerikanischen Kontext.
Das assimilationistische Paradigma hat die Islamforschung in Amerika lange dominiert. Es geht davon aus, dass Muslime in der amerikanischen Kultur aufgehen und eine religiöse Gruppe ohne besondere ethnische Identität bilden. Der Ansatz folgt dem Schmelztiegel-Modell von Herbeger, wurde aber in der Vergangenheit schwer kritisiert[2] - er könnte zwar zeigen, ob Immigranten ihre ethnische und kulturelle Identität beibehalten, ein pluralistischer Ansatz könnte aber zudem auch erklären, wie und warum das geschieht.
Assimilationistische wie ethnizitätsbasierte[3] Modelle setzen zudem den Nationalstaat als Grenzeinheit voraus und lassen transnationale Verbindungen außer Acht. Solche Modelle können zwar Erfahrungen muslimischer Einwanderer erklären, eine Realität der Immigration und einen konstruktiven Analyserahmen können sie nicht erfassen.[4]
Trotz der Unterschiede in der Islamforschung in Europa und in Amerika kann Cesari auch zwei gemeinsame Punkte festmachen: den normativen Ansatz zu Religion und Islam sowie den wachsenden Umfang an Literatur unter Einfluss der internationalen Agenda.
Die normative / essentialistische Ausrichtung
Zur Kritik der bisherigen Forschung zum modernen Islam führt die Autorin die Arbeit von Asgari an, nach der die meisten Studien zu diesem Thema von Weberschen Axiomen beeinflusst werden. Dies betrifft
1. die Konzeption des Islams als Ganzes,
2. die zentralen Bedeutung des kulturellen Ethos und
3. die Überlegenheitsgefühle des Westens.
zu 1. Die Vorstellung des Islams als Ganzes definiert den Islam als festes System, das Verhalten festlegt und Individualität auslöscht. Dieser Ansatz berücksichtigt jedoch weder die Fluidität und Flexibilität theologischer Konzepte noch die Diversität religiöser Praktiken sowie die Bedeutung der Gesellschaft, in der Muslime leben.[5]
Zu 2. Eine Täuschung des Westens bei der Definition von Gesellschaft liegt in ihrem kulturellen Ethos, oft in Bezug auf Religion. Der Islam wird meist an Orten gesucht, wo er gar nicht ist. Die Geschlechter-Debatte z. B. wird oft dem Islam als Gesamthaltung zugeschrieben, kann aber auch andere Motivationen haben (z. B. patriarchale Kulturen).
Zu 3. Die dritte Täuschung Webers ist das Überlegenheitsgefühl des Westens, wobei davon ausgegangen wird, dass Muslime sich an säkulare und kulturelle Normen im Westen anpassen und dies als Verbesserung ihres Status empfinden werden.
Der Einfluss der internationalen Politik
Auf beiden Seiten des Atlantiks hängt die Sichtbarkeit des Islams mit dem internationalen bzw. geopolitischen Kontext und dem Aufstieg des politisch-radikalen Islams zusammen. Schon vor dem 11.09.2001 wurde der Islam als Quelle der Angst und als innerer wie äußerer Feind beschrieben (Erhebungen in Frankreich 1991 und in den USA 1994).
Seit der Revolution im Iran 1979 haben zahlreiche explosive Ereignisse unauslöschliche Bilder des Islams geschaffen, der nun als signifikantes Risiko in den internationalen Beziehungen gesehen wird. Dr. Cesari kritisiert, dass die Forschung stereotype Annahmen über den Islam (z.B. dass er verbunden ist mit Politik und Gewalt) oft übernimmt und so durch ideologisch gefärbte Beurteilungen beeinflusst wird.[6]
Eine Soziologie des Islams als globale Tradition
Die muslimische Immigration nach Europa und Nordamerika ist der Ausgangspunkt für einen neuen transkulturellen Raum, in dem kulturelle Werte vom nationalen Kontext getrennt sind. Diese Entwicklung entstand im Zuge der Globalisierung und Mobilität von Kulturen und Religionen. Für ein umfassendes Verständnis der muslimischen Minderheiten im Westen müssen das Phänomen des globalen Islam und die diskursiven religiösen Praktiken im Islam in Betracht gezogen werden.
Talal Asad hat eine Studie zum Islam als diskursive Tradition vorgelegt, die Cesari als hilfreich einschätzt zur Überwindung der Weberschen Täuschungen sowie der Kluft zwischen dem textlichen Ansatz und der Erforschung des Islams als lebendiger Religion. Religion darf nie als Gegebenheit betrachtet werden, man muss die diskursiven religiösen Praktiken in die Untersuchungen einbeziehen. Islamische Texte sind vielstimmig und widersprüchlich, und Diskussionen über den „wahren Islam“ wirken sich auch auf die Gläubigen im Westen aus.
Nach Asad sind Traditionen eine Sammlung diskursiver und kontextabhängiger Praktiken. Es gibt keine einzigartige islamische soziale Struktur, aber diskursive Traditionen. Cesari fordert die Entwicklung eines Rahmens, mit dem die Beziehungen zwischen Traditionen, der Vielzahl religiöser Auffassungen und der Debatten darüber zu bestimmten Zeitpunkten untersucht werden können.
[...]
[1] Seit kurzem werden auch die Gegenreaktionen, d.h. anti-islamische Einstellungen (Islamophobie), erforscht.
[2] Inzwischen wird der Begriff zur Beschreibung sozialer Prozesse (nicht als Vorschrift) wiederbelebt.
[3] Problematisch ist laut Dr. Cesari der Begriff der Ethnizität. Er ist zu statisch für die Erfassung der Komplexitäten von Identität. Hier sind auch Forschungsmodelle der Exklusion relevant, da Muslime in Amerika nach dem 11.09.2001 aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit heftig diskriminiert wurden.
[4] Erst seit kurzem wird diesbezüglich auch Religiösität erforscht (Projekt MAPS, Pew Charitabel Trusts 2007).
[5] Auch Muslime verhandeln ihre Beziehung zu Dogmen und Traditionen immer wieder neu.
[6] Bisher hat keine wissenschaftliche Analyse diese Annahmen validiert.