Maat, schreibt Hellmut Brunner, ist die gottgegebene Weltordnung, ,,die sowohl das umfaßt, was wir Naturordnung nennen wie den Lauf der Gestirne, den Wechsel der Jahreszeiten, Pflanzen- und Tierleben, Geburt und Tod, wie auch die Sozialordnung der Menschen, so die Beziehung der Geschlechter, die vielfältige soziale Ordnung eines Volkes, die Scheidung der Völker nach Hautfarbe und Sprache, schließlich den Tempelkult und selbst die Beamtenhierarchie, die Steuerregelung und sogar die Tischsitten". Man könnte auch sagen: Maat ist das Wort für ,,die altägyptische Weltanschauung" und das, was wir als ,,altägyptische Kultur" bezeichnen.
Stephen Quirke übersetzt den Begriff Maat schlicht mit dem Begriff Gerechtigkeit, weil ,,in jeder Sprache das Wort für ,Gerechtigkeit' für das, was recht ist, die Weltanschauung einer Gesellschaft zum Ausdruck bringt". Erik Hornung beschreibt Maat als ,,allgemeines Gefühl für Gerechtigkeit, das für den Schutz der sozial Benachteiligten und für den Ausgleich zwischen Besitz und Armut sorgt"3 und meint, ,,daß Maat als universale Vorstellung für alle sozialen Schichten Gültigkeit hat", was sicherlich anzunehmen, aber nicht zu belegen ist. Jan Assmann beschreibt umgekehrt Gerechtigkeit als ,,Ma'at-Idee" und sieht sogar eine Verbundenheit von Maat mit der ,,Idee eines Menschenrechts für Gerechtigkeit". Der Begriff Maat, so Jan Assmann, lässt sich umschreiben mit: ,,Wahrheit, Gerechtigkeit, Recht, Ordnung, Weisheit, Echtheit, Aufrichtigkeit. Er bezieht sich auf Moral und Manieren im menschlichen Zusammenleben, auf die göttliche Gerechtigkeit des Totengerichts, auf die tägliche Überwindung des Chaos durch den kosmosschaffenden Sonnengott und die kosmosschaffende Gesetzgebung seines irdischen Abbilds, des Königs". Nach Thomas Schneider meint Maat ,,auch die Solidarität, Rechtmäßigkeit und Verantwortlichkeit in der menschlichen Gemeinschaft, die deren Bestand erst ermöglicht, das richtige Gefüge des Lebens". Deswegen werde ein ethisch korrektes Leben gefordert, ,,verboten sind Egoismus, Bereicherung auf Kosten anderer oder Schädigung von Personen durch Gewalthandlungen oder Verleumdung".
Und allem liegt eine Moral zugrunde. Nichts von alledem hätte eine Bedeutung ohne vorhandene moralische Werte. Ohne Moral hätte Maat keine Substanz. Moral ist die Grundvoraussetzung von Maat.
Vorwort
Bei meinen Kemet-Artikeln handelt es sich um Texte, in denen ich versuche auf wenigen Seiten viele Informationen zu liefern. Der inhaltliche Rahmen ergibt sich aus dem Titel-Thema der jeweiligen Kemet-Ausgabe. Alle Artikel in den Kemet-Magazinen sind bebildert; die Fotos ergänzen die Texte.
Mir war bei jedem einzelnen Artikel wichtig, nicht lediglich schon bekannte und überall nachzulesende Informationen zusammenzustellen und nachzuerzählen. Ich betrachte alle Themen aus einer über den Tellerrand der Ägyptologie hinausgehenden Perspektive und stelle oftmals Thesen in den Raum, die eine Diskussion anstoßen sollen. Es handelt sich dabei aber immer um begründete und nicht aus der Luft gegriffenen Überlegungen.
Für viele meiner Artikel bilden ethnologische, soziologische oder religionswissenschaftliche Ansätze den Rahmen, um alternative Sichtweisen zu ermöglichen. Dabei gehe ich durchaus – aus ägyptologischer Sicht – etwas provokativ an ein Thema heran. Aber immer nur mit dem Ziel, neue oder unbekanntere Aspekte darzustellen.
Um altbekannter Kritik von vornherein entgegenzutreten: Grundsätzlich ist ein über räumliche und zeitliche Grenzen hinwegreichender Kulturvergleich ebenso statthaft wie ein sich ausschließlich an die Originalquellen haltender Versuch, Erkenntnisse über die altägyptische Kultur zu gewinnen. Das Argument, es handle sich bei dem einen um eine anachronistische und bei dem anderen um die einzig akzeptable Vorgehensweise, greift nicht. Denn schließlich findet auch das sprachwissenschaftlich fundierte Interpretieren einer altägyptischen Originalquelle alles andere als zeitnah zu ihrer Entstehung statt. Und eine Quelle aus der ägyptischen Spätzeit ist immerhin auch schon zweitausend Jahre jünger als etwa eine aus der Pyramidenzeit, so dass die Interpretationsergebnisse der jüngeren Quelle als anachronistisch bewertet und zum Verständnis der älteren nicht herangezogen werden dürften, wollte man dieser Argumentation folgen.
Nicht nur der Kulturvergleich, sondern gerade auch der interdisziplinäre Ansatz erweitert unseren Verstehenshorizont. Dann finden sich Antworten auf Fragen, die sich aus ägyptologischer Sicht nie stellen würden und werfen Licht auf unbeachtete oder unbekannte kulturelle Phänomene. Auch scheinbar wissenschaftlich längst bearbeitete Bereiche müssen immer wieder auf den Prüfstand; allein, weil jedem Wissenschaftler und jeder Wissenschaftlerin eine subjektive Sichtweise zueigen ist und jeder Versuch, Subjektivität aus der Arbeit auszuschließen und reine Objektivität walten zu lassen, niemals gelingen kann.
Letztendlich kann es immer nur darum gehen, ein weiteres kleines Fenster zum Verständnis der altägyptischen Kultur aufzustoßen.
Maat – Über Moral im alten Ägypten
Maat
Maat, schreibt Hellmut Brunner, ist die gottgegebene Weltordnung, „die sowohl das umfaßt, was wir Naturordnung nennen – wie den Lauf der Gestirne, den Wechsel der Jahreszeiten, Pflanzen- und Tierleben, Geburt und Tod, wie auch die Sozialordnung der Menschen, so die Beziehung der Geschlechter, die vielfältige soziale Ordnung eines Volkes, die Scheidung der Völker nach Hautfarbe und Sprache, schließlich den Tempelkult und selbst die Beamtenhierarchie, die Steuerregelung und sogar die Tischsitten“.[1] Man könnte auch sagen: Maat ist das Wort für „die altägyptische Weltanschauung“ und das, was wir als „altägyptische Kultur“ bezeichnen. Stephen Quirke übersetzt den Begriff Maat schlicht mit dem Begriff Gerechtigkeit, weil „in jeder Sprache das Wort für ‚Gerechtigkeit’ für das, was recht ist, die Weltanschauung einer Gesellschaft zum Ausdruck bringt“.[2]
Erik Hornung beschreibt Maat als „allgemeines Gefühl für Gerechtigkeit, das für den Schutz der sozial Benachteiligten und für den Ausgleich zwischen Besitz und Armut sorgt“[3] und meint, „daß Maat als universale Vorstellung für alle sozialen Schichten Gültigkeit hat“[4], was sicherlich anzunehmen, aber nicht zu belegen ist.[5] Jan Assmann beschreibt umgekehrt Gerechtigkeit als „Ma’at-Idee“ und sieht sogar eine Verbundenheit von Maat mit der „Idee eines Menschenrechts für Gerechtigkeit“.[6] Der Begriff Maat, so Jan Assmann, lässt sich umschreiben mit: „Wahrheit, Gerechtigkeit, Recht, Ordnung, Weisheit, Echtheit, Aufrichtigkeit. Er bezieht sich auf Moral und Manieren im menschlichen Zusammenleben, auf die göttliche Gerechtigkeit des Totengerichts, auf die tägliche Überwindung des Chaos durch den kosmosschaffenden Sonnengott und die kosmosschaffende Gesetzgebung seines irdischen Abbilds, des Königs“.[7] Nach Thomas Schneider meint Maat „auch die Solidarität, Rechtmäßigkeit und Verantwortlichkeit in der menschlichen Gemeinschaft, die deren Bestand erst ermöglicht, das richtige Gefüge des Lebens“. Deswegen werde ein ethisch korrektes Leben gefordert, „verboten sind Egoismus, Bereicherung auf Kosten anderer oder Schädigung von Personen durch Gewalthandlungen oder Verleumdung“.[8]
Und allem liegt eine Moral zugrunde. Nichts von alledem hätte eine Bedeutung ohne vorhandene moralische Werte. Ohne Moral hätte Maat keine Substanz. Moral ist die Grundvoraussetzung von Maat.
Moral
Moral beruht auf Gefühlen, die in der menschlichen Natur angelegt sind und durch die Erziehung verstärkt werden. Könnten wir moralisches Verhalten restlos erklären, wäre Moral eine Sache des Verstandes. Zumeist funktioniert moralisches Verhalten aber intuitiv und der Mensch fühlt oder spürt einfach, ob etwas richtig oder falsch ist.[9]
Es ist zwischen individuellem moralischen Verhalten und moralischen Normen einer Gesellschaft zu unterscheiden. Beides bedingt sich gegenseitig. Aber der Mensch entscheidet von Fall zu Fall immer wieder neu, ob er sich moralisch verhalten will oder nicht. Moralnormen sind also relativ. Die Ursachen moralischer Einstellungen liegen in der Vergangenheit, z.B. in der kulturellen Prägung, in den historischen und persönlichen Erfahrungen und auch in der genetischen Ausstattung eines Menschen. Die Gründe einer moralischen Haltung finden sich aber immer in der Gegenwart. Michael Hauskeller schreibt: „Gründe sind das, was wir vor Augen haben, wenn wir urteilen und tätig werden, das, worum es uns in unserem Denken, Empfinden und Handeln jeweils geht. Niemand vertritt und lebt eine moralische Überzeugung unmittelbar deshalb, weil er in bestimmter Weise erzogen wurde und/oder von Geburt an entsprechend disponiert war. Wir sind keine Marionetten, die blind und willenlos an den Fäden unserer Vergangenheit hängen und zappeln, sondern wir sehen, was wir tun, und was wir tun hängt wiederum sehr davon ab, was wir sehen und wie wir es sehen“.[10]
Moral ist eine subjektive Empfindung. Wenn aber viele ähnlich empfinden, z.B. wenn es um Diebstahl geht, dann ist das subjektive auch ein intersubjektives Empfinden: „Die Gleichgewichtigkeit der Interessen der verschiedenen Individuen macht es möglich, sie alle, obschon sie nicht identisch sind, doch unter einen Hut zu bringen – unter den Hut nämlich einer einzigen Moralnorm, die ... jedem Menschen sowohl das entsprechende Verbot auferlegt als auch den entsprechenden Schutz gewährt. Und weil für jeden der Vorteil des Schutzes stärker wiegt als der Nachteil des Verbots, ist die Moralnorm in ihrer Gesamtwirkung für jeden und damit intersubjektiv begründet“, so Norbert Hoerster.[11]
Im alten Ägypten wurden Moralnormen, ebenso wie in anderen Gesellschaften, mündlich, z.B. in Form von Märchen, Geschichten und Mythen von Generation zu Generation weitergegeben. Moralnormen setzen bei der Moral des einzelnen an. Jeder Mensch hat ein moralisches Empfinden, ein Gewissen (mit Ausnahme vielleicht von Psychopathen), das durch Erzählungen, vorbildlichem Leben der Autoritäten aber auch durch Sanktionen immer wieder aktiviert und korrigiert wird. Die Moral, so Norbert Hoerster, ist „auf Sanktionen angewiesen, d.h. auf äußere Sanktionen durch die Mitmenschen, die Gesellschaft sowie auf innere Sanktionen durch den Übeltäter selbst. Ohne Sanktionen würde die Moral in der Realität keine Befolgung erfahren“.[12]
[...]
[1] Hellmut Brunner, Altägyptische Weisheit. Lehren für das Leben, 1988, 13
[2] Stephen Quirke, Altägyptische Religion, 1996, 8
[3] Erik Hornung, Geist der Pharaonenzeit, 1989, 141
[4] Erik Hornung, Maat – Gerechtigkeit für alle? Zur altägyptischen Ethik, in: Eranos, Jahrbuch 56 (1987), 1989, 420
[5] S.a. Brunner, Altägyptische Weisheit, 74
[6] Jan Assmann, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, 1990, 278
[7] Assmann, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit, 9f
[8] Thomas Schneider, Die wichtigsten 101 Fragen. Das Alte Ägypten, 2010, 68
[9] Deswegen ist oftmals auch vom Moralinstinkt oder vom moralischen Sinn die Rede, s. z.B. Franz M. Wuketits, Wie viel Moral verträgt der Mensch?, 2010, s.a. Frank Ochmann, Die gefühlte Moral. Warum wir Gut und Böse unterscheiden können, 2008. Moralische Entscheidungen aufgrund unbewusster Empfindungen sind in ihren Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Denn in Studien konnte nachgewiesen werden, dass alleine schon das Händewaschen und das daraus resultierende Gefühl der Reinheit, moralische Urteile milder ausfallen und „ethisch fragwürdige Handlungen als weniger schmutzig einstufen“ lässt. Die Redewendungen „ein reines Gewissen haben“ und „eine weiße Weste haben“ oder die biblischen Zitate wie „die Hände in Unschuld waschen“ und „dem Reinen ist alles rein“ zeigen, dass dieses Phänomen durchaus wahrgenommen wurde – wenn auch nicht bewusst, s. Vera Spillner, Reines Gewissen, URL: http://www.spektrum.de/ alias/moralpsychologie/reines-gewissen/975487, s.a. Lee, W. S./Schwarz, N., Washing away post-decisional dissonance, URL: http://sitemaker.umich.edu/wing.sing.lee/files/lee_schwarz_washing_away_dissonance_ science_7may2010_ms.pdf
[10] Michael Hauskeller, Versuch über die Grundlagen der Moral, 2001, 12
[11] Norbert Hoerster, Was ist Moral? Eine philosophische Einführung, 2009, 61
[12] Hoerster, Was ist Moral?, 93
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