William Faulkners "A Rose for Emily" - Interpretation der narrativen Instanz


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Für Hans H. Skei ist sie die bekannteste von William Faulkners Kurzgeschichten[1] – „A Rose for Emily“ war die erste seiner Geschichten, die in einem nationalen Magazin publiziert wurde und die erste die sogar ins Französische übersetzt wurde. Zudem war es aber auch die erste Geschichte, in der Faulkner über seine unmittelbare Umgebung schrieb. Faulkner, aufgewachsen in der Stadt Oxford, Mississippi, benannte seine Heimat in Jefferson um und plazierte fast alle seiner Romane und Kurzgeschichten hier mit seinen Nachbarn, in abgeänderter Form, als Protagonisten.

“A Rose for Emily” stammt aus seiner wohl produktivsten Schaffensphase und gehört mit seinem Erscheinen 1930 in die Literaturepoche der Moderne (Faulkner hatte ein Jahr zuvor mit seinem Roman ”The Sound and the Fury“ einen der drei bedeutendsten Romane dieser Epoche vorgelegt). Die Geschichte der Emily Grierson ist seit ihrem Erscheinen mehrfach diskutiert worden - sei es die Bedeutung der Rose im Titel, die Bedeutung der Uhr, seien es Probleme bei der Chronologie des Textes bis hin zur zentralen Frage: Warum hat sie ihren Geliebten getötet? Die Erklärungen reichen hier von einem Ödipuskomplex bis hin zur Darstellung der Geschichte als Sinnbild für das Ende des Südens. Ziel dieses Essays ist es nicht, eine eindeutige Antwort auf diese Fragen zu finden. Ich versuche vielmehr zu ergründen, warum Faulkner dieses Thema aufgriff. Es scheint, als ob bei der Untersuchung der Motive des Mordes, der Druck den die Bevölkerung Jeffersons auf Miss Emily ausübt vernachlässigt wurde. Ziel ist es, zu ergründen wie Emily dem Leser präsentiert wird und was das über die Meinung der Bevölkerung und insbesondere über die des Erzählers aussagt.

“A Rose for Emily” ist die Geschichte der Miss Emily Grierson - einer Frau, die einer aristokratischen und angesehenen Südstaatenfamilie entstammt und die sich nach dem Tod ihres vermögenden Vaters, arm geworden, für längere Zeit in ihr Haus zurückzieht. Als die Straßen der Stadt asphaltiert werden, kommt ein Nordstaatler nach Jefferson – der Vorarbeiter Homer Barron. Obwohl dieser aufgrund seines wortschatzreichen Fluchens ziemlich beliebt ist, steht die Bevölkerung der Affäre, die er mit Miss Emily beginnt, skeptisch gegenüber und beginnt schließlich sogar sich in das Leben der beiden einzumischen. Nach dem plötzlichen Verschwinden Homers verläßt Miss Emily ihr Haus gar nicht mehr. Als man dann nach ihrer Beerdigung ihr Schlafgemach öffnet, welches seit über 40 Jahren niemand mehr von innen gesehen hatte, findet sich dort die Leiche Homers zusammen mit einem Haar Emilys.

„A Rose for Emily“ wirkt durch seine finale Motivierung wie eine Kriminal-geschichte, mit der Einschränkung, daß sich die Gewißheit eines Verbrechens erst am Ende einstellt. Der Kauf des Rattengiftes und der Geruch der Miss Emilys Haus umgibt stellen zwar Hinweise dar – Gewißheit erlangt der Leser (und die Stadt) trotzdem erst am Ende.

Beginnend mit ihrer Beerdigung und endend mit dem Fund ihres Haares neben dem Leichnam des Opfers besitzt der Text eine geschlossene Struktur. Faulkner begnügt sich jedoch nicht mit einer chronologischen Aufzählung der Ereignisse vom Tod Miss Emilys‘ Vater bis hin zu ihrer eigenen Beerdigung. Durch seine unzähligen Sprünge zwischen den einzelnen Ereignissen in der Vergangenheit löst er das Zeit-konstrukt völlig auf. Frank A. Littler spricht in “The Tangled Thread of Time: Faulkner’s ‘ A Rose for Emily ‘“ von assoziativem Erzählen und charakterisiert dies wie folgt: “one memory brings up another and various incidents of the past are brought into the foreground of the story.” (82). Eine Chronologie ist demnach we-niger aussagekräftig als eben jenes assoziatives Erzählen, da es letztlich von geringerer Bedeutung ist, wann etwas passiert ist. Viel wichtiger ist die Tatsache, daß es passiert ist und in welchen Kontext es von Bedeutung ist. Der Zeitablauf ist dabei jedoch so zerstückelt, daß Gene M. Moore 1992 acht verschiedene Auffassungen über die Chronologie der Geschichte feststellte[2]. Dies verwirrt einerseits, läßt aber Miss Emilys Geschichte und ihre ganze Person andererseits zeitlos erscheinen.

Mit dem eher begrenzten Ensemble an Hauptfiguren (Miss Emily, Homer, der Vater) wirkt die Geschichte zwar übersichtlich und geschlossen; die Vielzahl von Neben-figuren und Querverweise auf Miss Emilys Großtante Lady Wyatt oder auf Colonel Sartoris (eine der Hauptfiguren in anderen Geschichten und Romanen Faulkners) unterstreichen jedoch einen realistischen Eindruck der Geschichte, lassen sie „aus einer eigenen Realität“ – dem fiktionalen Universum Jefferson entnommen erscheinen.

In seinem Aufsatz “Existential Experience in Faulkner’s Short Fiction“ charakterisierte der Norweger Hans H.Skei typische Faulknerfiguren wie folgt: Meist Außenseiter, tragen sie eine Last der Vergangenheit und sind geprägt von einer Span-nung zwischen Körper und Seele. Dies macht Emily zu einer „typischen“ Faulkner-figur und reiht sie in den „Jeffersonkosmos“ ein. Ihr Status sowie ihr Pochen darauf macht sie zu einem Außenseiter. Ihr übermächtiger Vater ist ihre Bahre der Ver-gangenheit und die Spannung zwischen Körper und Seele zeigt sich schließlich in der Motivation ihres Mordes an Homer Barron.

Das Unbegreifliche dieser Tat läßt sich nur näher untersuchen, wenn man versteht, in welcher Position Emily steht, welches Bild die Stadt von ihr hat. Ein Verweis auf ihre wohlhabende, aristokratischen Familie ist dabei nicht genug. Um sie näher kennenzulernen, ihre Außergewöhnlichkeit zu begreifen, sollte zuerst dis-kutiert werden wie der Leser Emily wahrnimmt. Diese Charakterisierung vollzieht sich direkt (über die Beschreibung ihres äußeren Erscheinungsbildes), indirekt (durch ihre Taten) und schließlich muß gesondert auf die Rolle der narrativen Instanz eingegangen werden, da der Leser alle Informationen von ihr erhält.

Bereits der erste Satz beinhaltet einige dieser Aspekte:

When Miss Emily Grierson died, our whole town went to her funeral: the men through a sort of respectful affection for a fallen monument, the women mostly out of curiosity to see the inside of her house, which no one save an old manservant – a combined gardener and cook – had seen in at least ten years. (26)

Der Name Miss Emily Grierson wirkt vornehm, der Umstand daß die Erzählung mit ihrem Tod beginnt, schafft Distanz zu ihr; daß außer einem Sklaven seit mindestens 10 Jahre niemand ihr Haus gesehen hat weckt Neugier und verleiht sowohl ihrer Person als auch dem Haus etwas Mystisches, Unbehagliches. Der Umstand, daß Männer und Frauen unterschiedliche Motive für den Besuch ihrer Beerdigung haben, deutet auf einen Geschlechterkonflikt hin und zeugt von ihrer Umstrittenheit. Und der Bezug zu einem „fallen monument“ verleiht ihr etwas Erhabenes aber auch Unmenschliches.

Miss Emily als ein Monument – diese Beschreibung wird mehrmals aufge-griffen. Als die Männer beginnen, Kalk um ihr Haus zu streuen um den Geruch einzudämmen, erscheint sie in einem plötzlich erleuchteten Zimmer wie folgt: “her upright torso motionless as that of an idol.“ (28). Und auch gegen Ende der Geschichte - sie verläßt das Haus inzwischen überhaupt nicht mehr – ist sie ab und an in ihrem Fenster zu sehen: “like the carven torso of an idol in a niche, looking or not looking at us, we could never tell which.“ (32). Ein Monument setzt Asso-ziationen mit Anmut, Respekt aber auch Zeitlosigkeit frei, wirkt zudem aber auch unmenschlich, künstlich – letztlich: tot. Auch Emily bewegt sich im Grenzbereich zwischen Leben und Tot. Es läßt sich nicht einmal mit Gewißheit sagen, ob sie ihre Nachbarschaft beobachtet oder nicht. Auch der Vergleich mit einem der Engel in bunten Kirchenfenstern – versehen mit den Zügen tragischer Gelassenheit- vermittelt diesen Eindruck.

Die Umschreibung als Monument steht jedoch im krassen Gegensatz zur Schilderung ihres „reellen“ äußeren Erscheinungsbildes. Als eine Abordnung der Stadt Miss Emily besucht um Steuern einzutreiben (Homer ist hier bereits tot und Emily alt), erscheint sie wie folgt:

[...] a small, fat woman in black, with a thin gold chain descending to her waist and vanishing into her belt, leaning on an ebony cane with a tarnished gold head. Her skeleton was small and spare; perhaps that was why what would have been merely plumpness in another was obesity in her. She looked bloated, like a body long submerged in motionless water, and of that pallid hue. Her eyes, lost in the fatty ridges of her face, looked like two small pieces of coal pressed into a lump of dough as they moved from one face to another while the visitors stated their errand. (27)

Es scheint als prallen hier zwei unterschiedliche Bilder aufeinander. Die Erhabenheit und der Respekt den man Monumenten zuschreibt äußert sich zwar in ihrem Gebärden, ihr Äußeres ist jedoch zutiefst abstoßend. Eine kleine fette Frau, die ein so schmächtiges Skelett besitzt, daß sie nicht nur rundlich, sondern aufgedunsen wirkt und sich damit von gewöhnlichen älteren Frauen absetzt. Das aufgedunsene Gesicht läßt sie tot erscheinen und der Umstand daß sich ihre Augen hin und herbewegen wirken in diesem Zusammenhang unheimlich. Sie wirkt zugleich tot als auch lebendig. Ihre schwarze Kleidung verstärkt diesen Eindruck. Und auch die Uhr hebt diesen Effekt hervor. Nachdem die Abgeordneten ihren Standpunkt erläutert haben, herrscht Stille – einzig das Ticken der Uhr ist hörbar. Emily wirkt unheimlich, unmenschlich und durch die Uhr beinahe mechanisch. Die Uhr besitzt dabei noch eine weitere Funktion. Der Umstand, daß sie an einer Goldkette um ihren Hals hängt und in ihrem Gürtel verschwindet, zeigt ihren Versuch die Zeit zu kontrollieren. Da vergehende Zeit für sie gleichbedeutend mit Verlust ist, argumentiert Melinda Schwab, muß sie die Zeit kontrollieren können, um das was ihr wichtig ist, zu behalten (215). Dem hinzufügend dürfte der Umstand, daß die Uhr zwar nicht mehr zu sehen, das Ticken aber noch hörbar ist, als Zeichen der Unmöglichkeit dieses Versuchs gesehen werden.

[...]


[1] Hans H. Skei , William Faulkner: The Short Story Career, Oslo: Universitetsforlaget,

1981. 54.

[2] Er fügt dem eine neunte hinzu. Große Unstimmigkeiten bestanden über das Jahr, in dem Emily verschieden ist. Moore ermittelt hier 1930.

Gene M. Moore , “Of Time and its Mathematical Progression: Problems of Chronology in Faulkner’s ‘ A Rose for Emily ‘“, Studies in Short Fiction 29.2 (1992): 195-204.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
William Faulkners "A Rose for Emily" - Interpretation der narrativen Instanz
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Nordamerikastudien / JFKI)
Veranstaltung
Einführung in die Literaturwissenschaft
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V26232
ISBN (eBook)
9783638286374
ISBN (Buch)
9783640858668
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
untersucht die Erzählperspektive in Faulkners "A Rose for Emily"
Schlagworte
William, Faulkners, Rose, Emily, Interpretation, Instanz, Einführung, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Sascha Lübbe (Autor:in), 2004, William Faulkners "A Rose for Emily" - Interpretation der narrativen Instanz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26232

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