Israelisch-Palästinensischer Konflikt am Beispiel der Fernsehnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender


Bachelorarbeit, 2013

57 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis II

Einleitung

I THEORETISCHER TEIL
1. Israel und der Nahost-Konflikt in den deutschen Nachrichten
1.1 News Bias Theory
1.2 Studien und ihre Ergebnisse
2. Antisemitismus, Antizionismus und Israelbild in Deutschland
2.1 Zum Begriff des Antisemitismus
2.2 Antizionismus und sekundärer Antisemitismus im 20. Jahrhundert
2.3 Antisemitische Stereotype, Vorurteile und das Feindbild Islam
3. Zusammenfassung des theoretischen Teils

II EMPIRISCHE TEIL
4. Die Berichterstattung der Tagesschau der ARD und ZDF heute als Untersuchungsgegenstand einer kommunikationswissenschaftlichen Inhaltsanalyse
4.1 Befunde bisheriger Studien
4.2 Forschungsfrage und Hypothese
4.3 Indikatoren einer antisemitischen & antizionistischen Berichterstattung
4.4 Indikatoren für News Bias
4.5 Methodik
5. Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Auswertung der Inhaltsanalyse
5.1 Formale Variablen
5.2 Inhaltliche Variablen
5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
6. Resümee

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beitragslänge in Sekunden

Abbildung 2: Rechtsextremistische Straftaten

Abbildung 3: Anzahl gewaltsamer antisemitischer Vorfälle weltweit

Abbildung 4: Holsti-Formel zur Berechnung der Intracoderreliabilität

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die drei häufigsten Akteure (Erscheinungshäufigkeit)

Einleitung

„Das Bild vor das Auge gestellt, da bleibt der Geist ein Knecht.“ Johann Wolfgang von Goethe Wie Journalisten und Medien über andere Länder referieren, prägt unsere Wahrnehmung und Vorstellung über diese Länder entscheidend und nachhaltig. Massenmedien fungieren in der interkulturellen Kommunikation als Schnittstelle zwischen dem Weltgeschehen und der Bevölkerung. Durch die Abbildung bestimmter Themen und die Auslassung anderer konstruieren Medien eine spezifische Realität, die, anders als bei Geschehnissen im Inland, bei Geschehnissen im Ausland von den Zuschauern auf Grund der fehlenden eigenen Erfahrungen oder alternativer Informationsquellen nicht oder nur schwer überprüfbar sind. Diese konstruierte mediale Realität kann Auswirkungen auf den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit anderen Ländern und Nationen haben. Insbesondere die als einseitig negativ und falsch kritisierte Berichterstattung über die Konflikte im Nahen Osten, sprich der Auseinandersetzung von Israelis und Palästinensern, steht seit Jahrzehnten lang schon im Fokus. Gerade diese Berichterstattung ist besonders kontrovers, weil mit ihr oft eine Antisemitismusdebatte verbunden ist: Dürfen Medien Israel kritisieren? Wo ist die Grenze zwischen legitimer Israelkritik und Antisemitismus? Ist die Kritik nur ein Vorwand, um judenfeindliche Ideen und Gefühle zu artikulieren? Werden gar antisemitische Vorurteile und Stereotype transportiert? Welche Rolle nehmen die Medien bei der Vermittlung von Informationen, speziell im Hinblick auf die Berichterstattung über den Nahostkonflikt ein? Tatsache ist, dass die Gratwanderung zwischen Antisemitismus und Israelkritik schmal ist.

Vor diesem Hintergrund macht sich diese Arbeit das Ziel zur Aufgabe, durch eine Inhaltsanalyse der Auslandsberichterstattung über den Nahost-Konflikt1 im ARD und ZDF im November 2012 die Berichterstattung beider öffentlich-rechtlicher Sender abzubilden und so die oben genannte Forschungslücke - sofern dies im Umfang dieser Arbeit möglich ist - zu schließen. Es ist zu prüfen, ob die Journalisten von ARD aktuell und ZDF heute berechtigte Kritik an der Politik der israelischen Regierung äußern oder die Politiker und Bevölkerung Israels ungerechtfertigt zum aggressiven und erbarmungslosen Gegner der „unschuldigen“ Palästinensern im Nahostkonflikt degradieren. Dabei ist auch zu klären, inwiefern die Hauptnachrichtensendungen der ARD und ZDF in ihrer Funktion als innerjournalistische Meinungsführer antiisraelische Züge tragen oder sogar an antisemitische Stereotype anknüpfen. Es gilt aufzuzeigen, ob und in welchem Maße antiisraelische Tendenzen im Alltagsdiskurs der Nachrichten und damit in der gesellschaftlichen Mitte verankert sind. Hierbei muss jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es nicht Ziel dieser Arbeit ist, vereinfachende und einseitige Schuldzuweisungen an den Medien auszuüben.

Aufgrund des begrenzten Rahmens einer Bachelorarbeit ist die Analyse der Berichterstattung über den Nahost-Konflikt notwendigerweise bestimmten Beschränkungen unterworfen, da es unmöglich ist, das gesamte Spektrum aller Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über diese Thematik zu berücksichtigen. Aus diesem Grund ist der Fokus dieser Arbeit die Nachrichtenberichterstattung in ARD und ZDF in der Woche vom 12. bis zum 16. November 2012. Wichtig hierbei ist der Verweis darauf, dass die öffentlich- rechtlichen Sender nicht getrennt voneinander untersucht werden sollen, um Unterschiede in der Nahost-Berichterstattung aufzuzeigen. Es sollen vielmehr generelle Tendenzen in der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender aufgezeigt und identifiziert werden.

Der erste Teil dieser Arbeit besteht aus drei Kapiteln, die sich jeweils mit den theoretischen Grundlagen beschäftigen. Dazu zählt die News Bias Theory, die Begriffsbestimmungen von Antisemitismus und Antizionismus sowie eine Definition von (antisemitischen) Stereotypen, von Vorurteilen und von Nahostkonflikt in seiner engeren Bedeutung stark durchgesetzt und wird daher auch in dieser Arbeit verwendet (vgl. dazu IAK 2005: 12).

Feindbildern. Die wichtigsten Erkenntnisse der vorangegangen Kapitel werden abschließend in einer Zusammenfassung gebündelt. Die drei Kapitel bilden zusammen die theoretische Basis für die empirische Analyse. Den Kern der Arbeit bildet der empirische Teil. Mit den Ergebnissen der quantitativen und qualitativen Analyse und auch den Erkenntnissen aus dem theoretischen Teil soll schließlich die zentrale Fragestellung beantwortet werden:

Welche Bilder über Israel vermittelt das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen den Zuschauern und welche dominierenden Perspektiven sind in der aktuellen Nahost-Berichterstattung zu erkennen?

I THEORETISCHER TEIL

In den folgenden Ausführungen soll das Augenmerk des ersten Kapitels zunächst auf die Forschungsrichtung der News Bias-Terminologie sowie auf die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen gerichtet werden. Daraufhin gilt es im nachfolgenden zweiten Kapitel sich der komplexen Terminologie des Antisemitismus zuzuwenden. In diesem Kontext ist es notwendig zunächst die Bedeutungen der Begriffe Antisemitismus (Kap. 2.1) sowie Antizionismus (Kap. 2.2) zu klären, insofern dies überhaupt möglich ist. Wie es um den Antisemitismus im 20. Jahrhundert bestellt ist, legt Kapitel 2.3 offen, an das sich eine Zusammenfassung des theoretischen Teils anschließt (Kap. 3).

1. Israel und der Nahostkonflikt in den deutschen Nachrichten

Kaum ein Thema ist in Deutschlands Medienlandschaft so präsent wie Israel und der Nahostkonflikt. Mehrmals die Woche, wenn nicht sogar täglich, präsentieren die heimischen Medien, seien es die Printmedien, das Fernsehen oder auch Internet und Radio, die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern im Nahen Osten. Der Bevölkerung werden jeden Tag aufs Neue unzählige Bilder von Anschlägen in Israel, Angriffen und militärischen Aktionen in den palästinensischen Gebieten und eine Vielzahl an Toten aus der Zivilbevölkerung präsentiert. Das Bild einer endlos laufenden Gewaltspirale zwischen Israelis und Palästinensern wird zugleich durch unzählige Beiträge in Zeitungen und Diskussionsrunden indoktriniert.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist schwierig und einzigartig. Begründet ist dieses durch die Verantwortung Deutschlands für die Shoa, den systematischen Mord an etwa sechs Millionen Juden Europas durch die Nazis in der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Vergangenheit ist und bleibt das tragende Element für die deutsch-israelische Beziehung und prägt bis heute das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen. Dementsprechend sind die deutsch-israelischen Beziehungen vielschichtig und äußerst kompliziert und vor allem „keine normalen Beziehungen“ (Oz, 2005, S. 7). Diese gemeinsame Vergangenheit liegt auch in der Tatsache begründet, dass die deutschen Medien den Konflikt im Nahen Osten zwischen den Israelis und den Palästinensern mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen. In diesem Zusammenhang ist auch die Diskussion, ob Deutsche aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit ihres Landes Kritik an Israel üben dürfen, so aktuell wie nie.

Den europäischen Medien wird von Politikern und Antisemitismusforschern häufig eine parteiliche Nahost-Berichterstattung zu Ungunsten Israels vorgeworfen. Diese Meinung vertritt auch Shimon Stein, welcher von 2001 bis 2007 israelischer Botschafter in Deutschland war. Nach ihm sei die Berichterstattung zum Nahost-Konflikt teilweise unausgewogen. So werde bei Gewaltaktionen überwiegend die israelische Armee gezeigt und die Hisbollah kaum, geht es aber um Opfer, dann seien überwiegend Libanesen und viel weniger Israelis im Vordergrund (vgl. Steinbeis, 2006). So entstünde bei der Öffentlichkeit eine klare Vorstellung darüber, wer der Angreifer und wer die Angegriffenen sind (ebd.). In diesem Zusammenhang spricht der deutsche Journalist und Autor Richard C. Schneider (2012) von „Kausalzusammenhänge“, die erst im letzten Drittel des Berichts kommen und so von den Zuschauern kaum noch wahrgenommen werden. Dies führt dazu, dass die gezeigten Bilder und Überschriften den Angriff der Israelis so stark fokussieren, dass der vorangegangene Angriff der Palästinenser sich im Bewusstsein nicht festsetzt. Er postuliert weiter: „Alle sind schnell bei der Beurteilung und Verurteilung der ‚Players‘ in Nahost - und natürlich ist die Verurteilung Israels lauter, aggressiver und schriller“ (ebd.). Auch der niederländisch-jüdische Schriftsteller Leon de Winter schreibt: „Ich klage die europäischen Medien der Inkompetenz an, der Bequemlichkeit und der Parteilichkeit (...).“ (2002, S. 42) Zudem kam der Judenkongress des Zentralrats der Juden2 kam bei seiner Diskussion zum Thema „Vorurteile, Hass, Klischees - das Bild Israels und der Juden in den Medien“ zu dem Schluss: Das Bild Israels habe sich deutlich verschlechtert und werde verzerrt dargestellt, die Medien seien insgesamt tendenziell pro-palästinensisch (Kauschke, 2001 zitiert nach Behrens, 2003, S. 6).

Vor diesem Hintergrund versucht die News Bias Theory, welche im folgenden Kapitel dargelegt wird, zu untersuchen, ob die Berichterstattung, hier am Beispiel des Nahostkonflikts, von Verzerrungen geprägt ist.

1.1 News Bias Theory

„Der geschickte Journalist hat eine Waffe: das Totschweigen - und von dieser Waffe macht er oft genug Gebrauch.“ (zitiert nach Weischenberg, 1995, S. 170) Dies schrieb der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky in der Zeitschrift „Weltbühne“ vom 13. Oktober 1921. In dem Artikel geht es um die Wahrhaftigkeit in den Medien, sprich ob Medien und Journalisten die Welt so darstellen, wie sie ist oder ob sie die Realität in den Medien nach Belieben ändern. Tucholsky kommt zu dem Schluss: „Was da steht, das ist nicht die Welt. (...) Man sollte sich lieber an das Original halten.“ (ebd.)

Die Frage nach Abbildung und Konstruktion von Realität in den Medien wird seit über einem halben Jahrhundert im Rahmen der Kommunikationswissenschaft diskutiert und erforscht. Wie wird ein Ereignis zur Nachricht und welche Rolle spielt der Journalist als Vermittler von Ereignissen in den Massenmedien? - Das sind die zentralen Fragen der News Bias3 -Forschung.

Der Journalist „erschafft“ Nachrichten erst durch Beobachtung und Bearbeitung von Ereignissen. Mark Fishman (1982) “betont, daß Ereignisse nicht an sich bestehen, sondern erst durch Wahrnehmung konstituiert werden, wobei Journalisten eine zentrale Rolle einnehmen: nur was sie als Ereignis erkennen und worüber sie berichten, ist im eigentlichen Sinne ein Ereignis.“ (Staab, 1990, S. 102f.) In der News-Bias-Forschung geht es darum „Unausgewogenheiten, Einseitigkeiten und politische Tendenzen in der Medienberichterstattung zu messen sowie Aufschluss über deren Ursachen zu erlangen“ (ebd., S. 27). Es sollen somit „bewusste Verzerrungen in der Berichterstattung“ (Kunczik & Zipfel, 2005, S. 266) untersucht werden. In der News Bias-Forschung wird demnach danach gefragt, wie sich politische Einstellungen von Journalisten und ihre Nachrichtenauswahl zueinander verhalten oder wie politische Einstellungen sich auf die Selektion auswirken. Zum Lösen ihrer Forschungsfragen bedienen sich die Forscher hauptsächlich zweier Methoden. Zum einen mit experimentellen Studien, in denen die Nachrichtenauswahl respektive die Berichterstattung durch Journalisten oder andere Versuchspersonen stimuliert. Dazu gehören drei Untersuchungen von Jean S. Kerrick, Thomas E. Anderson und Luita B. Swales (1964), welche zeigten, dass progressive Journalistik-Studenten, die für eine Zeitung schreiben sollten, besonders viele konservative Argumente wählten. Dies galt analog für konservative Journalistik-Studenten, die für eine progressive Zeitung schreiben sollten. War jedoch keine redaktionelle Linie vorgegeben, wurden die Aspekte ausgewählt, die der eigenen persönlichen Einstellung entsprachen. Auch der Versuch von Roy E. Carter (1959), welcher 142 Studenten von verschiedenen Universitäten aus den Nord- und den Südstaaten der USA einen Artikel über einen Raubüberfall schreiben ließ, in dem zwei mögliche Täter - der eine weiß und der andere schwarz - vorkamen, sollte untersuchen, welche Studenten den Schwarzen bzw. den Weißen als Tatverdächtigen ansahen und warum (vgl. Staab, 1990, S. 27). Da die Experimente nur mit Studenten und nicht mit im Beruf stehenden Journalisten durchgeführt wurden, ist die Übertragbarkeit der Studienergebnisse zwar aufschlussreich aber auch begrenzt. Im Rahmen der Studie von Flegel und Chaffee (1971) wurden in den siebziger Jahren acht Journalisten einer progressiven und neun einer konservativen Zeitung zwecks ihrer politischen Einstellungen befragt. Des Weiteren nahmen Flegen und Chaffee eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung vor, wobei nicht der selektierende Journalist, sondern der Reporter als „erstes ‚Gate‘ im Kommunikationsprozess“ im Vordergrund steht. In ihrem Summary stellen sie abschließend fest, dass Reporter sich sehr von ihrer persönlichen Meinung leiten lassen und sich dessen auch bewusst sind (vgl. S. 645). Der deutsche Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger (1994) stellte in einer Befragung von Journalisten verschiedener Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen fest, dass knapp die Hälfte aller Redakteure instrumentelle Aktualisierung akzeptierte. Das bewusste Herunterspielen von Informationen (die instrumentelle Verschleierung) fand hingegen nur jeder sechste vertretbar.4 Weiterhin fand er in einem Experiment mit denselben Journalisten heraus, dass die Meinungen der Journalisten einen signifikanten Einfluss auf die Nachrichtenauswahl hatten und die Journalisten somit nachweisbar eher Meldungen veröffentlichten, welche ihre Sicht des Konfliktes stützen5: „Die jeweils „eigene“ Seite wurde - bildhaft gesprochen - nicht verteidigt, sondern aus dem Schussfeld genommen, die andere Seite dafür um so heftiger attackiert“ (Kepplinger, 1989, S. 214).

Eine zweite Methode der „News Bias“-Forschung ist die Inhaltsanalysen in Kombination mit Journalistenbefragungen oder anderer Kriterien. Ziel dabei ist es, Zusammenhänge zwischen der politischen Tendenz der Berichterstattung und der politischen Einstellung von Journalisten, Verlegern und Herausgebern zu exponieren und verzerrende journalistische Einflüsse auf die Berichterstattung zu lokalisieren. Eine der ersten Untersuchungen auf inhaltsanalytischer Ebene lieferten 1954 Malcom W. Klein und Nathan Maccoby. Diese untersuchten im Jahr 1952 die Berichterstattung des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA. Als Ergebnis konnten sie eine einseitige Berichterstattung am jeweils favorisierten Kandidaten lancieren. Prorepublikanische Zeitungen beachteten den Kandidaten Eisenhower stärker, wohingegen die pro-demokratischen Zeitungen den Gegenkandidaten Stevenson stärker fokussierten. (S. 285-296). Dies wurde als Beleg für eine einseitige Berichterstattung gewertet und zeigte, dass subjektive Einstellungen von Journalisten Einfluss auf die Berichterstattung haben. Auch lässt sich oft eine Verbindung zwischen politischer Tendenz eines Artikels bzw. Beitrages und der politischen Einstellung des Journalisten, der den Bericht produziert hat, herstellen. Der Kommunikationswissenschaftler Klaus Schönbach führte 1971 ebenfalls eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung über die Berliner Verhandlungen der Alliierten in Tageszeitungen und Hörfunksendern von ARD und ZDF durch. Er kam zu dem Ergebnis, dass Nachrichten häufig an die Kommentare angeglichen wurden („Synchronosation“6 ), jedoch galt dies nicht für die gesamte Berichterstattung und nicht für alle Medien gleichermaßen (vgl. S. 48ff., 78ff., und 143ff.). Ähnliches gilt für die politische Einstellung von Herausgebern bzw. Verlegern: Die News Bias-Forschung hat gezeigt, dass Berichte oft einer redaktionellen Linie entsprechen. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich die News Bias-Forschung in Teilen mit der Gatekeeper-Theorie überschneidet (vgl. Staab, 1990, S. 27-40, Burkart, 1998, S. 278). Auch Weischenberg (1992, S. 67) präzisiert für beide Ansätze (Gatekeeper und News Bias): „Diese Bedingungen und Regeln werden von diesen Ansätzen verdeutlicht, geben jedoch keine Auskunft darüber, wie genau diese Wirklichkeitsentwürfe aussehen.“ Luhmann geht noch einen Schritt weiter: „Die Massenmedien „manipulieren“ die öffentliche Meinung. Sie verfolgen ein nichtkommuniziertes Interesse. Sie produzieren bias.“ (2004, S. 78)

Die Forschung des News Bias stößt an ihre Grenzen, da ausschließlich politische Einstellungen von Journalisten und Verlegern als Ursache für Verzerrungen im Fokus stehen. Bei vielen Nachrichten kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die politische Linie der Redaktion keine ausschlaggebende Rolle spielt und Redaktionen pauschal keine politischen Linien unterstellt werden können. So auch im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland, welcher gleichzeitig das Untersuchungsobjekt dieser Arbeit darstellt und der Wahrung politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit verpflichtet ist.

Um nun eine Aussage über News Bias in der Nahost-Berichterstattung der Tagesschau der ARD sowie der heute-Sendung des ZDF treffen zu können, soll im Rahmen dieser Arbeit lediglich die einseitige Bewertung durch Journalisten geprüft werden. Die sogenannten ‚ Statement Bias ‘ beschreiben die Wirkung subjektiver Meinungen der Journalisten in den Nachrichten, gemessen am Ausmaß wertender Statements (vgl. Donsbach & Rentsch, 2011, S. 61). Weitere Indikatoren für News Bias wie ‚ Gatekeeping Bias ‘ und ‚ Coverage Bias ‘ (vgl. Beyer, 2007, S. 7f.) werden nicht beachtet. Um eine Bewertung vornehmen zu können, soll hier die 50/50-Regel Anwendung finden, d.h. eine 50:50-Aufteilung der beiden Konfliktparteien ist Richtwert zur Abschätzung der Statement Bias.

1.2 Studien und ihre Ergebnisse

Empirische Studien zu News Bias in der deutschen Fernsehberichterstattung zu Israel und Nahost oder allgemein zur deutschen Berichterstattung bezüglich dieser Thematik gibt es kaum. Lediglich in den Analysen von Medien Tenor (2003a/b) und IFEM (2002) werden parteiliche Verzerrungen (Bias) berücksichtigt, jedoch nicht geprüft, inwiefern antisemitische Stereotype einen Platz im deutschen Nachrichtenfernsehen finden (vgl. Beyer, 2007, S. 9). In den meisten Studien und Untersuchungen zur Nahost-Thematik werden vielmehr die tendenziöse Berichterstattung über den Nahostkonflikt sowie die Position Israels in diesem Konflikt fokussiert. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über bisherige Studien gegeben werden.

Eine im Auftrag des „American Jewish Committee“ (AJC) vom „Duisburger Institutes für Sprach und Sozialforschung“ (DISS, 2002) erstellte empirische Studie zur Darstellung Israels während der zweiten Intifada im Zeitraum von September 2000 bis August 2001 hat beispielsweise deutschen Printmedien die Verbreitung antisemitischer Vorurteile in der Nahost-Berichterstattung vorgeworfen. Von „zunehmend aggressiven Tönen gegen Israel“ (Lutz, 2002) sprach die Leiterin des Berliner AJC-Büros, Deidre Berger, bei der Vorstellung der Studie, die auf 427 analysierten Artikeln aus sieben Tageszeitungen und einem Magazin beruht. Der Studie zufolge wurde der israelische Premierminister Ariel Scharon wesentlich schärfer beurteilt als die Regierungschefs anderer demokratischer Staaten und häufig mit Ausdrücken betitelt, die fehlende Vernunft und Fanatismus suggerierten. Es fielen unter anderem die Begriffe „Kriegstreiber“, „Haudegen“ sowie „Fanatiker“ und „Bulldozer“. Scharon wurde somit als Symbolfigur für das Scheitern des Friedensprozesses im Nahen Osten dargestellt, so die Studie. Der Präsident Jassir Arafat hingegen erfahre nicht die gleiche negative Beschreibung. Generell wurde das Handeln der palästinensischen Akteure weniger berücksichtigt. Des Weiteren stellte sich heraus, dass die angebliche militärische und politische Überlegenheit der Israelis gegenüber den Palästinensern mit Formulierungen wie «Panzer gegen Steine» herausgestellt wurden, während das Handeln der palästinensischen Seite weniger berücksichtigt wurde. Allerdings würden auch Palästinenser häufig negativ dargestellt.

Die vom Bonner Forschungsinstitut, Media Tenor, in Deutschland durchgeführte Studie über die deutsche TV-Berichterstattung bestätigt, dass Großteils Israel im Diskurs im Nahen Osten als Aggressor und Schuldiger dargestellt wird und damit die Verantwortung für die Gewalt und dessen Folgen trägt (vgl. Media Tenor, 2003a/b und 2006). Media Tenor weist ebenfalls darauf hin, dass Israel in den deutschen Medien einseitig als Kriegsland dargestellt wird, in dem es keinen normalen Alltag gebe (vgl. Medien Tenor, 2004, S. 74f.).

Eine weitere Studie, die diese Thematik betrifft, wurde im Jahr 2002 im Auftrag von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) durch das Institut für empirische Medienforschung/IFEM erstellt und bezieht sich auf die Hauptausgaben der Nachrichten von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 in der Zeit von Januar 1999 bis März 2002. Insgesamt wurden 1951 Nachrichtenbeiträge quantitativ und 891 Nachrichtenbeiträge inhaltsanalytisch ausgewertet. Anlass zur Untersuchung waren neben dem wissenschaftlichen und politischen Interesse an der journalistischen Behandlung dieses äußerst komplexen Themas, auch die in der deutschen Gesellschaft vermuteten Einflüsse dieser Berichterstattung auf das Bild Israels. In Abwägung der Einzelbefunde kommt die Studie zu dem Schluss, dass ein wesentlicher Medieneffekt des Terrors darin liegt, Israel als Militärmacht in eine sichtbare Aggressorrolle zu bringen.

Im Hinblick auf die Berichterstattung kommt der deutsche Medienforscher Rolf Behrens (2003) im Rahmen seiner Studie über das Israel-Image beim „Spiegel“ zu dem Schluss, dass die Meldungen über Israel von auffälligen immer wiederkehrenden Stereotypen bestimmt sind und „der Staat Israel stereotyp als brutaler, expansiver und rassistischer Staat voller Missstände dargestellt wird, dessen Gesellschaft innerlich zerrissen sei und sich im Niedergang befinde.“ (S. 170) In seiner Studie untersuchte er 345 Artikel aus der Zeit der ersten Intifada (1987-1992) und der sogenannten El Aksa Intifada im Zeitraum von September 2000 bis zum 8. April 2002. Die Erkenntnis seiner Analyse geht über das vermittelte Israel-Bild hinaus und betrifft die politischen Folgen der Berichterstattung: Ihm zu Folge kommt „Den beiden Nationen Deutschland und Israel [...] in zunehmendem Maße die gemeinsame historische und aktuelle Sichtweise abhanden. Während sich die meisten Israelis von ihren Nachbarn bedroht fühlen, sieht die Mehrheit der Europäer Israel heute als den Aggressor und Störenfried.“ (Behrens, 2004, S. 42) Laut Behrens wird eine Berichterstattung über Israel, wie sie der Spiegel und andere Medien praktizieren, auf mittelfristiger Sicht dazu führen, „dass das heute noch häufig beschworene ‚besondere Verhältnis‘ zwischen Deutschland und Israel ein Ende findet“ (ebd.) und es, wie Behrens weiter postuliert, in unser aller Interesse und Verantwortung liegt, dieser Entwicklung entschieden zu begegnen (vgl. ebd.).

Die aktuellsten Befunde liefert die vergleichende Analyse der deutschen Presseberichterstattung über die 2. Intifada im Gaza-Krieg von Maurer & Kempf (2011). Diese kommen zu dem Ergebnis, dass die Berichterstattung insgesamt von negativen Nachrichten dominiert wird, dabei jedoch beide Konfliktparteien gleichermaßen in ein schlechtes Licht gerückt werden. Sie konstatieren weiterhin, dass, falls tatsächlich eine Stärkung anti-israelischer oder sogar antisemitischer Einstellungen stattgefunden hat, dies dann nicht auf einem anti-israelischen Bias der Berichterstattung zurückzuführen ist. Im folgenden Kapitel sollen nun die Begriffe Antisemitismus und Antizionismus definiert und von einander abgegrenzt werden, um daran anschließend das Israelbild in Deutschland zu erläutern.

2. Antisemitismus, Antizionismus und Israelbild in Deutschland

Wenn es um den Nahostkonflikt und Israel geht, fallen in Politik und Medien schnell die Begriffe Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik - ohne überhaupt zu wissen, was es mit den Begriffen auf sich hat. Was ist der Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus und wo verläuft die Grenze zwischen Israelkritik und Judenfeindschaft? Wo hört legitimer Kritik an Israel auf und wo fängt Antisemitismus an? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es zunächst zu klären, was Antisemitismus und Antizionismus bedeuten, d.h. wie sich beide definieren und voneinander abgrenzen lassen und wann Israelkritik mit ihnen zusammenfällt. Dazu ist es unerlässlich beide Begriffe auch vom Begriff „Rassismus“ abzugrenzen und zu unterschieden. Dem widmen sich die folgenden Kapitel 2.1 und 2.2. Im Anschluss daran werden die Begriffe „Stereotyp“, „Vorurteil“ und „Feindbild“ geklärt (Kap. 2.3) und die den Juden zugeschriebenen stereotypischen Merkmale benannt.

An dieser Stelle muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die nachfolgenden Ausführungen, auf Grund der Begrenztheit dieser wissenschaftlichen Arbeit und der Komplexität des Themas, lediglich die Antisemitismus-Thematik umreißen und einen allgemeinen Überblick geben.

2.1 Zum Begriff des Antisemitismus

„Antisemitismus [ist] das wohl älteste soziale und politische Vorurteil überhaupt, das im 20. Jahrhundert im millionenfachen Völkermord mit noch lange anhaltenden Folgen ausgelebt wurde.“ (Benz, 1996, S. 8) Um den Antisemitismus verstehen zu können, ist es unumgänglich die Geschichte der Judenfeindschaft zu kennen, in der das negative Judenbild geprägt wurde. Seit jeher werden Juden in die klassische Funktion des Sündenbocks gedrängt. Betrachtet man die Geschichte des jüdischen Volkes, so wird auch ersichtlich, dass Juden geradezu prädestiniert dafür sind, für diese Rolle instrumentalisiert zu werden (vgl. Waibl-Stockner, 2009, S. 13).

[...]


1 Die verwendete Begrifflichkeit ist schwierig und unscharf, präziser müsste hier vom israelisch- palästinensischen Konflikt oder vom Palästinakonflikt die Rede sein, da zum Nahostkonflikt z.B. auch Auseinandersetzungen zu arabischen Nachbarstaaten Israels gehören. Allerdings hat sich der Begriff

2 Der Kongress fand vom 1. Bis 4. November 2001 in Düsseldorf statt. Neben rund 3000 Juden nahmen Journalisten, Publizisten und Politiker teil.

3 „News“ ist das englische Wort für Neuigkeit oder auch für Nachricht. „Bias“ bedeutet wörtlich übersetzt: “Neigungen, Vorurteile, Voreingenommenheiten“.

4 Die Zahlenangaben beziehen sich auf das Thema „35-Stunden-Woche“. Zwischen den Vertretern verschiedener Mediengattungen zeigten sich deutliche Unterschiede.

5 Dieses Ergebnis zeigte sich für alle drei untersuchten Themen (Kepplinger, 1994, S. 227).

6 Für Klaus Schönbach ist Synchronisation die gleichsinnige Vermischung von Nachricht und Meinung.

Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Israelisch-Palästinensischer Konflikt am Beispiel der Fernsehnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
57
Katalognummer
V263289
ISBN (eBook)
9783656520634
ISBN (Buch)
9783656527985
Dateigröße
728 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ARD, ZDF, öffentlich-rechtliche, Israel, Palästina, Nahost-Konflikt, israelisch-palästinensischer Konflikt, Nachrichten, Antisemitismus, Stereotype, Feindbilder, Islam, Antizionismus, News Bias Theory
Arbeit zitieren
Aline Kaplan (Autor:in), 2013, Israelisch-Palästinensischer Konflikt am Beispiel der Fernsehnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263289

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