Mit Rudolf Bahro hatte man es mit einem Universalgelehrten, mit einem Exoten, mit einem Seher zu tun. Gewiß, auch bei ihm gab es Zerrlinsen. Er ist in Gebiete hineingegangen, von denen viele noch nichts wissen wollen, wo die zentralen Existenzfragen dieser Menschheit in Zukunft entschieden werden. Manche seiner Ideen und Analysen sind für den mit seinem Wissenshorizont nicht Vertrauten, halsbrecherisch verknüpfte Steigpfade. Bahro ist nicht einfach gestrickt, man muß sich in seinen vielschichtigen Erkenntniskosmos einarbeiten, und mancher Zusammenhang wird wohl für immer im Dunklen bleiben. Oft können Elemente seiner Erfahrungs- und Wissenswelt mit Hilfe von Sekundärliteratur freigelegt oder doch zumindest transparenter gemacht werden. Den zentralen Grundstock erhält man durch die Lektüre seiner Werke zweifelsohne, aber man sollte nicht meinen, sich dadurch den ganzen Bahro erschlossen zu haben, selbst wenn seine Vorlesungen an der Humboldt-Universität zu Berlin eines Tages soweit möglich publiziert sein sollten. Es gibt da dennoch einen breiten Gürtel, der nur schwer zu erschließen ist, auch je abhängig von den Vorkenntnissen desjenigen, der sich damit auseinandersetzt. Vor solchem Hintergrund kann eine Biographie viele Details der Lebensgeschichte berichten. Das Wissensnetzwerk, die Motivationen und die Verknüpfungen in den Lebenslauf hinein sind dagegen viel schwieriger zu rekonstruieren, insbesondere beim späten Bahro. Da sind Fehlwahrnehmungen schnell eingebaut. Das liegt in der Natur des Stoffs. Sympathisch, daß die Biographen einräumen, Bahro ist ein zu umfassender Denker, als daß sie seine geistigen Fragestellungen und Perspektiven mit ihrem Band ausloten könnten. Wie schön sich jedoch naive Vorurteile über Bahro stricken lassen, kann man an etlichen Rezensionen ablesen, die zum Erscheinen der Biographie „Rudolf Bahro - Glaube an das Veränderbare“ von Guntolf Herzberg und Kurt Seifert in den verschiedenen Tageszeitungen etc. nachzulesen waren. Reze nsionen, wie die von Manfred Kriener in der „tagesze itung“ oder jene von Michael Jäger im „Freitag“, die den wirklichen Bahro andeuten, sind eher in der
Minderheit. Besonders obskur kommt eine Rezension in der „Züricher Zeitung“ von Stefan
Dornuf daher. Zunächst erscheint dem Rezensenten das Schreiben der Biographie selbst als eine dubiose Auszeichnung für Bahro. Aus seiner Sicht ist jede Befassung mit Bahro seit seinem Besuch bei Baghwan nicht mehr zu rechtfertigen. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Leben und Werk eines Dissidenten
- Der späte Bahro
- Bahro als Dissident
- Biographie und Rezensionen
- Bahro im Kontext
- Bahro in der DDR
- „Die Alternative“ und die Folgen
- Kritik an der Apparateherrschaft
- Bahro und der Sozialismus
- Kritik an der sowjetischen Führung
- Der Pseudosozialismus und seine Folgen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit dem Leben und Werk von Rudolf Bahro, einem prominenten Dissidenten der DDR. Der Text zeichnet ein umfassendes Bild von Bahros Entwicklung von einem engagierten SED-Mitglied zu einem scharfen Kritiker des real existierenden Sozialismus. Der Autor beleuchtet dabei sowohl Bahros theoretische und politische Positionen als auch seine persönlichen Erfahrungen in der DDR.
- Bahros Kritik am real existierenden Sozialismus
- Analyse der DDR-Gesellschaft und der politischen Verhältnisse
- Entwicklung von Bahros Dissidenz und seine Opposition gegen die SED-Herrschaft
- Bahros alternative Gesellschaftsmodelle und seine Ideen für eine sozialistische Zukunft
- Rezeption und Kritik an Bahros Werk
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel stellt den Autor Rudolf Bahro und sein Werk vor. Es wird seine Vielseitigkeit und seine Bedeutung für die Kritik am real existierenden Sozialismus hervorgehoben.
- Im zweiten Kapitel wird auf die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion von Bahros Leben und Werk, insbesondere in der späteren Phase seiner Karriere, eingegangen. Es wird auf naive Vorurteile eingegangen, die in einigen Rezensionen zum Ausdruck kommen.
- Das dritte Kapitel thematisiert Bahros Wandel von einem engagierten SED-Mitglied zu einem Dissidenten. Es wird die Entwicklung seiner Kritik an den politischen Verhältnissen in der DDR beleuchtet und seine Position im Vergleich zu anderen prominenten Kritikern wie Robert Havemann betrachtet.
- Das vierte Kapitel schildert die wichtigsten Stationen in Bahros Biografie, beginnend mit seiner Jugend und seiner Zeit als SED-Mitglied. Es wird seine Tätigkeit als Journalist, seine Auseinandersetzung mit den Parteioberen und seine Flucht aus der DDR dargestellt.
- Das fünfte Kapitel analysiert Bahros Buch „Die Alternative“ und beleuchtet dessen Bedeutung für die Kritik am real existierenden Sozialismus. Es wird die Reaktion der DDR-Behörden auf Bahros Werk und seine Verhaftung beschrieben.
- Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit Bahros Kritik an der Apparateherrschaft und der Rolle des Sozialismus in der DDR. Es wird auf seine Kritik an der sowjetischen Führung und die Folgen des Einmarsches in die Tschechoslowakei eingegangen.
- Das siebte Kapitel betrachtet die Frage, ob Bahros Erklärungsversuche des Pseudosozialismus umfassend genug sind. Es werden seine Kritikpunkte und mögliche Schwächen seiner Analyse beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Fokuspunkte des Textes sind Rudolf Bahro, Dissidenz, real existierender Sozialismus, DDR, Kritik an der Apparateherrschaft, alternative Gesellschaftsmodelle, „Die Alternative“, Sowjetische Führung, Pseudosozialismus. Der Text beschäftigt sich mit Bahros Leben und Werk und befasst sich insbesondere mit seinen politischen und theoretischen Auseinandersetzungen mit dem real existierenden Sozialismus und den Verhältnissen in der DDR.
- Arbeit zitieren
- Marko Ferst (Autor:in), 2004, Über Leben und Werk von Rudolf Bahro, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26349