Einleitung
Der Antisemitismus ist aufgrund der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges viel diskutierten Frage, wie es zur Herrschaft des Nationalsozialismus’ und damit zur Ermordung von über sechs
Millionen Juden kommen konnte, noch immer ein Thema, das nicht nur in der historischen Forschung, sondern auch in einer breiteren Öffentlichkeit erörtert wird. Dieses zeigte zuletzt die Auseinandersetzung um das Buch des Soziologen Daniel Goldhagen, das sich in Deutschland ein Jahr in den Bestsellerlisten für Sachbücher halten konnte(1). Goldhagen richtet den Blickwinkel seiner Untersuchung auf die Täter des Holocaust und versucht so, von einer unpersönlichen Betrachtung von Strukturen und Institutionen auf die persönlichen Motive und Überzeugungen der einzelnen Ausführenden zu lenken. Er stellt die These auf, daß einzelne Täter des Holocaust nicht aus Zwang, sondern aus Überzeugung gehandelt hätten und somit einem tief verwurzelten Antisemitismus anhingen, der schon vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland vorhanden war(2).
Unabhängig von der Kontroverse, die Goldhagens Buch in der Öffentlichkeit, aber auch in der historischen Forschung hervorgerufen hat, läßt diese Aussage das Interesse auch wieder an der „Vorgeschichte des politischen Antisemitismus“(3) wachsen und somit an der Fragestellung, wie und warum antisemitisches Gedankengut sich gesellschaftlich in Deutschland etablieren konnte.
Der Zeitraum, um den es in dieser Arbeit hauptsächlich geht, nimmt für diese Entwicklung sicherlich eine nicht unbedeutende Stellung ein: es sind die Jahre 1890 - 94, die Regierungszeit
des Reichskanzlers Leo von Caprivi. Diese Zeitspanne stellt einen Umbruch in vielerlei Hinsicht dar. Dabei sollen zwei Aspekte hervorgehoben werden: der politische und der wirtschaftliche.
Politisch betrachtet ist es der Übergang von der im nachhinein als stabil empfundenen Bismarckzeit(4), die fast zwanzig Jahre im Reich und sogar fast dreißig Jahre in Preußen angedauert hatte,
[...]
______
1 So befindet sich das Buch vom Erscheinen seiner deutschen Ausgabe im Sommer 1996 bis Anfang Juli 1997 in der [...]
2 Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996, S. 5 - 13.
3 So der deutsche Titel des grundlegenden Buches von Paul W. Massing, Frankfurt / M. 1959.
4 Schaefer, Jürgen W.: Kanzlerbild und Kanzlermythos in der Zeit des "Neuen Curses".[...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Definition und Entwicklung des Antisemitismus' bis in die 1890er Jahre
- Ursprung und Definition des Wortes Antisemitismus
- Judenfeindschaft als christliches Motiv
- Die Judenemanzipation als Basis für die Entstehung des Antisemitismus'
- Das fortschrittsfeindliche Motiv des Antisemitismus'
- Juden als Zerstörer christlichen Wohlstandes
- Juden als Zerstörer christlicher Werte
- Das nationalistische Motiv des Antisemitismus'
- Das völkische Motiv des Antisemitismus'
- Antisemitismus im deutschkonservativen Milieu vor 1890
- Antisemitismus zu Beginn der 1890er Jahre
- Die Krisenzeit der Deutschkonservativen Partei
- Der drohende politische Macht- und Einflußverlust
- Die Bedrohung durch Caprivis Versöhnungspolitik
- Die Bedrohung des junkerlichen Einflusses in Preußen
- Enttäuschte Hoffnungen auf Wilhelm II.
- Der drohende wirtschaftliche Einflußverlust
- Die begründete Furcht vor Wahlverlusten
- Die Furcht vor der Böckel - Bewegung
- Die Furcht vor Ahlwardts Erfolgen
- Die Führungskrise innerhalb der DKP
- Helldorff und sein traditioneller Führungsstil
- Die Chance der Kreuzzeitungsgruppe
- Das Ausmaß der Krise vor dem Tivoli - Parteitag
- Der drohende politische Macht- und Einflußverlust
- Propagierung des Antisemitismus' als Weg aus der Krise
- Der Tivoli - Parteitag und die Diskussion über die Aufnahme des Antisemitismus' in das Parteiprogramm
- Antisemitismus in der deutschkonservativen Programmatik
- Der Antisemitismus im Tivoli - Programm
- Antisemitismus im Gründungsprogramm der DKP von 1876
- Die DKP nach Tivoli: Antisemitismus in Annäherung an die Antisemitenparteien?
- Gründung, Wesen und Funktion des Bundes der Landwirte (BdL)
- Antisemitismus: ein Weg aus der Krise?
- Das Ende der Krise für die Deutschkonservative Partei
- Die Stagnation des politischen Antisemitismus'
- Der Erhalt des politischen Einflusses der Deutschkonservativen
- Das Ende der innerparteilichen Opposition
- Schlußbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rezeption des Antisemitismus in der Deutschkonservativen Partei in der Regierungszeit des Reichskanzlers Leo von Caprivi (1890-1894). Sie analysiert, wie die Partei mit dem aufkommenden Antisemitismus umging und wie dieser in ihrer Programmatik und Politik eine Rolle spielte. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, ob und inwiefern der Antisemitismus als Mittel zur Überwindung der inneren Krise der Partei genutzt wurde.
- Die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus bis in die 1890er Jahre
- Die politische und wirtschaftliche Krise der Deutschkonservativen Partei
- Die Integration des Antisemitismus in die Programmatik der DKP
- Der Einfluss des Antisemitismus auf die politische Strategie der DKP
- Die Folgen der Rezeption des Antisemitismus für die DKP
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den historischen Kontext der Arbeit dar und erläutert die Bedeutung des Antisemitismus in der deutschen Geschichte. Kapitel 2 befasst sich mit der Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus von seinen Ursprüngen bis in die 1890er Jahre. Es werden die verschiedenen Motive und Strömungen des Antisemitismus beleuchtet. Kapitel 3 analysiert die Krise der Deutschkonservativen Partei in den Jahren 1890-1894. Es werden die politischen, wirtschaftlichen und innerparteilichen Gründe für die Krise dargestellt. Kapitel 4 untersucht, wie die Deutschkonservative Partei mit dem Antisemitismus umging und wie dieser in ihre Programmatik und Politik integriert wurde. Es werden die Auswirkungen des Antisemitismus auf die Partei analysiert.
Schlüsselwörter
Deutschkonservative Partei, Antisemitismus, Caprivizeit, politische Krise, wirtschaftliche Krise, Programmatik, politische Strategie, innere Opposition, Judenfeindschaft, nationalistische Strömungen, völkische Strömungen.
- Arbeit zitieren
- Christian Schubbert (Autor:in), 1998, Die Rezeption des Antisemitismus in der Deutschkonservativen Partei in der Caprivizeit (1890 - 94), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264