Die Todesproblematik in Goethes Wahlverwandtschaften


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

19 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Forschungsüberblick
1.2. Methode und genaue Vorgehensweise

2. Die Todesproblematik in den „Wahlverwandtschaften“
2.1. Die Wahlverwandtschaften-Metapher
2.2. Todessymbole in den Wahlverwandtschaften
2.3. Das Auftreten des Todes in den Wahlverwandtschaften
2.3.1. Der Tod des Geistlichen
2.3.2. Der Tod des Kindes
2.3.3. Der Tod von Ottilie
2.3.4. Der Tod von Eduard

3. Schluss
3.1. Ausblick

4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärliteratur
4.2. Sekundärliteratur

5. Eigenständigkeitserklärung

1. Einleitung

Als Novelleneinlage für „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ geplant, wuchs Goethes Werk „Die Wahlverwandtschaften“ zu einem eigenständigen Roman heran.[1] Nach dessen Veröffentlichung erwähnte Goethe 1827 gegenüber Eckermann, dass sein Roman „mehr, als irgend jemand bei einmaligem Lesen aufzunehmen imstande wäre“[2], beinhaltet. Diese Aussage lässt die Komplexität und den großen Interpretationsgehalt des Werkes erahnen. Des Weiteren sagte Goethe über „Die Wahlverwandtschaften“: „Ich habe viel hineingelegt, manches hinein versteckt. Möge auch Ihnen dies offenbare Geheimnis zur Freude gereichen.“[3] „Die Wahlverwandtschaften“ bieten also für Philologen eine breitgefächerte Auswahl an literarischen Motiven und Rätseln, welche von der Darstellung der Frauenbilder bis hin zur Namen- und Buchstabensymbolik reichen. Ebenfalls sehr häufig wird die Thematik des Todes in den „Wahlverwandtschaften“ untersucht. Während im ersten Teil des Romans der Tod nur in Erzählungen und Gesprächen erwähnt wird und es nur zu Unfällen kommt, wird der Leser im zweiten Teil mit vier reellen Todesfällen konfrontiert. Kein Dichter schreibt etwas, was nicht auch wesentliche Fragen und Themen des Lebens, bzw. des eigenen Lebens beinhalten. Zur Geburt und zum Leben eines Menschen gehört auch immer sein Tod. Es wird häufig über den Tod nachgedacht aber nur selten darüber gesprochen. Dennoch findet man über alle Epochen hinweg in der Dichtung das Thema des Todes wieder. Goethe hatte ein ganz besonderes Verhältnis zum Tod. Er hatte ein außergewöhnlich langes Leben und hat somit den Verlust vieler Angehöriger und enger Freunde miterlebt. Er begegnete dem Tod mit Distanz und Schweigen oder verfiel in schwere Krankheiten.[4] Goethe versuchte stets die Szenerie des Todes zu meiden, er besuchte nur sehr selten Beerdigungen um sich durch den Anblick der Toten nicht das lebendige Bild, das er von ihnen hatte, zu zerstören.[5] „Auch auf den Tod seiner Nächsten reagiert Goethe mit Distanz, Abwehr, scheinbarer Ignoranz und Schweigen oder tatsächlicher Krankheit und schweren gesundheitlichen Krisen“.[6] Außerdem war Goethe sogar selbst einmal suizidgefährdet, was durch einen Brief an seinen Freund Kestner belegt ist.[7] Der Tod spielt in Goethes Leben eine besondere Rolle, was erklären könnte, warum er in vielen seiner Werke den Tod, wie auch in den „Wahlverwandtschaften“, thematisiert. In dieser Arbeit soll die Darstellung und Symbolik des Todes genauer untersucht werden.

1.1. Forschungsüberblick

Die Forschungsliteratur der „Wahlverwandtschaften“ besteht durch die Vielseitigkeit des Werkes aus unzähligen literarischen Forschungswerken – und Artikeln, wobei sich einige mit der Thematik des Todes beschäftigen. Theodor Lockemann zum Beispiel untersucht in seinem Werk Der Tod in Goethes „Wahlverwandtschaften“ (1975) die Einstellungen und Beziehungen der einzelnen Personen zum Tod. Ebenso beschäftigt sich auch Elisabeth Herrmann in ihrem Werk Die Todesproblematik in Goethes „Wahlverwandtschaften“(1998) mit der Thematik des Todes bezogen auf alle erdenklichen Textstellen im Werk. Sie hinterfragt, inwiefern die Todesproblematik dem Roman eine Struktur verleiht und zieht deren Bedeutung für Ottilie in den Vordergrund. Des Weiteren erörtert Sie in einem ganzen Kapitel die Heimliche und unheimliche Gegenwart des Todes und macht dies z.B. an der Todessymbolik fest, die an zahlreichen Textstellen erläutert wird. Dass diese Symbole auch als Vorausdeutungen interpretiert werden können zeigt Judith Reusch in ihrem Werk Zeitstrukturen in Goethes Wahlverwandtschaften (2004). Dabei geht sie auf die, im Roman für den Leser sehr früh erkennbaren Vorausdeutungen ein, die aber von den Hauptfiguren selbst aus unterschiedlichen Gründen nicht eindeutig wahrgenommen werden. Für die Darstellung der Todesproblematik muss zusätzlich ein Überblick über die sterbenden Protagonisten gegeben werden. Hans Jürgen Geerdts hat dazu in seinem Forschungsaufsatz Die Hauptfiguren und die Nebenfiguren in ihrer Grundkonzeption (1958) teilweise Stellung genommen. Durch diese und weitere Forschungsliteratur soll die folgende Arbeit einen Überblick über die vielseitige Todesproblematik in Goethes Werk „Die Wahlverwandtschaften“ geben.

1.2. Methode und genaue Vorgehensweise

Zu Beginn dieser Arbeit soll auf den Tod als Metapher eingegangen werden und inwiefern er in Form von Todessymbolen in den „Wahlverwandtschaften“ dargestellt wird. Anschließend werden die vier reellen Todesfälle des zweiten Teils betrachtet, dabei sollen Anhaltspunkte und mögliche Vorausdeutungen dargestellt werden. Dadurch soll ein umfassenderes Bild über die Todesproblematik in den „Wahlverwandtschaften“ entstehen.

2. Die Todesproblematik in den „Wahlverwandtschaften“

„Der Tod ist doch etwas so Seltsames, daß man ihn, […] bei einem uns teuern Gegenstande nicht für möglich hält […]. Er ist gewissermaßen eine Unmöglichkeit, die plötzlich zur Wirklichkeit wird.“[8] Mit diesem Zitat von Goethe möchte ich beginnen über die Todesproblematik in den „Wahlverwandtschaften“ zu schreiben. Ähnlich wie es Goethe in diesem Zitat ausdrückt, ergeht es auch den Protagonisten in diesem Werk. Sie halten den Tod nicht für möglich, sie erkennen die Vorzeichen nicht oder sie deuten sie falsch und so kommt es im zweiten Teil zu einem „bösen Erwachen“, wenn sich das Gute zum Schlechten wendet. Betrachtet man die Todesfälle, die sich im zweiten Teil der „Wahlverwandtschaften“ ereignen, dann fällt auf, dass es sich in keinem der Fälle um einen bewussten Tötungsdelikt handelt. So stirbt der Geistliche angesichts eines angemessenen Alters an einem natürlichen Tod, Ottilie findet im Tod ihre Lebenserfüllung und auch Eduard erhofft diese Erfüllung zu finden, indem er ihr folgt. Lediglich der Tod des Kindes könnte als tragisch bezeichnet werden, da hier äußere Kräfte durch Ottilie eingewirkt haben. In den folgenden Kapiteln soll genauer auf den Tod der einzelnen Protagonisten eingegangen werden, indem Metaphern, Symbole und Vorausdeutungen der Todesfälle untersucht werden.

2.1. Die Wahlverwandtschaften-Metapher

In den „Wahlverwandtschaften“ sind einige Metaphern vorhanden. Hier soll nun auf den Titel und somit auf die „Wahlverwandtschaften-Metapher“ eingegangen werden, die den Zusammenhang zwischen belebter und unbelebter Natur problematisiert.[9] Im vierten Kapitel des ersten Teils wird dem Leser durch „das chemische Gleichnisgespräch zwischen Eduard, Charlotte und dem Hauptmann“[10] die naturwissenschaftliche Bedeutung des Titels verständlich. „Man redet in der Fachwelt von „Wahlverwandtschaften“ der Stoffe, […] die einander anziehen und abstoßen, um sich zu trennen und mit neuen Elementen zu vereinigen.“[11] Im weiteren Verlauf der Handlung gewinnt der Begriff „Wahlverwandtschaften“ immer mehr an metaphorischer Bedeutung, „indem das Gleichnis der Anziehung und Abstoßung, der Verbindung und Trennung chemischer Elemente der Handlung als Schema zugrunde gelegt wird“.[12] Dieser Sachverhält bestätigt, dass die Ausarbeitung der „Wahlverwandtschaften“ eng mit den naturkundlichen Forschungen Goethes in Zusammenhang standen. So scheint es, Goethe würde es in den „Wahlverwandtschaften“ „um die Darstellung der Analogien zwischen Naturvorgängen und menschlichen Prozessen, [bzw.] um die Frage nach der Übertragbarkeit der Gesetzmäßigkeiten“[13] von anorganischen Stoffen auf lebende Organismen gehen. Goethe selbst hat dies 1809 durch ein Schreiben in einem Morgenblatt bestätigt, indem er sagte: „Es scheint, daß den Verfasser seine fortgesetzten physikalischen Arbeiten zu diesem seltsamen Titel veranlaßten.“[14] Die „Wahlverwandtschaften“-Metapher erzeugt durch die chemische Gleichnisrede, welche zunächst nur auf chemischer Ebene Anziehung und Abstoßung bzw. Verbindung und Trennung von bereits bestehenden Zusammenschlüssen beschreibt, ein Bild des Verfalls und der Zerstörung.[15] Dadurch verknüpft sich im Verlauf der Romanhandlung „die „Wahlverwandtschaften“-Metapher […] auf unheimliche Weise immer enger mit Erscheinungen des Todes und dem Tod.“[16] Zu Beginn wirken sich die „wahlverwandtschaftlichen“ Beziehungen noch positiv und produktiv auf die Protagonisten aus, letztendlich entwickeln sie sich aber ins Negative und entfalten eine zerstörerische Wirkung bis hin zum tödlichen.[17] Die einhergehende Todesproblematik der „Wahlverwandtschaften“ lässt sich aus dem alleinigen Titel des Romans aber nicht herleiten, sondern wird erst im Verlauf der Handlung und den tragischen Vorfällen deutlich. Herrmann (1998) vermutet, ob Goethe wohl damit sagen will,

[...]


[1] Vgl. Appel, Sabine: Im Feengarten. Goethe und die Frauen, Stuttgart 1998, S. 421.

[2] Goethe zu Eckermann, 6. 5. 1827. In: Johann Wolfgang von Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hg. v. Ernst Beutler. Bd 24. Züchrich 1948, S. 636.

[3] Goethe an Zelter, 1. 6. 1809. In: Gedenkausgabe. Bd 19, S. 582.

[4] Vgl. Sengle, Friedrich: Kontinuität und Wandlung. Einführung in Goethes Leben und Werk. Heidelberg 1999, S. 50.

[5] Vgl. Herrmann, Elisabeth: Die Todesproblematik in Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“. Hg. v. Hugo Steger, Hartmut Wenzel. Heft 147. Berlin 1998, S. 27.

[6] Ebd.

[7] Vgl. Jansen, Hans Helmut: Der Tod in Dichtung Philosophie und Kunst. Zweite, neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Darmstadt 1989, S. 272ff.

[8] Vgl. Jansen, Hans Helmut: Der Tod in Dichtung Philosophie und Kunst. Zweite, neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Darmstadt 1989, S. 272. Zitiert nach: Goethes Gespräche mit Eckermann: 15.2.1830.

[9] Vgl. Herrmann: Die Todesproblematik, S. 35.

[10] Ebd.

[11] Appel: Im Feengarten, S. 421.

[12] Ebd. S.36.

[13] Ebd.

[14] Ebd. S. 37.

[15] Vgl. Ebd. S. 40.

[16] Ebd. S.40.

[17] Vgl. Ebd. S. 40.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Todesproblematik in Goethes Wahlverwandtschaften
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
19
Katalognummer
V264026
ISBN (eBook)
9783656532354
ISBN (Buch)
9783656541196
Dateigröße
714 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Goethe, Todesproblematik, Wahlverwandtschaften, Ottilie, Tod, Frauenbild, Eduard, Otto
Arbeit zitieren
Sven Langjahr (Autor:in), 2013, Die Todesproblematik in Goethes Wahlverwandtschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264026

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