Der Geschlechtervertrag

Braucht die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts einen neuen Geschlechtervertrag?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

20 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


1. Einleitung

Der Geschlechtervertrag als Bestandteil moderner Staatlichkeit ist allgegenwärtig. In ihm werden die Rollen und Erwartungen der Geschlechter festgeschrieben. Jedoch liegt die Gründung des Geschlechtervertrags ca. 300 Jahre zurück. Dabei drängt sich das Problem der aktuellen Gültigkeit des Geschlechtervertrags im 21. Jahrhunderts auf. Des Weiteren erschließen sich die Fragen, ob in der gegenwärtigen Zeit die gleichen Erwartungen an die Geschlechter gestellt werden können? Sind die Rollenverständnisse von Männern und Frauen noch zeitgetreu?

Um diesen Fragen nachzugehen, sollen zu Anfang einige Definitionen des Geschlechtervertrags vorgestellt werden. Als erstes dient eine allgemeine Begriffsbestimmung des Geschlechtervertrags für einen groben Überblick dessen Inhalts und Entstehungsgeschichte. Darauf folgt die Definition des Geschlechtervertrags nach Carole Pateman. Sie ist eine britische Politikwissenschaftlerin, deren Schwerpunkt auf Politische Theorie liegt. Der „sexual contract“ zählt zu einer ihrer wichtigsten Werke und beeinflusste die feministische Theorie. Im Anschluss erfolgt eine kritische Auseinandersetzung Carole Patemans an neuzeitlichen Vertragstheorien im Hinblick auf den Geschlechtervertrag. Dies dient einem besseren Verständnis der Thematik für die späteren Analysen eines neuen Geschlechtervertrags. Hier wird die Fragestellung, ob die Gesellschaft einen neuen Geschlechtervertrag braucht, behandelt. Die Beantwortung geschieht anhand zweier verschiedener Lösungsansätze. Der erste Ansatz handelt von der Gleichheit und Effizienz in der Wechselwirkung zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich, sowie der vorherrschenden institutionellen Arrangements. Dies wird durch Verteilungsregeln und Spielregeln gerechter Verteilung erklärt. Im zweiten Ansatz wird die (Un-) Vereinbarkeit von Familienleben und Berufstätigkeit erläutert. Hier rücken vor allem die Frauen in den Fokus. Es werden Benachteiligungen hinsichtlich Erwerbstätigkeit und Mutterschaft aufgezeigt. Im Schluss werden die Lösungsvorschläge hinsichtlich eines neuen Geschlechtervertrags für beide Bereiche analysiert und zusammengefasst.

2. Definitionen des Geschlechtervertrags

2.1 Allgemeine Definition des Geschlechtervertrags

Diese Vertragsart ist in der feministischen Politikwissenschaft und Soziologie zu verordnen. Er beschreibt einen fiktiven Vertrag zwischen den Geschlechtern, welcher die Beziehungen zwischen diesen regelt und dabei Männern und Frauen unterschiedliche Rechte und Pflichten zuweist.

Dem Konzept liegen viele Annahmen zu Grunde. Zum einen wird davon ausgegangen, dass es in allen modernen Gesellschaften einen aus historischen Gründen sozio-kulturellen Konsens über die Ausprägungen der Geschlechter gibt.

Zum anderen herrscht ein Leitbild und Lebensmuster über die richtige Form der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, sowie über die Familienform und die Art und Weise der Integration beider Geschlechter in die Gesellschaft über den Arbeitsmarkt wie auch/oder über die Familie.

Laut Yvonne Hirdman, einer Historikerin, ist der Geschlechtervertrag ein tradiertes aber veränderbares Übereinkommen über den Ort, die Tätigkeiten und die Eigenschaften von Frauen und Männern. Zugleich definiert er auch die Beziehungen zwischen den Bereichen der Produktion und Reproduktion.

(http://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtervertrag)

In Österreich zum Beispiel existierte 1945 ein einseitiger Geschlechtervertrag. In ihm wurde die Frau mit einer Vielzahl an Pflichten und wenigen formalen Rechten, welche vorerst kaum in der Praxis umzusetzen waren, ausgestattet. Die Frau wurde von der „Wiederaufbau“ – Rolle von traditionellen Geschlechterbeziehungen geprägt. Primär sei sie für Familie und Haushalt zuständig und bezieht deswegen kein eigenes Erwerbs- und Pensionseinkommen. Lediglich Mitarbeit im Betrieb des Mannes ist gestattet, aber unentgeltlich. War die Frau jedoch berufstätig, sollte sie dies mit dem Primat von Familie und Haushalt in Einklang bringen. Andererseits drückten die Unternehmen die Löhne und Gehälter weit unter die vergleichbaren Einkommen von Kollegen. (Rathkolb, 2011, S. 273 – 277)

2.2 Der Geschlechtervertrag nach Carole Pateman

Carole Pateman generiert ihre Konzeption des Geschlechtervertrags aus der Geschichte des Gesellschaftsvertrags. Dabei konzentriert sie sich auf die vergessene (oder nicht erzählte) Geschichte des Geschlechtervertrags. Hierzu nimmt sie Bezug auf die jeweiligen Theoretiker, die an der Schaffung des Gesellschaftsvertrags beteiligt waren. Es wird davon ausgegangen, dass die neue bürgerliche Gesellschaft wie auch die neue Form politischer Macht durch einen Grundvertrag geschaffen wurden. Demzufolge erklären sich die verbindliche Autorität des Staates und des bürgerlichen Rechts sowie die Legitimität der modernen Regierung auf Grundlage eines in der Gesellschaft begründeten Vertrags. Dieser Grundvertrag „ist ein Pakt, der die Beziehungen in der Gesellschaft ebenso wie zwischen den Geschlechtern regelt.“ (Appelt/Neyer, 1994, S. 73) Auch handelt die Geschichte des Geschlechtervertrags von der Entstehung politischer Rechte, welche allerdings im patriarchalischen Sinne zu verstehen sind. Es geht um die Macht der Männer über die Frauen. So wurde eine spezifische moderne Form des Patriarchats etabliert und demnach ist die neue bürgerliche Gesellschaft eine patriarchalische Sozialordnung. (Appelt/Neyer, 1994, S. 73)

Der Gesellschaftsvertrag ist eine Geschichte der Freiheit. Menschen, die sich im Naturzustand befinden, tauschen die Unsicherheit der natürlichen Freiheit gegen die durch den Staat geschützte gleiche und bürgerliche Freiheit ein.

Jedoch standen bei der Abfassung die Herrschaft der Männer über die Frauen und das Recht der Männer auf gleichen sexuellen Zugang zu den Frauen zur Debatte. Demnach ist der Gesellschaftsvertrag eine Geschichte der Freiheit, die des Geschlechtervertrags ist eine Geschichte der Unterwerfung. Freiheit und Herrschaft enthält der Grundvertrag gleichermaßen. Er regelt somit die Freiheit der Männer und die Unterwerfung der Frauen. Dabei ist die Freiheit des Staatsbürgers nicht universell. Sie ist ein männliches Attribut und beruht auf patriarchalischem Recht. Zudem legt er die politische Herrschaft der Männer über die Frauen fest und ist zugleich ein Geschlechtervertrag, da er den geordneten Zugang der Männer zu den Körpern der Frauen regelt. Der Vertrag ist das Instrument, das das moderne Patriarchat festgeschrieben hat. (Appelt/Neyer, 1994, S. 74 – 75)

Ein Grund für das Fehlen der Geschichte des Geschlechtervertrags ist in der patriarchalischen bürgerlichen Gesellschaft zu finden, die in zwei Bereiche zerfällt, dem öffentlichen und privaten Bereich. Der Gesellschaftsvertrag verhilft dem öffentlichen Bereich der bürgerlichen Freiheit zu ihrem Recht. Der private Bereich gilt jedoch als politisch unwichtig. Deswegen gelten die Ehe und der Ehevertrag als politisch unerheblich. Es entsteht der Eindruck, dass der Gesellschaftsvertrag und der Geschlechtervertrag zwei verschiedene Verträge sind, auch wenn sie ihre Berührungspunkte besitzen. Dabei bezieht sich der Geschlechtervertrag auf die Privatsphäre und es hat den Anschein, als ob das Patriarchat keinen Bezug zur öffentlichen Welt hätte. Dennoch durchzieht das patriarchalische Recht die gesamte bürgerliche Gesellschaft. (Appelt/Neyer, 1994, S. 76)

Des Weiteren sind Frauen aus dem Urpakt ausgeschlossen, denn Männer haben den Grundvertrag beschlossen. Um zu erklären, warum der Eintritt in den Grundvertrag ein Akt der Vernunft ist, wird der Naturzustand der Menschen herangezogen. Allerdings wird ausgelassen, dass die Menschen unterschiedlichen Geschlechts sind und die klassischen Denker dabei die verschiedenen Geschlechter mit einer unterschiedlichen Vernunftbegabung verbinden. Die klassischen Theoretiker konstruieren die patriarchalische Geschichte von Männlichkeit und Weiblichkeit über die Interpretation vom Unterschied zwischen Männern und Frauen. Demnach verfügen nur die Männer über die Eigenschaften und Fähigkeiten für die Vertragsfähigkeit, inwiefern sich wiederum daraus schließen lässt, dass nur Männer Individuen sind. Die Voraussetzung der Vertragsdoktrin ist, dass im Naturzustand alle Menschen frei geboren und gleich sind. Dies trifft jedoch nicht auf die Frauen zu. Sie werden nicht frei geboren und sind nicht im Besitz der natürlichen Freiheit. Es wird gesagt, dass ihnen die Eigenschaften und Fähigkeiten von Individuen von Natur aus fehlen. Demzufolge ist Geschlechterdifferenz politische Differenz, also der Unterschied zwischen Freiheit und Knechtschaft. Im Grundvertrag sind Frauen nicht eine Partei, sondern die Gegenstände des Vertrags. (Appelt/Neyer, 1994, S. 78)

„Der (Geschlechter)Vertrag ist das Instrument, mit dem Männer ihre natürliche Macht über Frauen in die Sicherheit der bürgerlichen patriarchalischen Ordnung überführen.“ (Appelt/Neyer, 1994, S. 79)

Darüber hinaus führt Carole Pateman an, dass die Struktur unserer Gesellschaft und unseres Lebens die patriarchalische Konzeption der sexuellen Differenz verkörpert.

Frauen genießen immer noch nicht denselben bürgerlichen Status wie Männer, trotz rechtlicher Reformen und großen Veränderungen und Bemühungen. Als Beispiel könnte man hier die geschlechtliche Ungleichheit der Gehälter oder der geringe Frauenanteil in höheren Berufspositionen anbringen. (Appelt/Neyer, 1994, S. 79)

Durch den sozialen Kontrakt wird eine Gesellschaft geschaffen, in der Individuen Verträge eingehen können. Hier werden die individuellen Handlungen durch das Recht geregelt und der Staat wird notfalls die Übereinkünfte durchsetzen. Man könnte nun davon ausgehen, dass diese geschlossenen Verträge Freiheit verkörpern. Eine andere Interpretation wäre, dass der Gesellschaftsvertrag es ermöglicht, sich dem Staat und dem bürgerlichen Recht freiwillig zu unterwerfen. Dadurch wird Freiheit zu Gehorsam und als Gegenleistung wird vom Staat Schutz geboten. Das Patriarchat bringt somit Dominanz- und Unterwerfungsbeziehungen hervor. Der Grundvertrag, wie auch andere Verträge, erscheinen nun als Verkörperung und Garant individueller Freiheit. Jedoch ist in der Vertragstheorie die universelle Freiheit nur eine Hypothese, eine politische Fiktion. Durch Verträge wird immer ein politisches Recht in Form von Herrschaft und Unterwerfung erschaffen. Diese kollektive Billigung des Patriarchats wird von allen klassischen Vertragstheoretikern vertreten, denn ihre zentrale Kategorie ist die patriarchalische Unterwerfung. (Appelt/Neyer, 1994, S. 80 – 82)

Man sollte bedenken, dass bei dem Begriff „bürgerliche Gesellschaft“ Unterscheidungen vorgenommen werden. Aus dem einen Blickwinkel ist sie die Vertragsordnung, die der vormodernen Ordnung des Staates folgt. Betrachtet man dies aus einer anderen Perspektive, ersetz die bürgerliche Gesellschaft den Naturzustand. Dabei bezieht sich „bürgerlich“ nur auf eine der beiden Sphären einer bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf die der öffentlichen Sphäre. Auf diese Betrachtung stützt sich Carole Pateman. Genau diese Trennung von öffentlicher und privater Sphäre ist ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Formen der sozialen Ordnung. In einer bürgerlichen Gesellschaft stehen die beiden Bereiche im Gegensatz zueinander, wobei jeder Bereich seine eigene ausgeprägte und kontrastierende Funktionsweise besitzt. Jedoch bezieht sich die Konzentration nur auf den als politisch interessanten öffentlichen Bereich. Der Ursprung des öffentlichen Bereichs ist im Gesellschaftsvertrag selbst zu suchen. Er schaffte diesen mit Hilfe des Zivilrechts, der bürgerlichen Freiheit, der Gleichheit, der Vertragsfreiheit und des Individuums. (Appelt/Neyer, 1994, S. 84)

Carole Pateman versucht nun anhand dieser Unterscheidung zu erläutern, wie sich der Privatbereich in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelte. Dies macht sie an der Dichotomie zwischen Privatsphäre und bürgerlicher Öffentlichkeit bei Eintritt in den Grundvertrag fest. Diese Dichotomie reflektiert die Ordnung der Geschlechterdifferenz im Naturzustand und ist gleichbedeutend mit einer politischen Differenz. Frauen sind weder Partei im Grundvertrag, noch werden sie im Naturzustand zurückgelassen. Sie werden eher in einen Bereich aufgenommen, der zwar zur bürgerlichen Gesellschaft gehört, aber auch wiederum nicht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Geschlechtervertrag
Untertitel
Braucht die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts einen neuen Geschlechtervertrag?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Soziologie)
Veranstaltung
Sozialisation und (De-)Konstruktion der Geschlechtsidentität
Note
2,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V264174
ISBN (eBook)
9783656532439
ISBN (Buch)
9783656541424
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschlecht, Geschlechtervertrag, Carole Pateman, Vertragstheorien, Gleichheit, Effizienz, Familienleben, Berufstätigkeit, Vereinbarkeit, Geschlechterrollen, sexual contract, Feminismus, Mutterschaft
Arbeit zitieren
Sarah Christ (Autor:in), 2013, Der Geschlechtervertrag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264174

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