Die Bedeutung des Acoustic Voice Quality Index (AVQI) bei der Beurteilung der Stimmfunktion


Studienarbeit, 2013

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. AVQI - alltagsrelevant und multiparametrisch

3. Parameter akustischer Stimmanalyse
3.1. Stimmfeldmessung
3.2. Heiserkeitsanalyse
3.3. Spektralanalyse

4. Zur Objektivität stimmdiagnostischer Parameter

5. ZusammensetzungdesAVQI

6. Studien zum A VQI
6.1. Maryn et al. (2010)
6.2. Barsties et al. (2012)

7. Schlussfolgerungen

8. Literatur

1. Einleitung

In logopädischen Praxen wird nach heutigem Stand eine zumeist rein per- zeptive Stimmdiagnostik mit Hilfe verschiedener Anamnese- und Diagnostikbögen in zahlreichen Abwandlungen durchgeführt. Technische Mess­geräte kommen dabei nur sehr vereinzelt zum Einsatz. In den meisten Fällen be­schränken sich diese auf ein Keyboard, mit dessen Hilfe die Sprechstimmlage des Patienten ermittelt werden kann und (seltener) ein Schalldruckmessgerät zur Stimmfeldmessung. Bezüglich der Einschätzung des Heiserkeitsgrades hat das japanische Komitee für Stimmfunktionsuntersuchungen im Jahre 1989 mit der sog. GRBAS-Skala eine Einteilung in fünf Parameter vorgenommen (grade, rough, breathy, asthenic, strained)[1]. Darauf basierend entstand noch im gleichen Jahr die in Deutschland gebräuchliche RBH-Skala (rau, behaucht, heiser) [2]. Die Skalen bieten eine hervorragende Möglichkeit der Perzeptionsobjektivierung. Während ihre Einteilungen in drei, bzw. vier Bereiche eine einheitliche Termino­logie zur Symptombeschreibung liefern, werden in beiden Skalen außerdem vier Schweregrade unterschieden, die vom Wert 0 (nicht vorhanden) bis zum Wert 3 (hochgradig vorhanden) relativ genaue Angaben zur Ausprägung des jeweiligen Symptoms ermöglichen. Relativ muss konstatiert werden, da differenzierte Wahr­nehmungsfähigkeit und vor allen Dingen Erfahrung des Diagnostikers unabding­bare Voraussetzungen für eine valide Verwendung sind. Tatsächlich gilt aber die subjektive Einschätzung des erfahrenen Praktikers aktuell als Goldstandard bei der Dysphoniediagnostik [3]. Dies ist ein Umstand, der auf Kritik stößt, denn Stimm­funktionsuntersuchungen sollten - unabhängig vom Diagnostiker - objektiv und reproduzierbar sein [4].

Die vorliegende Arbeit wird unter Berücksichtigung rezenter Studien so­wie aktuell gebräuchlicher Messverfahren und Analysemethoden ein neues objek­tives Verfahren zur Messung der Stimmqualität vorstellen und dessen Bedeutung bei der Beurteilung der Stimmfunktion aufzeigen. Dabei werden Stärken des so genannten Acoustic Voice Quality Index (AVQI) herausgestellt und mögliche Mängel kritisch beleuchtet.

2. AVQI - alltagsrelevant und multiparametrisch

Forderungen nach objektiven computergestützten Messverfahren zur Stimmanalyse sind nicht unberücksichtigt geblieben. In den vergangenen Jahren haben sich verschiedene Computerprogramme etabliert, die akustische Stimmpa­rameter erfassen und berechnen. Einfachere Verfahren messen leicht objektivier­bare Faktoren wie Tonhaltedauer, Sprechstimmlage oder Stimmfeld, während komplexere Analysen auch Geräuschanteile im Stimmklang oder das Formantenspektrum der Stimme auswerten[5]. Ein in Deutschland gebräuchliches kommerzielles Analyseprogramm ist lingWAVES, doch sind auch kostengünstige Verfahren auf der Basis von Open Source-Projekten erhältlich. Die Open Source­Software Praat wurde am Institut für Phonetik an der Universität Amesterdam entwickelt und wird zu Diagnostik- und Forschungszwecken angewandt. Im Ver­gleich zu anderen quelloffenen Softwareprojekten wie Audacity oder Wave-Surfer ist Praat als linguistisches Tool weit verbreitet[6].

So werden auch die Parameter für die Berechnung des Acoustic Voice Quality Index (AVQI) mit Hilfe von Praat und einem weiteren Programm Namens Speech Tool (beide kostenlos erhältlich) erhoben und ausgewertet. Vorteile des Verfahrens werden u.a. in dieser kostengünstigen Anwendung gesehen; weiterhin auch in seiner Einfachheit und schnellen klinischen Durchführung[7].

Wichtiger als (zeit)ökonomische Faktoren erscheinen indes zwei andere Aspekte, die eine mögliche Überlegenheit gegenüber einfacheren computerge­stützten Verfahren begründen könnten: Der AVQI ist der erste Index, der nicht allein die gehaltene Phonation eines einzelnen Lautes, sondern überdies auch die fortlaufende Sprache des Probanden oder Patienten berücksichtigt [8]. Für eine elekt­ronische Messung ist dies insofern von Bedeutung, als glottale oder supraglottische Mechanismen in einem einzelnen Laut (zumeist im Vokal /a/) nicht geräuschvoll in Erscheinung treten könnten. Prosodie, Betonungen, Pausen, schnelle Stimmansätze- oder Abbrüche blieben gänzlich unberücksichtigt, wäh­rend für die Feststellung von Frequenz- oder periodischen Störungen (Perturba- tionen) mehrere Referenzpunkte benötigt werden, die die Untersuchung eines ein­zelnen Lautes nicht präzise genug ermöglichte[9]. Somit könnte sich der AVQI be­züglich seiner Alltagsrelevanz als ein sehr nützliches Konstrukt erweisen.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des AVQI könnte die spezifische Zu­sammensetzung von sechs Analysefaktoren sein. Die perzeptiv-akustische Klang­analyse eines geschulten menschlichen Hörers gilt, neben dem oben genannten Aspekt der Alltagsrelevanz, nicht zuletzt deshalb als Goldstandard logopädischer Diagnostik, weil er äußerst differenziert unterschiedlichste Nuancen der patholo­gischen Stimme detektieren kann. In maschineller Auswertung ist dies keineswegs selbstverständlich, denn der Gesamteindruck der menschlichen Stimme ist höchst komplex und multidimensional. Somit ist hinsichtlich einer maschinellen Analyse stets zu fragen (und idealerweise zu klären), welche Stimmparameter denn als hinreichend aussagekräftig gelten können, um Grenzen zwischen Norm und Pa­thologie valide ziehen zu können.

Im Folgenden soll auf mögliche Parameter und einen bereits bestehenden, gut etablierten Index der maschinellen Stimmfunktionsmessung eingegangen werden, um schon länger angewandte Verfahren in Bezug zu den im AVQI erho­benen Werten, wie auch zum Index selbst, setzen zu können.

3. Parameter akustischer Stimmanalyse

Computergestützt erfassbare Bereiche der Stimmanalyse sind die Stimm­feldmessung, die Heiserkeitsanalyse und die Spektralanalyse. Dabei ist bemer­kenswert, dass etwa Maryn et al. in einer Metaanalyse aus einer Fülle von 69 messbaren Parametern nur einen geringen Bruchteil an tatsächlich relevanten Ein­flussgrößen dingfest machen konnten[10]. Erläutert werden zunächst die nach in Deutschland herrschender Meinung relevanten Größen in Anlehnung an Hammer, 2012.

3.1. Stimmfeldmessung

Die Stimmfeldmessung wird als sog. Phonetogramm in Tonhöhe (Pitch) und Lautstärke (Sound Pressure Level, SPD erhoben. Das maschinell er­hobene Stimmfeld ist der einzige Bereich der Stimmanalyse, die in ihrer Erhebung genau dem klassischen Vorgehen gleicht.

3.2. Heiserkeitsanalyse

Heiserkeit ist definiert als der Geräuschanteil im Stimmklang[11]. Parameter der Heiserkeit sind ebenso multidimensional wie ihre Genese. Akustisch wird nach einem durch Luftreibung ausgelöstem Rauschen gesucht, das durch aperiodi­sche Anteile im Schall verursacht ist. Ist die Heiserkeit rau, schwingen die Stimm­lippen irregulär; ist sie verhaucht, entstehen z.B. reibende Luftströmungen an Engstellen jeglicher Art (intra- oder supraglottal). Geräuschanteile werden darge­stellt durch die Signal to Voice Ratio (SNR, Geräuschanteil im Schallsignal) oder die Harmonic to Noise Ratio (HNR, Verhältnis der harmonischen und nicht­harmonischen Anteile im Schall, bzw. Klang zu Geräusch). Die Glottal-to-Noise Excitation Ratio (GNE) stellt das Verhältnis von Stimmlippenschwingungen zu Turbulenzen dar und scheint somit geeignet zur Messung der Behauchtheit.

In den Schwingungsperioden, die durch die Bewegung der Stimmlippen entstehen, können Perturbationen als Abweichungen von der Periodizität der re­gelmäßigen Schwingung beobachtet werden. Abweichungen dieser Art betreffen den Rauhigkeitsgrad der Stimme, wobei Jitter als Index für Abweichungen in der Grundfrequenz und Shimmer als Abweichung von der Lautstärke (Amplitude) gilt. Ist die Schwingungsperiode anderweitig deformiert, kann eine Periodenkorre­lation solche Störungen im akustischen Signal anzeigen.

3.3. Spektralanalyse

Darstellungen des Klangspektrums zeigen einen etwaigen Resonanzverlust und ggf. auch Geräuschanteile auf. Abgetragen wird das Verhältnis Zeit (X) zu Frequenz (Y). Formanten werden sichtbar und können farblich hervor gehoben werden.

4. Zur Objektivität stimmdiagnostischer Parameter

Bezüglich der Objektivität oben vorgestellter Parameter herrscht Uneinig­keit. Sämtliche genannte Parameter können - individuell betrachtet - wertlos sein. Perturbationsparameter sind bisweilen im hörbaren Stimmsignal unauffällig, so dass eine positive Messung eben kein notwendiges Indiz für tatsächlich relevante Abweichungen darstellt .[12] Auch Veränderungen der Jitter- und Shimmer-Werte verweisen nicht zwingend auf eine Pathologie, sondern können physiologische Ursachen in Veränderungen des Vokaltrakts haben, und bei der Spektralanalyse sind Vergleiche nur möglich, wenn exakt die gleichen Messbedingungen in Hard- und Software (inklusive Soundkarte, Peripheriegeräte, etc.) vorlagen, so dass praktisch alle zurück gelieferten Werte relativ und nur in Bezug auf einen Patien­ten zu betrachten sind .[13] Brockmann-Bauser verweist in einer aktuellen Litera­turanalyse außerdem auf die oft vernachlässigten Faktoren Geschlecht, individuel­le Sprechlautstärke und mittlere Sprechstimmlage:

Bei „leiser“ Phonation kann bei gesunden Männern der Shimmer-Wert 8-Mal und bei Frauen 12-mal höher als bei subjektiv „lauter“ Vokalphonation sein. (...)

Es wäre (...) möglich, dass Frauen einen höheren Jitter und Shimmer haben, weil sie sig­nifikant leiser sprechen. (...)

[...]


[1] vgl. BÖHME, Gerhard. Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Band 1: Klinik. Stuttgart: Fischer, 2003: 157.

[2] Wendler, Jürgen et al. Hoarse Voices — On the Reliability ofAcoustic and Auditory Classifica­tions. in: Proceeding 20th Congress IALP. Vol. 4 (1976). Tokyo: 438 f.

[3] MARYN, Youri et al. Toward Improved Ecological Validity in the Acoustic Measurement of Overall Voice Quality: Combining Continuous Speech and Sustained Vowels. in: Journal ofVoice, Vol. 24, No. 5 (2010): 540.

[4] Nawka, Tadeus et al. Objektive Messverfahren in der Stimmdiagnostik. in: Forum Logopädie. Vol. 4, No. 30 (2006): 14.

[5] HAMMER, Sabine. Stimmtherapie mitErwachsenen. Was Stimmtherapeuten wissen sollten. 5. Auflage. Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 2012: 142.

[6] Minnema, Winfried et al. Objektive computergestützte Stimmanalyse mit,,Praat ". in: Forum Logopädie, Vol. 4, No. 22 (2008): 24.

[7] BARSTIES, B. et al. Der Acoustic Voice Quality Index in Deutsch. Ein Messverfahren zur allge­meinen Stimmqualität. in: HNO. Vol. 60, No. 8 (2012): 715.

[8] ebenda.

[9] Maryn, 2010: 540.

[10] Maryn, Youri et al. Acoustic Measurement ofOverall Voice Quality: A Meta-Analysis, in: The Journal ofthe Acoustical Society of America. Vol. 126, No. 5 (2009): 2620 ff.

[11] ebenda.

[12] Hammer, 2012: 143.

[13] Hammer, 2012: 144.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung des Acoustic Voice Quality Index (AVQI) bei der Beurteilung der Stimmfunktion
Hochschule
SRH Hochschule für Gesundheit Gera
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
19
Katalognummer
V264227
ISBN (eBook)
9783656534044
ISBN (Buch)
9783656538806
Dateigröße
447 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dysphoniediagnostik, Dysphonia Severety Index (DSI), Videostroboskopie, Cepstral Peak Prominence (CPP), Voice Handycap Index, Perzeptionsobjektivierung, GRBAS, RBH, Stimmfunktionsparameter, Acoustic Voice Quality Index, AVQI, cross-linguale Verwendbarkeit, Jitter, Shimmer, HNR, Klangspektrum, statistische Validierung, Fourieranalyse, gesprochene Sprache, automatische Sprachverarbeitung
Arbeit zitieren
Jan H. Hauptmann (Autor:in), 2013, Die Bedeutung des Acoustic Voice Quality Index (AVQI) bei der Beurteilung der Stimmfunktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264227

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