Europäisierung der EU-Berichterstattung

Eine Inhaltsanalyse deutscher Printmedien in der europäischen Schuldenkrise


Bachelorarbeit, 2013

52 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Medien, Europäisierung und europäische Öffentlichkeit
2.1 Die Rolle der Medien im politischen Prozess
2.2 Öffentlichkeit und Massenmedie
2.3 Europäisierung
2.4 Theoretische Perspektiven europäischer Öffentlichkeit

3. Forschungsdesig
3.1 Inhaltsanalyse
3.2 Qualitative Forschung und ihre Gütekriterie
3.3 Beschreibung des Vorgehen

4. Ergebnisse der Analyse
4.1 Diskussio

5. Zusammenfassung

6. Quellenverzeichni

7. Anhang

Mit dem Ziel, eine gute Lesbarkeit der Arbeit zu erreichen, wurde auf eine durchgängige Genderschreibweise verzichtet.

1. Einführung

Die Europäische Union (EU) ist die Erfolgsgeschichte von Frieden, Freiheit und wirtschaftlicher Prosperität. Doch dieses Bild von Europa verschwindet zunehmend, gerade in der Wahrnehmung ihrer Bürger.

Die europäische Staatsschuldenkrise befindet sich in ihrem vierten Jahr und prägt wie kein anderes Thema die Berichterstattung der Medien über Europa. Ausgelöst durch die Immobilienspekulationen in den USA und die darauf erfolgten Bankenrettungen haben sich viele europäische Staaten hoch verschuldet. Auch wurden notwendige Strukturreformen gar nicht oder erst viel zu spät angegangen. Griechenland gilt als Synonym für die europäische Finanzkrise. Mit über 150% des BIP weist das elf Millionen Einwohner zählende Land mit Abstand die höchste Schuldenquote in der gesamten EU auf.[1]Die Konsequenz daraus ist eine Zinslast, die das Land ohne externe Hilfe zahlungsunfähig machen würde.

Der Staatsbesuch von Angela Merkel am 9.10.2012 in Griechenland erhält durch die aktuelle Krise eine besondere politische und öffentliche Brisanz. Er fällt kurz vor die Entscheidung der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfond (IWF) und EU-Kommission über weitere Finanzhilfen für Griechenland. Innerhalb Europas hat sich Deutschland einen Namen als Verfechter von tiefgreifenden Sparmaßnahmen gemacht. Nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Südeuropa führt das in der jeweiligen nationalen Öffentlichkeit zu teilweise starkem Widerstand.

Europäisierungsprozesse werden über Massenmedien, als Akteure der Öffentlichkeit kommuniziert und vorangebracht. Die Tageszeitungen gelten als die wichtigste Instanz der öffentlichen und politischen Meinungsbildung. Sie spielen in diesem Prozess nicht nur die Rolle des Vermittlers oder Kommunikationsforums, sondern agieren selbst als Öffentlichkeitsakteur und beeinflussen damit direkt den Prozess einer Europäisierung.

Im Zentrum meines Forschungsinteresses steht die Frage, wie sich Europäisierung in der europäischen Staatsschuldenkrise charakterisiert. Dies soll am Beispiel der Berichterstattung über den Staatsbesuch der deutschen Bundeskanzlerin in Athen analysiert werden.

Die wissenschaftliche und praktische Relevanz meiner Arbeit besteht gerade in der Aktualität des Themas und der Offenheit der Fragestellung. Inhaltsanalysen zu Themen wie Identität, Öffentlichkeit und Europäisierung gibt es zahlreiche, oft bleiben diese jedoch im theoretisch-abstrakten Bereich. Im Mittelpunkt bisheriger Arbeiten stehen nicht Politikfelder, sondern vor allem die europäische Integrationsdebatte und die Frage nach europäischer Identität. Arbeiten, die sich mit der Frage der Europäisierung in der Staatsschuldenkrise befassen, sind bisher kaum oder nur unzureichend vorhanden.

Als normativer Hintergrund dieser Arbeit dient die Feststellung, dass für eine höhere Akzeptanz europäischer Politik und einer weiteren Integration eine europäisierte Öffentlichkeit vonnöten ist. Je mehr Kompetenzen die Mitgliedsstaaten an die EU übertragen, desto wichtiger sind europaweite Debatten über europapolitische Angelegenheiten und Entscheidungen. Die Europäisierung der nationalen Medien ist ein notwendiger Prozess in Richtung einer europäischen Öffentlichkeit. Diese ist eine notwendige Bedingung für die Legitimation des europäischen Krisenmanagements und natürlich auch für die Zukunftsfähigkeit und das Weiterdenken der europäischen Idee.

In den folgenden Kapiteln wird zuerst die Verbindung von Massenmedien, Kommunikation, Europäisierung und europäischer Öffentlichkeit aus einer theoretischen Perspektive erörtert. Anschließend wird die Untersuchungsmethode vorgestellt, allgemein zu qualitativen Methoden und Gütekriterien eingeführt und das Verfahren des Analyseprozesses aufgezeigt. Darauffolgend werden die Ergebnisse der Analyse ausführlich erläutert und die Anwendung der Methode und die korrekte Anwendung der Gütekriterien diskutiert. Abschließend werden die Ergebnisse in Hinblick auf die Forschungsfrage zusammengefasst.

2. Medien, Europäisierung und europäische Öffentlichkeit

2.1 Die Rolle der Medien im politischen Prozess

Die Medien haben eine herausragende Bedeutung im politischen System. Sie

fungieren zugleich als Resonanzboden und als Generator für gesellschaftliche Modernisierungsprozesse (Sarcinelli 2011: 3). In der Mediengesellschaft ist Kommunikation elementarer Bestandteil eines „strategischen Spiel[s]“, „das über Erfolg oder Misserfolg von Individuen, Organisationen, gesellschaftlichen Gruppen und ganzen Gesellschaften entscheidet “(Münch 1995: 85). Der Soziologe Richard Münch bezeichnet die Gesellschaft daher auch als Kommunikationsgesellschaft (1995).

Die Kommunikation der Medien ist schwer greifbar. Das gilt auch für die Wechselbeziehung von Kommunikation und Politik, insbesondere von Medien und Politik (Sarcinelli/FES: 3). Kommunikation ist kein reines Ausdrucks- und Verständigungsmittel, sondern integraler Bestandteil des Politischen selbst. Die zentralen Leistungen der Massenmedien sind ihre politische Funktion und ihre Informationsfunktion (Burkhart 2002: 390ff., 402ff.).

In der modernen Mediengesellschaft stellt die (Medien-)Öffentlichkeit die Bühne für die Dauerbeobachtung der Politik (Sarcinelli 2012: 39). Für die Legitimation nationaler oder europäischer Politik wird den Massenmedien eine wichtige Rolle zugeschrieben. „Legitimität als eine demokratietheoretische Fundamentalkategorie politischer Kommunikation knüpft den Geltungsanspruch politischer Herrschaft an eine kommunikative Begründungsleistung“ (Sarcinelli 2005: 77). Diese Begründungsleistung kann nur durch Massenmedien erbracht werden. Ihnen wird folglich als verbindendes Element zwischen Politik und Bevölkerung eine fundamentale Rolle in der Bereitstellung und Vermittlung von Informationen über politische Prozesse und Akteure zugeschrieben (Huber 2011: 22).

In den letzten Jahrzehnten ist das politische System kommunikationsabhängiger geworden und die nationale und internationale Kommunikationslandschaft hat sich stark verändert. Eine wichtige Rolle spielen dabei gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Veränderungen innerhalb des Mediensystems selbst, beispielsweise durch die neuen Medien. Die Medienakteure sehen sich einer zunehmenden internationalen Verflechtung und Kompetenzverlagerung ausgesetzt. Darüber hinaus ist ein Souveränitätsverlust des politisch-administrativen Systems zu beobachten (Sarcinelli 2011: 8).

National und international hat sich die Informations- und Kommunikationslandschaft stark verändert. Dazu gehört auch die Professionalisierung medienaffiner Berufe, wie der Bereich der Public Relations (PR). Akteure im politischen und wirtschaftlichen System versuchen, oft unter Umgehung der klassischen Medien, eigene Themen und Sichtweisen in der Öffentlichkeit zu platzieren (Sarcinelli 2011: 13f.). Die normative Leitidee des Journalismus, Sprachrohr und Anwalt der Bürger zu sein, wird in vielen Fällen ausgehebelt (Sarcinelli 2011: 12f., Burkhart 2002: 291ff.). Trotz dieser Entwicklungen behalten die klassischen Printmedien, wenn auch mit leicht abnehmender Tendenz, ihre zentrale Rolle für den politischen Prozess. Allgemein zugängliche Massenmedien sind nach wie vor die zentrale Plattform der Politikvermittlung politischer und gesellschaftlicher Akteure (Sarcinelli 2011: 39, Trenz 2005: 192). In Deutschland sprechen wir daher von einer historisch gewachsene Leitmedienkultur (Sarcinelli 2011: 29). Von zwei Dritteln der Deutschen werden die Tageszeitungen als primäre Informationsquelle für Politik genutzt (Sarcinelli 2011: 30).[2]

Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Medien nach eigenen Regeln arbeiten, die unausweichlich auch zu Verzerrungen der Realität führen (Wilke/Rosenberger 1991: 27). Für die Frage der Nachrichtenauswahl sind in der Forschung die Nachrichten-Werttheorie mit den Nachrichtenfaktoren und das Gatekeeper-Konzept zentral[3]. So orientieren sich Journalisten stark an Ereignissen, wenn diese negativ und eindeutig sind, oder mit Elite-Personen in Verbindung gebracht werden. Nur wenn beispielsweise ein bestimmtes „EU-Ereignis“ von den Journalisten als besonders wichtig eingeschätzt wird, kommt es in den Medien vor und kann unter Umständen nationale Ereignisse verdrängen (Machill/Beiler/Fischer 2006: 149). Hinter der Agenda-Setting-Hypothese steht die Annahme, dass Massenmedien nicht bestimmen, was wir denken, sondern worüber wir nachzudenken haben, indem sie Themen auf die Tagesordnung (Agenda) setzen. Man spricht auch von einer „Tagesordnungs-„ oder „Thematisierungsfunktion der Massenmedien (Burkhart 2002: 248f.).[4]

2.2 Öffentlichkeit und Massenmedien

Die zentrale Funktion der Massenmedien in einer demokratischen Gesellschaft ist die Herstellung von Öffentlichkeit (Schulz 2002: 391). Man bezeichnet sie deshalb auch als mediale Öffentlichkeit. Unterschiedliche Medientypen haben unterschiedliche Funktionen in Bezug auf eine Öffentlichkeit. Printmedien wie Tageszeitungen, setzen eher auf eine längerfristige Agenda, Fernsehen und Internet haben dagegen eine „Spotlight-Funktion“ (Eichhorn 1996: 38f.), die man auch „Scheinwerfereffekt“ nennt (Burkhart 2002: 251, Schenk 1987: 299). Die Bedeutung der Tageszeitungen für den langfristigen politischen Diskurs wird hier hervorgehoben.

Allgemein dient der Begriff der Öffentlichkeit als Abgrenzung zum Privaten und zur Bühne der Thematisierung von Angelegenheiten der Allgemeinheit. Ihr werden drei zentrale Funktionen zugeschrieben: Beobachtungsfunktion, Validierungsfunktion und Orientierungsfunktion (Sarcinelli 2011: 4f). Öffentlichkeit spielt in partizipativen und deliberativen Demokratie- und Öffentlichkeitsmodellen eine wichtige demokratiepolitische und soziale Rolle, indem sie die Offenheit von politischen und gesellschaftlichen Diskursen garantiert (Latzer/Saurwein 2006: 31) und für Legitimation und Integration sorgt. Gemäß Ingolf Pernice und Lars S. Otto ist „Öffentlichkeit (...) der Grund der Demokratie, sie nährt die Demokratie und wird von ihr genährt (2010: 7ff.). Ähnlich begreift Martin Walser Öffentlichkeit als „Quellgrund der Demokratie “(Moos 2012: 2). Eine politische Öffentlichkeit generiert sich aus verschiedenen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Teilöffentlichkeiten. Kommunikation ist das konstituierende Element für Öffentlichkeit (Latzer/Sauerwein 2006: 11). Synonyme für Öffentlichkeit sind daher auch Kommunikationsraum, Kommunikationsnetzwerk und Kommunikationssystem (Latzer/Sauerwein 2006: 24).

Die wichtigsten Akteure, die diese Öffentlichkeit kommunizieren, sind Massenmedien. Deswegen versteht man sie in erster Linie als massenmediale Öffentlichkeit (Latzer/Sauerwein 2006: 24). Massenkommunikation kann man auch als öffentlich bezeichnen (Burkhart 2002: 171), da es um den von den Massenmedien getragenen politischen Diskurs geht, der Politik erst zu einer Sache der Allgemeinheit macht und damit demokratisierend wirkt (Pfetsch/Koopmans 2006: 179f.).

Wie für den politischen Prozess im Allgemeinen wird den Massenmedien im Speziellen eine zentrale Rolle für die Konstituierung einer europäischen Öffentlichkeit zugesprochen (Pfetsch/Koopmans 2006: 179f.). Sie sorgen mit einem Quasi-Monopol für die „Veröffentlichung “ politischer Herrschaft in der Europäischen Union (Trenz 2005: 191).

Eine europäische Öffentlichkeit zeichnet sich „durch gemeinsame, die Grenzen des Nationalstaats überschreitende Diskursräume aus“ (Moos 2012: 2). Die Form und das Ausmaß europäischer Öffentlichkeit spielen eine zentrale Rolle für die demokratische Qualität der Europäischen Union (Latzer/Sauerwein 2009: 10).

Öffentlichkeitskonzepte kommen heute nie ohne die Berücksichtigung der modernen Massenmedien aus. Empirische Analysen europäischer Öffentlichkeit konzentrieren sich daher auf massenmediale Öffentlichkeit, speziell auf Leitmedien der öffentlichen Kommunikation (Latzer/Sauerwein 2006: 12). Öffentlichkeitsforschung muss deshalb immer auch als Massenmedienforschung verstanden werden (Latzer/Sauerwein 2006: 23f.).

2.3 Europäisierung

Europäisierung hat sich als zentraler Begriff in der EU-Forschung neben die EU-Integration gesellt. Es gibt aber keinen echten wissenschaftlichen Konsens darüber, was unter dem Begriff zu verstehen ist (Große Hüttmann/Nodt 2002: 31ff.). Mein eigener Versuch, Europäisierung als „eine aktive oder passive Einbeziehung nationaler gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Akteure auf eine gemeinsame europäische Ebene “ zu definieren, bleibt sehr unkonkret. Aber auch ohne eine allgemeingültige Definition wird der Begriff der Europäisierung in der Wissenschaft zunehmend zur Beschreibung des gesellschaftlichen Wandels in Europa durch der europäischen Integration verwendet. Eine Europäisierung lässt sich aber nicht nur auf die Debatte über die europäische Integration beschränken, sondern muss gerade in den unterschiedlichen Politikfeldern sichtbar werden (Pfetsch/Koopmans 2006: 185).

Explizit finden Europäisierungsprozesse über die Medien statt. Für Jürgen Gerhards bedeutet Europäisierung daher die „Verstärkung der Berichterstattung über europäische Themen in den nationalen Medien, primär der Massenmedien “(2002: 142 ). Diese Form der Transnationalisierung wird auch als „relationaler Prozess, der dann sichtbar ist, wenn ein substantieller und über die Zeit wachsender Anteil der öffentlichen Kommunikation grenzüberschreitende Bezüge herstellt bzw. sich auf Europa bezieht“ (Pfetsch/Koopmans 2006: 182) definiert.

Nach Juan Diez Medrano lässt sich der Begriff der Europäisierung mit vier Indikatoren näher bestimmen (2003: 193). Bei einer horizontale Europäisierung (Koopmans/Erbe 2003: 6),als ersten Indikatoren , treten Akteure an einem Ort der EU über Massenmedien in die Debatte mit Akteuren an einem anderen Ort in der EU. Dies geschieht beispielsweise in Form von Presseschauen. Dem zweiten Indikator zufolge beteiligen sichAkteure in unterschiedlichen EU-Staaten an Debatten zu gleichen Themen und stimmen in ihren Problemrahmungen überein (Diez Medrano 2003: 193). Aufbauend auf den ersten Indikator werden Themen synchron in den Medien mehrerer EU-Staaten diskutiert. Die Debatten ähneln dabei stark. Beim dritten Indikator, einer vertikalen Europäisierung (Koopmans/Erbe 2003: 6), tretenAkteure aus EU-Staaten in die Debatte mit Akteuren der EU-Ebene. Diese kommunikativen Verbindungen zwischen nationaler und europäischer Ebene beeinflussen dabei immer mehr die nationale Berichterstattung. Als vierter und letzter Indikator debattieren die Akteure über einheitliche Ziele und gleiche Mittel aus der Perspektive des EU-Gesamtraums (Diez Medrano 2003: 193).

2.4 Theoretische Perspektiven europäischer Öffentlichkeit

Eine wissenschaftliche Betrachtung der europäischen Öffentlichkeit gestaltet sich als schwierig, da die meisten Vorstellungen von Öffentlichkeit auf dem Modell des Nationalstaats basieren (Imhof 2003: 205f., Gerhards 2000: 54). In den letzten Jahrzehnten war die Forschung gegenüber einer europäischen Öffentlichkeit eher pessimistisch eingestellt. So betont beispielsweise Peter Graf Kielmannsegg, dass sich die Europäische Union nicht als Kommunikationsgemeinschaft charakterisieren lässt (1995: 55). Dieter Grimm fasst zusammen, dass es „auf längere Sicht weder eine europäische Öffentlichkeit noch einen europäischen politischen Diskurs geben wird“(1994: 44). Diese Position hat sich aber in den letzten Jahren geändert.

Eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit wird medialen Inhalten, Strukturbedingungen und dem Wandel im Mediensystem zugeschrieben. Die mediale Öffentlichkeit besitzt eine zentrale Bedeutung für die Konstituierung einer europäischen Öffentlichkeit (Marchill/Beiler/Fischer 2006: 149).

Es lassen sich zwei theoretische Modelle als Hauptentwicklungspfade für die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit ausmachen (Gerhards 1992: 560ff.; 1993: 100ff.; 2000: 277ff.):

Das erste Modell umfasst „die Entwicklung einer länderübergreifenden, pan-europäischen Öffentlichkeit auf Basis eines einheitlichen Mediensystems“ (Gerhards 1993: 100).

Die Öffentlichkeitsarenen sind in diesem Modell grenzüberschreitend zusammengesetzt. Sprecher, Medien und Publikum bilden einen gemeinsamen Kommunikationskontext jenseits der nationalen Bezüge (Pfetsch/Koopmans 2006: 180).

Gegen dieses Modell sprechen vorwiegend die sprachliche und kulturelle Heterogenität Europas. Die wichtigste Vorbedingung wäre eine gemeinsame Sprache, in der die EU-Bürger miteinander kommunizieren könnten. Davon ist Europa aber weit entfernt (Machill/Beiler/Fischer 2006: 135). Dazu kommt die historisch gewachsene nationale Fixierung der Medien (lokal, regional, nationale gebundene Publikumsinteressen, Nachrichtenfaktoren: Nähe, Betroffenheit). Europaweite Massenmedien sind bisher rar, fast ausschließlich englischsprachig und bedienen ein Elitepublikum (Adam 2008: 116f.). Viele integrationsfördernde Medienprojekte scheiterten aufgrund des Sprachaspekts (Machill/Beiler/Fischer 2006: 135). Des Weiteren steht ein kulturell und politisch-organisatorisch differenziertes journalistisches Berufsrollenverständnis der Entwicklung pan-europäischer Medien entgegen (Latzer/Saurwein 2006: 25f.). In den EU-Staaten fehlt dazu eine einheitliche journalistische Medienkultur, hervorgerufen durch jeweils unterschiedlichen Journalistenausbildungen und rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Sievert 1998: 78ff.).

Zum ersten Modell kann man zusammenfassend sagen: Da weder eine einheitliche europäische Sprache noch transeuropäische Massenmedien existieren, sind die wichtigsten Vorbedingungen für eine transnationale europäische Öffentlichkeit nicht gegeben (Machill/Beiler/Fischer 2006: 136). Ein pan-europäisches Mediensystem scheint daher auf absehbare Zeit unrealistisch zu sein. Denkbar ist aber, dass sich langfristig eine transnationale, europäische öffentliche Meinung ausprägen kann, die dem ersten Modell entsprechen wird (Pfetsch/Koopmans 2006: 180).

Das zweite Modell beinhaltet „die Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten durch die Thematisierung europäischer Themen in den jeweiligen nationalen Medien und die Bewertung dieser Themen unter einer europäischen, nicht nationalstaatlichen Perspektive“ (Gerhards 1993: 100ff.)

In der neueren Forschung wird eine sich langfristig über das zweite Modell konstituierende europäische Öffentlichkeit als durchaus realistisch betrachtet (Gerhards 2002: 142ff.). In Bezug auf die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit wird die nationale mediale Aufmerksamkeit als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung gesehen (Latzer/Sauerwein 2006: 17). Im Vergleich zum ersten Modell müssen dafür weniger Voraussetzungen erfüllt werden (Pfetsch/Koopmans 2006: 180). Damit dieses Modell realisiert werden kann, soll durch eine Europäisierung der nationalen Öffentlichkeiten auf eine europäische Öffentlichkeit hingearbeitet werden. Die EU setzt zum Beispiel mit der europäischen Medienregulierung auf eine Europäisierung nationaler Fernsehsender (Machill/Beiler/Fischer 2006: 136).

Unabhängig von der politischen Bedeutung, die europäischen Institutionen inzwischen haben, betrachten viele Journalisten Nachrichten aus Europas Machtzentren noch immer als Quotenkiller und Auflagengift (Huber 2012: 19). In der europäischen Staatsschuldenkrise hat sich das aber geändert, wie beispielsweise die Titelbilder des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zeigen. Von 2000 bis 2008 war lediglich fünfmal ein EU-Thema Titelgeschichte, während der Krise sich diese Zahl verdreifacht hat (Weidinger 2013).

Aus bisher vorliegenden Studien kann nicht ausgemacht werden, ob Medien im Allgemeinen eher ein Hindernis oder ein Motor für die Europäisierung der nationalen Öffentlichkeit darstellen (Pfetsch/Koopmans 2006: 181).[5] Auch bedeutet eine höhere Aufmerksamkeit für europäische Themen natürlich nicht kausal eine positive Einstellung zu Europa (Pfetsch/Koopmans 2006: 187ff.).

3. Forschungsdesign

Bei meiner Analyse orientiere ich mich erkenntnistheoretisch an der von den Soziologen Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss 1967 entwickelten Grounded Theory.[6] Die Soziologin Juliet Corbin bezeichnet sie auch als empirisch fundierte Theorie (Corbin 2011: 75). Statt der in der Soziologie gängigen Praxis, die Theorien der „großen Vorfahren“[7] zu verifizieren, entwickelten Glaser und Strauss eine Methode zur induktiven Theoriegenerierung, bei der die theoretische Eigenleistung des Forschers im Mittelpunkt steht (1998: 16ff.). Kennzeichnend für die Grounded Theory ist „die enge Verschränkung von Datenerhebung, Analyse und Theorienentwicklung, wodurch der Bezug zu den empirischen Daten und damit zu Realität gewährleistet werden soll“ (Lampert 2005: 516).

Neben der Anleitung zur Theoriengenerierung bietet die Grounded Theory ein großes Portfolio für die inhaltsanalytische Untersuchung qualitativer Daten. Statt dem Ziel der Theoriegenerierung geht es um die mehrdimensionale und vielschichtige Beantwortung der Forschungsfrage: Wie drückt sich Europäisierung in der Staatsschuldenkrise aus?

3.1 Inhaltsanalyse

Nach Philipp Mayring ist eine Inhaltsanalyse ein Ansatz empirischer, methodisch kontrollierte Auswertung, bei der das Material in seinen Kommunikationszusammenhang eingebettet nach inhaltsanalytischen Regeln ausgewertet wird (2000: 50). Ähnlich definiert Werner Früh die Inhaltsanalyse als „eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen. (2007: 27). Der Gegenstand der Inhaltsanalyse ist jede Art von fixierter Kommunikation. Dazu gehören auch die Berichterstattung und die Kommentare in den Printmedien. Eine Inhaltsanalyse ist theoriengeleitet, Gütekriterien sollen zudem das Analyseverfahren nachvollziehbar machen.

Grundtechniken bisheriger inhaltsanalytischer Verfahren waren vorwiegend Häufigkeits- und Frequenzanalysen. Es handelt sich dabei um die einfachste Art inhaltsanalytischem Arbeitens, bei der die Anzahl der Artikel und die Häufigkeit der Schlagwörter in dem jeweiligen Zeitraum ausschlaggebend sind (Mayring 2010: 13ff.). Bei qualitativen Inhaltsanalysen wird aber nicht nur der manifeste Inhalt des Materials analysiert, sondern die verschiedenen Schichten des Inhalts. Als primärer Inhalt gelten die konkreten Themen und Gedankengänge. Der latente Inhalt wird durch eine Interpretation im Textkontext erschlossen (Mayring 2010: 11ff.).

Das Entscheidende für die qualitative Inhaltsanalyse ist die Entwicklung von Kategorien im Kodierprozess. Unter Kodieren versteht man das Zuordnen von Schlüsselwörtern zu einzelnen Textstellen. Im Gegensatz zu den Kategorien sind Kodes näher am Text und daher enger gefasst (Berg/Milmeister 2011: 308). Im Zentrum des Kodierprozesses stehen die Vergleiche auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der Textauswahl und zwischen den Kategorien und ihren Eigenschaften (Glaser/Strauss 1998: 49, Mey/Mruck 2011: 15). Im Rahmen eines offenen Kodierens werden unterschiedliche, aus dem Datenmaterial hervorgehende Phänomene identifiziert, eindeutig bezeichnet, beschrieben und kategorisiert. Diese Beschreibungen werden in Form von Memos (Kode-Notizen) gespeichert und im Laufe des Forschungsprozesses stetig aufgenommen und erweitert. Um das Material weiter zu verdichten und zu verallgemeinern werden mit zunehmender Datenmenge und fortgeschrittener Kodierung axiale und selektive Kodiervorgänge angewendet. Das axiale Kodieren dient der Ausdifferenzierung der zuvor entwickelten Kategorien, mit selektivem Kodieren wird noch stärker abstrahiert (Lampert 2005: 520ff.).

[...]


[1] Eurostat: Bruttoverschuldung des Staates in Prozent des BIP – jährliche Daten (bis 2012)

[2] Als primäre Quelle für politische Information gelten Tageszeitungen: 2007: 69%, 2009: 67%.

Basis: Bundesweite Repräsentativerhebung des Meinungsforschungsinstituts dimap,

März 2009, entnommen aus Sarcinelli 2011: 30

[3] Die Nachrichtenwert-Theorie beruht grundlegend auf Lippmann (1922). Östgaard (1965) und Schulz

(1976) differenzieren das Modell weiter aus. Zu Nachrichtenwert-Forschung und Nachrichtenfaktoren:

Wilke/Rosenberger 1991: 24ff.

[4] Mehr zu Agenda-Setting in Anlehnung an das Kernkonzept von Cohen 1963, darüber hinaus zur Gatekeeper-Forschung und den Nachrichtenfaktoren bei Burkhart 2002.

[5] Koopmans und Pfetsch beobachten in ihrer Claimanalyse zur Europäisierung in deutschen Zeitungen in

den Medien im Vergleich zu anderen Akteuren kaum ein Hindernis einer Europäisierung. Medien im

Vergleich zu anderen Akteuren weder besonders pro-europäisch noch anti-europäisch.

[6] Die Originalausgabe erschien 1967 unter dem Titel „The Discovery of Grounded Theory – Strategies for Qua-

litative Research“

[7] Unter „großen Vorfahren“verstehen Glaser/Strauss bekannte Soziologen wie Weber, Durkheim, usw.

Die Kritik an der reinen Theorienverifzierung und ein Plädoyer für die Theoriengenerierung finden sich

bei Glaser/Strauss 1998:19ff.

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Europäisierung der EU-Berichterstattung
Untertitel
Eine Inhaltsanalyse deutscher Printmedien in der europäischen Schuldenkrise
Hochschule
Universität Passau  (Professur für Methoden der empirischen Sozialforschung)
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
52
Katalognummer
V264271
ISBN (eBook)
9783656558828
ISBN (Buch)
9783656558972
Dateigröße
655 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europa, Europäisierung, Europäische Öffentlichkeit, Schuldenkrise, Angela Merkel, Griechenland, Inhaltsanalyse, Grounded Theory
Arbeit zitieren
Tobias Schäfer (Autor:in), 2013, Europäisierung der EU-Berichterstattung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264271

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