Regionale industrielle Entwicklung im Deutschen Kaiserreich 1871-1914

Ein Vergleich zwischen dem Ruhrgebiet und dem Kreis Esslingen


Bachelorarbeit, 2013

45 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

1. Kaiserreich und Industrielle Revolution
1.1 Das Kaiserreich
1.2 Die Industrielle Revolution
1.3 Allgemeine Darstellung der Industriellen Revolution
1.4 Technologische und gesellschaftliche Veränderungen
1.5 Das Ruhrgebiet
1.6 Das Königreich Württemberg
1.6.1 Die Maschinenfabrik Esslingen
1.6.2 Arbeiterbewegung und soziale Fürsorge

2. Vergleich der Region Ruhrgebiet mit der Region Esslingen
2.1 Schwerindustrie
2.2 Bevölkerungszahlen
2.3 Industriearten

3. Resümee

4. Literaturverzeichnis

I Einleitung

Das Ansinnen dieser Arbeit ist es, einen Vergleich der Entwicklung zwischen dem Zentrum der Schwerindustrie in der preußischen Rheinprovinz mit dem Neckarraum um Esslingen. Ziel der Arbeit ist die Betrachtung des unterschiedlichen, ähnlichen oder gegensätzlichen Verlaufs der industriellen Entwicklung in diesen Regionen.

Das Ruhrgebiet wird in der Literatur oft als Beispiel für die positiven Entwicklungen der Industriellen Revolution herangezogen. Die mit der Industrialisierung einhergehenden Probleme werden ebenfalls sehr häufig am Beispiel des Ruhrgebietes dargestellt. Aus diesem Grund wird diese Region als exemplarisch für die industrielle Entwicklung während der Industriellen Revolution herangezogen. Darüber hinaus will ich ein konkretes Bild herausarbeiten, wie sich die Industrielle Revolution im gesamten deutschen Raum entwickelt hat. Besonders die Schwerindustrie wird dabei im Mittelpunkt stehen, da durch die in Württemberg ansässige Schwerindustrie im Kreis Esslingen besondere Vergleichsmöglichkeiten vorliegen. Warum ich mich für einen Vergleich der Regionen Ruhrgebiet und Esslingen entschieden habe, lässt sich an Die Deutsche Wirtschaftsgeschichte[20], herausgegeben von Michael North, besonders gut darlegen. Hier wird vom Ruhrgebiet als klassischer schwerindustrieller Führungsregion gesprochen. Damit in Verbindung stehend werden die süddeutschen Inseln der Industrie, wie Esslingen wähnt[1].

In der Stadt Esslingen und ihrem Umland gab es eine recht starke wirtschaftlich-industrielle Entwicklung, die sich für einen Vergleich gut eignet. Darüber hinaus ist der Raum sehr gut erforscht und in vielen Beschreibungen auch über das Königreich Württemberg zu finden. Aus der allgemeineren Literatur sowie auch aus den lokalen Schriftreihen werden daher konkrete Angaben zur industriellen Entwicklung herausgearbeitet und diese mit der allgemein angenommenen Entwicklung, die sich besonders auf das Ruhrgebiet bzw. die preußische Rheinprovinz bezieht, verglichen. Die allgemein angenommene Entwicklung ist dass, was in den Büchern als die Industrielle Revolution dargestellt wird.

Der Forschungsstand zur Industriellen Revolution ist, was die Veröffentlichungen angeht, sehr gut. Diese sind sehr umfangreich[2]. Es lassen sich sehr viele ältere, aber auch etliche aktuelle Werke finden, wie die Geschichte der Produktivkräfte in Deutschland von 1800bis 1945 in drei Bänden von R. Berthold (Hrsg.). Nennenswert ist auch H.-F. Henning, das Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands[15]. Das Werk von Hermann Aubins und Wolfgang Zorn, Handbuch der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, ist derart umfassend, dass es für weitergehende Forschungen herangezogen wurde. Auch F.-W.Henning, H. Kellenbenz und besonders H. Kiesewetter haben sich ausführlich mit der deutschen Industrialisierung befasst. H. Kiesewetter hat dabei desÖfteren seinen Blick auf das Ruhrgebiet geworfen, dessen Stellung beschrieben und analysiert. Für das Ruhrgebiet ist besonders W. Köllmann, H. Korte,D. Petzina u.a. (Hrsg.) zu nennen mit ihrem Buch Das Ruhrgebiet im Industriezeitalter[23], in zwei Bänden[3]. Weiter ist noch eine umfassende Darstellung, auch der Forschungstendenzen, von Hans-Werner Hahn, Die Industrielle Revolution in Deutschland [13] , zu erwähnen, welche vor allem auch einen guten Überblick über die aktuelleren Forschungengewährt und zuletzt 2011 in seiner dritten überarbeiteten Auflage erschienen ist. Letztes Jahr wurde ein neues Werk von Rainer Liedtke [26]herausgegeben, das einen Überblick über die gesamte Entwicklung bietet.Der Raum Esslingen ist ebenfalls bereits gut erforscht. Die vom Stadtarchiv ausgegebenen Werke wie Der Landkreis Esslingen, erschienen in zweiBänden von 2009 [25], werden durch etliche Dissertationen und Artikeln zur industriellen Entwicklung und weiterer Themen in derZeitschrift Esslinger Studien sehr ausführlich ergänzt, wie auch das Buch von Heinrich Tiessen,Industrielle Entwicklung, gesellschaftlicher Wandel und politische Bewegung einer württembergischen Fabrikstadt des 19. Jahrhunderts: Esslingen1848-1914aus dem Jahr 1982 [34]. W.A. Boelckes, Wirtschaftsgeschichte Baden-Württembergs von den Römern bis heute[3], gibt ebenfalls einenguten Einblick in die regionale Entwicklung. Auch andere Regionen sind in verschiedenen entsprechenden Büchern beschrieben.

Der in dieser Arbeit betrachtete Zeitraum beginnt mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal in Versailles nach demDeutsch-Französischen Krieg. Die Oberhoheit des Deutschen Kaiserreiches hatte Preußen inne. Mit der Entstehung des Kaiserreiches hat sich eine einzelnemonarchische Macht über den deutschen Raum gestellt, den man ab da als eine Einheit sehen konnte. Diese Oberhoheit war anders gestaltet als das HeiligeRömische Reich deutscher Nation, weswegen diese Entwicklung als Wendepunkt zu betrachten ist. Denn es entstand neben der Habsburgischen Kaisermonarchieund dem russischen Zarenreich ein weiteres anerkanntes Kaiserreich, im Gegensatz zu dem eher notgedrungen anerkannten Napoleonischen Kaiserreich 60Jahre davor. Die Territorien innerhalb des deutschen Kaiserreiches waren zwar noch höchst unterschiedlich, aber sie waren unter einer Krone vereint undgalten damit als einheitlicher politischer Raum. Auf die Wirtschaft hatte das Reich nach neuesten Erkenntnissen kaum Auswirkungen. Allerdings wurdeunter anderem zur Eingliederung der süddeutschen Staaten und Elsass-Lothringen umfassende Reformen im Geld- und Bankenwesen sowie des Handels-, Finanz-und Sozialpolitik eingeführt[4]. Diese hatten ihrerseits Auswirkungen auf das Deutsche Reich.Das Ende des Untersuchungszeitraumes ist das Jahr 1914. Dort wurde die allgemeine Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft umgestellt. Ab diesem Zeitpunktverfolgte die Industrie nicht mehr nur unternehmerische Ziele, sondern verlagerte ihren Schwerpunkt auf die Kriegswirtschaft und diente so dem Staat.

1 Kaiserreich und Industrielle Revolution

1.1 Das Kaiserreich

Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 wurde der Ruf nach einer vereinten deutschen Nation immer lauter. Gleichzeitig wurden die damit einhergehenden Gedanken an eine Demokratie entwickelt, die den Vorstellungen der Herrschenden widersprachen und daher unterdrückt wurden. Versammlungsverbote und viele weitere Repressalien waren die Folgen. Doch der Wille nach einem vereinten Deutschen Reich war unumkehrbar. So war der Deutsch-Französische Krieg Ende der 1860er Jahre ein großes Ereignis, an dem alle deutschen Staaten teilnahmen. Dieser Krieg endete im Frieden von Versailles. Zehn Tage zuvor hatte ein ersehntes Ereignis stattgefunden, die Reichsgründung, wodurch die verschiedenen Territorien zu einem Reich vereint worden waren. Am 18. Januar 1871 wurde das Deutsche Kaiserreich unter der Oberhoheit Preußens gegründet. Die Oberhoheit zeigte sich dadurch, dass der Preußische König zugleich der Kaiser war. Der erste deutsche Kaiser war Wilhelm I., König von Preußen. Sein erster Kanzler wurde Otto von Bismarck, der das Kaiserreich wie kaum ein anderer prägte.

In den Jahren zwischen 1871 und 1913 erhöhte sich die Bevölkerungszahl im deutschen Kaiserreich von rund 40 auf etwa 67 Millionen Menschen. Zwar wandertenviele Menschen nach Amerika aus oder zogen innerhalb des Kaiserreiches um, doch die Bevölkerungszahlen stiegen trotzdem stetig an. Die Lebenserwartungerhöhte sich, was die konstant wachsenden Zahlen mit erklärt. Diese höhere Lebenserwartung war durch die Verbesserung der Hygiene begründet, was auch zurSenkung der Kindersterblichkeit beitrug. Wurde ein Mensch zu Beginn des Kaiserreiches noch etwa 35 Jahre alt, so lag die Lebenserwartung 1914 bereits bei47 Jahren. Die Bevölkerung konnte also mehr arbeiten, musste das sogar, um nicht von der Altersarmut betroffen zu sein.Die kulturellen Bewegungen innerhalb des Landes und die Abwanderungen der ärmeren Bevölkerungsschichten in andere Regionen bzw. nach Übersee sorgten füreine starke Veränderung innerhalb der vormals recht homogenen Volksgemeinschaft. Erleichtert wurde diese Möglichkeit, seinen alten Wohnort zu verlassen,durch die schon früher stattgefundenen Veränderungen in den Gesetzgebungen, der sogenannten Bauernbefreiung[5], welche vormals die Menschen an ihr Land gebunden hat. Nun konnten die Menschen ihre Heimat verlassen.Eine weitere Veränderung innerhalb der Bevölkerung ergab sich vor allem durch die Urbanisierung. Lebte zu Anfang der Kaiserzeit die Bevölkerung nochmehrheitlich auf dem Land, wanderten sie nun in die Städte und erweiterten diese dadurch. In Gemeinden unter 2.000 Einwohnern lebten zu Beginn derKaiserzeit noch etwa 64% der Bevölkerung, um 1914 waren es nur noch 40%. Die Anzahl der Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern vervierfachte sich dagegenvon 4,8 auf 21,3%[6]. In absoluten Zahlen gesehen lässt sich erkennen, dass der Überschuss aus dem Bevölkerungswachstums in die Städte gezogen ist. In den kleinen Gemeindenund in den ländlichen Gebieten veränderte sich die Anzahl an Einwohnern wenig. Gleichwohl wanderten rund 20 Millionen Menschen in die Städte und sorgten sofür die starke Urbanisierung und setzten Arbeitskraftpotential für die Industrialisierung frei.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 nach den Angaben von Carsten Burhop; Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreiches 1871-1918. Göttingen 2001. S. 17.

Der Adel stand noch immer an der Spitze der Bevölkerung bzw. der Klassengesellschaft innerhalb des Kaiserreiches. Seine ökonomische Bedeutung nahm zwar ab,dafür besaß er eine zentrale Bedeutung innerhalb der Verwaltung und des Militärs.Das Bürgertum war sehr inhomogen zusammengesetzt und reichte von den reichen Fabrikbesitzern, Unternehmern und Ärzten bis hin zum einfachen Beamten.Darüber hinaus bildete sich ein neuer Mittelstand, der aus Handwerkern, Händlern und eben den einfachen Beamten bestand. Zudem entwickelte sich zunehmendein Bildungsbürgertum, welches den ökonomischen Statusverlust dadurch auszugleichen versuchte, indem man einen gesellschaftlichen Statusgewinn durch dieAufnahme einer militärischen oder staatlichen Laufbahn anstrebte. Die Unterschicht wurde durch die Landarbeiter und das neu gebildete Proletariat derStädte, die Fabrikarbeiterschaft, gestellt. Wie bereits ausgeführt, verringerte sich die Landbevölkerung, allerdings nahm im gleichen Maß dieArbeiterschaft in den Fabriken zu[7].

Das einzige politische Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung war die Teilnahme an der Wahl der Vertreter ihres Bundesstaates, indem sie ihren Wohnort hatten. Das Kaiserreich war zugleich absolutistisch und monarchisch, aber auch parlamentarisch und repräsentativ, demokratisch und plebiszär sowie föderalistisch[8]. Der König von Preußen war zugleich der Kaiser des Reiches, und damit wurde die Politik auch preußisch dominiert. Das Reich war für Zoll- und Handelswesen, Münz- und Bankenwesen, Patent- und Eisenbahnwesen, Post und Telegraphie zuständig. Alles andere, wie das Steuerwesen, blieb den Bundesstaaten vorbehalten. Der Bundesrat hatte 58 Gesandte, welche aus den insgesamt 25 Bundesstaaten stammten. Allerdings wurde der Bundesrat von den 17 Gesandten aus Preußen dominiert. Württemberg hatte 4 Stimmen, die Rheinprovinz war Teil Preußens. Da Gesetze jährlich verabschiedet werden mussten und Parteien noch keine direkte Regierungsverantwortung hatten, waren der Wahlkampfdemagogie im Kaiserreich Tür und Tor geöffnet. Vorgesehen war, dass alle 3-5 Jahre gewählt werden sollte, Realität war aber, dass notgedrungen öfter gewählt werden musste. Wenn der Reichstag aufgelöst worden war, da keine Mehrheit für bestimmte Gesetze gegeben war oder es kein Vorankommen gab, mussten alle Männer über 25 Jahre an die Urne treten, um ihre Vertreter für das Land erneut zu wählen. Die Abgeordneten selbst unterlagen keinem Fraktions- oder Parteizwang, weswegen es zu Anfang des Kaiserreiches nur schwach ausgeprägte politische Organisationen gab, was sich bis 1914 gravierend veränderte. Denn gerade die Sozialen Parteien hatten mit ihrer zunehmend sich straffer organisierenden Struktur Erfolg, weshalb die anderen beiden Parteien, Zentrum und Liberale, darin nachzogen. Es galt eine Wählerschaft zu mobilisieren, wobei das Wahlsystem so angelegt war, dass es die Bevölkerungsgruppen ungleich behandelte und die leichter zu erreichenden Stimmen für die Abgeordneten in den finanz- und bildungsstarken Schichten lagen. Dort waren vor allem die Wähler der Zentrumspartei, der Konservativen und der liberalen Parteien: Die Wählerschaft der sozialen Parteien kam aus der finanzschwachen Arbeiterschaft, deren Stimmen weniger zählten. Die von den konservativen und adligen Personenkreisen empfundene Bedrohung durch die sozialen Parteien wird im Sozialistengesetz vom Oktober 1878 recht deutlich, das einem Verbot der Sozialdemokratie gleich kam[9]. Es folgte das Schutzzollgesetz, welches eine Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus beinhaltete. Ab der Wahl von 1887 wurden dann die rechten Parteien stärker, da die Revanchegelüste Frankreichs als Argument benutzt wurden, die Militärmacht auszubauen. Man ging davon aus, dass Frankreich versuchen wird die Schmach des verlorenen Kriegs 1771 durch einen Rückschlag wieder gut machen wollte und sich die verlorenen Gebiete wie Elsass-Lothringen, zurück zu holen. 1888 kam es zum Dreikaiserjahr. Am 09. März starb der 91-jährige Kaiser Wilhelm I., sein Nachfolger Kaiser Friedrich III. starb nach 99 Tagen Regentschaft, am 15. Juni an Kehlkopfkrebs. Danach folgte Kaiser Wilhelm II. auf den Thron. Der junge Kaiser Wilhelm II. wollte aktiver in die Politik eingreifen, was zur Folge hatte, dass es zu Schwierigkeiten zwischen ihm und dem immer noch regierenden Kanzler Bismarck kam. Am 20. März 1890 reichte Bismarck seinen Rücktritt ein.

Kaiser Wilkelm II veränderte die vorherrschende Politik maßgeblich. Er stützte seine Politik auf „drei Pfeiler“. Man konnte nun persönlich Einfluss auf den Kaiser nehmen, und der Reichskanzler verlor durchaus an Bedeutung. Der erste Pfeiler war das militärische Umfeld des Hofes von Kaiser Wilhelm II Die drei Vorsteher der geheimen Kabinette, welche für Militär-, Marine- und Zivilangelegenheiten zuständig waren, bildeten den zweiten Pfeiler. Die persönlichen Freunde des Kaisers stellten dann den dritten Pfeiler[10] dar. Die Parteien wollten ihre Politik durchsetzen, indem sie direkt Einfluss auf den Kaiser zu nehmen versuchten. Die Abstimmungen waren geprägt durch persönliche und Parteiinteressen, so dass der Reichstag nicht selten aufgelöst wurde. Auch das war ein politisches Mittel des Reichskanzlers, um die benötigte Mehrheit hinter sich zu vereinen und seine Ziele durchzusetzen. Nicht selten war der Kanzler damit erfolgreich und konnte seine Gesetze durchbringen.

Während des Kaiserreiches wurden sehr viele Gesetze zur Vereinheitlichung von Münz- und Währungssystemen, Maß-Systemen, des Zoll- und Bankenwesens verabschiedet, so dass man nach und nach von einem vereinten Kaiserreich sprechen konnte und Händler wesentlich leichter innerhalb des Reiches ihre Waren versenden und verkaufen konnten. Am 4. Dezember 1871 wurde das Münzgesetz erlassen, das eine Reform und Vereinheitlichung des Münzsystems vorsah. Es wurden Reichsgoldmünzen zu 10 und zu 20 Mark eingeführt. Mit dem nachfolgenden Münzgesetz vom 09. Juli 1873 war der Prozess abgeschlossen, und die Mark wurde die einzig gültige Währung in Deutschland[11].

Eine weitere für die Wirtschaft wichtige Veränderung gab es im Eisenbahnwesen. In den 1870ern Jahren existierten 63 verschiedene Eisenbahnverwaltungen, die unabhängig voneinander verschiedene Streckennetze bedienten. Insgesamt lagen so für den Personen- und Güterverkehr rund 1300 verschiedene Tarife vor. Das machte einen einfachen Transport innerhalb Deutschland kaum möglich[12]. Nach der Gründerkrise 1873 wurden die Rufe nach einer Reichsbahn immer lauter, auch in Verbindung mit Vorwürfen an die Eigentümer der privaten Eisenbahnstrecken, dass sie ihre Monopole ausnutzen würden. Reichskanzler von Bismarck war einer der Befürworter der Reichseisenbahn, als die Diskussion zwischen 1875 bis 1878 in den verschiedensten Medien aufkam. Doch mussten diese Pläne wegen des Widerstandes auch innerhalb der Regierungen zurückgestellt werden. Aber man begann mit dem Aufkauf der verschiedenen privaten Eisenbahnstrecken, um sie der bisher einzigen Reichseisenbahn, die bis dato nur in Elsass-Lothringen und in Luxemburg eingerichtet war, zuzuführen. Das zuständige Amt wurde 1879 gegründet. Bis 1904 konnte ein großer Teil der Eisenbahnstrecken so verstaatlicht und ausgebaut werden[13].

Weitere Veränderungen gab es im Postsystem, das, bis auf Bayern und Württemberg, ab 1871 zur Reichspost vereinheitlicht wurde. Bayern und Württemberg hatten noch bis 1919 ihre eigenen Postverwaltungen. Der Telegrammverkehr wurde ebenfalls durch die Post geregelt, das Monopol auf den Telefonverkehr hatte ab den 1880ern Jahren die Reichspost inne[14]. Durch die Verbesserung der Informationsversendung konnten Innovationen schneller kommuniziert werden, und die Vernetzung der Welt schritt rasant voran. Innerhalb weniger Tage konnten so Nachrichten aus den verschiedensten Teilen der Welt ihren Weg ins Königreich Württemberg finden, und die Industrie in Württemberg konnte so auch Werbung außerhalb ihres Königreiches platzieren.

1.2 Die Industrielle Revolution

Nach wie vor wird kontrovers diskutiert, wie der Begriff der Industriellen Revolution zu definieren sei. Einerseits wird überlegt, ihn auf die wirtschaftliche Entwicklung zu beschränken, andererseits gehören auch soziale Entwicklungen hinzu. Der Begriff der Industriellen Revolution wird im Folgenden von mir als Begriff der wirtschaftlich-technischen Entwicklung der Produktionsweisen mit Einbezug der Entwicklung des Fabriksystems und der damit zusammenhängenden sozialkulturellen und politischen Wandlungen verwendet[15]. Das heißt, wenn von der Industriellen Revolution die Rede ist, dann ist darunter der gesamte und einheitliche Prozess der Veränderung von einer auf die Agrarwirtschaft zentrierten Gesellschaft zu einer durch und auf Industrie und Dienstleistung definierten und ausgerichteten Gesellschaft zu verstehen. Bedeutend ist auch, dass der Prozess der Industrialisierung wie auch die Industrielle Revolution mit einem erheblichen Wirtschaftswachstum einhergeht, das wiederum erst durch die Mechanisierung und durch die Zunahme des Fabrikwesens entsteht. Der Wachstumsprozess, verbunden mit dem Strukturwandel der Industriellen Revolution und Industrialisierung, bewirkt den Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft[16].

Begonnen hatte dieser Prozess mit den technischen Veränderungen, die im 18. Jahrhundert stattfanden und die die Arbeitskraft des Menschen durch Technik verbesserten und teilweise ersetzten. Die sich durch die Mechanisierungen erhöhenden Produktionszahlen wirkten sich auf das Preis-Leistungsverhältnis aus, aber auch auf die Art, wie hergestellt wurde. Die traditionelle Herstellungsart, bei der sich eine Dorf- oder Hofgemeinschaft selbst versorgte, wurde von einer arbeitsteiligen Produktionsgemeinschaft abgelöst, in der sich Einzelne spezialisierten. Durch die Industrialisierung entstand das Fabrikwesen, bei dem an einem Ort alle Arbeitsschritte hochspezialisiert und arbeitsteilig vollzogen wurden, wodurch sich das Produktionstempo erhöhte. Die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen bewirkten eine Urbanisierung und das Entstehen einer Lohnarbeiterschaft[17]. Die neu entstandenen kapitalintensiven Produktionsweisen benötigten ein Bankenwesen und die Mechanisierung. Insbesondere die Erfindung der Dampfmaschine ermöglichte den Ersatz der menschlichen Arbeitskraft, und durch die Eisenbahn veränderte sich der Einzugs- und Exportradius von Rohstoffen und Produkten. Die Standardisierung in der Warenproduktion veränderte wiederum das Interesse an den Angebotenen Produkten. Es gab nun die Möglichkeiten Waren in großen Zahlen herzustellen und diese wurden für die Bevölkerung erschwinglich. Dies veränderte die Marktsituationen welche sich wiederherum auf Angebot und Nachfrage auswirkte. Die zentrale Bedeutung der sich dadurch entwickelnden Märkte kann mit dem Begriff der Ökonomisierung[18] umschrieben werden. Wegen dieser sich gegenseitig beeinflussenden und bedingenden Wechselwirkungen wird der Prozess der Industriellen Revolution als Veränderung in allen Lebensbereichen verstanden.

Einige Wissenschaftler stellen sogar den Begriff der Revolution in Frage, da der Prozess, der beschrieben wird, sehr lange andauert und nicht einerevolutionäre und kurze Tendenz hat. Ob man aber den Begriff der Industriellen Evolution verwenden kann, ist dennoch umstritten. Eine Evolution ist zwarein verhältnismäßig lang andauernder Prozess, aber von natürlicher Auslese, die Kennzeichen einer Evolution ist, kann wohl kaum in diesem Zusammenhang dieRede sein. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit am Begriff der Revolution festgehalten, da der moderne Revolutionsbegriff eine Kombination aus politischem Wandel und einem langfristigen Strukturwandel meint[19].Der Begriff der Industrialisierung wird in dieser Arbeit als Prozess der Veränderung innerhalb des Gewerbes von der Handarbeit zur zunehmenden Verwendungmechanischer Hilfsmittel gesehen.

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts begann sich die gewerbliche Produktion industriell zu organisieren[20]. Ziel des Prozesses war das wirtschaftliche Wachstum, das mit den veränderten technischen Bedingungen erreicht werden sollte.

[...]


[1] North, Michael; Deutsche Wirtschaftsgeschichte. München. 2005. S. 238f.

[2] Condrau, Flurin; Die Industrielle Revolution in Deutschland. Darmstadt. 2005. S. 2.

[3] Hahn, Hans-Werner; Die Industrielle Revolution in Deutschland. München. 2011. S. 135ff.

[4] Kiesewetter, Hubert; Industrielle Revolution in Deutschland 1815-1914. Frankfurt a. M. 1989. S.79.

[5] Henning, Friedrich.-Wilhelm; Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Bd. 2: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. Jahrhundert. Paderborn. 1996. S. 40ff.

[6] Burhop, Carsten; Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreiches 1871-1918. Göttingen. 2011. S. 17.

[7] Burhop, C.; Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreiches 1871-1918. 2011. S. 18f.

[8] Burhop, C.; Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreiches 1871-1918. 2011. S. 20.

[9] Burhop, C.; Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreiches 1871-1918. 2011. S. 21ff.

[10] Burhop. C.; Wirtschaftsgeschichte des Kaiserreiches 1871-1918. 2011. S. 26f.

[11] Born, Karl Erich; Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches. 1867/1871-1917. Stuttgart. 1985. S. 52.

[12] Born, K. E.; Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches. S. 61f.

[13] Bohr, K. E.; Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches. S. 61ff.

[14] Born, K. E.; Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches. S. 67.

[15] Hahn, H.-W.; Die Industrielle Revolution in Deutschland. 2011. S. 51.

[16] Pierrenkemper, Toni; Gewerbe und Industrie im 19. Und 20. Jahrhundert. 1994. S. 4.

[17] Buchheim, Christoph; Einführung in die Wirtschaftsgeschichte. München. 1997. S. 20f.

[18] Condrau, F.; Die Industrialisierung in Deutschland. 2005. S. 8f.

[19] Condrau, F.; Die Industrialisierung in Deutschland. 2005. S. 1f.

[20] Pierenkemper, T.; Gewerbe und Industrie im 19. Und 20. Jahrhundert. München. 1994. S. 4.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Regionale industrielle Entwicklung im Deutschen Kaiserreich 1871-1914
Untertitel
Ein Vergleich zwischen dem Ruhrgebiet und dem Kreis Esslingen
Hochschule
Universität Stuttgart  (Landesgeschichte)
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
45
Katalognummer
V264867
ISBN (eBook)
9783656559023
ISBN (Buch)
9783656558989
Dateigröße
647 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vergleich, entwicklung, ruhrprovinzen, königreich, württemberg
Arbeit zitieren
Svenja Schaefer (Autor:in), 2013, Regionale industrielle Entwicklung im Deutschen Kaiserreich 1871-1914, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264867

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