Geocaching in der Erlebnispädagogik

Die Konzeption von regionalen Geocachingangeboten im Rahmen erlebnispädagogischer Aktivitäten in Sachsen. Eine qualitative Studie anhand von Leitfadeninterviews


Magisterarbeit, 2012

228 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Erlebnispädagogik
2.1 Begriffsdefinitionen
2.1.1 Erklärung desBegriffsErleben
2.1.2 Darlegung des Begriffs Erlebnis im Vergleich zu dem des Erlebens
2.1.3 Festlegung der Begriffe Erziehung, Bildung, Lernen und Erlebnispädagogik
2.1.3.1 Erziehung
2.1.3.2 Bildung
2.1.3.3 Lernen
2.1.3.4 Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erlebnispädagogik
2.2 Die Entwicklung der Erlebnispädagogik
2.2.1 Wurzeln der Erlebnispädagogik - von der Antike bis zur 22 Reformpädagogik
2.2.2 Kurt Hahn und sein Konzept der ,Erlebnistherapie‘
2.2.3 Die Entwicklung der pädagogischen Praxis von den 1950erJahren 25 bis heute
2.3 Theoretische Begründungsversuche der Erlebnispädagogik
2.3.1 Zielsetzungen und Merkmale erlebnispädagogischer Arrangements
2.3.2 Reflexionsmodelle der Erlebnispädagogik
2.3.2.1 DasModell,Themountainsspeakforthemselves‘
2.3.2.2 Das Modell ,Outward Bound Plus‘
2.3.2.3 Das ,Metaphorische Modell‘

3 Geocaching als Freizeitaktivität
3.1 MitmodernerTechnikaufSchatzsuche
3.1.1 Der AblaufeinerGeocachesuche
3.1.2 Die Entstehung und Entwicklung der Aktivität Geocaching
3.1.3 Dieunterschiedlichen ArteneinesGeocaches
3.1.4 Das Verstecken und Suchen beim Geocaching
3.2 Global Positioning System - zum technischen Hintergrund des GPS-Systems und GPS-Empfangsgeräten
3.2.1 DasFunktionsprinzipdesGPS-Systems
3.2.2 Die grundlegenden Funktionen eines GPS-Empfangsgeräts
3.2.3 Zur Genauigkeit des GPS-Systems

4 Geocaching in der erlebnispädagogischen Praxis
4.1 Die Zusammenhänge zwischen Lernen, Erleben und Erlebnis vor 43 dem Hintergrund der Erlebnispädagogik und in Bezug auf Geocaching
4.2 Die erlebnispädagogischen Reflexionsmodelle in ihrer Anwendung 46 mit Geocaching

5 Zum Forschungsstand von Geocaching in der Pädagogik
5.1 „Natursportcamps und deren Potenziale zur Bildung für nachhaltige 49 Entwicklung“
5.2 Projekt zu „GPS und Umweltbildung“
5.3 MultimedialeSchatzsuchein Anlehnungan Geocaching
5.4 Resümee der erläuterten Untersuchungen vor dem Hintergrund der 59 Konzeption von erlebnispädagogischen Geocaching-Programmen

6 Methodische Rahmung
6.1 Erhebungsdesign
6.2 Auswertungsdesign

7 Datenauswertungderdurchgeführtenlnterviews
7.1 Darbietungdesinhaltsanalytischen Auswertungskonzepts
7.1.1 Bestimmungdes Ausgangsmaterials
7.1.2 Fragestellungender Analyse
7.1.3 Analysetechnikund Ablaufmodellder Analyse
7.1.4 PräsentationersterBefragungsergebnisse
7.2 Interpretation des Interviewmaterials
7.2.1 Interpretationhinsichtlichderersten Analysefrage
7.2.1.1 „Affektive Aspekte“
7.2.1.2 .Kognitive Aspekte“
7.2.1.3 .Verhaltensbezogene Aspekte“
7.2.1.4 Fazitzurersten Analysefrage
7.2 Interpretation hinsichtlich derzweiten Analysefrage
7.2.2 .Pädagogische Ansätze“
7.2.2 .Psychologische Ansätze“
7.2.2 Fazit zur zweiten Analysefrage
7.2 Interpretation hinsichtlich der dritten Analysefrage
7.2.3 .Konzeptbedingungen“
7.2.3 .Konzeptinhalte“
7.2.3 .Konzeptstruktur und -Variationen“
7.2.3 .Konzepterfahrung“
7.2.3 Fazit zur dritten Analysefrage
7.4 Auseinandersetzung mit Gütekriterien der empirischen Sozialforschung
Diskussion

8 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Anhang

A.) Interview-Leitfaden

в.) Abbildungen

c.) Tabellen

D.) Interview-Transkripte

1 Einleitung

Die moderne Erlebnispädagogik ist mit der Kluft zwischen ihrer Theorie und Praxis konfrontiert - ein Problem das bereits in der Vergangenheit und noch heute im Verhältnis zwischen der Erziehungswissenschaft und der pädagogischen Profes­sionalität vorzufinden ist (vgl. Schott 2003; S. 171, Koring 1997, S. 85). Betrachtet man kritische Äußerungen hinsichtlich der Erlebnispädagogik, kristallisieren sich zwei grundlegende Ansichten heraus: Einerseits plädiert man für eine Fortsetzung des offenen Suchprozesses im Sinne einer Fortentwicklung der Erlebnispädagogik, weil angenommen wird, dass „wo eine in sich geschlossene Theorie fixiert ist, [...] sich die Erlebnispädagogik begrenzen und abgrenzen [wird]“ (Ziegenspeck 1993, S. 19, Auslassung, Anpassung: A. R.). Demnach kann sich diese pädagogische Teildisziplin nur solange konstruktiv entfalten, wie sie eben nicht durch theoretische Begründung in ihrem Wesen eingeschränkt wird. Folglich scheint sie ihre Eigenheit genau in dem Moment zu verlieren, in dem man sie in ein .Korsett theoretischer Konstruktionen“ zu pressen versucht. Andererseits besteht „ein Defizit an fundierter Theoriebildung“ vor dem Hintergrund „eine[r] starke[n] Zunahme von erlebnispädagogischen Aktivitäten“ (Schott 2003, S.171, Anpassung: A. R.). Daraus ist zu schließen, dass in der erlebnispädagogischen Praxis in Form von entsprechend arrangierten Maßnahmen Aktivitäten eingebunden werden, deren Anwendung und Wirkungsweise weder plausibel erklärt noch empirisch überprüft wurde.

Als eine dieser Tätigkeiten, die jüngst Anwendung in der erlebnispädagogischen Praxis fanden, kann Geocaching genannt werden. Geocaching ist eine natursportliche Freizeitaktivität, bei der anhand von Koordinaten mit Hilfe eines GPS- Geräts versteckte „Schätze“ gesucht werden und der Fund im Internet registriert und kommentiert wird. Der hier nun relevante Aspekt ist die Art und Weise, zu dem Versteck zu gelangen. Da diese Suche sehr vielfältig gestaltet sein kann, so dass mitunter sportliche Aktivitäten wie Klettern oder Paddeln mit einbezogen werden, erschließt sich die Annahme, dass sich Geocaching daher auch für erlebnispädagogische Maßnahmen zu eignen scheint. Auf dieser Perspektive bauen sich das Erkenntnis- und Forschungsinteresse dieser Arbeit auf.

Obwohl Geocaching bisher noch nicht konkret vor einem erlebnispädagogischen Hintergrund empirisch erforscht wurde, sind folgende wissenschaftliche und praktisch orientierte Studien zu finden, die sich der Thematik Geocaching in Ansätzen widmen. So wurde diese Aktivität in den Bereichen schulischer Unterricht (Ihamäki 2007; Wright et al. 2008;-Scheiring 2010; Jones 2012), Umweltbildung (Humer 2006; Kaiser 2008), Erlebnis- und Sportpädagogik (Jacoby 2010) sowie im Rahmen der Entwicklung von „Location-based Games“ (Neustaedter / Judge 2011) untersucht. Dabei ist Jacobys Studie (2010) am geeignetsten auf das Thema dieser Arbeit anzuwenden. Sie erforschte im Rahmen von Natursportcamps, welche sich auch an der Erlebnispädagogik orientierten, unter anderem Geländespiele. Die Aktivität Geocaching war dabei nicht Gegenstand der Untersuchung. Dennoch ähnelten die dabei ausgeübten Tätigkeiten der Teilnehmer deutlich der des Geocachings und zum Teil wurde auch das GPS-Gerät verwendet. Bezüglich der Aktivitäten während der Geländespiele konnte Jacoby Lernpotenziale seitens der Teilnehmer feststellen und belegen, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass auch Geocaching Lernpotenziale birgt und demnach für die Erlebnispädagogik eine relevante Aktivität darstellt.

Aus diesem Grund soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersucht werden, wie erlebnispädagogische Arrangements konzipiert sein sollten, die Geocaching als übergeordnete Aktivität integrieren, damit es seine Potenziale hinsichtlich der Ansprüche und Zielsetzungen der Erlebnispädagogik entfalten kann.

Die Besonderheit Geocachings liegt darin verwurzelt, dass es zwingend der Ausübung weiterer Tätigkeiten bedarf: Neben dem Beobachten der Umgebung und der Orientierung vor Ort ist der Umgang mit dem GPS-Gerät sowie die Suche nach Details oder auch konkrete Problemlösungsversuche wie beispielsweise Rechnen, Assoziieren und das Erkennen von Zusammenhängen bedeutend. Daher bietet es sich an Geocaching in Kleingruppen auszuüben, weil die Gemeinschaft von den unterschiedlichen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder profitieren kann. Zudem kann das Agieren in Gruppen soziales Lernen beispielsweise in Hinsicht auf die Förderung der Kommunikationsfähigkeit oder der Toleranz gegenüber Konflikten begünstigen. Weiterhin kann Geocaching mit der Vermittlung von Wissensbeständen kombiniert werden, dessen Anwendung im Rahmen entsprechender Aufgabenstellungen zum Tragen kommen. Jene Aspekte des Agierens und Lernens in Gruppen sowie der praktischen Anwendung dargebotener Inhalte können auf kreative Weise in die Aktivität des Geocachings integriert werden und deshalb vor dem Hintergrund erlebnispädagogischer Zielsetzungen in entsprechend arrangierte Angebote zur

Anwendung kommen.

Um herauszufinden wie die Integration von Geocaching in erlebnispädagogischen Programmen praktisch umgesetzt werden kann, wurde eigens eine qualitative Untersuchung bezüglich erlebnispädagogischer Geocaching-Programme in Sachsen anhand von Leitfadeninterviews durchgeführt und mittels Qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet.

Dem thematischen Schwerpunkt der Arbeit entsprechend wird Erlebnispädagogik in Kapitel 2 dargelegt. Dabei werden eingangs im Abschnitt 2.1 kontextuell relevante Begriffe wie Erleben, Erlebnis, Erziehung, Bildung sowie Lernen und Erlebnis­pädagogik auf den hier verwendeten Bedeutungsgehalt festgelegt. Anschließend wird die Entwicklung der Erlebnispädagogik geschildert und ihre theoretische Begründung anhand pädagogischer Reflexionsmodelle dargelegt. Das dritte Kapitel stellt Geocaching als Freizeitaktivität in den Mittelpunkt, wobei seine Entstehung und Entwicklung, seine wesentlichen Charakteristika, der Ablauf einer Geocachesuche sowie die unterschiedlichen Arten eines Geocaches und essentielle technische Grundlagen des verwendeten Global Position Systems (GPS) umfangreich erklärt werden. Um eine mögliche, gemäß der Fragestellung relevante und fruchtbare Verbindung zwischen den erläuterten, erlebnispädagogischen Aspekte und der Aktivität Geocaching herzustellen, wird in Kapitel 4 der Versuch unternommen, Geocaching und Erlebnispädagogik zusammen zu führen. Anschließend wird im fünften Kapitel der Forschungsstand zur Anwendung von Geocaching in der Pädagogik beleuchtet. Hinsichtlich der Thematik dieser Arbeit erschienen der Forschungsbeitrag von Jacoby (2010) vor dem Hintergrund der Erlebnis- und Sportpädagogik, die bei Humer (2006) und Kaiser (2006) thematisierte Studie im Bereich der Umweltbildung sowie die von Neustaedter / Judge (2011) durchgeführte Untersuchung bezüglich der Entwicklung von „Location-based Games“ relevant, weil sie Teilaspekte der Aktivität Geocaching thematisieren, ihre Lernpotenziale zum Teil belegen und Aufschluss hinsichtlich wichtiger Informationen zur Konzipierung von Geocaching-Angeboten geben. Das sechste Kapitel legt das methodische Vorgehen der Untersuchung dar. Demnach werden im Rahmen des Erhebungsdesigns im Abschnitt 6.1 mögliche Instrumentarien diskutiert und die Wahl der Methode des Leitfadeninterviews begründet. Im Abschnitt 6.2 werden bezüglich des Auswertungs­designs qualitative Analysemethoden thematisiert und die Festlegung auf die

Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring dargelegt. Anschließend erfolgt in Kapitel 7 die Auswertung der Interviewdaten. Dabei wird zu Beginn unter anderem das Auswertungskonzept erläutert. Bevor die umfangreiche Interpretation des Unter­suchungsmaterials erfolgt, wird vorab ein knapper Überblick hinsichtlich der Ergebnisse aus den Befragungen gegeben, um die eigentliche Interpretation nachvollziehbar zu gestalten. Eine umfassende Ergebnisdiskussion unter Bezug­nahme verschiedener theoretischer Ansätze auf die Anwendung von Geocaching im Rahmen erlebnispädagogischer Arrangements rundet das siebte Kapitel ab. Zum Abschluss der gesamten Arbeit wird eine Schlussbetrachtung hinsichtlich der wichtigsten Ergebnisse bezüglich der Hauptfragestellung geliefert, welche zudem als übergreifende Zusammenfassung des behandelten Themas zu verstehen ist.

2 Erlebnispädagogik

Im Rahmen dieser Arbeit wird die Aktivität Geocaching erlebnispädagogisch beleuchtet, weshalb in diesem Kapitel grundlegende Wesenszüge der Erlebnis­pädagogik dargestellt werden. Der Adressat soll auf diese Weise einen Einstieg in die Thematik der Pädagogik allgemein und ein umfassendes Bild der pädagogischen Teildisziplin Erlebnispädagogik im Speziellem erhalten. Dazu wird einerseits ihre historische Verwurzelung und Entwicklung aus reformpädagogischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, mit einem der renommiertesten Wegbereiter, Kurt Hahn, bis heute betrachtet. Andererseits soll ihre pädagogische Zielsetzung sowie ihre Theoriengeschichte anhand der Reflexionsmodelle von Bacon dargebracht werden. Im folgendem Kapitelabschnitt werden zudem relevante pädagogische Begriffe definiert, um diese an späterer Stelle der Arbeit auf Geocaching beziehen zu können und eine fruchtbare Verbindung der Ansätze der Erlebnispädagogik mit der Freizeitaktivität Geocaching auszuloten.

2.1 Begriffsdefinitionen

Um das Wesen der Erlebnispädagogik zu erfassen, erscheint es sinnvoll sich im Vorfeld mit den Begriffen Erleben, Erlebnis sowie Erziehung, Bildung und Lernen, wie sie innerhalb der pädagogischen Forschung definiert werden, zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit Definitionen zum Begriff der Erlebnispädagogik soll diesen Abschnitt dabei abrunden.

Eher unbefriedigend fällt die Suche nach Erlebnis und Erleben im „Lexikon Pädagogik“ aus - zum Erlebnisbegriff werden lediglich Hinweise zur historischen Verwendung des Wortes Erlebnis geliefert, und Erleben wurde erst gar nicht unter den erklärungswürdigen Begriffen erwähnt (vgl. Tenorth / Tippelt 2007, S. 195). Anders bei Reinhold, Pollak und Heim - sie erklären, dass die Begriffe Erlebnis und / oder Erleben allgemein das bezeichnen, „[...] was wir in uns, an uns (inner­psychisches E., Körper- und Leiberfahrung) und um uns erfahren (sinnliche Erfahrung, Wahrnehmung)“ (Reinhold / Pollak / Heim 1999, S. 135, Auslassung: A. R.). Etwas genauer formuliert, beschreiben die Ausdrücke „multisensorische Eigen- bzw. Selbstwahrnehmung von Prozessen und Resultaten seelische[r] und körperlicher Existenz des Menschen“ und können „bewusst oder unbewusst, reflektiert oder unreflektiert“ sein (Reinhold / Pollak / Heim 1999, S. 135, Anpassung: A. R.). Schott hingegen befasst sich in seiner Abhandlung zur „Kritik der Erlebnis­pädagogik“ tiefgründig mit den Begriffen des Erlebens und des Erlebnisses. Ent­gegen häufiger Gleichsetzung in der Literatur, grenzt er Begriffe wie Empfindungen, Bewusstsein und Selbstbewusstsein von denen des Erlebens und Erlebnisses klar ab (vgl. Schott 2003, II. Teil, Kap. 3). Aus diesem Grund wird Schotts Auseinander­setzung mit dieser begrifflichen Differenzierung in den folgenden Abschnitten näher dargestellt. Unter einer Empfindung versteht er die „selbsttätige Hinwendung eines Organismus auf dessen Außen- oder Innenwelt“, wobei sie die Grundlage für Erleben bildet, so dass sinnlich Empfundenes dem äußeren Erleben und innerlich Empfundenes dem inneren Erleben entspricht (vgl. Schott 2003, S. 166). Damit stellt Schott den Begriff der Empfindung dem des Erlebens zeitlich voran, wobei sie gleichzeitig als Voraussetzung für den Erlebensprozess zu sehen ist. Als Bewusstsein bezeichnet Schott „die Gerichtetheit auf bzw. [...] [das] Wissen um einen Gegenstand [...], das zum Teil erhebliche graduelle Unterschiede aufweist“ (Schott 2003, S. 166, Auslassung, Anpassung: A. R.). Dabei betont er, dass die Inhalte des Bewusstseins Gegenstände des inneren und äußeren Erlebens sind (vgl. Schott 2003, S. 166, ). Hingegen wird Selbstbewusstsein „als Gerichtetheit auf bestimmte Gegenstände“ festgelegt, die aus „Abläufen des bewußten Erlebens“ resultieren (Schott 2003, S. 166). Demnach ist das Bewusstsein die Vergegenständlichung des Erlebens und Selbstbewusstsein die Fokussierung auf Aspekte, die dem Erlebensprozess entspringen.

2.1.1 Erklärung des Begriffs Erleben

Schott charakterisiert das Erleben anhand seiner äußeren und inneren Struktur. Bezüglich der äußeren Struktur des Erlebens stellt er fest, dass das Leben, das Ich und das seelische Ich wesentliche Voraussetzungen dafür sind, damit der Mensch überhaupt erst erleben kann. Das Leben liefere die existenzielle Grundlage für das Ich und die Seele, über das körperliche Ich könne der Mensch die Inhalte erfassen, die von der Seele empfunden werden, und das seelische Ich ermögliche erst das körperliche Ich und die „Vergegenständlichung von Dingen“ (vgl. Schott 2003, S. 167)[1]. Außerdem stellte er fest, dass das Ich auf direkte und indirekte Weise Dinge erfassen kann, wobei der direkte Weg dem unbewusstem Erleben entspricht und sich auf innerliches und äußerliches Empfinden bezieht. Der indirekte Weg, der als Bewusstsein oder Selbstbewusstsein erlebt wird, beruht auf Feststellungen in Form von vorbewusstem und bewusstem Erleben (vgl. Schott 2003, S. 167).

Die inneren Strukturmerkmale des Erlebens unterscheidet Schott anhand von elementaren und sekundären Momenten des Erlebens. Zu den elementaren Momenten des Erlebens zählt er Unmittelbarkeit, „Einheitscharakter“, Spannungs­verhältnisse, Zeitlichkeit, Manifestation, Drang zu Auseinandersetzung, wechsel­seitige Kommunikation und die Eigen- oder Selbsttätigkeit des Erlebens (vgl. Schott 2003, S. 138-145, 167). Bezüglich der Unmittelbarkeit richtet sich das Erleben direkt auf das vom Bewusstsein und Selbstbewusstsein Festgestellte und auf innere und äußere Empfindungen (vgl. Schott 2003, S. 138). Der „Einheitscharakter“ des Erlebens ergibt sich Schott zufolge daraus, dass zwischen dem Erleben und den Abläufen des Denkens, Fühlens und Wollens Wechselwirkungen auftreten, die es erlauben, Gedanken und Gefühle auf einander zu beziehen, sodass „unterschiedlich Erlebtes zu einem .umfassenden“ Erleben verknüpft wird, ohne an Eigenstruktur zu verlieren“ (vgl. Schott 2003, S. 139)[2]. Spannungsverhältnisse zeichnen das Erleben hinsichtlich Allgemeinheit und Individualität, Abstand und Nähe, Dynamik und Statik sowie Willkürlichkeit und Unwillkürlichkeit aus (vgl. Schott 2003, S. 140 f.)[3]. Das Moment der Zeitlichkeit berücksichtigt den Einfluss zurückliegender biografischer Gegebenheiten auf das aktuelle Erleben (vgl. Schott 2003, S.141). Unter Manifestation versteht Schott die Tendenz des Erlebens, sich zu vergegen­ständlichen, in dem Sinne, dass der Erlebende den Drang verspürt etwas verarbeiten zu müssen (vgl. Schott 2003, S. 142). Ähnlich verhält es sich mit dem Drang des Erlebten zu Auseinandersetzung. Schott bezieht sich an dieser Stelle auf Dilthey, der verdeutlicht hat, dass „das Erleben den Grundstein von Ausdruck und Verstehen darstellt“, weil das Erleben die Verdinglichung dessen und damit Sinn- und Bedeutungszuschreibungen erlaubt, sodass Verstehen überhaupt erst möglich wird (vgl. Schott 2003, S. 142). Das Moment der wechselseitigen Kommunikation betrifft Erleben zwischen Denken, Fühlen, Wollen und Empfinden, zwischen innerer und äußerer Empfindung sowie zwischen Geist und Seele (vgl. Schott 2003, S. 142 f.) Das abschließende Kriterium der Selbsttätigkeit des Erlebens ist dahingehend zu verstehen, dass sich das Erleben nicht erzwingen lässt, weil es nur aus sich selbst heraus entstehen kann - gleichzeitig ist aber das Subjekt in der Lage, das Erlebte bewusst zu erfassen und dadurch zum Teil selbst zu steuern (vgl. Schott 2003, S. 143 f.).

Zu den sekundären Merkmalen des Erlebens zählt Schott Qualität, Quantität, Relation und Modalität. Dabei bezieht er sich auf die äußeren Faktoren von Erleben wie Beschaffenheit, Deutlichkeit, Umfang, Größe[4] sowie das Verhältnis des Erlebten zum Gegenstand aus subjektiver Sicht[5]. Dahingehend unterscheidet er erstens mögliches und wirkliches Erleben, zweitens positives und negatives Erlebtes und drittens kognitives, affektives oder konatives Erlebtes (vgl. Schott 2003, S. 167 f.)[6]. Im Erleben interagieren Körper, Geist und Seele. Dadurch können Dinge, Gefühle und Feststellungen bewusst und unbewusst, indirekt und direkt, wahrgenommen werden. Eine Vielzahl erlebter Aspekte werden im Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele als intensives Erleben aufgefasst und zwingen das Subjekt zu Auseinandersetzung mit dem Ereignis. Der Prozess des Erlebens kann durch biografische Umstände beeinflusst sein und entsteht nur aus sich selbst heraus. Dennoch entscheidet das Subjekt, mit seiner offenen oder ablehnenden Haltung zum Ereignis, wenigstens teilweise, wie es dieses erlebt.

2.1.2 Darlegung des Begriffs Erlebnis im Vergleich zu dem des Erlebens

Unterden gleichen Gesichtspunkten betrachtet Schott nun das Erlebnis und versucht auf diese Weise, Unterschieden aufzudecken, um das Erlebnis vom Erleben abzugrenzen. Schotts Ausführungen zufolge unterscheidet sich das Erlebnis rein äußerlich betrachtet überhaupt nicht vom Erleben: Es kann genauso von Empfindungen, Bewusstsein und Selbstbewusstsein unterschieden werden und hat auch das Leben, das körperliche sowie das seelische Ich als Bedingung (vgl. Schott 2003, S. 151).

Vergleicht man die zentralen Elemente des Erlebnisses mit denen des Erlebens von der inneren Struktur her, zeigen sich sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede. Zum einen weisen das Erlebnis ebenso wie das Erleben unmittelbare Charakterzüge auf, d.h. das Erlebnis wird nie absolut der Wahrheit oder Realität entspringen, sondern immer auch subjektiv gefärbt sein. Daneben sind sowohl das Erleben als auch das Erlebnis durch den Drang nach Manifestation und Reflexion gekennzeichnet, beide zwingen also das Subjekt zur Auseinandersetzung mit dem Ereignis (vgl. Schott 2003, S. 151 f., 154). Dabei ist anzumerken, dass ein Erlebnis das Subjekt zu intensiverer Thematisierung des Ereignisses zwingt als das Erleben (vgl. Schott 2003, S. 151). Zum anderen überwiegen bezüglich der inneren Struktur des Erlebnisses im Vergleich zum Erleben deutlich die Unterschiede.

Zwar können beide Begriffe mit Einheitlichkeit charakterisiert werden, aber auf unterschiedlicher Weise. Einheit im Erleben meint den Berührungspunkt innerer und äußerer Empfindungen, an dem Denken, Wollen und Fühlen in Kontakt treten (vgl. ebenda, S. 139). Einheit im Erlebnis beschreibt das Verschmelzen von Empfinden, Denken, Fühlen und Wollen zu einem Ganzen (vgl. Schott 2003, S. 152). Abweichungen zeigen sich auch in den Spannungsverhältnissen. Während des Erlebens treten die bereits erwähnten Spannungsverhältnisse von Allgemeinheit und Individualität über Abstand und Nähe, Dynamik und Statik sowie Willkürlichkeit und Unwillkürlichkeit auf, hingegen spielen im Erlebnis lediglich die Spannungs­verhältnisse Allgemeinheit und Individualität sowie Abstand und Nähe eine Rolle - die Spannungsverhältnisse Dynamik und Statik sowie Willkürlichkeit und Unwill­kürlichkeit sind hier nicht von Bedeutung (vgl. Schott 2003, S. 152 f.). Zeitlichkeit prägt sowohl das Erleben als auch das Erlebnis. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass während eines Erlebnisses zeitliche Grenzen, was Zukunft und Vergangenheit betrifft, regelrecht aufgehoben werden, so dass dem Subjekt alles gegenwärtig erscheint bzw. das Zeitgefühl in diesem Moment verloren scheint (vgl. Schott 2003, S. 154). Auch der Drang zur Auseinandersetzung lässt sich im Erleben und im Erlebnis wiederfinden, jedoch ist das Erleben Voraussetzung dafür, dass etwas verstanden werden kann, wo hingegen das Erlebnis zu tieferer Reflexion zwingt und damit die Wahrscheinlichkeit für grundlegende Verhaltens- oder Einstellungsänderung erhöhen kann (vgl. Schott 2003, S. 154 f.).

Erleben und Erlebnis sind zudem durch ein kommunikatives Element gekennzeichnet, wenn auch wieder in unterschiedlicher Weise. Im Erleben zeigt sich Kommunikation in Form von Wechselwirkungen zwischen den Empfindungen einerseits und dem Denken, Fühlen und Wollen andererseits - im Erlebnis aber kommunizieren alle vier Faktoren, Denken, Empfinden, Fühlen und Wollen so intensiv mit einander, dass glatte Informationsflüsse möglich werden (vgl. Schott 2003, S. 155 f.). Des Weiteren zeichnet sich das Erlebnis durch seinen Resultatscharakter aus und meint die Ganzheit oder Einheit der einzelnen Faktoren eines reibungslos, quasi unkontrolliert funktionierenden Systems. Oder wie Schott es ausdrückt: „Das Erleben ermöglicht etwas, [...]. Im Erlebnis dagegen ist etwas. [...] Im Erlebnis ist Ganzheit“ (Schott 2003, S. 156, Auslassung: A.R.). Das abschließende Element der inneren Strukturen von Erleben und Erlebnis bildet ein übergeordnetes Moment - das der Eigen- bzw. Selbsttätigkeit: Es bezieht sich im Erleben auf alle bisher genannten Strukturmerkmale in der Art, dass alle Elemente in der Lage sind, aus sich selbst heraus zu entstehen (vgl. Schott 2003, S. 156). Das Erlebnis hingegen entsteht nicht nur aus sich selbst heraus, es ist viel mehr völlig unabhängig zu sehen und kann weder von außen, z.B. durch einen Pädagogen, noch von innen, durch das Subjekt selbst, absichtlich herbei geführt werden (vgl. Schott 2003, S. 156).

Schott betrachtet auch die sekundären Momente des Erlebnisses im Vergleich zu denen des Erlebens. Dabei zeigt sich, dass bezogen auf die Qualität, das Erlebnis, ähnlich wie das Erleben, anhand der Deutlichkeit der Inhalte gemessen werden kann, was jedoch im Erlebnis insofern einen Schritt weiter geht, dass Unterschiede erfasst werden können (vgl. Schott 2003, S. 169). Die Quantität zeigt sich im Erlebnis in Hinsicht auf dessen Ausdehnung, Häufigkeit und Ausmaß bzw. seiner Dauer.

Bezüglich der Dauer existiert im Erlebnis ein Unterschied zum Erlebten, nämlich dass es einer zeitlichen Abgrenzung unterliegt und somit nur in einem gewissen Zeitfenster stattfindet (vgl. Schott 2003, S. 169). Das quantitative Merkmal der Intensität beim Erlebnis bezieht sich auf den Inhalt und dessen Nützlichkeit. Im Gegensatz zur der Intensität im Erleben verfügt es über einen deutlich höheren Nützlichkeitsfaktor, was zudem auch anhand gravierender Verhaltensänderungen des tangierten Subjektes deutlich werden kann (vgl. Schott 2003, S. 169). Das Relationskriterium ist auf das Verhältnis des Erlebnisses zu seinem Inhalt ausge­richtet und deutet auf die Überwindung der Diskrepanz zwischen Subjekt und Objekt hin, im Gegensatz zur Relation im Erleben (vgl. Schott 2003, S. 169). Das Gütekriterium der Modalität unterscheidet mit Blick auf das Erlebnis drei Modi. Wie im Erleben muss im Erlebnis zwischen wirklichen und möglichen Erlebnissen unter­schieden werden. Hinsichtlich der Differenzierung in positive bzw. negative Erlebnisse trifft dies, wie im Erleben, zu. Schließlich muss, wie im Erleben, auch das Erlebnis getrennt in affektiv, kognitiv und konativ betrachtet werden (vgl. Schott 2003, S. 170).

Wie das Erleben, basiert auch das Erlebnis auf einem Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Jedoch treten Denken, Fühlen, Wollen und Empfinden nicht nur in Kontakt, wie es beim Erleben der Fall ist, sondern verschmelzen miteinander zu einer Einheit. Informationen laufen glatt ab und die Reaktionen gleichen intuitivem Verhalten, wobei gleichzeitig das Gefühl für die Zeit in den Hintergrund treten kann. Vergangenheit und Zukunft sind während des Erlebnisses nicht von Bedeutung. Das Subjekt befindet sich in diesem Moment ganz im Hier und Jetzt und lenkt all seine Aufmerksamkeit auf das Ereignis bzw. die Ereignisfolge. Das Erlebnis kann weder vom Pädagogen noch vom Subjekt gesteuert werden. Es bricht über das Subjekt herein und bewirkt dessen Betroffenheit[7].

2.1.3 Festlegung der Begriffe Erziehung, Bildung, Lernen und Erlebnispädagogik

Wie bei allen pädagogischen Ausrichtungen soll auch im Rahmen der Erlebnis­pädagogik erzogen, gebildet und gelernt werden. Aus diesem Grund ist es für diese Arbeit notwendig, auch die Begriffe Erziehung, Bildung und Lernen auf einen bestimmten Bedeutungsgehalt festzulegen.

2.1.3.1 Erziehung

Oelkers und Miller-Kipp zufolge kann Erziehung nicht definieren werden - in der Praxis und Theorie wird sich vielmehr nach eigenem Ermessen auf einen Erziehungsbegriff festgelegt (vgl. Oelkers / Miller-Kipp 2007, S. 204). So liefern die Autoren auch eher allgemeine Erklärungen in Hinsicht aufden Begriffder Erziehung: „Erziehung [...] meint zentral diejenigen Akte, die sich auf das heranwachsende Individuum richten und dessen Entwicklung fördern wollen“ und „diese Akte werden [...] als intendiert, personal getragen und verantwortet [...] begriffen“ (Oelkers / Miller­Kipp 2007, S. 204 f., Auslassung: A. R.). Es wird nicht deutlich, welche Art von Entwicklung gemeint ist. Neben körperlicher und psychischer Reifung findet die Entwicklung eines Menschen auch im Rahmen einer Orientierung an den sozialen, kulturellen, normativen und moralischen Gegebenheiten der vorherrschenden Gesellschaft statt. Weiterhin bemerken die Autoren, dass die „Träger und Subjekte dieser Akte, deren Dauer und Ort, Mittel und Ziele samt ihrer Legitimation sowie die gesellschaftliche Funktion von Erziehung nicht festliegen, [ ] [einem] historischem Wandel [unterliegen]“ (Oelkers / Miller-Kipp 2007, S. 204, Anpassung: A. R.). Dieser Erklärungsansatz spiegelt den Erziehungsprozess lediglich von außen auf den Menschen wider. Selbst wenn diesem „unterstellt ist [...], es handle sich um positives und konstruktives bzw., moralisierend, um gutes Einwirken [...]“, bedarf es doch der Einwilligung des Subjektes, sich auf dieses Einwirken einzulassen, in dem es beispielsweise versucht Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen (Oelkers / Miller-Kipp 2007, S. 205).

Eher praxisorientiert formuliert Schwenk den Erziehungsbegriff als „bewusste, in unmittelbaren zwischenmenschlichen Beziehungen und durch Auseinandersetzung mit der Umwelt und sich selbst erfolgende Bewusstseinsformung und körperliche Entwicklung der Persönlichkeit“ (vgl. Schwenk 1995, S. 386 f.).

Eine umfangreiche Diskussion des Erziehungsbegriffs liefert Marian Heitger. Sie bezieht Erziehung auf „die Art des Wissens, auf den Umgang mit ihm, [und] auf Ich- Verhalte“ und sieht sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit von Erziehung „im Subjektsein des Menschen“ in Form seiner Selbstbestimmung begründet (vgl. Heitger 1999, S. 144, Anpassung: A. R.). Gleichzeitig geht sie davon aus, dass Erziehung nur im interpersonalen Dialog erfolgen kann, wenn dieser den Menschen zur Betrachtung seiner Selbst motiviere - erst dann kann sich Erziehung als Selbstbestimmung vollziehen bzw. kann von Erziehung überhaupt die Rede sein (vgl. Heitger 1999, S. 143 f.). Sowohl Schwenk als auch Heitger betonen in ihren Überlegungen die Auseinandersetzung des Subjekts mit sich selbst.

Der Aspekt der Selbstbetrachtung kann dabei mit dem Begriff der Reflexion verbunden werden. Reflexion leitet sich vom lateinischen Wort ,reflectere‘ ab, bedeutet soviel wie zurückbeugen, zurück-werfen oder spiegeln und wird im Sinne eines „[...] prüfende[n] und vergleichende^] Nachdenken[s], Überlegen[s] und Betrachters] eines Sachverhaltes oder Verhaltens; [und] [der] Auseinandersetzung mit dem inneren Erleben und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen und Werthaltungen, [sowie] Denk- und Handlungsmustern“ verwendet (Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 131, Auslassung, Anpassung: A. R.). Im pädagogischen, therapeutischen und psychologischen Bereich wird Reflexion im Sinne eines „sprachliche[n] Austausch[s] und [der] Rückschau in eine[ ] Gruppe“ angewendet (Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 131, Anpassung: A. R.). Dem steht natürlich nicht entgegen, dass sprachliche Interaktion und Rückschau auch auf das Verhalten und Handeln eines einzelnen angewendet werden können. Reflexion kann somit von außen erfolgen, z. B. durch einen Pädagogen, als auch von innen durch das Subjekt selbst - hier spricht man von Selbstreflexion.

Im Rahmen pädagogischer Angebote zielt die Reflexion von außen gerade auf den Anstoß und das Vorantreiben der Reflexion des Subjekts über sich selbst. Daher ergibt sich für diese Arbeit ein Verständnis von Erziehung dahingehend, dass sich ein Individuum mit sich und seiner Umwelt auf Ebene von interpersonalem Dialog aber auch in Form interpersonaler Handlungen auseinandersetzt, sich selbst und seine Umwelt beobachtet und lernt, sein Handeln und Verhalten mit dem der anderen in Relation zu setzen, mit dem Ziel der Selbstbestimmung anhand bewusster Unterscheidung und verantwortungsvoller Entscheidung für sich, aber auch als Teil einer Gemeinschaft.

2.1.3.2 Bildung

Der Begriff der Bildung gilt als einer der grundlegenden Begriffe der Pädagogik und soll deshalb hinsichtlich des Themas dieser Arbeit ebenfalls betrachtet werden. Koch zufolge hat Bildung sowohl Prozess- als auch Resultatscharakter. Da sich Bildung als Prozess eher auf Unterricht und Unterweisung bezieht, kann im Rahmen dieser Arbeit davon Abstand genommen werden (vgl. Koch 1999, S. 78 f.). Bildung als Resultat spielt vor dem Hintergrund der Erlebnispädagogik eine bedeutendere Rolle und kann als eine „durch Erfahrung und vielfältige Anstrengung erworbene individuelle Prägung im Denken, Fühlen und Handeln, die das Welt- und Selbstverhältnis des Menschen bestimmt“ definiert werden (Koch 1999, S. 78). In seinem Artikel zu Bildung bietet Tenorth in dem von ihm unter anderem ihm selbst herausgegebenen „Lexikon Pädagogik“ keine Definition, die den Bildungsbegriff zumindest im allgemeinen Verständnis auf den Punkt brächte (vgl. Tenorth 2007, S. 92 ff.). Detaillierter äußert sich Ehrenspeck zum Bildungsbegriff. Vor dem Hintergrund formaler Bildung, ohne diese zusätzlich zu erklären, versteht sie Bildung „unabhängig von den Bildungsinhalten als [individuelles] Vermögen im Sinne von Fähigkeit und Kompetenz“ (Ehrenspeck 2006, S. 68, Anpassung: A. R.). Zudem verweist sie auf „Kräfte, Kompetenzen, Qualifikationen, Vermögen [...]“ die dem Subjekt die Möglichkeit bieten sollen, sich selbst zu bilden (vgl. Langewand 1994, S. 83, zitiert nach: Ehrenspeck 2006, S. 68, Auslassung: A. R.). Vor dem Hintergrund des Themas orientiert sich diese Arbeit in erster Linie an der Definition von Koch, da sich gerade der dort erwähnte Aspekt der Erfahrung, aber auch der der „vielfältigen Anstrengung“, gut in der Erlebnispädagogikverorten lässt[8] (Koch 1999, S. 78).

2.1.3.3 Lernen

Als weiterer pädagogischer Begriff von bedeutender Tragweite soll das Lernen beleuchtet werden. Aus neurobiologischer Sicht kann Lernen als „eine Form flexibler Anpassung lebender Systeme an ihre (wechselnden) Umweltbedingungen durch Veränderung ihrer Möglichkeiten, sich zu verhalten“ verstanden werden“ (Treml 2006, S. 288). Diese Art der Anpassung erfolgt durch „individuelle! ] Erfahrungen, der Speicherung erfolgreicher Anpassungen [...] [sowie] der Fähigkeit, [...] vorhandene Kompetenzen durch Erfahrungen modifizieren], [...] bei Bedarf wieder aktivier[en] und in Verhalten übersetzten] [zu] können“ (Treml 2006, S. 288 f., Anpassung, Auslassung: A. R.).

Auch aus psychologischer Sicht steht Lernen in engem Zusammenhang mit Veränderung und Erfahrung. Bower / Hilgard verstehen unter Lernen „eine Veränderung im Verhalten oder Verhaltenspotenzial eines Individuums in einer gegebenen Situation, die sich zurückführen lässt auf wiederholte Erfahrungen [...] in dieser Situation“, unter der Voraussetzung, dass „die Verhaltensänderung nicht auf der Basis von angeborenen Reaktionstendenzen, Reifung oder vorübergehenden Zuständen“, wie Müdigkeit, erklärt werden kann (Bower / Hilgard 1981, S. 11, Übersetzung: Weidenmann, zitiert nach: Weidenmann 1993, S. 161, Auslassung: A. R.).

Koch hingegen betrachtet den Lernbegriff insbesondere anhand seines Prozesscharakters. Dabei gilt es nicht nur „das Neue und Unvertraute ins Bewusstsein auf[zu]nehmen" und „durch Wiederholung ins Gedächtnis ein[zu]präg[en] “ (Koch 1999, S. 353, Anpassung: A. R.). Es soll auch das Behalten und Verstehen des Lerngegenstandes durch „begriffliche[s] Erfassen und Bestimm[en] [...] [sowie dessen] Vertiefung zur Einsicht bzw. [seines] Rückgang[s] aufGründe und Ursachen [gefördert werden], wodurch [...] das Lernen selbst reflexiv wird“ (Koch 1999, S. 353, Anpassung und Auslassung: A. R.). Allerdings muss Koch zufolge der intraspezifische Transfer selbst gelernt werden (vgl. Koch 1999, S. 353).

Lernen, als pädagogischer Begriff, kann zudem unter sehr spezifischen Gesichts­punkten, zum Beispiel dem der Entdeckung, betrachtet werden. Girg bezeichnet den Vorgang des Entdeckens „als ,Innere[n] Dialog“ des Individuums beim Erschließen von Neuem“ (Girg 1994, zitiert nach Girg 1999, S. 356, Anpassung: A. R.). Der Ansatz des Entdeckenden Lernens erfuhr eine Wiederbelebung durch J. S. Bruner in den 1970er Jahren und geht in seinen Grundzügen auf die Stadien der Problemlösung nach John Deweyzurück (vgl. Girg 1999, S. 356).

Bruner verbindet das Entdecken in seinen pädagogischen Ansätzen mit folgenden Aspekten (vgl. Bruner 1973, S. 100 ff.): Ihm zufolge ist das Erforschen der Situation bedeutsam. Auf diese Weise kann das Subjekt für sich einen Lösungsansatz erfinden, damit seine Umwelt konfrontieren und aus der Reaktion darauf sein erfundenes Modell an die Gegebenheiten der Umgebung entsprechend anpassen. Als Beispiel dazu beschreibt Bruner das Erlernen der Muttersprache über die für Kleinkinder typische Sprache. Weiterhin betont er im Zusammenhang mit dem Entdecken, dass Lernen die Fähigkeit zu Transfer beinhalten müsse, so dass Inhalte mit anderem Wissen in Verbindung gebracht werden können. Dazu muss das Subjekt wissen, wie es sich Inhalte aneignet, wie es mit denen umgehen soll und, dass Probleme durch geistige Anstrengung gelöst werden können (vgl. Bruner 1974, S. 122). Außerdem ist für das Entdecken „rationelles geistiges Arbeiten“ im Sinne von Suchen nach wesentlichen Strukturen und Merkmalen, aber auch das Bezweifeln erster Eindrücke notwendig, um die bedeutendsten Aspekte aufzuspüren (vgl. Bruner 1974, S. 123). So wie Bruner feststellt, dass sich das entdeckende Lernen auf Grundlage bekannter Sachverhalte vollzieht, erkannte bereits Aristoteles, dass Lernen (im Allgemeinem) aus vorab vorhandenem Wissen erfolgt (vgl. Koch 1999, S. 354).

Der Lernbegriff wird im pädagogischen Rahmen notwendigerweise auch unter sozialen Aspekten als soziales Lernen betrachtet. Soziales Lernen betrifft hinsichtlich seiner Methodik die Vorgänge des menschlichen Lernens und bezieht sich in seinen Inhalten auf zwischenmenschliche Beziehungen (vgl. Czerwenka 1999, S. 360). Dabei sind „aktive Handlungen“ ebenso eingeschlossen wie Wege der Selbstbestimmung (vgl. Czerwenka 1999, S. 360). Soziales Lernen zielt neben „dem Erwerb von Handlungskompetenzen für soziale Situationen und [...] Fähigkeiten sozialer Resonanz, wie Verständnis und Einfühlungsvermögen“, auch auf Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung wie „Selbstkompetenz und Sensibilität für die eigene soziale Lage“ ab und bezieht sich damit in Hinsicht auf „seine[ ] Entstehung, [...] Aneignung und seinem Zielbereich eindeutig auf Interaktion“ (Czerwenka 1999, S. 361, Auslassung: A. R.). Als eine mögliche Sonderform des sozialen Lernens kann das kooperative Lernen gesehen werden. Es verbindet die sozialen Lernaspekte „mit kognitiven, sachbezogenen Inhalten und Zielen“ (Lankes 1999, S. 358). Auf diese Weise soll der gemeinsame Fähigkeits- und Kenntniserwerb in der Gruppe die Persönlichkeitsentwicklung und sozialen Kompetenzen des Einzelnen fördern (vgl. Lankes 1999, S. 358). Angestrebt wird der „möglichst hohe, individuelle Lernzuwachs jedes Gruppenmitglieds“ aber auch „Verantwortung für den eigenen sowie gleich­zeitig den Lernprozess der anderen“ (Lankes 1999, S. 358). Die soziale Interaktion regt „Artikulation und Reflexion“ an und Aebli zufolge führt „erst die Reflexion [...] zu .formuliertem Wissen“, auf dem die soziale Urteils- und Handlungsfähigkeit beruht“ (Aebli 1987, zitiert nach: Lankes 1999, S. 359, Auslassung: A. R.). Vor dem Hinter­grund des Themas dieser Arbeit wird sich an dem Lernbegriffen nach Koch und Czerwenka orientiert. Aspekte wie das Erkennen und Begreifen aber auch das Aufdecken von Zusammenhängen, beispielsweise durch das Mittel der Wieder­holung, sollen mit sozialem Lernkomponenten, wie der des Einfühlungsvermögens, bewusst in Verbindung gebracht werden.

2.1.3.4 Auseinandersetzung mitdem Begriff der Erlebnispädagogik

Dem „Lexikon Erlebnispädagogik“ zufolge „bezeichnet [Erlebnispädagogik] Praxis und Theorie der Leitung und Begleitung von Lernprozessen mit handlungs­orientierten Methoden“; sie „setzt die reformpädagogischen Forderungen nach Ganzheitlichkeit, Naturverbundenheit und Praxisbezug, Menschennähe und Gesell­schaftsfähigkeit in der Praxis um“ (Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 44). Ein anderen Definitionsvorschlag liefert Ziegenspeck. Aus seiner Sicht „versteht sich [Erlebnispädagogik] als Alternative und Ergänzung tradierter und etablierter Erziehungs- und Bildungseinrichtungen“ (Ziegenspeck 1994, S. 149, zitiert nach: Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 27). Mit der meist natursportlichen Orientierung der Erlebnispädagogik verweist Ziegenspeck auf eine sehr einseitige Ausrichtung dessen und betont dabei das Potenzial „künstlerische^], musische[r], kulturelle[r] und auch technische^] Bereiche[ ]“ von pädagogischen Maßnahmen, die in Einrichtungen stattfinden (vgl. Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 27, Anpassung: A. R.). Treffender als bei vorangehenden Autoren definieren Heckmair / Michl den Begriff der Erlebnis-

Pädagogik als „eine handlungsorientierte Methode, in der [einerseits] durch Gemein­schaft und Erlebnisse in naturnahen oder pädagogisch unerschlossenen Räumen neue Raum- und Zeitperspektiven erschlossen werden, die einem pädagogischen Zweck dienen“ und die andererseits “durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten“ (Heckmair / Michl 2004, S. 102, Anpassung: A. R.). Einen anderen wichtigen Ansatzpunkt hinsichtlich einer Begriffsbestimmung von Erlebnispädagogik liefert Schott. Ihm zufolge handelt es sich nur dann um Erlebnispädagogik, „wenn das Erlebnis - der Sache nach oder ausdrücklich - in pädagogische Bezüge eingebunden ist, in Bezüge mithin, die das Lehr- / Lern-, das Erziehungs- oder das Bildungsgeschehen zum Gegenstand haben“ (Schott 2003, S. 262). Damit ist Schott weitestgehend der einzige, der darauf hinweist, dass das Erlebnis nicht per se pädagogisch wirkt, sondern eines pädagogischen Rahmens bedarf, um die beabsichtigten Effekte zu erzielen.

Innerhalb dieser Arbeit werden unter Erlebnispädagogik handlungsorientierte Methoden verstanden, welche Erlebnisse, im Rahmen pädagogischer Settings, im naturnahen Raum dazu nutzen, das Individuum in physischer, psychischer, sozialer oder kognitiver Hinsicht zu fordern, um dessen Persönlichkeitsentwicklung auf möglichst ganzheitliche Weise zu fördern.

Im Anschluss an diese Festlegung grundlegender pädagogischer Begriffe soll der folgende Abschnitt die Ursprünge und die Entwicklung der Erlebnispädagogik in Deutschland beleuchten. Dafür ist es notwendig relevante Wegbereiter sowie die aus gesellschaftlichen und historischen Zusammenhängen resultierende pädagogische Strömung der Reformpädagogik ansatzweise zu betrachten.

2.2 Die Entwicklung der Erlebnispädagogik

Dieser Abschnitt schildert die Entwicklung der Erlebnispädagogik, wobei in Punkt 2.2.1 an erste Leitideen aus der Antike angesetzt wird. Jene Gedanken und Ansätze wurden zur Zeit der Aufklärung wieder aufgegriffen, fortgeführt und später innerhalb reformpädagogischer Strömungen weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang kann Kurt Hahn als Wegbereiter der Erlebnispädagogik genannt werden, weshalb in

Abschnitt 2.2.2 sein Konzept der Erlebnistherapie erläutert wird. Anschließend wird in Punkt 2.2.3 die Entwicklung der pädagogischen Praxis bis heute betrachtet, aus der sich die moderne Erlebnispädagogik kristallisierte.

2.2.1 Wurzeln der Erlebnispädagogik-von der Antike bis zur Reformpädagogik

Bereits in der Antike und aus der Epoche der Aufklärung lassen sich Ansätze finden, die in der späteren Erlebnispädagogik von Bedeutung sind. Witte zu Folge, vertrat bereits Platon (427 - 347 v. Chr.) die Idee von einer ganzheitlichen Erziehung von Körper, Geist und Seele (vgl. Witte 2002, S. 23). Dieser Gedanke der Ganzheitlichkeit im Sinne von Lernerfahrungen mit ,Kopf, Herz und Hand’ findet sich dann bei Johann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827) wieder (vgl. Witte 2002, S. 24). Pestalozzi zufolge konnte Erziehung und Bildung nur dann sinnvoll umgesetzt werden, wenn der Mensch durch, für ihn realitätsnahe Erfahrungen zu Erkenntnissen gelangt (vgl. Witte 2002, S. 24). Ganzheitlichkeit spielte auch bei Jean Jacques Rousseau (1712 - 1778) eine tragende Rolle: „Die innere Entwicklung unserer Fähigkeiten und unserer Organe ist die Erziehung der Natur; die Anwendung, welche man uns von diesen entwickelten Fähigkeiten und Organen machen lehrt, ist die Erziehung der Menschen, und in dem Gewinn eigener Erfahrungen in Bezug auf die Gegenstände, welche auf uns einwirken, besteht die Erziehung der Dinge“ (Rousseau 2010, S. 15). Nach Rousseau erziehen die Aspekte Natur, Dinge und Mensch den Heranwachsenden mittels Handlungen, Erfahrungen und Erlebnissen, die er unmittelbar selbst macht, ohne dass der Erzieher belehrend und unterrichtend eingreift[9].

Die eigentlichen Wurzeln der Erlebnispädagogik liegen jedoch in der Reformpädagogik. Sie etablierte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf internationaler Ebene. Betrachtet man rückblickend die Entstehung der Reformpädagogik vor dem Hintergrund der Geschichte Deutschlands, so entwickelten sich erste Ansätze etwa zur Zeit Kaiser Wilhelm II. im Deutschen Kaiserreich (vgl. Witte 2002, S. 25).

Generell war die Reformpädagogik durch verschiedener pädagogischer Bewegungen und die Etablierung der Jugend, als zusätzliche Entwicklungsphase des Menschen, in der Gesellschaft gekennzeichnet. Ein markantes Ereignis der Jugendbewegung war die Vereinsgründung des „Wandervogels“ (vgl. Heckmair / Michl 2004, S. 35 f.). Die Bewegung ging von jungen Menschen aus - als Protesthaltung „gegen die Bevormundung durch Schule und Elternhaus“, als Befreiung aus der „Enge der Stadt“ und als Suche nach „neuen Formen der Gemeinschaft und Sinnerfüllung“ in der Art, dass Zeltlager, Ausfahrten oder Wanderungen eigenständig durchgeführt wurden (vgl. Witte 2002, S. 27 f.). „Erlebnisarmut in der Schule“ war ein zentraler Begriff der Reformpädagogik und die Eigeninitiative der Wandervogelbewegung kann als mögliche Reaktion darauf gesehen werden (Heckmair / Michl 2004, S. 32). Eine weitere Strömung war die Kunsterziehungsbewegung. Sie zeichnete sich durch einen kreativen Umgang mit Kunst und Musik aus und zielte auf die Schulung der „künstlerische^] Genussfähigkeit des Kindes die Weckung des künstlerischen Gestaltungstriebes und der produktiven Kräfte sowie die Herausforderung der allgemeinen Spontaneität“ (vgl. Witte 2002, S. 27). Zu den reformpädagogischen Strömungen wird auch die Landerziehungsheimbewegung gezählt. In naturnaher Umgebung gelegen, galten die Landerziehungsheime als Lern- und Lebensalternative (vgl. Witte 2002, S. 28). Neben dem Landerziehungsheim von Hermann Lietz in Ilsenburg waren die .Walkmühle’ von Minna Specht und die koedukative Internatsschule .Schloss Salem“ von Kurt Hahn einige der bekanntesten Heime dieser Zeit (vgl. Witte 2002, S. 28).

Kurt Hahn entwickelte in diesem Kontext das Konzept der Erlebnistherapie. Er war damit für die Entstehung der Erlebnispädagogik wegbereitend, weshalb sein Konzept im Anschluss erläutert wird.

2.2.2 Kurt Hahn und sein Konzept der ,Erlebnistherapie‘

Kurt Hahn (1886 - 1974) war kein ausgebildeter Pädagoge, vielmehr resultiert sein pädagogisches Schaffen aus politischen Aktivitäten und den Gründungen verschiedenster Institutionen[10], unter anderem an der Seite des Prinzen Max von Baden (vgl. Knoll 1987, S. 12 f.). Hahn orientierte sich in seinem Konzept an Platons sittlicher Erziehung[11], am Modell der pädagogischen Provinz[12] sowie am moralischen Äquivalent des Krieges[13] nach William James (vgl. Witte 2002, S. 29. f.). Er strebte die Erziehung des Charakters im Sinne eines „tatkräftigen], selbstbewussten], sittlich kritisch[en], verantwortungsvoll handelnden], willensstarken], sensiblen], weltoffenen], patriotischen], selbstständigen], kooperativ[en] [...]“ Menschenbildes an (Hahn 1986, S. 32 f., zitiert nach: Knoll 1987, S.15, Anpassung: A. R.). Hahns Bemühungen zielten auf eine ganzheitliche Charakterbildung. Das er damit einen relativ modernen Weg einschlug verdeutlichen die Äußerungen „weltoffen“ und „kooperativ“. Gleichzeitig artikulieren sich typische Moralvorstellungen und Ansichten der Gesellschaft seiner Zeit besonders in den Worten „sittlich“, „patriotisch“ und „tatkräftig“.

Das Konzept der Erlebnistherapie entstand aus Hahns Kritik an der Gesellschaft und stützt sich zusammengefasst auf vier Aspekte: den „Verfall der körperlichen Tauglichkeit“; den „Verfall der Sorgsamkeit“; den „Verfall der persönlichen Initiative“ sowie den „Verfall der Selbstzucht“ (Hahn 1959, S. 83 f.). Hahn ordnete diesen jeweils eine menschliche Anlage und Neigung, ein psychisches und physisches Erscheinungsbild sowie eine Therapieform als Lösungsansatz zu (vgl. Fischer 1992, zitiert nach: Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 241). Dem „Verfall der körperlichen Tauglichkeit“ teilt Hahn die physische und psychische Erscheinung in Form des „Geschlechtstrieb[s]“ zu und sieht diesen in der Neigung des „körperliche[n] Bewegungsdrang[s] und Spieltrieb[s]“ (ebenda) begründet. Um den proklamierten Verfall zu therapieren, sieht er sportliche Aktivität und Herausforderungen vor (vgl. Fischer 1992, zitiert nach: Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 241; Hahn 1959, S. 74).

Der „Verfall der Sorgsamkeit“ resultiert Hahn zufolge aus der menschlichen Neigung des „Forschungsdrang[s]“, äußert sich auf physischer und psychischer Ebene als „Denkunlust“ und Langeweile und ihm kann mit Hilfe der Projektarbeit begegnet werden (vgl. Fischer 1992, zitiert nach: Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 241). Der Mangel „an persönlicher Initiative“ zeigt sich in Form von „Interesselosigkeit“, ergibt sich aus der Neigung der „Spontaneität und Wissbegierde“ und kann mittels „Expedition“ therapiert werden (vgl. Fischer 1992, zitiert nach: Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 241). Den „Verfall der Selbstbeherrschung“ sieht Hahn in der Neigung nach „Abenteuerlust und menschlicher Anteilnahme“ begründet, der sich in unterdrückten Emotionen und der Unfähigkeit zu starken Bindungen äußert und sich durch den „Rettungsdienst“ bearbeiten lässt (vgl. Fischer 1992, zitiert nach: Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 241).

Hahns Erlebnistherapie setzt sich damit aus den folgenden vier Basisfaktoren zusammen: „Körperliches Training“ in Form verschiedener Sportarten, „Expedition“ als Ausflug über mehrerer Tage mit eigener Planung und Organisation in der Gruppe, „Projekt“ als tiefgründige Auseinandersetzung zu einem Thema und „Dienst“ im Sinne von Hilfeleistung und Rettung (vgl. Heckmair / Michl 2004, S. 39). Diese Erlebnistherapie, die Hahn in seinen Kurz-schulen[14] und der Schule Salem anwendete, resultierte aus dem gesellschaftlichen Kontext der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik, als die Reformpädagogik ihre Höhepunkte zu verzeichnen hatte.

Man muss betonen, dass sie unter anderem die Wurzel einer neuen pädagogischen Strömung bildete, die sich erst als Bestandteil der Reformpädagogik entwickelte und sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur sehr langsam als Erlebnis­pädagogik in Form einer pädagogischen Bewegung und Teildisziplin etablierte konnte (vgl. Neubert 1929, S. 25, zitiert nach: Koring 1997, S. 385). Der folgende Abschnitt gibt darüber Aufschluss.

2.2.3 Die Entwicklung der pädagogischen Praxis von den 1950er Jahren bis heute

In der Gesellschaft der BRD während der Zeit der 1950er und 1960er Jahren war eine eigenständige ,Jugendkultur’ nicht mehr vorhanden, weil die Selbstorganisation der Jugend mit dem Krieg verloren ging (vgl. Heckmair / Mich! 2004, S. 50). Erwachsene engagierten sich in Jugendverbänden, um Ausfahrten mit Zeltlager und Lagerfeuer zu organisierten, und eine pädagogische Rahmung dieser Aktionen war, abgesehen von einigen Ausnahmen wie der „Jugend des Deutschen Alpenvereins“, kaum von Bedeutung (vgl. Heckmair / Michl 2004, S, 51 f.). Die 1970er Jahre waren in erster Linie durch die Jugendzentrumsbewegung und der offenen Jugendarbeit gekennzeichnet (vgl. Heckmair / Michl 2004, S, 51 f.). Während versucht wurde, mit Jugendeinrichtungen den Mangel an sozialem Raum auszugleichen, führte der ,Sputnik-Schock‘[15] im Bildungswesen zu Anstrengungen, die Lernleistung zu optimieren und damit geradewegs in eine „verkopfte[...]“ Pädagogik mit „verschulte[m] Lernen“ (vgl. Heckmair / Michl 2004, S. 52 f., Ziegenspeck 1993, S. 29). Der Kontext pädagogischer Angebote für Jugendliche wurde teilweise von Räumlichkeiten, in Form von Einrichtungen, in naturnahe Umgebungen verlagert. Entsprechen dazu ist der Begriff der Erlebnispädagogik seit etwa Anfang der 1980er Jahre in der Fachliteraturzu finden (vgl. Heckmair / Michl 2004, S. 54). Zu dieserZeit setzte sich erneut eine pädagogische Bewegung durch, die ihre Angebote beispielsweise als Ausfahrten oder Kletteraktionen, zunehmend im Freien stattfinden ließ (vgl. Heckmair / Michl 2004, S. 54). Die Entwicklung moderner Medien, wie der des Computers, Internets, Mobiltelefons oder Smartphones, lassen seit den 1990 Jahren den zentralen Begriff der Erlebnisarmut aus den reformpädagogischen Ansätzen wieder näher in den Vordergrund treten. Allerdings braucht heute nicht mehr die Einschränkung auf den Bereich der Schule vorgenommen werden. Vielmehr kann Erlebnisarmut in so ziemlich allen Bereichen des Alltags relevant sein. Intensiver Medienkonsum, in der Form, dass Spielfiguren Situation virtuell erleben, führt zu passiven Erlebnissen, weil der eigene Körper die Situation nur stellvertretend erlebt und natürliche Bedürfnisse unbefriedigt bleiben (vgl. Reiners 1993, S. 7 f.; Witte 2002, S. 36). Die durch Entwicklung verbesserte Technik ermöglicht fast ein reales Abbild von Erlebnissen im virtuellen Raum. Dadurch kann bei den Medienkonsumenten die Vorstellung entstehen Erlebnisse tatsächlich zu erfahren. Es stellt sich kaum ein befriedigendes Gefühl ein, weil der reale Körper deutlich weniger intensiv beansprucht wird. Der Körper verlangt nach weiterer Bedürfnisbefriedigung, weshalb die geschilderten Zusammenhänge, zumindest ansatzweise, mit Opaschowskis Auffassung des „Freizeitstress“ in Verbindung gebracht werden können. Dieser geht davon aus, dass Aspekte wie beispielsweise Termindruck, Leistungsdruck oder ein großes Repertoire an Wahlmöglichkeiten Stressempfinden, nicht nur im Berufsleben, sondern auch im Bereich der Freizeit auslösen (vgl. Opaschowski 1988, S. 164 f.). Dabei wird der Moment des Erlebens oft von zukünftigen Vorhaben überschattet, sodass es dem Menschen zunehmend schwer fällt zu entspannen und auch Momente der Ruhe als Erlebnis zu empfinden. Daher könnte es als Aufgabe der Erlebnispädagogik verstanden werden, dem Menschen das Erleben aufs Neue zu lehren, indem sie einen konstruktiven Umgang mit seiner Umwelt in Bezug auf das eigene Erleben vermittelt. Der nächste Abschnitt des Kapitels thematisiert diesen Punkt näher.

2.3 Theoretische Begründungsversuche der Erlebnispädagogik

Im Anschluss an dem Überblick zur Entstehung der Erlebnispädagogik sollen im folgenden Abschnitt die Zielsetzungen und Merkmale erlebnispädagogischer Programme sowie die Theoriengeschichte der Erlebnispädagogik anhand der Reflexionsmodelle in den Blick genommen werden.

2.3.1 Zielsetzungen und Merkmale erlebnispädagogischer Arrangements

Es wurde gezeigt, dass das Empfinden von Erlebnisarmut nicht unbedingt nur die Folge von zu wenigen Erlebnismöglichkeiten sein muss, sondern auch durch einem Mangel an Erlebnisfähigkeit hervorgerufen werden kann. Deshalb liegen gerade die Schwerpunkte der Erlebnispädagogik auf Körperlichkeit, Einfachheit und sozialem Lernen (vgl. Klawe / Bräuer 1998, S. 11). Das Spüren des eigenen Körpers fördert nicht nur das Kennenlernen und das Gefühl für ihn, sondern verleiht dem Ereignis damit auch physische Authentizität. Auf diese Weise kann die Betroffenheit der Person für das Ereignis unterstützt und dieses damit zum Erlebnis werden. Die Betonung der Einfachheit in Form der Gewährleistung grundlegender Lebens­bedingungen, wie Nahrung, Wärme und Schutz gilt der „Kritik an der Konsum­gesellschaft“ (Klawe / Bräuer 1998, S. 11). Diese Aspekte fanden sich bereits in den Wurzeln der Erlebnispädagogik, wie der „Wandervogelbewegung“ und deren Zeltlager. Das Handeln in der Gruppe war von Beginn an ein typischer Wesenszug erlebnispädagogischer Ansätze, weil es die Konfrontation mit Menschen forderte. Es zwingt zur Auseinandersetzung untereinander und jeder Einzelne ist gefragt. Ziele können gemeinsam erreicht werden und auch die Verantwortung wird von der Gemeinschaft getragen - die grundlegende Erwartung ist jedoch, dass sich möglichst alle Gruppenmitglieder beteiligen (vgl. Klawe / Bräuer 1998, S. 13). Dabei wird auch bewusst angestrebt, dass der Einzelne in die Nähe seiner persönlichen Grenzen gebracht wird, diese vielleicht überhaupt erst einmal kennen lernt oder ausweitet (vgl. Klawe / Bräuer 1998, S. 13). Daraus resultieren als Lernziele nicht nur die Entwicklung oder Förderung von Eigeninitiative, Kreativität oder Improvisation, sondern gerade auch im Kontext einer Gruppe Kooperationsvermögen, die Erhöhung von Konflikttoleranz und die Förderung der Kommunikationsfähigkeit (vgl. Klawe / Bräuer 1998, S. 14).

Zudem betont Fürst markante Kennzeichen erlebnispädagogischer Arrangements, um genannte Zielsetzungen erreichen zu können und hält in diesem Zusammenhang folgende Aspekte fest (vgl. Fürst, zitiert nach: Witte 2002, S. 38): Die pädagogische Situation sollte nicht vollständig vorstrukturiert sein, damit diese unvorhergesehen bleibt und ein Erlebnis überhaupt zum Tragen kommen kann. Sie sollte sich außerdem durch Ernsthaftigkeit und Unausweichlichkeit auszeichnen, um die Teilnehmer tatsächlich zur Auseinandersetzung und Lösung von Problemen zu bewegen. Weiterhin sollten die Arrangements auf Körperlichkeit zielen, damit die Teilnehmer sowohl ihre Grenzen als auch ihre Potenziale erfahren, und einzelne Lernsituationen überschaubar bleiben sowie das Erreichen von Teilzielen beabsichtigen, um sich von den komplexen Situationen der Alltagserfahrung abzuheben und die Teilnehmer Erfolg sowie Motivation erfahren. Die Unmittelbarkeit des Erlebens stellt einen weiteren wichtigen Aspekt in erlebnispädagogischen Situationen dar, weil sich der positive Effekt des Erlebnisses nur im Moment des sofortigen Erlebens entfalten kann und mit zunehmenden zeitlichen Abstand zum Erlebnis die emotionale Betroffenheit der Person verblast.

Damit ein positiver Lerneffekt überhaupt eintreten kann, wird in erlebnis­pädagogischen Maßnahmen das Bewusstsein des eigenen Verhaltens und daraus resultierende Handlungsmöglichkeiten, anhand von theoriegeleiteten Reflexions­modellen, betont.

2.3.2 Reflexionsmodelle der Erlebnispädagogik

Im Bereich der Erlebnispädagogik wurde bisher keine eigenständige umfassende Theorie entwickelt, die die Wirksamkeit erlebnispädagogischer Angebote plausibel erklären kann. Klawe und Bräuer begründen diesen Fakt mit der Wesensstruktur erlebnispädagogischer Maßnahmen. Sie können als „offene Systeme“ betrachtet werden, denen eine „geschlossene Theorie“ fehlt, „die eine Ableitung stringenter Kausalitäten und plausibler Parameter und Indikatoren erlauben würde“ (Klawe / Bräuer 1998, S. 35). Dennoch etablierten sich in der Erlebnispädagogik verschiedene Modelle, denen der Aspekt der Reflexion des eigenen Handelns vorwiegend gemeinsam ist und ihn entsprechend gewichten (vgl. Witte 2002, S. 68; Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 238). Gerade in der Erlebnispädagogik kommt dieser Komponente eine tragende Rolle zu, denn „[Reflexion] macht Erlebnisse transparent, holt Unterbewusstes ins Bewusstsein, hilft Erlebtes zu verarbeiten und einzuordnen. Hier werden Selbst- und Fremdwahrnehmungen abgeglichen, Konflikte in der Gruppe angesprochen und geklärt.“ (Sander 2000, S. 50, zitiert nach: Witte 2002, S. 66). Nach Bacon (1987) werden drei dieser ,Reflexionsmodelle‘ oder .Modelle der Erlebnispädagogik“ unterschieden, die ihrerseits die theoriegeschichtliche Entwick­lung der Erlebnispädagogik widerspiegeln und im Folgenden in ihren Wesenszügen beschrieben werden.

2.3.2.1 Das Modell ,The mountains speak forthemselves1

Dieses Reflexionsmodell aus den 1960er Jahren zeichnet sich durch die Annahme in Anlehnung an Rousseau[16] aus, dass die Natur bildende Eindrücke automatisch liefert und auf diese Weise direkt auf das Alltagsverhalten der Teilnehmer erlebnis­pädagogischer Angebote wirken kann (vgl. Witte 2002, S. 69; Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 238). Das Bild der ,für sich sprechenden Berge“ steht für die Selbstwirkung der Erlebnisse und beinhaltet, dass die zu Grunde liegenden Naturerfahrungen es der Zielgruppe ermöglichen, ihre Grenzerfahrungen eigenständig auszulegen und anzuwenden (vgl. Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 238).

Deshalb benötigen die Teilnehmer pädagogischer Programme, die mit diesem Reflexionsmodell kombiniert sind, ausreichend Kompetenzen bezüglich der Interpretation eigener Gefühle, um daraus die Begründung des eigenen Verhaltens und Handelns ableiten zu können. Für Programmadressaten, die über diese Kompetenzen (noch) nicht verfügen, wie beispielsweise Kinder, wird der Effekt einer Selbstreflexion nicht spürbar sein. Daher empfiehlt es sich dieses Reflexionsmodell mit Zielgruppen anzuwenden, die bereits Erfahrung mit Selbstreflexion haben oder über die notwendigen Kompetenzen verfügen sich selbst zu beobachten. Aus pädagogischer Sicht ist das Modell weniger anspruchsvoll, da es sich bezüglich der Aufgaben des Gruppenleiters, auf das Arrangieren herausfordernder Situationen und der Gewährleistung physischer Sicherheit beschränkt (vgl. Witte 2002, S. 69; Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 238). An ihm wurde bemängelt, auf unreflektierten Wertungen aufzubauen, in ihm nicht die Stärken der Teilnehmer, sondern deren Defizite im Vordergrund stünden und dass wegen zu allgemeiner Zielvorstellungen der Individualität der Zielgruppen zu wenig Bedeutung beigemessen würde (vgl. Witte 2002, S. 70).

2.3.2.2 Das Modell ,Outward Bound Plus1 .Outward Bound Plus“ entstand in den 1970er Jahren als Weiterentwicklung des .Outward Bound“ Konzepts von Kurt Hahn in Anlehnung an seine .Erlebnistherapie“ und zeichnet sich durch gezielte Reflexionsphasen im Sinne einer Auf- und Nachbereitung der Erfahrungen und Erlebnisse aus (vgl. Witte 2002, S. 70; Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 239). Im Reflexionsprozess soll Erlebtes zu bewussten Erfahrungen verarbeitet werden, um Transfer überhaupt stattfinden zu lassen und damit Qualität zu sichern (vgl. Witte 2002, S. 70; Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 239). Die Aufgaben des Personals erlebnispädagogischer Programme in Kombi­nation mit dem .Outward Bound Plus“-Modell sind nicht mehr nur auf Betreuung und Sicherung der Unversehrtheit der Teilnehmer festgelegt. Sie umfassen nun auch die professionelle Anleitung und Beratung zum Reflexionsprozesses der Adressaten.

Der Erfolg des Modells hängt daher stark von der Qualität der pädagogischen Tätigkeit, aber auch von der Intensität des Erlebnisses und der Bereitschaft der Teilnehmer zur Reflexion, ab. Daher steigt, im Vergleich zum Modell .The mountains speak for themselves“, der Anspruch an die Begleitpersonen insgesamt. Neben fachsportlichen und sicherheitstechnischen Aspekten benötigen die Fachkräfte nun auch pädagogische und therapeutische Qualifizierungen, wie aus der Gesprächs­und Gestalttherapie sowie der Transaktionsanalyse (vgl. Witte 2002, S. 70). Trotz dessen, dass das Modell zielgruppenorientiert angelegt ist, kann es jedoch für Personen, mit denen eine bewusste Auseinandersetzung nicht möglich ist[17], kaum angewendet werden (vgl. Schödlbauer 1997, S. 41, zitiert nach: Witte 2002, S. 71). Zudem kann ein Übermaß an Reflexion die Wirksamkeit des Erlebten schwächen, so dass Erfahrungslernen in Analyseprozessen unterzugehen droht (vgl. Witte 2002, S.71). Dennoch empfehlen Zuffellato/Kreszmeier das Modell für „geplante Programme“ und sich wiederholende „Projekte mit Modulcharakter“ und verorten es theoretisch konzeptionell unter anderem innerhalb der Verhaltenstheorie und der kognitiven Lerntheorien (vgl. Zuffellato / Kreszmeier2007, S. 239).

2.3.2.3 Das ,Metaphorische Modell1

Bacon entwickelte dieses Modell Anfang der 1980er Jahre. Er verlagerte den Schwerpunkt der Erlebnispädagogik wieder auf die Erlebnisprozesse und zielte mit diesem Modell auf eine möglichst hohe Deckungsgleichheit, der sogenannten „Isomorphie“[18], zwischen der zu überwindenden Alltagssituation und der Erlebnis­struktur des pädagogischen Angebots (vgl. Witte 2002, S.71). Der Teilnehmer durchlebt und erlebt eine Situation auf Probe in symbolhafter Art und Weise, also metaphorisch[19] zur Alltagsproblematik, und kann die dabei mobilisierte Kraft und Energie auf die entsprechende Alltagssituation übertragen. „So kann z. B. die positive Erfahrung über das Erreichen eines Ziels während eines mehrtägigen Trekkings als Handlungsvorgabe und Impuls für die Bewältigung von persönlichen Zielen (Ausbildung, Karriere, Freundeskreis) dienen“ (Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 239). Witte empfiehlt eine Reflexion im Anschluss an die in einem pädagogischen Programm stattfindende Aktion. Bei einem hohen Grad der Deckungsgleichheit zwischen Alltags- und Programmsituation ist dies jedoch nicht zwangsläufig notwendig (vgl. Witte 2002, S.72 f.). Kritisch konstatiert Koring, dass soziales Lernen beim Konzept des .metaphorischen Modells“ an Tragweite verliere und sich soziales Handeln metaphorisch nicht umsetzen ließe (vgl. Koring 1997, S. 371). Weiterhin kann der festgelegte Rahmen der metaphorischen Situation den Handlungsspielraum des Teilnehmers insofern einschränken, dass alternatives Handeln in Bezug auf die Vorstellungen des Pädagogen als Fehler des Teilnehmers beurteilt werden könnte (vgl. Koring 1997, S. 372).

Die eben erläuterten Reflexionsmodelle sowie das Konzept der Erlebnistherapie von Hahn stellen beinahe die einzigen, theoretischen Auseinandersetzungen mit der Wirkungsweise und dem Wesen Erlebnispädagogik dar.

Dem Thema der Arbeit weiter folgend, stellt das sich anschließende Kapitel die Freizeitaktivität Geocaching in den Mittelpunkt, um an späterer Stelle der Arbeit Aspekte der Erlebnispädagogik und Geocaching zusammen zuführen.

3 Geocaching als Freizeitaktivität

Dieses Kapitel erläutert im ersten Unterpunkt das Freizeitphänomen Geocaching unter der Betrachtung seiner Merkmale und Entwicklung. Anschließend wird der technische Hintergrund des Geocachings, das GPS[20], die zum Einsatz kommenden Geräte und deren Funktionsweise betrachtet

3.1 Mit moderner Technik auf Schatzsuche

Geocaching entstand vor über 10 Jahren und mittlerweile hat es sich zu einer Freizeitaktivität etabliert. Um dem steigenden, öffentlichen Interesse[21] gerecht zu werden, entwickelten sich neben zahlreichen Online-Portalen und -Foren[22] (vgl. Gründel 2007, S. 18 f.) auch Shops im Internet[23] und seit September 2010 gibt es außerdem ein deutschsprachiges Magazin[24].

Im Folgenden wird die Aktivität Geocaching in ihren Einzelheiten vorgestellt. Dabei soll ihr Ablauf geschildert, die Entwicklungsgeschichte erläutert, auf typische Arten von Caches eingegangen und die Aspekte des Versteckens und Suchens, den beiden übergeordneten Tätigkeiten beim Geocaching, vorgestellt werden.

3.1.1 Der Ablauf einer Geocachesuche

Beim Geocaching begibt man sich auf die Suche nach einem „Schatz“, der von einer „unbekannten Person“ vorsätzlich versteckt wurde. Sowohl der zu findende „Schatz“, als auch das Arrangement der Cachesuche wird als Geocache oder Cache bezeichnet. Dabei wird ein GPS-Gerät[25] bzw. ein anderes technisches Gerät, wie ein Handy oder Smartphone, mit GPS-Funktion benötigt. Anhand der im Internet veröffentlichten zugehörigen GPS-Koordinaten eines Geocaches[26] wird die Position des „Schatzes“ oder der Startpunkt einer Cachesuche, welche aus mehreren Stationen bestehen kann, ermittelt (vgl. Gründel 2007, S. 14). Liegen entsprechende Koordinaten vor, wird der Ort, den die Koordinaten angeben, aufgesucht. Dort ist, bei einem einfachen Geocache, der „Schatz“ versteckt und entsprechend zu suchen.

Bei einer komplexen Cachestruktur muss an dieser Stelle nach weiteren Hinweisen geschaut werden, um an die nächsten Koordinaten zu gelangen. Häufig sind Aufgaben zu erfüllen, bevor man die Endkoordinate des Ortes erfährt, wo sich das Gesuchte befindet (vgl. Gründel 2007, S. 14). Der Finder trägt sich dann in ein Logbuch ein, kann Bestandteile des „Schatzes“[27] austauschen und registriert den gefundenen Cache im Internet - „hier gibt man dann an, ob was getauscht wurde und kann einen persönlichen Kommentar hinterlassen, [...]“ (Gründel 2007, S. 14 f., Auslassung: A.R.). Die Kommentierung der Cachesuche kann für andere Nutzer hilfreich sein.

[...]


[1] Schott (2003) diskutiert diesen Punkt ausführlich aufden Seiten 126 -137.

[2] Weiterhin erklärt Schott an anderer Stelle, dass das Erleben als „wechselseitige Einflussnahme von Sinnlichkeit, Verstand, Gefühl und Wollen“ Grundlage des Lernens sei und stellt auf diese Weise einen direkten Bezug zwischen Lernen und Erleben her(vgl. Schott 2003, S.251).

[3] Zwar erleben alle Menschen Trauer, Freude, Glück, Schmerz etc., aber jeder erlebt diese Gefühle auf individuelle Art und Weise (vgl. Schott 2003, S. 140). Gleichzeitig steht Erleben in engen Beziehungen zu kurz oder länger zurückliegenden Ereignissen und zur Außen- und emotionalen Innenwelt des Erlebenden (vgl. Schott 2003, S. 140). Mit Dynamik und Statik beschreibt Schott die Stellung des Erlebens als Bindeglied zwischen den „ruhelosen Schichten' der biologischen Begierden“ und dem „feststellenden Bewusstsein und Selbstbewusstsein“ (vgl. Schott 2003, S. 140). Weiterhin stehen sich im Erleben willkürliche und unwillkürliche, also Verstandes-bezogene und emotional begründete, Aspekte gegenüber und trotz der vereinheitlichenden Funktion des Erlebens bleibt ihre Eigentümlichkeit erkennbar (vgl. Schott 2003, S. 140 f.).

[4] Beispielsweise kann die Größe des Erfahrungsschatzes und die Dauer oder Absicht eines bestimmten Ereignisses gemeint sein.

[5] Das Verhältnis des Erlebten zum Gegenstand ergibt sich aus Einstellungen, Neigungen und Begierden des Subjektes sowie aus verschiedenen Arten und Weisen des Erlebens.

[6] Der Autor erläutert diese Punkte umfangreich aufden Seiten 145-150.

[7] „Betroffenheit bedeutet alltagssprachlich [...] die an ein Erlebnis oder eine Erfahrung [sich] anschließende psychische Reaktion einer plötzlichen, heftigen Verwunderung und Überraschung [...] zu sein“ (vgl. Reinhold / Pollak / Heim 1999, S. 77, Anpassung: A.R.).

[8] Dem Zusammenhang von Bildung und Erlebnispädagogik soll an späterer Stelle des Kapitels auf den Grund gegangen werden.

[9] „Das Übel ist einmal geschehen, das Kind muss den Schmerz aushalten [...]. Unter solchen Erfahrungen entwickelt sich schon in diesem Alter in der Brust des Kindes Mut und Unerschrockenheit; durch furchtloses Ertragen leichterer Schmerzen lernt man stufenweise auch die großen ertragen“ (Rousseau 2010, S. 98). 10 Hahn gründete die Heidelberger Vereinigung (1919), gymnasiale Internatsschulen, wie beispielsweise 1920 Schloss Salem, und die Outward Bound Bewegung (1941) (vgl. Knoll 1987, S.

[10]

[11] „Kant sagt, die Stimme der Vernunft ist unüberschreibbar, auch für den gemeinsten Menschen vernehmlich. Wir fügen hinzu: Die Stimme der Vernunft ist für jeden vernehmlich, der ehrlich hinhört; aber die Wucht der Neigungen kann so stark sein, dass der Mensch nicht mehr ehrlich hinhören kann“ (Hahn 1959, S. 10). „Plato nennt diese Neigung die πλεονεξία, daß heißt die Sucht, mehr zu haben als meine Mitmenschen, ihre Rechte als nicht gleichwertig mit dem meinen zu erachten“ (Hahn 1959, S. 11). Hahn will den Menschen durch Nachahmung, Übung und Einsicht der Vernunft zu allezeit sittlichem Verhalten erziehen, in dem die persönlichen Neigungen eines jeden geschwächt werden sollen (vgl. Witte 2002, S. 29 f.).

[12].Pädagogische Provinz' bezeichnet Bildung und Erziehung in einem abgegrenzten Raum, um den Heranwachsenden vor nicht erwünschten äußeren Einflüssen zu schützen (vgl. Witte 2002, S. 30).

[13] James Theorie des .Moralischen Äquivalents des Krieges' zufolge benötigen Gefühle einen moralisch akzeptablen Raum, um abgebaut werden zu können - zumindest wenn der Anspruch voraus geht, dass Eskalation von Situationen aufgrund von Emotionen verhindert werden soll (vgl. Witte 2002, S. 30 f.). Hahn will diesem Raum für den Heranwachsenden zur Verfügung stellen, indem er u. a. Möglichkeiten der Herausforderung und der Befriedigung des Bewegungstriebes bietet (vgl. Witte 2002, S. 31).

[14] Kurzschulen waren jährlich mehrmals stattfindende pädagogische Monatsprogramme „sich selbst verwaltende[r] Gemeinschaften [...], um die Bruderschaft des Abenteuers zu erleben [...] in den Bergen, auf den Flüssen, zur See [und] in der Luft“ (Hahn 1959, S. 68, Anpassung: A. R.).

[15] Die sowjetische Weltraummission der Sputnik-Satelliten versetzte 1957 Gesellschaften mit einer politischen westlichen Orientierung in Entsetzen hinsichtlich des eigenen (unterstellten) Rückstands im Bereich modernster Technik und gleichzeitig in Erstaunen „über die Leistungsfähigkeit der Feindmacht des ,Kalten Krieges“' - Reaktionen darauf waren u.a. in bildungspolitischen Bereichen, beispielsweise in Form des „National Defence Education Act“ zu finden (vgl. Tenorth / Tippelt 2007, S. 690).

[16] „Das Übel ist einmal geschehen, das Kind muss den Schmerz aushalten [...]. Unter solchen Erfahrungen entwickelt sich schon in diesem Alter in der Brust des Kindes Mut und Unerschrockenheit; durch furchtloses Ertragen leichterer Schmerzen lernt man stufenweise auch die großen ertragen“ (Rousseau 2010, S. 98).

[17] Beispielsweise können psychische Krankheiten, wie ein Schizophrenie, oder geistige Behinderung durch Demenz dazu führen, dass Menschen sich selbst nur noch eingeschränkt wahrnehmen und der Prozess des Reflektierens der eigenen Handlungen kaum noch möglich ist.

[18].Isomorphie' (griech.: von gleicher Gestalt) bezieht sich in der Erlebnispädagogik auf die Struktur eines Lernraumes der der Fragestellung oder dem aktuellen Thema eines Teilnehmers oder eines Teams möglichst entsprechen soll (vgl. Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 77).

[19] Eine .Metapher' (griech.: Sinnbild, Übertragung) stellt ein sprachliches Bild dar, das der Übertragung von Inhalten auf andere Begriffe, Gegenstände oder Erfahrungen dient und dadurch Erkenntnis- und Lernprozesse initiieren kann (vgl. Zuffellato / Kreszmeier 2007, S. 233).

[20] GPS ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung Global Positioning System. Dabei handelt es sich um ein weltumspannendes Satellitensystem, mit dessen Hilfe sich jeder Ort auf der Erde mittels Koordinaten bestimmen lässt.

[21] Groundspeak Inc. bzw. Geocaching.com ging als erste professionelle Organisation bezüglich Geocaching online und verzeichnet heute weit mehr als 850.000 aktive Geocacher aus über 220 Ländern (vgl. Gründel 2007, S. 18).

[22] Während „Opencaching.de“ eine Datenbank für den deutschsprachigen Raum ist, also auch die Schweiz und Österreich mit einbezieht, handelt es sich bei „Geocaching.de“ um ein Portal, dass nur Regionen in Deutschland betrifft. Zu den gängigsten Diskussionsforen zum Thema Geocaching zählen das „grüne Forum“ (www.geocache-forum.de) und das „blaue Forum“ in englischer Sprache unterwww.geocaching.com/forums (vgl. Gründel 2007, S. 34).

[23] Mit steigendem Interesse am Geocaching entstanden erste Online-Shops im Internet, mit diversen Produkten, wie beispielsweise www.mygeocoin.de (vgl. Telaar 2007, S.28, http://www.mygeocoin.de).

[24] Das „Geocaching-Magazin“ erscheint alle 2 Monate und gibt nicht nur allgemeine Informationen rund um das Geocaching, sondern liefert u.a. auch nützliches Wissen bezüglich technischer Komponenten oder Ausrüstung hinsichtlich bestimmter Aktivitäten (vgl. http://www.geocaching- magazin.com).

[25] Neben Geocaching werden GPS-Empfangsgeräte auch für andere Spiele verwendet. Das „Geodashing“ ist ein Spiel, bei dem die gesamte Erdoberfläche als Spielfeld dient und der Teilnehmer möglichst alle Punkte einer zufällig ermittelten Auswahl erreichen muss (vgl. http://www.geocaching.de/index.php?id=224). „Geogolf“ funktioniert in ähnlicher Weise. Dafür berechnet der GPS-Empfänger 18 zufällige Punkte, die als Löcher dienen, und der Spieler hat die Aufgabe die Punkte möglichst zu erreichen (vgl. ebd.). Beim „Confluencing“ besteht die Aufgabe der Spielteilnehmer darin, alle Schnittpunkte der Breiten- und Längengrade zu besuchen (vgl. ebd.).

[26] Die veröffentlichten Koordinaten eines Geocaches können auf diverse Internetseiten, wie www.opencaching.de,www.geocaching.de oder www.geocaching.com abgerufen werden. In der Regel ist eine Registrierung erforderlich, sodass die Cachesuche eigentlich mit der Informationsbeschaffung des gewünschten Caches über das Einloggen in die Datenbanken beginnt.

[27] Ein „Schatz“ oder (Geo-)Cache besteht häufig aus einer Plastikdose, in der verschiedene Dinge, beispielsweise kleine Figuren, ein Spielzeugkompass oder eine Kinderuhr, und ein Logbuch oder Notizblock mit Stift versteckt sind.

Ende der Leseprobe aus 228 Seiten

Details

Titel
Geocaching in der Erlebnispädagogik
Untertitel
Die Konzeption von regionalen Geocachingangeboten im Rahmen erlebnispädagogischer Aktivitäten in Sachsen. Eine qualitative Studie anhand von Leitfadeninterviews
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Philosophische Fakultät)
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
228
Katalognummer
V264991
ISBN (eBook)
9783656543619
ISBN (Buch)
9783656543909
Dateigröße
1821 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erlebnispädagogik, Geocaching, Studie, Leitfadeninterviews
Arbeit zitieren
Anja Reissauer (Autor:in), 2012, Geocaching in der Erlebnispädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264991

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