Zunächst werde ich in dieser Arbeit damit beginnen, den Imperialismus und den Sozialdarwinismus
zu beleuchten. Dabei ergründe ich jeweils die Anfänge und die Umsetzung der Theorien
in der deutschen Politik. Anschließend werde ich beide Theorien miteinander vergleichen
und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten ausarbeiten. Auf diese Ausarbeitungen aufbauend
werde ich kurz die Herkunft von Theobald von Bethmann Hollweg erläutern. Danach werde
ich eine Auswahl von politischen Handlungen Bethmann Hollwegs auflisten und sie mit dem
Hintergrund des Imperialismus und Sozialdarwinismus vergleichen.
1. Einleitung
Der Sozialdarwinismus und der Imperialismus sind Theorien, die ihren Ursprung und ihr Wirken um die Zeit des deutschen Kaiserreichs von 1871 – 1918 hatten. Deswegen ist es von Bedeutung, diese genauer zu betrachten und zu eruieren, inwieweit sie in die deutsche Politik Einzug erhalten haben. Da diese Epoche in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mündete, ist es auch von Wichtigkeit zu ergründen, wie sich die Gedankenwelt der Zeitgenossen darstellt. Ein wichtiger Baustein dieser Gedankenwelt, war eine Existenzangst, die nicht nur auf das Individuum auferlegt war, sondern auch global, auf die Staatenwelt ausgeweitet wurde. Dieser „Kampf ums Dasein“ beherrschte die öffentliche Meinung und wurde offen als Politik betrieben. Die kolonialen Bestrebungen und die Gier nach Weltgeltung mit allen Mitteln waren Symptome einer Politik, die schon damals als imperialistisch bezeichnet wurden. Der Ursprung dieser damalig modernen Theorien war Charles Darwin, der sich mit seinen Theorien sich eigentlich auf die Biologie beschränkt hatte. Aber seine Zeitgenossen diese auf die Soziologie und dann auf die Politik ausgeweitet hatten. Dieser neu entstandene Sozialdarwinismus wurde dankend angenommen, um die radikale Gangart gegenüber Ureinwohnern in den Kolonien zu legitimieren und innenpolitisch gegen den Sozialismus zu keilen.
Nun betritt innerhalb dieser hitzigen und vergifteten Atmosphäre ein Mann die politische Bühne, der scheinbar mit dem zeitgenössischen Radikalismus nichts zu tun haben möchte und eine Politik des Ausgleichs sucht. Als Theobald von Bethmann Hollwegs politische Kariere seinen Höhepunkt erreichte, war er umringt von Scharfmachern, vor allem aus dem rechten Lager. Kann ein Politiker in einer solchen Umgebung weiterhin Realpolitik betreiben oder passte er sich den politischen Umständen an? Meine Untersuchung gilt demnach der Frage, ob Theobald von Bethmann Hollweg im Zeitalter des Sozialdarwinismus und Imperialismus einen eigenständigen Weg gegangen ist, oder ob er dem Zeittrend gefolgt ist.
Zunächst werde ich in dieser Arbeit damit beginnen, den Imperialismus und den Sozialdarwinismus zu beleuchten. Dabei ergründe ich jeweils die Anfänge und die Umsetzung der Theorien in der deutschen Politik. Anschließend werde ich beide Theorien miteinander vergleichen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten ausarbeiten. Auf diese Ausarbeitungen aufbauend werde ich kurz die Herkunft von Theobald von Bethmann Hollweg erläutern. Danach werde ich eine Auswahl von politischen Handlungen Bethmann Hollwegs auflisten und sie mit dem Hintergrund des Imperialismus und Sozialdarwinismus vergleichen.
2. Imperialismus
2.1 Herkunft
Die Epoche des Imperialismus wird von den meisten Historikern auf den Zeitraum von 1870 – 1914 datiert. Mommsen unterschied dabei drei Phasen. Der Frühimperialismus von 1815 – 1881, den Hochimperialismus von 1881 – 1914 und den rückläufigen Imperialismus von 1918 – 1945.[1] Dabei ist zu erkennen, dass diese Epoche als abgeschlossen gilt und in der heutigen Zeit in dieser Form nicht mehr existent ist. Um 1890 wurde der Begriff „Imperialismus“ von Zeitgenossen wie John A. Hobsen verwendet, „zur Beschreibung eines neuartigen Phänomens“.[2] Viele, die die Jahrhundertwende miterlebt haben sprachen in der Rückschau von dem Zeitalter des Imperialismus.[3] Aber was sagt dieser Begriff genau aus? Zeitgenossen sahen darin vereinfacht „den Drang von Völkern und Machthaber nach einem wachsenden Anteil an der Weltherrschaft, zunächst durch überseeischen Besitz“.[4] Also waren sich die Geschichtsschreiber schon damals bewusst, was die Epoche von 1881 – 1914 bestimmt hatte. Ein erfolgreicher Kolonialist beschrieb es monetär: „Der Europäer in kleiner Zahl mit seinem Kapital, seiner Tatkraft und seinen Kenntnissen kommen konnte, um einen höchst einträglichen Handel aufzubauen und jene Erzeugnisse zu erlangen, die zur Deckung des Bedarfs seiner fortgeschrittenen Zivilisation nötig waren“.[5] Damit beschrieb er den kapitalistischen Bedarf Geld sinnvoll zu investieren, um damit mehr Geld zu machen. Desweiteren kommt bei dieser Aussage zum Vorschein, wie er die Welt wahrnahm. Auf der einen Seite die fortgeschritten Zivilisation mit seinem Kapital und seiner Tatkraft. Wenn es eine fortgeschrittene Zivilisation gibt, muss es auch auf der anderen Seite eine unterentwickelte Zivilisation geben, von wo aus er seinen Handel betreibt. Diese Sichtweise erlaubte kritiklos die Vereinnahmung von fremdem Land in nichtindustriellen Gegenden. Wolfgang J. Mommsen nennt dies treffend „Kanonenbootsdiplomatie“[6]. Dies meint eine militärische Gewaltanwendung mit dem Ziel die unterentwickelte Welt zu unterdrücken und den Willen der Kolonialmacht zu oktroyieren.[7] Andere Motive für imperialistisches Handeln waren potentielle Siedlungsräume zu schaffen, um die überschüssigen Bevölkerung umzusiedeln und Rohstoffe für die expandierende Industrie zu bekommen. Nachgerückte Motive waren der Missionarsgedanke in nichtchristlichen Ländern oder allgemein Kultur und Zivilisation in entlegene Gegenden zu bringen.[8] Dies ging häufig nicht glimpfig aus. Die Eingeborenen wehrten sich zum Teil heftig gegen die Enteignung und Zerstörung ihrer Kultur. Aber der Kampf war ungleich und die Eingeborenen hatten keine Möglichkeit der Wehr. Die Kolonialisten reagierten auf Angriffe empfindlich und schlugen sie mit aller Macht zurück.[9] Als Legitimation galt der Gedanke, dass die Deutschen ihnen die Zivilisation brachten und sie aus ihrer Faulheit erlöst werden.[10]
2.2 Imperialismus in der Kaiserzeit
Die Nachbarn des Deutschen Reiches, vor allem Frankreich und England hatten schon um 1880 dem deutschen Reich einiges voraus. Sie besaßen viele Kolonien und hatten einen vermeintlichen Vorsprung gegenüber dem Deutschen Reich. Das Deutsche Reich, als aufstrebende Nation betrachtet, wollte auch etwas von dem „Weltkuchen“ besitzen und kolonialisierte vor allem in Mittelafrika, wo sie zwischen 1876 – 1914 etwa 2,6 Millionen qkm Landfläche hinzubekamen.[11] Doch dieses imperialistische Handeln hatte einen handfesten Grund und zwar war die Losung zur damaligen Zeit schlicht: „Weltreich oder Untergang“,[12] wie es Sönke Neitzel in seinem Buchtitel treffend formuliert. Es gab zur damaligen Zeit eine Weltreichslehre, welche erklären sollte, von wem die Welt in Zukunft beherrscht werden würde. Diese Lehre zeichnet ein Bild in dem die Welt nur „von zwei, drei oder vier übergroßen Weltreiche dominiert“[13] wird. Diese Weltreiche kennzeichneten „großen Raum, einer zahlreichen, immer weiter wachsenden Bevölkerung und […] unerschöpflichen Ressourcen.[14] Für Sönke Neitzel trifft dies auf die USA, Russland und England zu – auf das Deutsche Reich nur bedingt. Viele deutsche Politiker, gerade aus dem konservativen und alldeutschen Bereich forderten deswegen vehement mit diesen Großmächten aufzuschließen, da nach ihrem Verständnis das Deutsche Reich auch dahin gehört. Ein wichtiger theoretischer Grundpfeiler dieser imperialistischen Weltreichslehre war der Sozialdarwinismus, auf den ich noch genauer eingehen werde. Diese Theorie läuft darauf hinaus, dass nur die stärksten Nationen überleben und die schwächeren untergehen werden.[15] Der Untergangsgedanke war also dauerpräsent und setzte sich nicht nur in die Gedanken der allgemeinen Bevölkerung durch, sondern auch bei den Intelektuellen. Ein Beispiel dafür ist eine Rede des Straßburger Professors F. Schwartz vom 24. Oktober 1914, in welcher er sagt: „Auch der echteste, heiligste Wille zum nationalen Leben würde uns nicht vor Schande der Niederlage, vor den Schrecken des Unterganges bewahrt haben, wenn […]“.[16] Wenn man zeitgenössische Quellen durchließt, findet man häufig solche Aussagen, vor allem während des 1. Weltkrieges. Eine militärische Niederlage käme mit dem Untergang des Deutschtums allgemein gleich. Eine kaum zu ertragene Vorstellung für viele Zeitgenossen, vor allem da ihr Denken davon geprägt war, dass das deutsche Volk eine hohe rassische Qualität besitzt, die es zu bewahren und fördern gilt.[17]
Hinter diesem Hintergrund versuchten Befürworter dieser Politik Einfluss in die deutsche Politik zu nehmen. Doch Reichskanzler Otto von Bismarck war von diesen Ideen nicht überzeugt und setzte eher auf private Kolonisation reicher Kaufleute. Dessen ungeachtet wurde viel Landfläche in Afrika unter deutschen Schutz gestellt.[18] Das Problem dabei war die Erschließung der unwegsamen Gegenden. Ohne politische, finanzielle und materielle Hilfe konnte zum Beispiel auch die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft kaum Land großflächig besiedeln und beschränkte sich nur auf Plantagenbau.[19] Dies änderte sich mit der Thronbesteigung Wilhelm II. Er lancierte eine andere Außenpolitik und war dem imperialen Gedanken nicht abgeneigt, wenn nicht sogar ein Vertreter dessen. Er sah vor allem in der Flottenaufrüstung den Weg um in den Kreis der Weltmächte aufzusteigen.[20] Denn nur eine mächtige Flotte konnte, in seinen Augen, die überseeischen Kolonien schützen und nicht zuletzt schaffte eine große Flotte Prestige und damit Gewicht in der internationalen Politik.
[...]
[1] Vgl. Frank Deppe, u.a., Imperialismus. Köln 2011, S. 12.
[2] Eric Hobsbawm, Das imperiale Zeitalter. 1875 – 1914, Frankfurt/Main 1989, S. 84.
[3] Vgl. Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, München 1986, S. 1.
[4] Vgl. Ebenda.
[5] Eric Hobsbawm, Das imperiale Zeitalter. 1875 – 1914, Frankfurt/Main 1989, S. 87.
[6] Wolfgang Mommsen, Die Epoche des Hochimperialismus, in: August Nitschke, u. a., (Hg.) Jahrhundertwende. Bd. 1: Der Aufbruch in die Moderne 1880 – 1930, Reinbek bei Hamburg 1990, S.338.
[7] Vgl. Ebenda.
[8] Vgl. Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, München 1986, S. 2.
[9] Dirk van Laak, Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. Und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 82.
[10] Vgl. Ebenda.
[11] Eric Hobsbawm, Das imperiale Zeitalter. 1875 – 1914, Frankfurt/Main 1989, S. 82.
[12] Sönke Neitzel, Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn 2000.
[13] Ebenda. S. 9.
[14] Ebenda.
[15] Vgl. Ebenda. S. 82.
[16] Rede von Prof. F. Schwartz im Saal der Aubette in Straßburg am 24. Oktober 1914, in: Straßburger Reden zum Weltkrieg, Straßburg 1914, S. 5
17Sönke Neitzel, Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus, Paderborn 2000, S. 83
[18] Dirk van Laak, Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. Und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 70
[19] Vgl. Ebenda, S. 71.
[20] Vgl. Ebenda, S. 76.
- Arbeit zitieren
- Johannes Kircher (Autor:in), 2012, Sozialdarwinismus und Imperialismus als Leitlinien deutscher Politik im deutschen Kaiserreich?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265016