Himmelsdarstellungen im Kirchenlied


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

25 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

„Geh aus, mein Herz, und suche Freud“

„Jerusalem, du hochgebaute Stadt“

„O Heiland, reiß die Himmel auf“

„Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt“

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Schlägt man im Duden das Wort Himmel nach, so trifft man auf verschiedene Bedeutungsebenen. Himmel kann bedeuten:

1. scheinbar über dem Horizont liegendes, halbkugelähnliches Gewölbe (an dem die Gestirne erscheinen)
2. a) der Hölle oder der Erde als dem Diesseits gegenübergestellter Aufenthalt Gottes (der Engel und der Seligen) b) (verhüllend) Gott, Schicksal, Vorsehung
b) [fest angebrachte] zum Teil hinten und an den Seiten heruntergezogene
3. Überdachung aus Stoff, Leder o.Ä.; Baldachin
4. (Kfz-Technik) innere Bespannung des Verdecks im Auto[1]

Der Umgang mit solchen Homonymen wie Himmel ist im alltäglichen Sprachgebrauch nicht immer einfach. Es kann hier zu Missverständnissen kommen, was im Einzelfall gemeint ist. Andere Sprachen verwenden zum Teil für die unterschiedlichen Be­deutungen, die im Deutschen dem Lexem Himmel zufallen, verschiedene Worte. So zum Beispiel das Englische, das der ersten Bedeutungsebene das Lexem sky zuweist, der zweiten heaven, der dritten und vierten Worte wie canopy oder roof [2] . Interessant ist vor allem der Zusammenfall der ersten beiden Bedeutungsebenen im Deutschen. Warum wird einem Wort, das einen Teil unserer Welt, das Firmament, das sich über unseren Köpfen spannt, beschreibt, eine so religiöse Bedeutungsebene zugewiesen? Was verknüpft gerade den realen Himmel mit dem Unvorstellbaren, dem Raum Gottes? Vielleicht ergibt sich die Verbindung deshalb, weil auch der reale Himmel gar nicht so fassbar ist, wie es uns Menschen in einem naturwissenschaftlich geprägten Zeitalter manchmal erscheint.

Der Blick nach oben in den Himmel wird schon seit jeher als Blick ins Jenseits erlebt. Der Himmel erscheint den Menschen der ideale Ort für das Unfassbare und Göttliche zu sein, weil der Himmel selbst so unfassbar weit und für niemanden zu erreichen ist. Himmel vermag hier über seine reale Bedeutungsebene hinauszuweisen und macht das, was sonst nicht in Worte und schwer in Bilder zu fassen ist, für den Menschen erlebbar.

Der Himmel ist mit seinen Sternbildern und der lebensspendenden Sonne Bezugspunkt für die irdische Welt, übersteigt sie aber gleichzeitig, da er direkt unerfahrbar bleibt.[3] Ein ideales Bild also für den Raum des Göttlichen. Vor allem früher bildeten realer Himmel und eschatologische Vorstellung eine perfekte Einheit. Dieses Bild ist heute nicht mehr so ungetrübt möglich, weswegen auch die Gleichzeitigkeit von Himmel, als realer Teil der Welt, als blauer Himmel über unseren Köpfen und als Ort des Göttlichen, als Zielpunkt eschatologischem Hoffens, nicht mehr so ohne Weiteres akzeptabel erscheint. Mit den physikalischen Erkenntnissen, dass die Erde nur ein einzelner Planet inmitten unglaublich vieler Galaxien in einem unendlich großen Raum ist, veränderte sich nicht nur das Weltbild der Menschen grundlegend, sondern auch der theologische Blick in den Himmel. Als Teil der Welt ist auch der Himmel Vergänglichkeitsprozessen unterworfen und auch ist Gott noch keinem der Weltraum­reisenden und -forschenden je begegnet. Wie ist so noch der jenseitige Blick in den Himmel möglich? Trägt die Symbolik des Himmels überhaupt noch?

Ja, die Symbolkraft des Himmels als Wohnort und Ausdruck des Göttlichen ist immer noch von unübertroffener Anschaulichkeit. Obwohl durch wissenschaftliche Erkenntnisse klar ist, dass mit einer Anrufung Gottes im Himmel keine räumliche Lokalisation gemeint sein kann, verweist das Wort immer noch treffend auf einen Vorstellungshintergrund, der das Transzendente für den Menschen, der in seinen Wahrnehmungsgrenzen gefangen bleibt, erlebbar macht. Der Blick in die Unendlichkeit des Weltalls, die uns trotz aller Wissenschaft heute noch ein großes Geheimnis bleibt, ist immer noch gleichnishafter Verweis auf den unsichtbaren Schöpfer und dies mit einer unübertroffenen anschaulichen und lebensweltlich orientierten Prägnanz, die keine noch so gute abstrakte Theoriebildung ersetzen könnte.[4]

In der Dichtung allgemein, aber auch speziell in der von Kirchenliedern, sind Bilder, Metaphern und Symbole ein wichtiges Ausdrucksmittel, mit dem eine gewisse Vorstellung für den Menschen leichter zugänglich und erfahrbar gemacht wird. Gerade, wenn es um Abstrakta wie Himmel geht, kommt der Mensch nicht ohne Bilder aus, um das tatsächlich Gemeinte in Worte zu fassen.

Dies sieht man zum Beispiel auch im Bau von Gotteshäusern, die in ihrer Architektur und Symbolik der Innen- und Außengestaltung eine bestimmte Vorstellung der Menschen verdeutlichen. Man kann diese Bauten als Platzhalter des himmlischen Jerusalem sehen, als vorausweisend auf die Welt, die kommen wird, als Tor zum Himmelreich. In verschiedenen Epochen (Barock, Gotik, Moderne, usw.) beeinflussten daher verschiedene eschatologische Vorstellungen den Baustil unserer Gotteshäuser. Auch ein Lied, das für den Gottesdienst bestimmt ist, folgt einem bestimmten Aufbau und benutzt Symbole, um genau das gleiche zu tun: Eine Vorstellung eines bestimmten Glaubensinhalts für die Gläubigen greifbar zu machen. Natürlich wird auch der eschatologische Himmel beziehungsweise das Jenseits thematisiert, im Folgenden soll es nun um die unterschiedliche Entfaltung der Vorstellungen von Himmel im Kirchenlied gehen, die wie auch der Kirchenbau von den oben dargelegten Veränderungen des Weltbilds beeinflusst werden.

Vier Lieder sollen hierzu näher in Augenschein genommen werden. Zuerst „Geh aus, mein Herz, und suche Freud‘ von Paul Gerhardt, das die Schönheit der Natur in den Vordergrund rückt und die eschatologische Hoffnung auf das ewige Leben im Paradies thematisiert. Dann folgt die apokalyptische Vorstellung des himmlischen Jerusalem in Jerusalem, du hochgebaute Stadt‘ von Johann Matthäus Meyfart. Als Nächstes eine christologische Annäherung an das Thema über das bekannte Adventslied „O Heiland, reiß die Himmel auf"'. Und zum Schluss ein zeitgenössisches Lied: „Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt“. Das Lied von Kurt Marti bündelt einige Perspektiven und versucht dem neuen Sprechen vom Himmel in einer von wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägten Zeit gerecht zu werden.

„Geh aus, mein Herz, und suche Freud“

Das Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freuet‘ ist im Evangelischen Gesangbuch[5] unter der Nummer 503 bei den Natur- und Jahreszeitenliedem zu finden. Dies erscheint auch stimmig, wenn man die schönen Bilder der ersten Strophen betrachtet, mit denen Paul Gerhardt hier literarisch die uns umgebende Natur nachzeichnet. Auf den ersten Blick also ein ideales Lied, wenn es um das Thema Schöpfung gehen soll. Erst auf den zweiten Blick, in den letzten der 15 Strophen, eröffnet sich eine weitere Dimension. Der irdische Garten wird in Bezug zu einem kommenden Garten, dem Garten Christi, gesetzt. Man trifft also den Kern des Lieds nicht, wenn man bei Vorstellung stehenbleibt, dass es sich hier um ein Sommerlied handelt, das die wunderschöne Natur als Schöpfung Gottes preist. Eine Interpretation macht hier nur Sinn, wenn man die eschatologische Ausrichtung des Liedes im Blick hat und in seine Deutung miteinbezieht. Gerade diese eschatologische Einbettung der Motive soll nun näher betrachtet werden, um so dem ein wenig näher zu kommen, wie „Himmel“ im weitesten Sinne hier dargestellt wird.

Um den Aufbau des Liedes zu verstehen, ist es sinnvoll Gerhardt genauer in seine Zeit einzuordnen. Der Liedtext wurde 1653 verfasst, ist also der literarischen Epoche des Barock zuzuordnen. Geprägt ist diese Zeit vor allem durch den Dreißigjährigen Krieg. Es ist also einerseits eine Zeit, in der die Menschen unter der ständigen Bedrohung der Kriegsauswirkungen leben, andererseits aber auch eine Zeit, in der sich auch immer wieder die Freude am Leben zeigt. Diese Gegensätzlichkeit findet oft auch Ausdruck in Kunst und Literatur diese Epoche.[6] Zudem schlägt sich auch die strenge Gesellschaftliche Ordnung dieser Zeit in der Gestaltung von Texten nieder. Feste Formen und Motive bestimmen die Texte und Gedichte. Literarisch gesehen ist die Barockzeit die Epoche der Stilmittel.[7] Betrachtet man die Struktur und den Inhalt des Liedtextes genauer, so wird deutlich, dass sie dem Konzept der barocken Emblematik[8] folgen. Ein Emblem besteht aus drei Teilen, die sich aufeinander beziehen, sich ergänzen und deshalb erst zusammen den verborgenen Sinn erkennen lassen. Strophe 1 fungiert als inscriptio, stellt also im übertragenen Sinn eine Art Überschrift dar, die hier den Bildschwerpunkt auf den Sommer und die Natur setzt. Nach Steiger[9] stellen die Strophen 2-7 die pictura, also das eigentliche, tatsächlich ausgestaltete Bild, dar. Strophe 8 bildet in der Tat einen Übergang zum Deutungsteil des Liedes, gehört aber, wenn man genau hinschaut, noch nicht dazu, sondern schließt mit ihrem Lob Gottes den mittleren Teil ab. Somit bilden Strophe 2-8 die pictura und malen hier den in der ersten Strophe betitelten Schwerpunkt weiter aus, visualisieren also die Schöpfung und das Lob Gottes des Schöpfers. Nun folgt die subscriptio, die den Bildinhalt deutet. In unserem Fall sind es sogar zwei subcriptiones, die jeweils einen anderen Deutungsschwerpunkt setzen. Die Strophen 9-11 deuten die pictura mehr eschatologisch und die Strophen 12-15 legen sie eher ethisch aus. Um die Themenschwerpunkte und deren Verknüpfung besser zu verstehen, muss man die einzelnen Motive der Strophen genauer betrachten.

In der ersten Strophe begegnet man etlichen Imperativen: „ Geh aus “ (1,1), „ Schau an “ (1,4), „ Siehe “ (1,5). Hier wird der Leser bzw. Sänger direkt angesprochen und damit deutlich, dass ihn der Inhalt direkt betrifft. Wichtig ist hier die Aufforderung in der ersten Zeile: „ Geh aus, mein Herz “. Hier wird spezifiziert, wer oder was genau gemeint ist. Der Hörer wird aufgefordert mit dem Herzen in Kontakt mit der Umwelt kommen und nicht nur mit den Augen oder den anderen Sinnen die Dinge zu betrachten und wahrzunehmen.

Die erste und die folgenden Strophen erzählen dann von Gottes wunderbarer Schöpfung in all ihren Facetten. Alles was wir zum Leben brauchen, oder uns auch nur erfreut, ist hier im Überfluss vorhanden. Auf den ersten Blick wirkt alles wie eine zwar bilderreiche, aber reine Naturschilderung. Bei näherem Hinsehen kann man aber entdecken, dass Gerhardt hier mit vielen biblischen Bildern arbeitet. Zum einen ist uns die ganze reiche Natur, die uns hier begegnet, von Gott gegeben. Bäume und Blumen (Str. 2), allerlei Vögel (Str.3), eine landschaftliche Idylle mit Hirten und Schafen (Str. 5) und ein Bienenvölkchen und ein Weinstock, die uns Wein und Honig bescheren (Str. 6), all das sind Gaben Gottes (Str. 1,3). Zudem weisen alle Motive biblische und christologische Bezüge auf. Das Bild der Glucke (Str. 4) erinnert an die hingebungsvolle Beziehung, die Jesus zu seinen Gläubigen hat[10], das Bild vom Weinstock und dessen starkem Saft (Str. 6) lässt an einen Vers aus dem Johannesevangelium denken: „ Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben[11] und folgt dann noch der Weizen in Strophe 7, so kann man an Jesus denken, der sagt: „ Ich bin das Brot des Lebens[12] und in der Vorstellung verbindet sich Brot und Wein zu einem Abendmahlsbild. Insgesamt zeichnen diese kleineren Motive ein großes Bild der wundervollen Schöpfung Gottes, die uns als Betrachter nur jubeln lässt und im gesungenen Lob der 8. Strophe seinen Höhepunkt findet.[13]

In der 9. Strophe wendet sich die Stimmung. In den Jubel über die gottgegebene Schöpfung mischt sich eine sehnsuchtsvolle Note, der irdische Garten wird mit einem kommenden himmlischen Garten in Verbindung gesetzt. Im Vergleich zum ewigen Paradies kann alles auf Erden, was vorher noch so herrlich besungen wurde, natürlich nicht mithalten. Als arme Erde (Str. 9) wird die Welt nun plötzlich bezeichnet. „ O wär ich da! O stünd ich schon, ach, süßer Gott! vor deinem Thron “ (Str. 11, 1+2) heißt es dann. Das lyrische Ich wünschte sich also nichts sehnlicher, als jetzt schon das kommende Himmelreich sehen zu können. Auffällig ist die kompositorische Verknüpfung dieses Teils mit dem ersten Teil. So heißt es in der ersten Strophe „ Schau an der schönen Gärten Zier “. Diesem irdischen Garten wird nun „ Christi Garten “ (Str. 10) gegenübergestellt. Auch der jubelnde Gesang der achten Strophe: „ Ich singe mit, wenn alles singt “, findet seinen eschatologischen Bezugspunkt in der Frage nach dem himmlischen Gesang in Strophe 10: „ Wie muß es da wohl klingen, da so viel tausend Seraphim mit unverdroßnem Mund und Stimm ihr Hallelujah singen[14] Wie kommt es im Reden vom himmlischen Reich Gottes hier zu einer Verknüpfung mit Bildern, die dem Vorstellungsbereich Natur entstammen? Paul Gerhardt steht hier immerhin vor der Aufgabe die himmlischen Herrlichkeit in Worte zu fassen und er tut dies mit Bildern, die dem Vorstellungsbereich der irdischen Welt und damit dem ersten Teil entstammen. In dem Versuch die kommende Welt zu beschreiben begegnet Gerhardt die bis zum Jüngsten Tag anhaltende Verborgenheit Gottes (absconditas). Der dogmatische Diskurs der Zeit Paul Gerhardts besagt, dass der Mensch Gott nur durch sein Wort und seine Kreaturen sehen kann, solange die direkte Schau Gottes (beata visio) noch nicht möglich ist.[15] Und genau dies stellt sich im Lied dar. Der Mensch nimmt Gott durch seine Schöpfung wahr, die das kommende himmlische Reich bereits jetzt widerspiegelt. Im irdischen Singen klingt also schon der himmlische Gesang an. In der Betrachtung der Schöpfung sehen wir also auch schon das himmlische Paradies.[16]

[...]


[1] Duden. Deutsches Universal Wörterbuch.

[2] vgl. Langenscheidt. Großwörterbuch Deutsch-Englisch. S. 474.

[3] vgl. Evers: Chaos im Himmel. S. 35

[4] vgl. ebd. S. 56-58.

[5] Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Baden. Nr. 503

[6] vgl. Niefanger. Barock. S. 23-74.

[7] vgl. ebd. S. 97-115.

[8] vgl. ebd. S. 86-88 bzw. 111f.

[9] vgl. Steiger: Paul Gerhards Sommerlied und die Gelehrsamkeit in der Barockzeit. S. 33.

[10] siehe: Mt23,37/Lk 13,34

[11] Joh 15,5

[12] Joh 6,35

[13] vgl. Keitel: Geh aus, mein Herz, und suche Freud. S. 35f.

[14] vgl. Keitel: Geh aus, mein Herz, und suche Freud. S. 36f.

[15] siehe auch: 1 Kor 13,12

[16] vgl. Steiger: Paul Gerhards Sommerlied und die Gelehrsamkeit in der Barockzeit. S. 48f.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Himmelsdarstellungen im Kirchenlied
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Wissenschaftlich - Theologisches Seminar)
Veranstaltung
Eschatologie und Kirchenbau – Die Pforten des Himmels
Note
1,5
Autor
Jahr
2012
Seiten
25
Katalognummer
V265059
ISBN (eBook)
9783656543831
ISBN (Buch)
9783656544494
Dateigröße
564 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eschatologie, Hymnologie, Kirchenlied, Himmel
Arbeit zitieren
Stefanie Bucher (Autor:in), 2012, Himmelsdarstellungen im Kirchenlied, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265059

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Titel: Himmelsdarstellungen im Kirchenlied



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