Beurteilung der Leckstabilität von Frachtschiffen für Nautiker und Schiffbauingenieure


Diplomarbeit, 2005

114 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. EINLEITUNG
1.1. Vorwort
1.2. Vorgehen und Aufbau der Arbeit

2. ENTWICKLUNG DER LECKSICHERHEIT UND LECKSTABILITÄT
2.1. Historie
2.2. Internationale Forschungsvorhaben

3. AKTUELL GELTENDE IMO-VORSCHRIFTEN ZUR UNTERTEILUNG UND LECKSTABILITÄT VON FRACHTSCHIFFEN
3.1. Schiffstypenspezifische Regelwerke
3.2. Aktuelle bauliche Lösungen

4. GRUNDLAGEN AUS DER INTAKTSTABILITÄT
4.1. Bezugssystem der Koordinaten und Momentenrechnung
4.2. Referenzpunkte im Schiffsquerschnitt
4.3. Das Beurteilungskriterium der Anfangsstabilität - die Strecke GM’
4.4. Das Beurteilungskriterium der Neigungsstabilität - die Hebelarmkurve
4.5. Die IMO-Stabilitätskriterien
4.6. Die GM-Grenzkurve

5. HINTERGRUND: PROBLEMSTELLUNGEN BEIM LECKGESCHLAGENEN TROCKENFRACHTER
5.1. URSACHEN UND KRITERIEN FÜR EIN LECKSCHLAGEN UND FLUTEN
5.1.1. Kein wetter- und wasserdichter Verschlusszustand
5.1.2. Schiffsverbände oder Teile des Schiffes
5.1.3. Verrutschen und Übergehen von Ladung
5.1.4. Kollision
5.1.5. Grundberührung
5.1.6. Explosion, Brand und Brandabwehr
5.1.7. Vereisung und Wasseraufnahme der Decksladung
5.1.8. Wind und Seegang, die natürlichen Risiken der Seefahrt
5.2. FOLGEN FÜR DIE STABILITÄT UND FESTIGKEIT
5.2.1. Flutung und progressive Flutung
5.2.2. Freie Oberflächen
5.2.3. Kritische Zwischenzustände
5.2.4. Tiefertauchung, Verlust des Freibords und Auftriebs
5.2.5. Festigkeitsverlust der Schiffsverbände
5.2.6. Veränderte Stabilität

6. VERFAHREN DER LECKSTABILITÄTSRECHNUNG
6.1. GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
6.1.1. Wasserdichte Abteilungen
6.1.2. Wasserdichte und wetterdichte Öffnungen
6.1.3. Methode des fortfallenden Auftriebs
6.2. DETERMINISTISCHE RECHNUNG
6.2.1. Anwendung
6.2.2. Der Abteilungsstatus
6.2.3. Ermittlung neuer Stabilitätswerte
6.2.4. Deterministische Forderungen nach SOLAS Kap. II-
6.2.5. Deterministische Forderungen für Schiffe nach ILLC 66/
6.2.6. Deterministische Forderungen für Tanker nach MARPOL 73/88,
IGC-, GC-, IBC und BCH-Code
6.3. PROBABILISTISCHE RECHNUNG
6.3.1. Anwendung
6.3.2. Gründe für die Entwicklung der Probabilistik
6.3.3. Leckrechnung durch Statistiken
6.3.4. Grundforderung: A≥R
6.3.5. Geforderter Unterteilungsgrad - Index R
6.3.6. Erreichter Unterteilungsgrad - Index A
6.3.6.1. Berechnung von pi, der Teilgebietswahrscheinlichkeit
Wahrscheinlichkeit r für das Fluten innerer Abteilungen
6.3.6.2. Berechnung von si, dem Bewertungsfaktor für die Resthebelarmkurve
Wahrscheinlichkeit v für das Fluten von oberen Abteilungen
Der Faktor si unter Berücksichtigung der Tiefgänge

7. COMPUTERGESTÜTZTE LECKRECHNUNG
7.1. ERLÄUTERUNGEN AM BEISPIEL NAPA
7.2. BEISPIELFÄLLE AN EINEM 2700 TEU CONTAINER-SCHIFF
7.2.1. Leckfall 1: Schiff hält dem Leckfall rechnerisch stand
7.2.2. Leckfall 2: Schiff hält dem Leckfall rechnerisch nicht stand
7.3. EMERGENCY RESPONSE SERVICE (ERS)

8. BEURTEILUNG DER LECKSTABILITÄT AN BORD DES SCHIFFES
8.1. DAMAGE CONTROL PLAN (LECKSICHERHEITSPLAN)
8.2. DAMAGE CONTROL BOOKLET (LECKSICHERHEITSHANDBUCH)
8.3. DAMAGE CONSEQUENCE DIAGRAMS
8.4. ERMITTLUNG DER GEFAHRENQUELLEN UND ERSTE SOFORTMASSNAHMEN UNTER BENUTZUNG DES DAMAGE CONTROL BOOKLETS
8.4.1. Lokalisieren des Schadens und seiner möglichen Ausdehnung
8.4.2. Manöver zur Verminderung von Krängung und Schiffs-Stress
8.4.3. Verschlusszustand prüfen und ggf. wiederherstellen
8.4.4. Stabilitätswerte nach Leckfall neu ermitteln
8.4.5. Externe Unterstützung anfordern

9. SCHLUSSBETRACHTUNG

Begriffs- und Abkürzungsverzeichnis

Quellenangaben
Literaturverzeichnis
Unterstützende Personen
Websites, die u.a. benutzt wurden
Verwendete Software

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Vorschriften für Tanker und Trockenfrachter

Quelle: Harmonization of Damage Stability Provisions in IMO Instruments, SLF 47/9/2

Abb.2: Vorschriften für Spezialfahrzeuge

Quelle: Harmonisation of Damage Stability Provisions in IMO Instruments, SLF 47/9/2

Abb.3: Bezugspunkte der Stabilität im Schiffsquerschnitt

Quelle: CAPT. K. BERGMANN (2004) Stabilität (Grundlagen), Seefahrtschule Leer

Abb.4: KG/VCG-respektive Hebelarm-/GZ-Kurve

Quelle: CAPT. K. BERGMANN (2004) Stabilität (Grundlagen), Seefahrtschule Leer

Abb.5: Von der IMO registrierte Leckfälle, nach Ursache, Art und Schwere des Falls, im Jahr 1999

Quelle: Casualty Statistics and Investigations - Very serious and serious casualties for the year 1999 - FSI.3/Circ.2, IMO (London, 2001)

Abb.6: Von der IMO registrierte Totalverluste, nach Schiffsalter, im Jahr

Quelle: Casualty Statistics and Investigations - Very serious and serious casualties for the year 1999 - FSI.3/Circ.2, IMO (London, 2001)

Abb.7: Von der IMO registrierte Fälle von Verlust von Menschenleben, nach Schiffsalter, im Jahr 1999

Quelle: Casualty Statistics and Investigations - Very serious and serious casualties for the year 1999 - FSI.3/Circ.2, IMO (London, 2001)

Abb.8 u. Abb.9: Verrutschtes schweres Ladungsteil durchbohrt Seitentank und Außenhaut (Innenansicht und Außenansicht)

Quelle: 2nd Seminar for Captains Briese-Company in Leer 11.02. to 15.02.2002, Cpt. Bergmann, Briese Schifffahrt GmbH (Leer, 2002)

Abb.10: Beispiel für Beschädigungen beim Übergehen von einem Schwergutteil. Hier wurden u.A. Containerstützen abgeknickt, worauf das Gangbord durch die Schadenstellen wasserdurchlässig wurde.

Quelle: Eigene private Fotosammlung

Abb.11: Resthebelarmkurve bei verrutschter Ladung

Quelle: Richtlinien für die Ü berwachung der Schiffsstabilität (2003), Unfallverhütungs- & Schiffsicherheitsausschuss der See-BG

Abb.12: Lage des Schadens in X/Lpp, Statistik von 1005 Kollisionen

Quelle: HARDER & Germanischer Lloyd (2003) Updated Probabilistic Extents of Damage based on actual Collision Data

Abb.13: Statistik von 288 Fällen über die Lage der Schäden bei Grundberührung bezogen auf Schiffslänge

Quelle: HARDER & Germanischer Lloyd (2003) Updated Probabilistic Extents of Damage based on actual Collision Data

Abb.14: Von NAPA erzeugtes Flutungsdiagramm, Betrachtung der Zwischenzustände

Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.15: Berechnungsgrundlage: Alle veränderten Pantokarenen und Formwerte des inneren und äußeren Schiffes müssen berücksichtigt werden

Quelle: Software info to the damage stability program DastyMAN, www.seacos.com, Seacos Software

Abb.16: Ergebnis: Neue Reststabilitätswerte, wie GM, größter aufrichtender Hebel, Stabilitätsumfang, eingetretene Krängung und Tiefertauchung

Quelle: Software info to the damage stability program DastyMAN, www.seacos.com, Seacos Software

Abb.17: Verhältnis der Leckschäden unter verschiedenen Schiffstypen

Quelle: HARDER & Germanischer Lloyd (2003) Updated Probabilistic Extents of Damage based on actual Collision Data

Abb.18: Einzel- und Gruppenwahrscheinlichkeiten p für Querschotten

Quelle: Explanatory notes to the SOLAS regulations on subdivision and damage stability of cargo ships of 100 metres in length and over, Res.684(17), IMO (London, 1993)

Abb.19: Grafisch dargestellter erreichter Unterteilungsgrad A Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.20: Screenshot der NAPA 2004 - Oberfläche

Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.21: Räume, Tanks und Anordnungen

Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.22: Schotten und wasserdichte Abteilungen

Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit

Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.23: Mögliche Schadensfälle für die Leckabteilung x

Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.24: Von NAPA errechnetes Ergebnis zu Leckfall 1

Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.25: Von NAPA errechnetes Ergebnis zu Leckfall 2

Quelle: Mit NAPA in der Thyssen Nordseewerke Werft zusammen mit Dipl.Ing. Widenbäck anhand eines Musterschiffes erstellt

Abb.26: Damage Consequence Diagram bei einem Trockenfrachter nach dem s-Wert

Quelle: Proposed Danish ‚ s ’ Factor Method, SLF -Stability, Load Lines and Fishing Vessel Safety, Comments on draft revised SOLAS Chapter II-1, parts A, B and B-1, different Submissions by Nations

Abb.27: Stress-Kurve eines inhomogen beladenen

Quelle: Mit der Demo-Version des Stabilitäts- und Ladungsprogramms Macs 3 Loading and Stability anhand der Simulierung eines falsch beladenen Containerschiffes selber erstellt

1. EINLEITUNG

1.1. Vorwort

Einer der wichtigsten Sockel zum Schutz des Menschenlebens, der maritimen Umwelt, des Schiffes und seiner Ladung auf See ist neben der Navigation das Wissen über die Seetüchtigkeit des Schiffes selbst. Ein Schiff ist unter anderem nur dann seetüchtig, wenn es eine ausreichend stabile Schwimmlage und ausreichende Stabilitätsreserven für verschiedenste innere und äußere stabilitätsbeeinflussende Einwirkungen auch im Schadensfall besitzt. Das Unterfangen, dies zu beurteilen beinhaltet also auch die Einberechnung des Schiffsverhaltens bei Manövern, Schlechtwetter und unvorhersehbaren Situationen wie bei Verrutschen und Verlust von Ladung beispielsweise. Berücksichtigt wird, dass diese Fälle oft kombiniert auftreten. Beispiele für tragische und unakzeptable Schiffskatastrophen sind die Herald of Free Enterprise und die Estonia.

Um Schiffsverlusten, hervorgerufen durch unsachgemäße Handhabung der Schiffsstabilität vorzubeugen, müssen Schiffbauer, Klassifikationsgesellschaften, Reeder und die Schiffsführung bei diesem Thema besonders gut zusammenarbeiten und mit internationalen Regeln im Einklang stehen. Schiffbauer haben stets die geltenden Bauvorschriften der Klassifikationsgesellschaften einzuhalten und müssen bezüglich der Sicherheit und Stabilität wichtige schiffsspezifische Unterlagen an den Reeder übergeben. Die Reederei hat in möglichst großem Maße die Schiffsführung auf das Schiff vorzubereiten, indem sie Anweisungen gibt, zusätzlich Berechnungen für die Ladungsfälle und Papiere zur Verfügung stellt und möglichst viel im Vorfeld klärt. Nur durch eine gute Vorbereitung von dieser Seite kann eine Schiffsführung den Überblick an Bord behalten und der Kapitän souverän handeln. Die ordnungsgemäße Handhabung der Schiffsstabilität ist als wichtiger Vorgang im Schiffsbetrieb einzustufen und darf den Kapitän dennoch nicht überlasten.

Bei dieser Ausführung geht es nicht darum, ein umfassendes Handbuch zu erstellen, sondern es behandelt die Beurteilung der Leckstabilität von Frachtschiffen und seiner Problembereiche in Zeiten der jüngsten Überarbeitungen des SOLAS-Kapitels ‚Unterteilung und Leckstabilität’. Leckstabilitätsrechnung ist ein sehr umfangreiches, komplexes Thema und kann dem Schiffbauingenieurwesen zugeordnet werden. Letztlich müssen sich aber die Menschen an Bord auf die Ergebnisse dieser Ingenieure verlassen können - das Überleben des Schiffes kann von Dritten an Land entschieden werden. Da die international gültige Ausbildung für Nautiker1 diesen Bereich höchstens oberflächlich beinhaltet, richtet sich diese Arbeit an das Schiffsführungspersonal und Nautiker innerhalb der Reedereien.

1.2. Vorgehen und Aufbau der Arbeit

Die Beurteilung der Leckstabilität beschränkt sich in dieser Arbeit auf die Betrachtung von Frachtschiffen. Als Frachtschiffe anzusehen sind Trockenfrachter, wie Containerschiffe und Mehrzweckschiffe, alle Tankertypen und Bulk-Carrier, die nicht gleichzeitig als Passagierschiffe fungieren. Um dem nautischen Führungspersonal eine Einführung in die Problemstellung zu geben, werden zunächst die Entwicklungen der Leckrechnung, die Vorschriften und die Ursachen für mögliche Verletzungen des Schiffsschwimmkörpers behandelt. Eine Grundlage zum Verstehen der Leckrechnungsverfahren sind die Intaktstabilitätswerte und ihre richtige Interpretation, was jederzeit zum Aktivwissen des Nautikers gehören muss, um das Sicherheitsniveau seines Schiffes beurteilen zu können. Der an Bord praktisch anwendbare Teil der Beurteilung der Leckstabilität bezieht sich auf die folgenden Kapitel über computergestützte Leckrechnung und der Beurteilung der Leckstabilität an Bord, das darauf aufbaut. Als Bezugsbeispiel dienen Unterlagen zum neuen 2.700 TEU Container Schiff Cosco Sydney von den ThyssenKrupp Nordseewerken. Die wichtigsten Mittel zur Beurteilung der Stabilität im Leckfall sind der Lecksicherheitsplan und das Lecksicherheitshandbuch. Letzteres wird u.a. durch computergestützte Analysen möglicher Leckfälle erstellt und in dieser Arbeit genauer betrachtet.

2. ENTWICKLUNG DER LECKSICHERHEIT UND LECKSTABILITÄT

2.1. Historie

Archimedes (um 287 v. Chr. - 212 v. Chr.) war ein antiker griechischer Mathematiker, Physiker und Ingenieur. Er war nach Überlieferungen wohl einer der ersten, der sich unter anderem die Frage stellte, warum ein Schiff überhaupt schwimmt. Seine Entdeckung war, dass die Wassermasse des verdrängten Volumens eines Schiffes der Masse des Schiffes selber entsprach, die Gravitationskraft der Schiffsmasse und die Auftriebskraft des Schiffskörpers also im Gleichgewicht sein muss. Somit darf ein Schiff einer bestimmten Größe seine Masse nicht so weit vergrößern, wie das Volumen des Schwimmkörpers es zulässt. Bei Undichtigkeit ereignete sich jedoch genau dieses - Verlust des Schwimmkörpers und gleichzeitige Zunahme des Gewichtes.

Ein Leckschlagen von Schiffen stellte in der Seefahrt also schon immer ein Problem dar und es gab seitdem viele Ansätze und Technologien zur Erhöhung der Leck-, Kentersicherheit und Stabilität, die sich allerdings an die Grenzen der damaligen Berechenbarkeit hielten. Eine Standardisierung gab es noch nicht.

In der weiteren Geschichte, als damit angefangen wurde, Schiffe in der Leichtbauweise aus Stahl zu bauen, kam ein Problem hinzu: Das Material selber schwimmt nicht - das Schiff kentert nicht nur, sondern sinkt mit relativer Sicherheit. Durch die ökonomische Leichtbauweise genügen oftmals vergleichsweise geringe Verletzungen der Schiffsverbände, die zu einem dramatischen Festigkeitsverlust führen. Die Außenbeplattung des Schiffskörpers ist nur millimeterdünn.

Wie bei den meisten Technologien hatte auch die Leckstabilität ihren Ursprung im militärischen Wettrüsten. Hier war es vorgesehen, dass strategisch wichtige und sehr teuere Schiffe sich gegenseitig versenkten, also lohnte es besonders, erste wasserdichte Unterteilungen in den Schiffsentwurf einzubeziehen, zumal das Militär auch nicht so sehr auf private Wirtschaftlichkeit ausgelegt war. Die Schotten gewährleisteten, dass ein oder mehrere Abteilungen bei Treffern geflutet sein konnten, ohne dass das Schiff zu sinken drohte. Die Methoden der Leckbekämpfung wurden ebenfalls entwickelt. Einheitliche Entwicklungen in Bezug auf Unterteilung und Leckstabilität hatten jedoch auch hier höchsten nur einzelne Nationen. Bis zum zweiten Weltkrieg konzentrierte man sich hauptsächlich darauf, Schiffe mit sehr dicker Außenhaut auszustatten.

In der Handels- und Passagierschifffahrt gab es parallel zu dieser Entwicklung auch verschiedenste, jedoch ebenfalls uneinheitliche Bestrebungen, die Lecksicherheit zu erhöhen. Erst seit dem Untergang der Titanic im April 1912, bei dem 1496 Menschen ertranken, setzten sich Nationen zusammen, um Regelwerke für die minimalen Anforderungen an die wasserdichte Unterteilung von Passagierschiffen zu erlassen.

Daraus entwickelte sich viel später am 10.6.1948 ein ‚Internationales Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See’ bzw. ’International Convention for the Safety of Life at Sea’. Weitere Vorschriftenentwicklungen in Bezug auf Unterteilung und Leckstabilität von Seeschiffen fanden statt und gehen aus der Abbildung im nächsten Kapitel hervor.

Neben diesen Entwicklungen fand eine internationale SOLAS 60 - Konferenz (1960) statt und schlug der IMO vor, ein erweitertes Regelwerk für diese Anforderungen auch für Frachtschiffe zu erarbeiten. Die Formulierung und Ausarbeitung der neuen internationalen Standards wurde beendet und die betreffenden Ergänzungen im Kapitel II-1 der International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS 1974) in Bezug auf Leckstabilität und Unterteilung von Frachtschiffen vom Maritime Safety Commitee (MSC) erst im Mai 1990 ergänzt1. Das neue ausgereiftere probabilistische Konzept betrachtete die Überlebenswahrscheinlichkeit von Frachtschiffen anhand von empirischen Vergleichswerten von vorangegangenen Schiffsunfällen. In Kraft trat diese Neuregelung erstmals am 1. Februar 1992. Durch eine Erweiterung der SOLAS-Vorschriften2 unterstehen nun auch Frachtschiffe mit einer Länge zwischen 80m und 100m und Kiellegung ab dem 1.7.1998 diesen Vorschriften. Somit wurde u.a. auch dem Problem begegnet, das vorwiegend mit kleineren Schiffen auftrat, die nur über einen einzigen großen sich über die Länge erstreckenden Laderaum verfügten, wie z.B. Box-Shaped-Holds bei Mehrzweckfrachtschiffen.

Leckstabilität wird heute durch zugelassene Stabilitätssoftware an Bord, in Reedereien, Ingenieurbüros, Klassifikationsgesellschaften und Werfen berechnet.

Die internationalen Regelwerke für die Berücksichtigung der Unterteilung und Leckstabilität von Frachtschiffen in den jeweiligen Bauvorschriften und der Handhabung an Bord finden sich im Kapitel 3 dieser Arbeit.

2.2. Internationale Forschungsvorhaben

Betrachtet man die lange Entwicklung der modernen Seefahrt und des Schiffbaus, so sind die Leckstabilitätsrechnungen für Frachtschiffe erst in jüngster Zeit (1992) obligatorisch geworden. Es bedurfte einer Bündelung vieler Arbeitsgruppen in verschiedenen Nationen und Subkomitees, um diese Regeln zu erarbeiten und auch heute ist die Entwicklung der Regelwerke noch nicht abgeschlossen. In IMO-Rundschreiben werden neueste Sitzungsergebnisse des MSC3 und SDS4 Correspondence Group bzw. SLF5 veröffentlicht, in denen besonders Lecksicherheit behandelt wird. Das neueste dreijährige Projekt seit März 2000 mit Zusammenschluss 19 europäischer Länder namens HARDER1 erarbeitete anhand der Auswertung vieler Schiffsunfälle charakteristische Faktoren, die für die Überlebenswahrscheinlichkeiten von Schiffe bei entsprechenden Havarien entscheidend sind. Dabei wird angestrebt, empirisch erzeugte Vergleichswerte aus Statistiken für die Berechnungen und die Beurteilung der Leckstabilität heranziehen zu können, um ein vereinfachtes Verfahren zu entwickeln. Größtenteils liegen diese Werte dem probabilistischen Berechnungsverfahren im Regeltext der heutigen SOLAS-Vorschriften zugrunde. Arbeitsgruppen und Konferenzen vom September 2004, MSC 79/11 und SLF 47 lassen jedoch darauf schließen, dass in den nächsten Jahren noch weitere Veränderungen diesbezüglich zu erwarten sind. Eine Weiterentwicklung in diesem Bereich kann z.B. aufgrund immer neuerer Schiffsentwürfe und neuester Erkenntnisse bei diesem komplexen Thema wohl letztlich nie abgeschlossen sein.

3. AKTUELL GELTENDE IMO-VORSCHRIFTEN ZUR UNTERTEILUNG UND LECKSTABILITÄT VON FRACHTSCHIFFEN

Das hierzu international geltende Regelwerk von der IMO ist die SOLAS 74/88 (International Convention for the Safety of Life at Sea Code von 1974 mit dem Protokoll von 1988, zuletzt geändert 2004). Der Regeltext hat zwar empfehlenden Charakter, wurde jedoch von den meisten Nationen ratifiziert, nationale Regelungen stehen in Anlehnung an diese SOLAS-Konvention. Darin werden im Kapitel II-1, Teil B ‚Unterteilung und Stabilität’ und Teil B-1 ‚Unterteilung und Leckstabilität von Frachtschiffen’ bauliche und betriebliche Normen gesetzt. Auf einzelne Regeln dieses Teils wird in den folgenden Kapiteln näher eingegangen werden.

Ebenfalls von der IMO erarbeitet und anzuwenden auf alle Seeschiffe, in Hinsicht auf Leckstabilität, ist das Internationale Freibordübereinkommen von 1966 (ILLC) zur Festlegung von Mindestfreiborden und das MARPOL- Übereinkommen von 1973, einem Regelwerk zum Schutz der maritimen Umwelt vor Verschmutzung durch Seeschiffe. Für Tankschiffe, Massengutschiffe und Spezialfahrzeuge unter den Handelsschiffen gelten zusätzlich noch speziellere Regelwerke, wie der IBC-, BCH-, IGC- und GC-Code.

Innerhalb der IMO befassen sich das Subkomitee SLF mit der Entwicklung neuer Erkenntnisse bei dem komplexen Thema Leckstabilität. In bestimmten Intervallen werden diese Forschungsergebnisse der IMO in MSC-Sitzungen vorgebracht und nach Einstimmigkeit wird der SOLAS- Regeltext durch SOLAS-Konferenzen bei Bedarf erweitert oder geändert. Dieser Prozess nimmt viel Zeit in Anspruch und oft greifen die neuen Regelungen mit Rücksicht auf Kosten und Zeitdauer von Schiffsneu- bzw. umbauten erst nach Jahren. IMO Entschließungen und MSC Rundschreiben sind zu beachten, um sich auf neue Entwicklungen einzustellen.

3.1. Schiffstypenspezifische Regelwerke

Der Kapitän hat dabei in Bezug auf Leckstabilität die für sein Schiff geltendenden Vorschriften zu kennen. In den beiden folgenden TabellenAbbildungen werden für alle Frachtschiffstypen die Regelwerke mit deren Kapitel zur Leckstabilität und die Leckstabilitätsforderungen übersichtlich und zusammenfassend dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Vorschriften für Tanker und Trockenfrachter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Vorschriften für Spezialfahrzeuge

3.2. Aktuelle bauliche Lösungen

In der SOLAS 74/88 Konvention wurden zur Lecksicherheit für Seeschiffe allgemein geltende Minimalforderungen an die Bauvorschriften der Klassifikationsgesellschaften erlassen. Auf diese stützen sich, u.a. durch die Unterteilungen der Schiffe, die Berechnungen der probabilistischen und deterministischen Leckrechnungsverfahren. Eine Nomenklatur im Schiffbausektor schuf Leitbegriffe für den Entwurf von Schiffsneubauten, um den Leckstabilitätskriterien gerecht zu werden. Bauliche Anforderungen wie der Einbau von wasserdichten Schotten, insbesondere Kollisionsschotten, Lenzsystemen und teilweise auch Doppelböden wurden zum Standard.

Aktuell ist für Containerschiffe, Mehrzweckschiffe und RoRo-Frachter keine Doppelhülle vorgeschrieben, sie dient jedoch der einfacheren Stauung und den besseren Torsionseigenschaften. Deren Schottstellung von Quer- und Längsschotten werden u.a. aufgrund der Leckrechnungsforderung A≥R entschieden, was in den folgenden Kapiteln näher erklärt werden wird.

Für Bulker gilt das gleiche wie für Containerschiffe. Mit reduziertem Freibord (z.B. B -60) erfolgt die Leckrechnung jedoch nach den internationalen Freibordvorschriften1. Zusätzlich gelten für alle Bulker die Bestimmungen des Kapitels XII der SOLAS-Vorschriften. Tankerentwürfe müssen generell mit einer Doppelhülle ausgestattet sein, dessen Art stark von der Größe des Schiffes und der Gefährlichkeit der Ladung abhängt, um die Umwelt im Leckfall vor der Ladung zu schützen. Die Schottenstellung dient hier in erster Linie zur Begrenzung der Ladetankgrößen, z.B. für die Berechnung der sog. hypothetischen Ölausflusswahrscheinlichkeit bei Öltankern.

Die Bauvorschriften einzelner Länder und Klassifikationsgesellschaften haben sich an die Vorschriften der IMO anzupassen. Die IACS (International Association of Classification Societies) ist eine weltweite Vereinigung der Klassifikationsgesellschaften und spielt bei der Durchsetzung dieser Vorschriften ebenfalls eine wichtige Rolle.

4. GRUNDLAGEN AUS DER INTAKTSTABILITÄT

Damit die Betrachtungen zur Leckstabilität klarer werden, soll hier zunächst eine kleine schlichte Wiederholung aus der Intaktstabilität dem besseren Verständnis dienen. Die Intaktstabilität und ihre Kennwerte bilden die Grundlage für jede Leckberechnung.

4.1. Bezugssystem der Koordinaten und Momentenrechnung

Das Bezugssystem für die Gesamtmasse des Schiffes, sowie einzelner Teile oder Tankinhalte sind die Koordinaten x, y und z:

- in Schiffslängsrichtung x[m] bzw. LC… (Longitudal Center of …), gezählt von AP (Beispiel: LCG=57m bedeutet, dass der Massenschwerpunkt(G) 57m weit vorne liegt vom hinteren Lot gemessen).
- in Schiffsquerrichtung y[m] bzw. TC… (Transversal Center of …), gezählt von der Mittschiffslinie, Backbord negative Werte, Steuerbord davon positive.
- in Schiffshochrichtung z[m] bzw. VC… (Vertical Center of …), gezählt von der Basislinie / Oberkante Kiel.

Durch Multiplikation des Gewichtes des Gesamtschiffes oder aller Einzelmassen [t] und derer Koordinaten lassen sich die Ergebnisse, dementsprechende Längen-, Breiten- oder Höhenmomente, bilanzieren, um wichtige Stabilitätskennwerte, Trimm und Krängung zu berechnen. Beispiel: VM[mt] = VCG[m] x D[t] bedeutet: Das Vertikale Moment (Höhenmoment) ist gleich der Höhenlage des Schiffsmassenschwerpunktes über der Basis multipliziert mit dem Déplacement des Schiffes. Gleiches kann für Einzelmassen oder speziell im Fall von gefluteten Tanks oder Abteilungen für Rauminhalte berechnet werden und dann zum Gesamt-VM addiert werden.

Beispiel einer Momentenrechnung / Momentenbilanz:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Momente für freie Oberflächen(Mfs), sowie Tankinhalte und deren Koordinaten sind den Werftunterlagen zu entnehmen.

4.2. Referenzpunkte im Schiffsquerschnitt

FG (siehe Abb.3) ist die Gewichtskraft des gesamten Schiffs, die im Massenschwerpunkt(G = engl.: Center of Gravity) greift und sich immer senkrecht nach unten richtet.

FA ist die Auftriebskraft des Schiffskörpers, die FG entgegengesetzt wirkt, und im Formschwerpunkt(B) bzw. (Bĭ)(Buoyancy) greift. FA hat also die gleiche Größe wie FG, wenn ein Schiff schwimmen soll (Archimedes- Prinzip).

Das Metazentrum(M) bildet in etwa den Schnittpunkt der Center Line CL mit den verschiedenen Wirklinien der Austriebskraft FA. M heißt bei Krängungswinkeln ĭ von weniger als 3,5° Anfangsmetazentrum, bei ĭ>3,5° nennt es sich wahres Metazentrum, bei dem M allerdings zunehmend nicht mehr den Schnittpunkt von CL und FA bildet, sondern zur austauchenden Seite hin auswandert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3: Bezugspunkte der Stabilität im Schiffsquerschnitt

4.3. Das Beurteilungskriterium der Anfangsstabilität - die Strecke GM’

Anhand der Abb.3 kann man sehen, dass die folgende Grundformel gilt: GM=KM-KG, wobei diese Streckenangaben in Metern erfolgen. Die Höhe des Metazentrums von Kiellinie(K) KM wird für jedes Schiff volumen- und tiefgangsabhängig von der Werft errechnet und kann den Werftunterlagen entnommen werden. Die Höhe des Massenschwerpunktes, die Strecke KG, wird bordseitig durch eine Höhenmomentenbilanz rechnerisch direkt oder indirekt anhand der empirischen Verfahren durch den Roll- oder Betriebskrängungsversuch1 bestimmt. Berücksichtigt man bei dieser Rechnung die freien Oberflächen in Tanks, wovon wir im Folgenden ausgehen, erhöht sich die Lage von G um einen korrigieren Wert und man spricht von KG’ oder auch KGcorr. Das „’“ oder corr steht für den um die freien Oberflächen berichtigte (corrected) Wert. Somit erhält man den wichtigsten Kennwert für die Schiffsstabilität GM’=KM-KG’. Dieses auch metazentrische Anfangshöhe genannte GM’ bezieht sich auf das Anfangsmetazentrum, also auf das Schiff ohne dynamische Einflüsse. Das GM’ lässt sich mit der Momentenbilanz ausrechnen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wüsste man im Leckfall genau, welcher Bereich geflutet ist, so könnte man bereits eine angenäherte Rechnung durchführen, wie für den Fall des Ballastens: Dazu wird in der Momentenbilanz die zusätzliche Masse an dem betroffenen Ort (x,y,z) berücksichtigt, und die eintretende Krängung ĭ ließe sich folgendermaßen berechnen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hierbei ist m die Flutungsmasse, ǻ ZG die Höhenlage der neuen Masse vom Kiel gemessen, D das Déplacement und TM das Transversalmoment des Schiffes + neuer Masse aus der Momentenbilanz.

Um die Krängung ĭ aus der Schiffslage wieder auszugleichen, müsste man wissen, wie viel Masse m man im Querabstand YG zur Mitschiffslinie dafür gegenballastet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dies wäre aber lediglich ein Versuch, im Leckfall ohne Leckrechnung auszukommen und nicht sicher genug, da in diesem Fall u.a. nur Tanks berücksichtigt werden können.

4.4. Das Beurteilungskriterium der Neigungsstabilität - die Hebelarmkurve

ĭ ist der Krängungswinkel des Schiffs (siehe Abb.3), nach dem der Formschwerpunkt B und der Vektor FA in die Richtung der tiefertauchenden Seite auswandern. Der Abstand zwischen den entgegengesetzten Wirklinien des Auftriebs FA und der Schwerkraft FG bildet den aufrichtenden Hebel h bzw. GZ. Unter Benutzung der Pantokarenen (w-Werte) aus den Werftunterlagen lässt sich so für jedes krängende Moment und den sich damit einstellenden Krängungswinkel ĭ ein Hebelarm berechnen und eine Kurve zeichnen. Für die Beurteilung der Neigungsstabilität des intakten Schiffes ist dann diese Hebelarmkurve (GZ-Kurve) von besonderer Bedeutung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.4: KG/VCG-respektive Hebelarm-/GZ-Kurve

In Abb.4 erkennt man, dass je stärker das homogen beladene Schiff durch dynamische Einflüsse krängt (das krängende Moment größer wird), desto größer wird der gegenwirkende aufrichtende Hebel h bzw. GZ. GM’ stellt in jeder Hebelarmkurve die Steigung der Hebelarmkurve im Ursprung dar und die Ableitung der Formel h = GM '⋅sin(Φ) führt auf den Wert 1 Radiant (entspricht etwa 57,3°). Folglich ist das GM’ der Hebelarmwert des Schnittpunktes dieser Ursprungsgerade mit der Senkrechten bei 57,3°, und so beginnt man auch das Zeichnen der Hebelarmkurve, mit dieser Gerade als Referenz. Die Fläche oberhalb der dieser Ursprungsgerade ist die zusätzliche Stabilität durch die Form des Unterwasserschiffs und wird auch Stabilitätsreserve genannt.

Zwischen Ursprung und statischem Kenterpunkt, dem Maximum der Kurve, gibt es häufig noch einen mehr oder weniger starken konvexen Anstieg, der den verstärken Hebel durch die höher liegende, äußere eintauchende Unterwasserform darstellt. Eine darauf folgende konkave Kurvenstrecke zeigt einen leichten Einbruch der Hebelarmkurve, da das Gangbord zu Wasser kommt und somit das aufrichtende transversale Moment kleiner wird. Kurz vor dem statischen Kenterpunkt bewirkt die Tauchung der senkrechten Lukenwand unterhalb des Sülls einen weiteren leichten konvexen Anstieg, da mit der Krängung somit das aufrichtende Transversalmoment nochmals steigt. Ab dem statischen Kenterpunkt tritt ein starker Verlust des aufrichtenden Hebelarms auf. Dieser Punkt entspricht in etwa der Krängung, bei der die Kimm aus dem Wasser taucht. Ein weiterer kritischer Punkt in dieser Kurve tritt in diesem Fall bei ca. 52° auf, ab dem der Lukendeckel untertaucht. Ab dem dynamischen Kenterpunkt besteht kein positiver aufrichtender Hebel mehr, das Schiff kentert, da die metazentrische Höhe dann unterhalb des Massenschwerpunktes ausgewandert ist, GM’<0. Der Stabilitätsumfang (auch Umfang oder engl.: range) beschreibt also die theoretische maximale Krängungslage, die das Schiff einnehmen kann, bevor es kentert.

4.5. Die IMO-Stabilitätskriterien

Die IMO1 schreibt folgende Limits zur Einhaltung einer minimalen Stabilitätssicherheit genau vor:

- Die minimale metazentrische Anfangshöhe GM’
- Minimale Größe des Hebels GZ bei ĭ=30°
- Minimale Größe des Stabilitätsumfanges
- Minimale Flächen unter der Hebelarmkurve bei ĭ<30°, ĭ<40° und ĭ zwischen 30° und 40° (schraffierte Flächen in der Abbildung)
- Maximaler Krängungswinkel verursacht durch stetigen Winddruck
- Maximaler Überflutungswinkel ĭFlooding, bei dem Seewasser in wetterdichte, aber nicht wasserdichte Öffnungen eindringen kann
- Verhältnis der Flächen unter der HAK „b“ zu „a“

Es gibt äquivalent zu diesen IMO-Kriterien noch SeeBG-Kriterien2, die jedoch im Zuge der EU-Richtlinien außer Kraft gesetzt wurden.

4.6. Die GM-Grenzkurve

In den Werftunterlagen ebenfalls enthalten ist die GM-Grenzkurve. Die Differenz des darin enthaltenen minimalen Grenz-GM-Wertes mit dem aktuellen GM-Wert (= KM - KG) darf die IMO-Forderungen für das spezifische Déplacement nicht unterschreiten.

Alle Schiffe die in einer GM-Grenzkurve die Leckkriterien mit implementiert haben, brauchen nur diese Grenzkurve im intakten Zustand einzuhalten und erfüllen damit generell die Kriterien der Leckrechnung. Schiffe, die Ladefälle leckgerechnet haben für die Erfüllung der für den Schiffstyp entsprechenden Regel (meistens Tanker), haben häufig Ladungsrechner mit einer Software, die den jeweils aktuellen Ladefall regelkonform leckrechnen kann.

5. HINTERGRUND: PROBLEMSTELLUNGEN BEIM LECKGESCHLAGENEN TROCKENFRACHTER

Das Erstellen eines Notfallplanes für den Fall eines leckgeschlagenen Schiffes ist sehr problematisch. Einen Leitfaden dazu zu entwerfen ist unmöglich, anbetracht der Tatsache, dass es meistens zu viele Begleitumstände und zu berücksichtigende Faktoren gibt. Die Schiffsführung könnte im Falle einer Notsituation dazu neigen, auf dieser Grundlage falsche Entscheidungen zu treffen.

Es gibt aber bestimmte Fragestellungen, Feststellungen und Strategien, die man dann, auf gewisse Erkenntnisse stützend, in Betracht ziehen kann. Richtiges Handeln ist wichtig, blinder Aktionismus dagegen höchst gefährlich für Mensch, Schiff, Ladung und Umwelt. Das Handlungsfeld spielt sich leider zumeist aufgrund fehlender Kenntnisse über die Situation, oft in der Anfangsnotsituation, zwischen richtigem Handeln und einer vorsichtigen „Trial and Error“ - Methode, basierend auf wahrscheinlichen Annahmen, ab. Darüber, was eigentlich passiert ist, wie es dazu kam und was gerade im Schiffsinnern vorgeht, ist während der Havarie zuerst immer unklar und muss für weiteres Vorgehen ermittelt werden.

5.1. URSACHEN UND KRITERIEN FÜR EIN LECKSCHLAGEN UND FLUTEN

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.5: Von der IMO registrierte Leckfälle, nach Ursache, Art und Schwere des Falls, im Jahr 1999

5.1.1. Kein wetter- und wasserdichter Verschlusszustand

Gefahrenquellen entstehen für das Schiff z.B. bei Undichtigkeit des Kettenkastens im Vorschiff, Lüftungsschächten, Türen und anderen als wasserdicht konzipierten baulichen Einrichtungen. Lukensülle von Wetterdecksluken, besonders bei Box-Shaped-Luken können sich bei besonders schwerer Ladung und punktuellen Belastungen so verformen, dass sie nicht mehr wetterdicht mit dem Lukendeckel abschließen.

Grundursache ist hier Schlechtwetter und übergehende See. Rollbewegungen durch Seegang erzeugen übergehende Wellen und verschlimmern die Situation dadurch, dass es sehr riskant ist, den Verschlusszustand ordnungsgemäß oder behelfsweise am mittleren Schiff oder Vorschiff herzustellen. Wasser dringt mit der Zeit in das Schiffsinnere ein. Hier liegt zwar keine Verletzung des Schiffkörpers vor, dennoch muss dies entsprechend eines Leckfalls betrachtet werden.

5.1.2. Schiffsverbände oder Teile des Schiffes

Als Ursache sei hier Seeschlag genannt. Brechen oder Reißen von Schiffsverbänden, der Außenhaut oder von flüssigkeitstransportierenden Rohrleitungen und -anschlüssen deuten auf falsche Beladung oder auf eine generelle anfängliche Seeuntüchtigkeit des Schiffes durch Materialermüdung hin, wie der Fall des 26 Jahre alten einwandigen griechischen Öltankers Prestige beweist, der am 19.11.2002 mit 77.000 Tonnen vor der Küste Galiciens brach und später auf der offenen See sank. Dabei entstand eine Meeres- und Küstenverschmutzung unbekannten Ausmaßes, wobei bis heute Öl aus dem Rumpf austritt. Die spanische Regierung verklagte damals die Klassifikationsgesellschaft ABS um Schadensersatz über 2 Mrd. €, da sie dem Schiff die Klasse und damit die Seetauglichkeit ausgestellt hatte.

Ein ähnlicher Fall, bei dem Materialermüdung ebenfalls nicht ausgeschlossen wird, passierte schon zuvor am 12. Dezember 1999. Der maltesische Tanker Erika kenterte vor der bretonischen Küste, wobei 20.000 Tonnen Öl ins Meer flossen. Ein Küstenabschnitt von rund 400 Kilometern wurde von der Ölpest erfasst.

Somit ist das Alter, wie auch die Historie eines Schiffes eventuell zu berücksichtigen. Durch Biegungskräfte (Hogging, Sagging und Torsion) an den Schiffsverbänden, auch hervorgerufen durch nicht fachgerechte Beladung, können Längs-, Querverbände und lange Rohrleitungen, wie Feuerlösch- und Lenzleitungen brechen. Leitungen und Anschlüsse, wie für nichtansaugende Kreiselpumpen zum Lenzen, Befördern von Kühlwasser oder Löschwasser, die unter der Wasseroberfläche liegen, können eine Ursache für Leckagen sein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.6: Von der IMO registrierte Totalverluste, nach Schiffsalter, im Jahr 1999

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.7: Von der IMO registrierte Fälle von Verlust von Menschenleben, nach Schiffsalter, im Jahr 1999

5.1.3. Verrutschen und Übergehen von Ladung

Durch Schlechtwetter und/oder unsachgemäßer Ladungssicherung kann sowohl im Laderaum, als auch an Deck Ladung verrutschen oder übergehen.

- Verrutschen von größeren Ladungsteilen1 oder -partien kann erhebliche Stabilitätsprobleme verursachen und den Kapitän zu sofortigem Handeln zwingen. Schlagseite und ein verringerter aufrichtender Hebel auf der daraufhin tiefergetauchten Seite treten auf, wodurch dann kritische Öffnungen an Deck unter Wasser liegen können (ĭ > ĭFlooding). Somit dringt Wasser ein. Eine resultierende Beschädigung am Schiff, beispielsweise an den Ballasttanks oder am Lukendeckel kann ebenfalls zu einem Leckproblem führen. Boden- und Seitentanks können durch Ladungsteile verletzt werden oder vorher schon unbemerkt durch Ladungsoperationen im Hafen verletzt worden sein. Rutscht ein spitzes und dazu relativ schweres Ladungsteil (z.B. Schwergutteil) in einen Ballasttank und durchbohrt ihn bis durch die Außenhaut, kommt es vom Schadensausmaß einer Kollision gleich. Darüber hinaus kann ein loses schweres Ladungsteil andere Ladungsteile losreißen und ebenfalls in Bewegung versetzen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.8 u. Abb.9: Verrutschtes schweres Ladungsteil durchbohrt Seitentank und Außenhaut (Innenansicht und Außenansicht)

Als Beispiel für übergehende Ladung kann der mit Steinen und Kiesel beladene Fall des Bulkers Rockness dienen, der am 19.1.2004 bei Bergen/Norwegen nach dem Beladen und Auslaufen nur etwa 200m vor der Küste kenterte und 18 Menschenleben forderte. Zwei Gründe für das Zustandekommen dieses Unglücks sind das Verrutschen der Ladung, wahrscheinlich mehrere große Steine, und ein Aufsetzen des Schiffs auf felsigem Grund. Unklar bis heute ist, was das Kentern letztlich initiiert hatte. Ob die Grundberührung durch die übergehende Ladung damit entstandene Schlagseite verursacht wurde oder ob die Grundberührung vorangegangen war und eine Schlagseite dadurch Ladung verrutschen ließ ist noch nicht geklärt. Schiffsbesatzung und Sachverständige haben unterschiedliche Meinungen. Um so mehr zeigt dieses Beispiel auch, dass oft mehrere Ursachen einhergehen, und eine kausale Verkettung der Umstände ein besonderes Problem darstellt.

- Das Übergehen von Ladungsteilen birgt dieselben Gefahren in sich, darüber hinaus aber noch weitere. Meistens gehen sehr weit oben liegende Teile über Bord(auf Containerschiffen in den obersten Tiers). Das Herabfallen verursacht sehr häufig ein Schaden beispielweise an der Außenhaut, am Lukendeckel oder dem Gangbord, das bei Schlechtwetter überspült werden kann. Wassereinbruch ist die Folge. Zusätzlich kann, aufgrund des einseitigen Verlustes eines durch diese Höhe größeren aufrichtenden Hebelarmes, dadurch zur Gegenseite ein sehr starkes Krängungsmoment entstehen. Es tritt dann Stabilitätsverlust, evtl. starke Schlagseite und damit verbundener Wassereinbruch auf, da der eingetretene Krängungswinkel(ĭ) größer ist, als der Winkel, bei dem eine fortschreitende(progressive) Flutung eintreten kann (ĭflooding).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.10: Beispiel für Beschädigungen beim Übergehen von einem Schwergutteil. Hier wurden u.A.

Containerstützen abgeknickt, worauf das Gangbord durch die Schadenstellen wasserdurchlässig wurde.

In Bezug auf die Stabilitätsreserven kann beim Übergehen der Ladung auch gegenteiliges passieren. Immerhin ist davon auszugehen, dass der Massenschwerpunkt des Schiffes danach tiefer liegt und das Schiff nicht mehr so tief taucht, da es leichter geworden ist. Fällt Ladungsmasse, bezogen auf die Mittschiffslinie, symmetrisch über Bord, so kann auch ein weiterer Effekt auftreten: Die Anfangsstabilität (metazentrische Höhe GM’) und die Frequenz der Rollperioden des Schiffes erhöhen sich - das Schiff wird steifer und hat ein größeres Aufrichtvermögen. Ist das GM’ durch freie Oberflächen zu klein geworden, wirkt sich dieser Umstand eher positiv aus.

Ist das GM’ allerdings zu groß, macht das Schiff zu harte aufrichtende Bewegungen. In diesem Fall kann es durch erhöhte Beschleunigungskräfte weitere Ladungsteile förmlich „losschütteln“, auch die Schiffsfestigkeit kann durch Beschädigung der Schiffsstruktur gefährdet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.11: Resthebelarmkurve bei verrutschter Ladung

Ähnlich wie bei der Berücksichtigung des Winddruckmoments in der Intaktstabilität, wird hier in der Hebelarmkurve in Abb.11 bei einem Transversalmoment durch verrutschte oder übergegangene Ladung verfahren.

[...]


1 siehe STCW 95 (Standards of Training, Certification and Watchkeeping for Seafarers)

1 siehe Resolution MSC.19(58)

2 siehe IMO-Entschließung MSC 47(66)

3 Maritime Safety Committee, Schiffssicherheitsausschuss der IMO

4 Subdivision and Damage Stability, Unterteilung und Leckstabilität

5 Sub-Commitee on Stability and Load Lines and on Fishing Vessels

1 Harmonisation of Rules and Design Rational

1 siehe LLC/ILLC 66/88 Regel 27

1 Die Durchführung des Roll- und Betriebskrängungsversuchs sind beschrieben in den ‚ Richtlinien für die Ü berwachung der Schiffsstabilität ’ von der See-BG

1 siehe Kapitel 3 des IMO-Code über Intaktstabilität (SSH, Kap. 2a 1. S. 12ff)

2 siehe Kapitel 3 der Bekanntmachung über die Anwendung der Stabilitätsvorschriften für Frachtschiffe, Fahrgastschiffe und Sonderfahrzeuge vom 24. Oktober 1984 (SSH, Kap. 2a 2., S. 13ff)

1 vergleiche Internationaler Getreidecode (Grain Code)

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Beurteilung der Leckstabilität von Frachtschiffen für Nautiker und Schiffbauingenieure
Hochschule
Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven; Standort Leer  (Seefahrtschule Leer)
Veranstaltung
Schiffsstabilität, Leckstabilität
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
114
Katalognummer
V265131
ISBN (eBook)
9783668324435
ISBN (Buch)
9783668324442
Dateigröße
3688 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Leckstabilität (Damage Stability) ist eines der wichtigsten Themen beim Schiffbau und im Schiffsbetrieb, zur Wartung und Instandhaltung, ebenso in Notsitutationen wie Schiffskollisionen, Grundberührungen, etc. Dieses Werk soll helfen, ein schwieriges Thema Nautikern und angehenden Schiffbauingenieuren nahezubringen und Praxis und Theorie miteinander zu verbinden.
Schlagworte
stabilität, schiffbau, seefahrt, schiffe, havarien, schifffahrt, leckstabilität, schiffsstabilität
Arbeit zitieren
Andrej Ulrichs (Autor:in), 2005, Beurteilung der Leckstabilität von Frachtschiffen für Nautiker und Schiffbauingenieure, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265131

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