Das Heilige ist einer jener bedeutungsschweren Begriffe, die eine gesamte Weltanschauung zu Grunde legen. Sei es nun eine spezifisch religiös-dogmatische, eine eher allgemein spirituelle oder eine profan anmutende – so paradox das auch klingen mag – Zuschreibung von Heiligkeit, in allen diesen Fällen impliziert der semantische Gebrauch des Heiligen eine Vorstellung von Absolutem, von Unantastbarem, von Vollendetem. Es ist hier nicht notwendig, sämtliche Facetten des Begriffes zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Räumen zu betrachten. Dennoch ist die etymologische Herleitung des Heiligen in diesem Fall sinnvoll und empfehlenswert, da hier kein anachronistisches Bedeutungskonzept an eine uralte Vorstellung herangetragen wird, wie es zum Beispiel beim Begriff der „Religion“ allzu schnell geschieht. Vielmehr zeigen sich uns in den semantischen Ursprüngen des Heiligen wichtige anthropologische und soziale Aspekte, die für die Beurteilung des Heiligen innerhalb des Religionskonzeptes von Sigmund Freud unerlässlich sind.
Hier sehen wir nicht nur einen graduellen Unterschied zwischen mehr oder weniger besonderen Dingen oder Ideen, sondern vielmehr einen prinzipiellen Unterschied zwischen zwei Seinszuständen, die nur in ihrer Dualität und gegenseitigen Bezugnahme zu verstehen sind. Heiliges ist das totaliter aliter, das sich zwar in irdischen Erscheinungen manifestieren kann, aber stets einem transzendenten Bereich verhaftet bleibt. Sigmund Freud nun ist weniger interessiert an Konzepten von Heiligkeit, sondern an ihrem ursprünglichen Kontext: der Religion. Sie ist immer wieder zentrales Thema seiner kulturtheoretischen Schriften. Entscheidend ist, dass Freud Religion nicht nur als ein individuelles und kulturelles Phänomen aus religionspsychologischer Perspektive untersucht, sondern sie weit darüber hinaus als zu überwindende Weltanschauung zeichnet und sie ersetzt sehen will durch die der Religion widerstreitende Weltanschauung der Naturwissenschaft, der Vernunft. Aufgabe und Ziel dieser Untersuchung ist es nicht, eine von außen herangetragene Kritik seines Religions- und Wissenschaftsverständnisses zu leisten. Vielmehr soll die Kritik im Innern seiner Denkkonzepte erfolgen. Dafür muss zunächst geklärt werden, (I.) was überhaupt Freuds Weltanschauung ist, (II.) wie Religion innerhalb seines Systems konstituiert bzw. konstruiert wird, und schließlich (III.), ob das Religionsbild, wie Freud es zeichnet, in sich argumentativ stimmig ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Der Szientismus als Weltanschauung
- 1. Im Erbe der Philosophen
- 2. Metapsychologie: das individuelle und kulturelle Über-Ich
- II. Das Kulturphänomen Religion
- 1. Genese und Wirkung
- 2. Zukunft ohne Illusion?
- III. Konzeptimmanente Widersprüche
- IV. Schlusswort
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Kritik an Sigmund Freuds Religions- und Wissenschaftsverständnis. Die Untersuchung zielt darauf ab, Freuds Weltanschauung, die auf dem Szientismus basiert, zu analysieren und die Konstruktion des Religionskonzepts in seinem System zu beleuchten. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob Freuds Religionskritik, die in seiner Hauptschrift „Die Zukunft einer Illusion“ (1927) zum Ausdruck kommt, argumentativ stimmig ist.
- Die Weltanschauung des Szientismus bei Sigmund Freud
- Die Konstruktion des Religionskonzepts innerhalb Freuds System
- Die kritische Analyse der Argumente in Freuds Religionskritik
- Die Rolle der Illusion in Freuds Analyse der Religion
- Der Einfluss der Aufklärungsphilosophie auf Freuds Religionskritik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des Heiligen und die Bedeutung des Begriffs in verschiedenen Weltanschauungen ein. Der erste Teil behandelt den Szientismus als Weltanschauung Freuds, wobei dessen Einfluss durch die Aufklärungsphilosophie hervorgehoben wird. Der zweite Teil beleuchtet die Konstruktion des Religionskonzepts in Freuds Werk, indem er auf die Genese und Wirkung sowie die Zukunft der Religion eingeht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Begriffen wie Szientismus, Weltanschauung, Religion, Illusion, Aufklärungsphilosophie, Sigmund Freud und Psychoanalyse. Darüber hinaus werden Begriffe wie Heiligkeit, Metapsychologie und Über-Ich im Kontext von Freuds Analyse von Religion und Kultur behandelt.
- Arbeit zitieren
- Sina Hofmann (Autor:in), 2012, Die Ent-täuschung der Religion. Eine Untersuchung des Religionskonzepts in Sigmund Freuds Schrift „Die Zukunft einer Illusion“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265401