Die (Selbst-)Darstellung des Adels im höfischen Roman


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

1 Die Lebensformen der Feudalgesellschaft
1.1 Epochenüberblick
1.2 Die Gesellschaftsordnung des 12. Jahrhunderts

2 Die Idealvorstellungen der Feudalgesellschaft
2.1 Ständelehre und adliger Stand
2.2 Ritterliches Ideal und höfische Wirklichkeit

3 Die literarische Verarbeitung der feudalen Ideologie

4 Die Darstellung des Adels im höfischen Roman
4.1 Das höfische Individuum
4.2 Die höfische Gemeinschaft

5 Adlige Selbstdarstellung im höfischen Roman
5.1 Zur Funktion des höfischen Romans
5.2 Chrétien de Troyes - ein Propagandist?

Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

Einführung

Für die realen Lebenswelten, die den höfischen Roman in seiner Entstehung und Wirkung beeinflussten, haben sich sowohl Geschichtsals auch Literaturwissenschaft schon früh interessiert.1 Dabei ist seine Funktion in der Feudalgesellschaft häufig als deren Selbstdarstellung erkannt worden; Erich Auerbach schreibt: „ Die Selbstdarstellung des feudalen Rittertums in seinen Lebensformen und Idealvorstellungen ist die eigentliche Absicht des höfischen Romans.2

Ausgehend von dieser Pointierung Auerbachs macht sich die vorliegende Arbeit die Darstellung des Adels bei Chrétien de Troyes zum Thema, mit dem Ziel, die Intention des höfischen Romans hinsichtlich seiner unterstellten ideologischen Funktion zu beurteilen. Weil in diesem Zusammenhang eine Diskussion des Ideologiebegriffs den Rahmen sprengen würde, werden darunter hier die individuellen und sozialen Idealvorstellungen einer Schicht verstanden.

Zunächst sollen kurz die äußeren Lebensformen des Adels in Form eines Epochenüberblicks und einer Analyse der Gesellschaftsordnung erinnert werden; daran schließt sich eine Darstellung der Feudalideologie des 12. Jahrhunderts an, in deren Mittelpunkt das ritterliche Ideal und seine Verarbeitung durch die Literatur seiner Blütezeit3 stehen. Sie wird mit der im ersten Kapitel erschlossenen historischen Realität kontrastiert werden. Dann soll die Adelsdarstellung vor allem in Chrétiens erstem Roman Erec et Enide untersucht werden; zwar eignen sich grundsätzlich alle Werke Chrétiens zu diesem Zweck, wenn man sich auf die geistige Seite der feudalen Idealvorstellungen konzentriert. Weil aber nur der Erec die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Akteure erörtert, ist er auch für die materielle Seite und somit insgesamt bevorzugt heranzuziehen.4 Aufbauend auf diesen Erkenntnissen soll dann abschließend die Frage der Funktion des höfischen Romans anhand verschiedener Forschungsmeinungen erörtert werden, wobei vor allem der Aspekt der funktionalisierten Selbstdarstellung interessiert.

Die Literatur zum Thema und seinen Teilbereichen ist recht umfangreich und wird bis in die Gegenwart fortgeschrieben. Allerdings hat Erich Köhler bereits 1954 in einer vieldiskutierten Studie5 das Verhältnis der im höfischen Roman dargestellten und der historischen Wirklichkeit untersucht. Mit letzterer, vor allem mit deren gesellschaftlichen und kulturhistorischen Elementen, hat sich Georges

Duby immer wieder befasst und wichtige Erkenntnisse geliefert. Neben einer Reihe von überblicksartigen Werken sind die Studien Jean Floris zu nennen, der beachtliche Ergebnisse zum Ritterbegriff im höfischen Roman erbracht und im Vergleich zu Auerbach und Köhler eine gewisse Demythologisierung6 eingeleitet hat. Ein umfangreiches Werk zur Rolle des Rittertums im arthurischen Roman, das neben seinen eigenständigen Erkenntnissen vor allem der reflektierenden Vorüberlegungen wegen überzeugt, hat Marie-Luce Chênerie vorgelegt.7

1 Die Lebensformen der Feudalgesellschaft

1.1 Epochenüberblick

Jean-Paul Allard bezeichnet das 12. Jahrhundert als Renaissance Europas.8 Dem begriffsimmanenten Aspekt des grundsätzlichen Wandels kann zugestimmt werden, jedoch überwiegt eine pejorative Deutung. So stellt Arno Borst fest, das Leben sei „ roh und erbarmungslos “ 9 gewesen.

Projiziert man diese Feststellung auf die politische und soziale Entwicklung, wird man das Bild einer vom Kampf bestimmten Epoche sehen. Wie der Einzelne ums Überleben kämpfte, so versuchten im Inneren des französischen Königreiches verschiedene gesellschaftliche Gruppen, ihren Status zu verteidigen oder auszubauen, und so engagierte sich die westliche Christenheit insgesamt gegen die arabische Herrschaft über Jerusalem. Die Kreuzzüge als das ganze 12. Jahrhundert außenpolitisch und ideologisch beherrschende Phänomen und die beginnende Auflösung der feudalen Gesellschaftsordnung, aber auch die zunehmende Urbanisierung prägen die Epoche.10

Es wird im Laufe der vorliegenden Arbeit zu zeigen sein, inwiefern Gesellschaftsstruktur und -wandel auf die literarische Produktion der Zeit eingewirkt haben. Hier ist im Hinblick auf das Publikum des höfischen Romans in erster Linie auf den Adel einzugehen.11

1.2 Die Gesellschaftsordnung des 12. Jahrhunderts

Die besondere Interdependenz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft führte nach Duby zu einem grundlegenden Wandel: der urbane Anteil der Bevölkerung nahm überhand und machte die städtische, bürgerliche Bevölkerung durch die Bedeutung des Handels zu den Trägern von Reichtum, Macht und Kultur.12 Der so aus wirtschaftlichen und kulturellen Schlüsselpositionen verdrängte Adel wurde gleichzeitig politisch vom über die Grenzen des Suzeräns hinaus expandierenden Königtums, das sich zur administrativen Verwirklichung seiner Ziele des aufsteigenden Bürgertums bediente, bekämpft.13 Es ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, den Erfolg der königlichen Maßnahmen zu beurteilen14 ; festzuhalten ist, dass der Adel sich zurecht bedroht sah, wenn der König die „ Schranken des Lehnrechts zuüberwinden “ 15 suchte und sich dabei mit dem ökonomischen Gegner, den Städten, verband.

Ein drittes Moment der Bedrohung resultierte aus einem Wandel innerhalb des Adels selbst: die aus bürgerlichen, teilweise sogar unfreien Schichten eindringenden Ritter, welche Zusammensetzung und Selbstverständnis der europäischen Aristokratie nachhaltig veränderten. Ursprünglich Knechte und Dienstmannen, wurde aus der Gruppe der vor allem durch die Kreuzzüge aufgewerteten berittenen Kämpfer im Laufe einer ideologischen Überhöhung zunächst eine Zwischenschicht zwischen dem älteren, karolingischen Geblütsadel und dem Reiterdienst, die sich am Ende des 12. Jahrhunderts jenem dann vollständig assimiliert hatte und schließlich zur Institution wurde.16 Es kam zu erheblichen Spannungen zwischen hohem und niederem Adel, welche nur in der gemeinsamen Opposition zum „ antifeudale[n] Bündnis “ von König und Städten beigelegt werden konnten.17

Im Folgenden soll nun die adlige Schicht im Hinblick auf ihr gesellschaftliches Ideal und ihre Metamorphose durch die Ausbildung einer spezifisch ritterlichen Ideologie untersucht werden.

2 Die Idealvorstellungen der Feudalgesellschaft

2.1 St ä ndelehre und adliger Stand

Die schon seit dem 9. Jahrhundert bekannte Dreiständeordnung gewann im 12. Jahrhundert besonders beim Adel an Anziehungskraft und wurde in dessen zweiter Hälfte zum seinem gesellschaftlichen Idealbild.18 Waren die ständischen Schranken noch lange Zeit durchlässig gewesen, entstand in Folge der Bedrohung durch die Ausweitung der königlichen Macht auf der einen, der ökonomischen Macht der Bürger auf der anderen Seite als Resultat eines zunächst erzwungenen Zusammenhalts von hohem und niederem Adel ein neues, abgeschlossenes System.19 Die bellatores grenzten sich von den anderen gesellschaftlichen Gruppen ab: äußerlich durch Statussymbole wie Kleidung, Waffen und reichhaltige Speisen sowie Privilegien wie die Jagd20, ideologisch durch die Herausbildung einer adligen Kultur und Standesethik, deren Wertesystem auf den beiden Größen courtoisie und chevalerie, welche aus der Ritteridee abgeleitet worden waren, beruhte.21

Im Kontext dieses Wertesystems muss nun ein bisher unberücksichtigt gebliebener Aspekt der Bedrohung der adligen Lebenswelt erwähnt werden: die von Cluny ausgehende Erneuerungsbewegung der Kirche, die mit dem Ziel des Gottesfriedens zu Bußfertigkeit und Demut aufrief. Es wird zu zeigen sein, wie sie sich dazu des Rittertums bediente und das Modell der drei Ordnungen mit dem Ziel seiner Institutionalisierung förderte; ein spannungsreiches Verhältnis zwischen geistlichem und adligen Stand ergab sich vielmehr aus dem Widerspruch jener Werte der Bescheidenheit zur adligen Lebensweise, die von Tapferkeit, Stolz, Kampf, Sinnesrausch und Lebensfreude beherrscht wurde.22 Die geistige Erneuerung wirkte also doppelt auf die Isolierung des adligen Standes ein: als Ursache, indem sie seine Lebensweise in Frage stellte, und als Katalysator, indem sie eine religiös-heilsgeschichtlich orientierte Standesethik ermöglichte.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die (Selbst-)Darstellung des Adels im höfischen Roman
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Exempla mediaevalia – Höfischer Roman, Ritterroman, Fantasy-Literatur. Zur Blüte, Verwilderung und Neuformierung eines Genres
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V265541
ISBN (eBook)
9783656552352
ISBN (Buch)
9783656552635
Dateigröße
419 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
selbst-, darstellung, adels, roman
Arbeit zitieren
Martin Bock (Autor:in), 2004, Die (Selbst-)Darstellung des Adels im höfischen Roman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265541

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