Einleitung
70000 Demonstranten standen am Montag, den 9. Oktober 8000 Einsatzkräften der Volkspolizei, der NVA und des MfS gegenüber, die von 5000 ,,gesellschaftlichen Kräften" aus Partei und Staat flankiert wurden. Die Anweisung von Erich Honecker, dem mächtigsten Mann im Staat, legte die Bezirkseinsatzleitung auf einen Konfrontationskurs fest: ,,die Zusammenrottungen... sind von vornherein zu unterbinden"1. Dennoch gab es in Leipzig keinerlei Zusammenstöße zwischen der Staatsmacht und den Demonstranten - Schützenpanzer, Wasserwerfer und Räumungskommandos wurden nicht eingesetzt, eine gewaltsame Niederschlagung der Massenkundgebung blieb aus.
Die Umstände, welche dieses ,,Wunder von Leipzig"2 (Kurt Masur) ermöglichten beschäftigen bis heute die historische Forschung. Dabei besteht ein relativ breiter Konsens darüber, daß die Entscheidung gegen eine ,,chinesische Lösung" in Leipzig, nicht in Ost-Berlin gefallen war3. Nicht zuletzt die damaligen Entscheidungsträger, namentlich Egon Krenz beharren jedoch darauf, daß ein Entschluß zum Gewaltverzicht schon im Vorfeld in Berlin gefallen ist4. Eine Antwort auf diesen Widerspruch muß anhand der Quellen gefunden werden.
Die Vorgänge auf der Straße, die Motivation und Gefühlslage der Demonstranten sowie die Zielsetzungen der Bürgerrechtsbewegung und der kirchlichen Beteiligten sind ausgesprochen gut dokumentiert und vielfach ausgewertet. Deshalb wird sich diese Arbeit schwerpunktmäßig einer möglichst wirklichkeitsnahen Rekonstruktion der Entscheidungsprozesse innerhalb der Leipziger Einsatzleitung bzw. der Berliner Führung widmen. Dabei müssen zum einen die erhaltenen Befehle und Einsatzkonzepte ausgewertet werden. Außerdem stehen verschiedene Aufzeichnungen und Interviews mit den damals Beteiligten zur Verfügung, die jedoch kritisch betrachtet werden müssen, da letztlich jeder Beteiligte vor einer historischen Selbstpositionierung zwischen ,,Scharfmachern" und ,,Friedensengeln" steht.
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1 Mfs, Dokumentenverwaltung, Nr.103625 (Fernschreiben) Mielke an alle Bezirksverwaltungen/ Leiter. Zitiert nach Armin Mitter; Stefan Wolle [Hrsg.], ,,Ich liebe euch doch alle...". Befehle und Lageberichte des MfS, Berlin 1990, S.200.
2 Ekkehard Kuhn, Der Tag der Entscheidung. Leipzig , 9.Oktober 1989, Frankfurt am Main 1992, S.135.
3 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Band 2: Deutsche Geschichte vom ,,Dritten Reich" bis zur Wiedervereinigung, München 2000, S.503.
4 vgl. Egon Krenz. in: Kuhn, Entscheidung, S.89.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Montagsdemonstrationen vor dem 9. Oktober
- Die Vorbereitungen auf den „Ordnungseinsatz“ am 9. Oktober 1989 in Leipzig
- Tag der Entscheidung: der 9. Oktober in Leipzig
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 und untersucht die Entscheidungsprozesse innerhalb der Leipziger Einsatzleitung und der Berliner Führung, die zur Nicht-Einsatz von Gewalt gegen die Demonstranten führten. Ziel ist es, die Umstände des "Wunders von Leipzig" zu rekonstruieren und die Frage zu beantworten, warum in Leipzig nicht geschossen wurde.
- Die Reaktionen der Staatsmacht auf die Montagsdemonstrationen vor dem 9. Oktober.
- Die Vorbereitungen auf den „Ordnungseinsatz“ am 9. Oktober 1989 in Leipzig.
- Die Entscheidungsprozesse innerhalb der Leipziger Einsatzleitung und der Berliner Führung am 9. Oktober 1989.
- Die Rolle der Demonstranten und der Bürgerrechtsbewegung.
- Die Bedeutung des "Wunders von Leipzig" für die deutsche Geschichte.
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Thematik der Arbeit vor und erläutert die Forschungsfrage. Sie beschreibt den historischen Kontext der Montagsdemonstrationen und stellt die Entscheidungsprozesse in den Mittelpunkt der Untersuchung.
- Die Montagsdemonstrationen vor dem 9. Oktober: Dieses Kapitel beschreibt die Entwicklung der Montagsdemonstrationen in Leipzig vor dem 9. Oktober 1989. Es geht auf die Reaktion der Staatsmacht ein, die sich zunächst mit Gegenmaßnahmen und erhöhtem Polizeieinsatz auf die Proteste reagierte.
- Die Vorbereitungen auf den „Ordnungseinsatz“ am 9. Oktober 1989 in Leipzig: Dieses Kapitel untersucht die Vorbereitungen der Staatsmacht auf die Montagsdemonstration am 9. Oktober. Es analysiert die Befehlsstrukturen und die Einsatzpläne der Volkspolizei, des MfS und der NVA.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Montagsdemonstrationen, friedliche Revolution, DDR, Staatssicherheit, Volkspolizei, NVA, Entscheidungsprozesse, Gewaltverzicht, "Wunder von Leipzig", 9. Oktober 1989.
- Quote paper
- Alexander Kohlmann (Author), 2002, Die Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2656