Darüber wurde nicht gesprochen

Die Geschichte meines Vaters (Kriegs- und Nachkriegszeit)


Fachbuch, 2013

97 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorbemerkungen

Vorgeschichte (1937 – 1944)

Briefe und Karten meines Vaters an die Familie aus den Kriegsjahren 1939 – 1945 Tagebuchaufzeichnungen von Peter und Ingeborg Zylmann aus den Jahren 1944 – 1945

Gefangenschaft (1945 – 1947)

Freilassungsgesuche

Feldpost

Feldpost meines Vaters aus der Gefangenschaft 1946 – 1947 Tagebuchaufzeichnungen von Peter und Ingeborg Zylmann aus den Jahren 1945 – 1946

Zeit nach der Gefangenschaft (1948 – 1956) Tagebuchaufzeichnungen von Peter Zylmann

Die Gesellschaft der Überlebenden

Nachwort

Vorbemerkungen

Die Feldpostbriefe und – karten aus dem Nachlass meines Vaters waren der Anlass, mich mit einem Abschnitt der Geschichte zu beschäftigen, über den man in der Familie kaum sprach und den insbesondere mein Vater weitgehend ausgeblendete. Da diese Zeit auch Teil meiner frühesten Lebensgeschichte ist, wollte ich mehr darüber erfahren. Ganz besonders interessierte mich der Zeitraum von der Einberufung meines Vaters zum Wehrdienst bis zu seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft. Erst jetzt, Jahre nach dem Tod meines Vaters, ist mir die sehr persönliche an meine Mutter gerichtete Feldpostkorrespondenz zugänglich. Ihr Inhalt hat mich zeitweise sehr gefangen genommen.

Vielleicht hat der Tod der beiden Elternteile mir die Suche nach meiner Geschichte und die der Familie erleichtert insofern, als dass ich nun nicht mehr das Gefühl haben muss, Grenzen zu überschreiten und indiskret zu sein; aus den sehr persönlich verfassten Schriftstücken sind für mich Zeitdokumente geworden, deren Interpretation allerdings meine ganz persönliche Auslegung darstellt.

Um die Geschichte meines Vaters in der Kriegs- und Nachkriegszeit besser zu verstehen ist es notwendig, einige Lebensdaten beider Elternteile vorauszuschicken. Ich stütze mich dabei auf Auszüge aus dem Lebenslauf meines Vaters, entnommen seiner 1944 in Hamburg vorgelegten Dissertation (GZ) und auf kürzlich aufgetauchte handschriftliche Notizen meiner Mutter. Hilfreich für die Aufarbeitung waren außerdem die sehr sachlich-nüchternen Aufzeichnungen meines Großvaters Peter Zylmann (PZ) in Tagebüchern und in seinen „Lebenserinnerungen“. Ganz anders hingegen die sehr emotionalen Schilderungen meiner Mutter Ingeborg Zylmann (IZ) in ihrem Tagebuch „Für Geerd“, das gleichzeitig eine Entwicklungsbeschreibung meiner ersten beiden Lebensjahre darstellt.

Vorgeschichte (1937 – 1944)

Von Ostern bis zum Herbst 1937 wurde mein Vater zum Reichsarbeitsdienst herangezogen. Ab 1935 war die Teilnahme am Reichsarbeitsdienst für alle Männer und Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren Pflicht. Es folgte ein freiwilliger, 18 Monate dauernder Wehrdienst in der 5. Batterie des Artillerie-Regiments 56 in Hamburg-Wandsbek. Im Sommer 1939 begann mein Vater dann mit dem ersten medizinischen Semester an der Hansischen Universität Hamburg (GZ).

Da meine Mutter nach dem Abitur ursprünglich medizinisch-technische Assistentin werden wollte und dieser Beruf zu den kaufmännischen zählte, musste sie ein Pflichtjahr ableisten, eine von den Nationalsozialisten 1938 eingeführte Arbeitseinsatzmaßnahme. Auf ein Inserat hin kam sie zur Familie von Dr. Maintz in Hamburg-Rahlstedt und leistete dort ihr Pflichtjahr ab. Mit dem Pflichtjahr, so die damaligen Machthaber, sollten Mädchen und Frauen auf ihre zukünftige Rolle als Hausfrauen und Mütter vorbereitet werden. Gleichzeitig war es ihre Aufgabe, die Haushalte zu entlasten, in denen die Männer an der Front waren. Im August 1940 begann meine Mutter auf Vorschlag von Dr. Maintz mit dem Medizinstudium in Hamburg. Sie konnte deshalb ihr Pflichtjahr um ein halbes Jahr kürzen (Ostern bis Herbst 1938), musste dafür aber von Herbst 1938 bis Ostern 1939 zum Reichsarbeitsdienst nach Marnitz/Mecklenburg-Vorpommern. Um ihr Studium während der klinischen Semester fortsetzen können, wurde sie innerhalb der Semesterferien zum Arbeitseinsatz in die Dynamitfabrik nach Krümmel/Geesthacht geschickt, die weltweit erste Dynamitfabrik.[1] Hier erfand Alfred Nobel das Dynamit.[2]

Am 10. bzw. 14. April 1945 erfolgten Examen, Bestallung zum Arzt und Promotion.

Vom 15. April bis zum 10. Oktober 1940 nahm mein Vater am Westfeldzug teil, wurde anschließend beurlaubt und konnte am 31. März 1941 die ärztliche Vorprüfung an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i.Br. ablegen. Nach Fortsetzung des Studiums in Hamburg und Promotion im Frühjahr 1944 erfolgte ein mehrmaliger Einsatz in Kriegs- und Heimatlazaretten als Sanitätsfeldwebel (GZ). Am 12. November 1944 wurde mein Vater erneut an die Westfront abkommandiert.

(„Nun haben wir von Vati Abschied nehmen müssen, der jetzt an die Westfront kommandiert ist“) (IZ).

Bereits 5 Monate später befindet sich seine Einheit im Osten (PZ).

Briefe und Karten meines Vaters an die Familie aus den Kriegsjahren 1939-1945 Tagebuchaufzeichnungen von Peter und Ingeborg Zylmann aus den Jahren 1944-1945

Liebe Eltern ! [3] 03.11.1939 ( Poststempel)

Eben habe ich Euren lieben

Brief erhalten. Dies soll nur

ein kleines Lebenszeichen sein.

Schön, daß das Haus so in

Ordnung gebracht wird.

In [ … ] war ich beide Male

nicht, weil einer hier die

Betreuung der Kranken über-

nehmen mußte.

Tante Anni [4] hat mir

auch eine Karte geschrieben.

Hoffentlich geht es Euch gut.

Hier ist alles in bester Ordnung.

Herzlichst Euer Geerd.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte an Martha Zylmann 06.12.1939 (Poststempel)

M.l.S. Wir drei sitzen hier vergnügt bei

Kaffee und Kuchen und freuen

uns. Herzlichst, Kuß Vater [PZ]

Liebe Mutter !

Wir sitzen hier bei einem gemütlichen

Glase Mosel und erzählen uns allerhand.

Schade, daß Du nicht mit dabei sein kannst.

Sonst geht’s uns gut. Am 1. Januar erscheine

ich vielleicht wieder auf der Bildfläche.

Herzlichst Geerd

Herzlichen Gruss Dein Ecki

Vielleicht komme ich Weihnachten auf Urlaub!

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Von Eckbert [5] und Geerd kam die Nachricht,

daß sie hundert Kilometer hinter Orleans in Quartier lägen.

Ich beschloß am folgenden Tag hinzufahren.

In der Nacht rief mir jemand im Halbschlaf zu:

„Fahre heute nicht“. Ich verschob die Fahrt um einen Tag.

Morgens um elf standen sie beide vor mir, wäre ich gefahren,

dann wären wir aneinander vorbeigefahren und [ hätten ] uns verfehlt [ haben ] .“(PZ)

Liebe Eltern ! 17.04.1940 (Poststempel)

Soeben ist der Brief mit Steuerkarte

eingetroffen. Euer Päckchen habe ich auch

mit Dank erhalten. Wir sind auch alle

sehr mit der gegenwärtigen Lage beschäftigt.

Es ist nicht einfach, das Kommende zu beurteilen,

man muß aber abwarten.

Die Nachricht von Hans Lindemann hat mich sehr

bewegt. Es ist schade, vielleicht aber notwendig,

daß gerade solche wertvollen Menschen sich

opfern müssen. Ich werde selbstverständlich

hin schreiben. Für den Born wäre ich dank-

bar. Etwas Gelegenheit zur Arbeit bietet

sich immer, , wenn auch die eigentliche

Ruhe fehlt. Mein dienstlicher Arbeits [ … ]

ist [ … ] oft langweilig. Ich würde auch lieber

bei der Masse Dienst tun, weil ich dort sicher

meine Arbeitskraft besser voll einsetzen könnte.

Aber das geht nun einmal nicht.-

Sonntags mache ich wunderschöne Wanderungen. [ … ]

Übrigens wäre ich dankbar für etwas Geld von

meinem Konto, weil ich alle gesellschaftl. Ange-

legenheiten der [ … ] mitmachen muß und

zum Photographieren auch gern etwas hätte.

Dafür sind die 14.- knapp.

Ich hoffe, bald wird diese Angelegenheit zu meinen

Gunsten geregelt sein. [ … ] Eckbert scheint

von dem Urlaub sehr angetan zu sein. Sein Geburtstag

heute wurde feierlich [ … ].

Herzlichst Euer Geerd

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

21.10.1944

Geerd fährt zu seiner Sanitätsabteilung zu einem neuen Einsatz. Abends kehrt Geerd zurück, er fährt morgen nach Lüneburg, um als ärztlicher Betreuer mit einem Marschbataillon an die Front zu gehen (PZ).

22.10.1944

Die ganze Familie ist noch einmal versammelt, Martha und ich, Eckbert und Liselotte [6], Geerd und Inge, dazu Detert Jans (PZ).

12.11.1944

Nun haben wir von Vati Abschied nehmen müssen, der jetzt an die Westfront kommandiert ist. Wenn man erst ein Kindchen hat, fällt der Abschied doppelt schwer. Aber so ein kleines Menschlein kann einem schon sehr über alles hinweghelfen. Ich bin so froh, daß ich das Bübchen habe! Wie groß es wohl ist, wenn der Vati es wiedersieht? Jan Detert und ich beten jeden Abend, daß sie alle drei gesund bleiben mögen, und der Vati recht bald wieder zu uns zurückkommen möge. (IZ)

Liebe Eltern, liebe Liselotte! 25.11.1944

Von Inge werdet Ihr hoffentlich schon über

meinen Verbleib unterrichtet sein. Ich

habe mal wieder großes Glück in allem

gehabt. Ich bin auf einem Hauptverbands-

platz und leite augenblicklich die [ … ]

Station mit etwa 40 Kranken. Die Arbeit

ist sehr befriedigend, die Kameradschaft sehr

gut. Über Verpflegung und Unterkunft

kann ich ebenfalls nicht klagen.

An unserem Abschnitt ist es nicht so

wild wie an den Brennpunkten. Wir

liegen außerdem etwas zurück, sodaß

man die Härte des Krieges hier nicht so

spürt. Die Eifel ist ein wunderbares,

liebliches kleines Gebirge mit ganz

entzückenden Tälern und Dörfern. Als

wir ankamen, lag hoher Schnee. Seit-

dem haben wir ganz mildes Wetter mit

sehr viel Regen. Gestern bin ich zum

ersten Male 2 Stunden lang ausgeritten,

einfach herrlich. Ich habe mich gewundert, daß

ich noch so sicher auf dem Pferd bin

nach über 2 Jahren Pause. Abends sitzen

wir oft zusammen und lesen oder schreiben

oder spielen Skat, was nun mal dazu

gehört – wenn nicht gerade ein größerer

Anfall von Verwundeten und Kranken

ist. Ich habe gleich begonnen, zwei Soldaten

in Laborarbeiten anzulernen.-

Ob diese Tätigkeit allerdings

lange dauern wird, ist fraglich. Sicher werden

wir in absehbarer Zeit als Truppenärzte [ … ]

werden. Die Zeit vergeht wie im Fluge und

das ist gut so.-

Wie sieht es bei Euch aus? Sind

wieder Angriffe auf Hbg. gewesen? Ich freue

mich schon auf die erste Nachricht. Leider ist

die Postverbindung sehr unterschiedlich. Hier

sind die Briefe von Tagen bis zu Monaten

unterwegs.-

Was ist aus der Wohnung [?] geworden?

Vater hat sich jawohl für eine vernünftige

Regelung eingesetzt. Und wie ist es mit

dem [ … ] ? Na, ich werde ja bald

alles erfahren.

Jetzt ist es bald soweit, daß

Detert seinen Vetter oder seine Kusine

dazu bekommt. Ich wünsche Dir bis dahin,

daß alles nach Wunsch verläuft, Lilo!

Auf die ersten Bilder von Detert, die ich

damals geknipst habe, freue ich mich

sehr.- Habt Ihr Nachricht von Ecki ?

Aus dem Osten oder Westen ?

Ich schreibe gleich an ihn.

Euch allen herzliche Grüße.

Für Lilo drücke ich die Daumen

in der nächsten Zeit.

Euer Geerd

Liebe Eltern ! 29.11.1944

Heute sollt Ihr auch einmal einen Brief von

mir bekommen. Daß die Briefe, die ich an Inge

schreibe, für Euch mitgelten, ist ja selbstverständlich.

Vor allem möchte ich Dir, liebe Mutter, zum

Geburtstage am 17.12. ganz herzlich gratulieren

und hoffen, daß Du diesen Tag ungestört von

den Fliegern und froh im Familienkreis ver-

leben kannst. Hoffentlich erreicht Dich dieser Brief

rechtzeitig. Leider bin ich vorgestern plötzlich von meiner

Kompanie versetzt und zu einer Abteilung als Abt.

Arzt gekommen. „Leider“ nur deshalb, weil mir

die Post von meiner alten Einheit nach hier auch [ … ]

wieder nachgeschickt werden muß,

was die Sache wieder um Wochen verzögern kann.

Vielleicht bekomme ich gerade zu Weihnachten

einen ganzen Haufen Post.

Hier soll ich allerdings auch nur für kurze

Zeit zur Unterstützung meines Oberarztes bleiben.

Die Arbeit macht mir Spaß, man ist wenigstens

selbständig. Die Abteilung liegt verstreut, das Gros

liegt weiter hinten, der übrige Teil weiter nach

vorne bis zur Infanterie. So habe ich genug zu

tun, um überall mal nach dem Rechten

zu schauen. Menschlich habe ich es auch wieder

einmal gut getroffen , nach diesen 2 Tagen [ … ].

Die Artillerie und die feindliche Luftwaffe ist ununter-

brochen am Werken [? ]. Aber ich habe bisher immer

Glück gehabt, auch jetzt – und werde es auch

weiterhin haben.

Was macht Deine Arbeit, Vater?

Hoffentlich ist der Hafen inzwischen verschont ge-

blieben. Ein Glück, daß die 60-Stunden-Woche für

Euch aufgehoben ist, das war für Dich doch eine

zu große Hetze. Und wie ist es mit dem Volks-

sturm geworden? Ich hoffe bald ausführlichen

Bericht von Inge über alles zu bekommen. Wenn ich jetzt

bald meine [ … ] wieder nachfahren muß, wird

es aber noch lange dauern.

Läßt sich nicht ändern.Dir, liebe Mutter, noch einmal alles Gute zum 17. 12. Und Euch beiden herzliche Grüße Euer Geerd.

Liebe Eltern ! 9.12.1944

Gestern abend erhielt ich die erste Post und gleich einen

ganzen Stoß, darunter Euren Brief vom 21.11.

Ich bin froh, mal wieder Näheres von Euch zu wissen,

vor allem, daß Ihr bislang die Angriffe weiterhin gut über-

standen habt. Jetzt kann ich ja immer mit Nachricht

rechnen. In zwei von Inges Briefen waren Bilder, die sie Euch

wohl auch gezeigt hat. Das kleine Detert-Bild ist ganz

entzückend geworden. Sicher hat der kleine Mann sich in

diesen 4 Wochen wieder tüchtig weiterentwickelt. Wir wollen

nur hoffen, daß er und wir alle diese schwere Zeit gesund

überstehen.-

Ich habe es sehr bedauert, daß ich Dich, Vater,

nicht mehr sehen konnte. Wie sah es denn in Ostfries-

land aus? Schön, daß Du in der Ahnenforschung

wieder ein Stück weitergekommen bist. Vielleicht sind

darunter noch einige schöne ostfries. Namen, die

wir noch mal verwerten können, obwohl die Zeit[…]

erst einige Klarheit zeigen müssen. bevor dies der Fall

sein wird. Wie sah es bei Tante Anni aus? Ich denke

gern an die 4 Wochen in Leer im vorigen Jahr

zurück. Daß die Volkssturmfrage vorläufig so

gelöst worden ist, ist doch erfreulich und auch, daß Deine

jetzige Tätigkeit als vollwertige Arbeit anerkannt

wird. Auf den Bericht über die Katastrophenzeit bin

ich schon gespannt. Es lohnt sich schon, diese Ereignisse

festzuhalten.

Ich war erstaunt zu hören, daß Ecki auch im

Westen steht. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege ein-

mal. Dort bei M. gab es wohl schwere Tage.

Ich habe mich sehr gut eingelebt, habe einen

sehr guten Kameradenkreis vorgefunden. Die Offiziere sind

alle ziemlich jung, aber erfahren, sodaß man sehr gut

mit ihnen auskommt. Meine Stellung als Truppenarzt

ist durchaus selbständig und dankbar. Hinten beim

Troß, wo auch mein Quartier sich befindet, läßt es sich schon

aushalten. Ich habe dort einen kleinen Raum als

Revier ausgemacht und reichlich zu tun. Außerdem behand-

le ich noch Zivilpersonen, teilweise mit etwas[ … ] Krankheiten,

aber mit Erfolg. Ein paar Kilometer entfernt steht ein Hauptverbandplatz, aus dessen Apotheke ich alles bekomme, was ich brauche, auch die [ … ] Medikamente, die man beim [ … ] sonst nicht benötigt.

Verwundete haben wir auch schon allerhand gehabt, bisher glück-

licherweise keinen schweren Fall.

10.12.1944

Gestern bin ich wieder bis Mitternacht unterwegs gewesen,

um unsere vorne eingesetzten Truppen zu besuchen. Man

sieht hinterher immer vollkommen verdreckt aus, da man

oft gezwungen ist, den Artilleriegeschossen und Granatenabwehrgeschossen

auszuweichen. Aber so sehr gefährlich ist das nicht.-

Heute ist schon der 2. Advent. Ich muß

viel an die schönen Weihnachtszeiten zu Hause denken, die in

unserem kleinen Familienkreise immer besonders stimmungs-

voll waren. Und mitmal seid Ihr schon doppelt Großeltern.

Ja, ja : tempora mutantur…!

Dieser Brief wird Euch zu Weihnachten hoffent-

lich gerade erreichen. Verlebt diese Tage nur recht froh

und unbeschwert, so wie wir hier draußen es auch tun

werden. Vielleicht ist Lilo heute schon glückliche Mutter. Ich

wünsche Dir alles Gute dafür, Lilo! Es soll ein echter

Zylmann [ … ] – männin werden. Und was Deinen

schlechten Traum von mir betrifft, bei mir bewahrheiten

sich nur die Guten.

1. Herzliche Grüße
2. Frohes Weihnachtsfest
3. Gute Ankunft des [ … ]
4. Haltet Euch weiter munter
5. Grüßt [ … ] u. die Nachbarn
6. Auf baldiges Wiedersehen
7. Laßt mal wieder was von Euch hören?

Euer Geerd

Wie geht es Dir gesundheitlich, Mutter?

Rp.: Keine Überanstrengungen

Liebe Liselotte ! 13.03.1945

Für Deinen Brief vom 13.2. vielen Dank.

Vor allem möchte ich Dir nachträglich

zu Deinem Geburtstag gratulieren.

Ich hoffe, daß Du ihn in Ruhe mit

Deinem blauen „Pröbel“ [ ? ], wie Du so

schön schreibst, verbracht hast. Wegen der

dauernden Angriffe auf Hbg. bin ich doch

in Sorge um Euch alle. Aber warum

soll es jetzt noch schief gehen, wo es

bisher immer so geklappt hat!

Mir geht es ausgezeichnet. Auch bei der

Infanterie habe ich mich sehr schnell

eingelebt. Zu tun gibt es für mich mehr

als bei meiner vorigen Abteilung,

in der ich mich ganz besonders

wohl gefühlt habe. Ein Glück, daß der

Winter [ … ] vorbei ist. Der letzte

Schnee weicht schon der kräftigen Frühlingssonne.

Wie geht es Ecki? Ich habe ihm

[ … ] geschrieben. An Eltern 1

schreibe ich auch bald wieder. Euch

allen viele herzliche Grüße

Euer Geerd

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Liebe Eltern ! 29.03.1945

Mit Freude habe ich Euern lieben Brief

vom 12.3. erhalten, nachdem wir schwerste

Kämpfe hinter uns hatten. Von Inge wißt

Ihr wohl schon, wie es uns ergangen ist.

Bei all dem bin ich gut durchgekommen

ohne den geringsten Schaden. […]

Wir sitzen hier schon lange, im süd-

östlichsten Zipfel unserer Ostfront und haben

jetzt die ersten Ausläufer des Sudetenlandes

erreicht. Ich bin froh, daß ich so gut trainiert,

bin, sodaß mir die Fußmärsche und Strapa-

zen nicht viel ausgemacht haben.

Augenblicklich herrscht ein […] Frühlings-

wetter, man könnte fast den Krieg vergessen,

wenn man nicht in jeder Minute

daran erinnert wird. Leider habe ich so

viele Kameraden verloren, ich bin noch der

einzige Offizier […], außerdem sind noch

45 Soldaten übrig. Ich habe in den beiden

schwersten Tagen wie immer so viel Glück

gehabt, daß ich sehr das Gefühl habe, als

würde ich von einer sicheren Hand durch

alles hindurch geleitet. Und bei allem

fühle ich mich geradezu sträflich wohl.

Die Gesamtlage ist wenig erfreulich, aber

was nützt es, Trübsal zu blasen!

Die beiden Jüngsten machen Euch bestimmt

viel Freude. Ich bin gespannt, auch […]

Detert wiederzusehen. Wie ich höre, ent-

wickelt er sich sehr erfreulich. Inge berichtet

mir immer mit Stolz von ihm. Es ist ein

schönes Gefühl, wenn man für eine eigene

Familie draußen steht [?]. Ich bin beruhigt,

daß Inge in Euch so gute Berater hat, sie

wird nach ihrem Examen über ihre weitere

Tätigkeit Euch wohl auch zu Rate ziehen müssen.

Ich mußte den Brief unterbrechen,

weil mich der Regimentskommandant

bestellt hatte, um mir das EKII zu ver-

leihen. Ich habe mich ehrlich dazu gefreut.-

Über das in Arbeit befindliche Buch

von Dir, Vater, freue ich mich. Gerade

in dieser Zeit muß solche Arbeit ein

Trost sein. Liebe Mutter, überarbeitest Du

Dich auch nicht ? Laß lieber was laufen […].

Meine lieben Eltern, bleibt

gesund und behaltet den Zylmannschen

Humor. Lilo und meinem […]

Patenkind alles Gute. Ich werde hoffent-

lich den kleinen Bengel selbst bald

sehen.

Viele Grüße Euer

„Kleiner“.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] „Eine Fortsetzung des Studiums war nur möglich durch Einsatz in der Munitionsfabrik Krümmel bei Geesthacht. Studentenführer Dr. Gustav Adolf Scheel veranlasste das.“(IZ) Scheel (1907-1979) wurde 1936 zum Reichsstudentenführer ernannt, organisierte u.a. die Deportation von Karlsruher Juden und zeichnete verantwortlich für zahlreiche Hinrichtungen. Von 1954 bis 1977 (!) war er niedergelassener Arzt in Hamburg (http://www.de.wikipedia.org/wiki/Gustav­_Adolf_Scheel (abgefragt am 17.10.2012).

[2] http://www.de.wikipedia.org/wiki/Dynamitfabrik­ _Krümmel (abgefragt am 21.11.2012).

[3] Orthografie und Grammatik wurden von den Originalen übernommen. Nicht alle Textstellen waren lesbar. Deshalb wurde nur wenige Original abgelichtet.

[4] Schwester von Peter Zylmann

[5] Bruder von Geerd Zylmann

[6] Ehefrau von Eckbert

Ende der Leseprobe aus 97 Seiten

Details

Titel
Darüber wurde nicht gesprochen
Untertitel
Die Geschichte meines Vaters (Kriegs- und Nachkriegszeit)
Autor
Jahr
2013
Seiten
97
Katalognummer
V265896
ISBN (eBook)
9783656568063
ISBN (Buch)
9783656568049
Dateigröße
35938 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Geschichte meines Vaters in der Kriegs- und Nachkriegszeit anhand von Feldpostbriefen, zeitgeschichtlichen Dokumenten und Tagebucheintragungen. Es ist ein Geschichtsabschnitt, über den in der Familie kaum gesprochen wurde und den insbesondere mein Vater weitgehend ausblendete. Es handelt sich um eine privat verfasste wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Zeit.
Schlagworte
darüber, geschichte, vaters, kriegs-, nachkriegszeit
Arbeit zitieren
Detert Zylmann (Autor:in), 2013, Darüber wurde nicht gesprochen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265896

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