Ich werde in folgender Arbeit anhand der §§.24-29 seiner Wissenschaftslehre die Frage zu erhellen versuchen, welche Art von Wahrheitstheorie Bernard Bolzano vertritt.
Dabei werde ich zuerst untersuchen, welche Bedeutung Bolzano dem Begriff der ‚Wahrheit’ beilegt, und was daher als eigentlicher Wahrheitsträger in Frage kommt (2). Danach werde ich durch eine Analyse von Bolzanos Wahrheitsdefinition die Wahrheitsbedingungen näher beleuchten (3), um dadurch schliesslich zum Problem der Wahrmacher vorzustossen - womit dann die Frage nach einer möglichen Wahrheitstheorie Bolzanos gestellt werden kann (4).
Ich möchte hier bereits vorausschicken, dass der Beantwortung der Frage, welche Art von Wahrheitstheorie Bolzano vertritt, mindestens drei Schwierigkeiten im Wege stehen. Erstens gibt Bolzano selbst dazu keine explizite Antwort. Seine Bemerkungen dazu bleiben bruchstückhaft, und so muss jede Zuordnung seiner Ansichten zu modernen Wahrheitstheorien spekulativ bleiben. Zweitens benutzt er natürlich keine der heute geläufigen Bezeichnungen möglicher wahrheitstheoretischer Kandidaten. Überhaupt könnten seine Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Auffassungen anders verlaufen als wir uns das heute gewohnt sind. Und drittens, um die Verwirrung noch zu verstärken, sind sich auch heutige Autoren, was die Klassifikation existierender Wahrheitstheorien betrifft, alles andere als einig. Dennoch gibt es einen klar erkennbaren Trend – nämlich den, alle Wahrheitstheorien in zwei wichtige Lager einzuteilen – dem Lager der ‚realistischen’ Theorien einerseits (Theorien, die die Frage der Wahrheit als von menschlichem Dafürhalten unabhängig betrachten), und dem Lager der ‚epistemischen’ Theorien andererseits (Theorien, die den Begriff der Wahrheit in irgendeiner Form durch Begriffe des menschlichen Erkenntnisvermögens zu definieren versuchen). Dieser Spur werde ich ebenfalls folgen, und hoffe, dass sie mir einen gewissen Aufschluss über Bolzanos Wahrheitsverständnis liefern wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Wahrheitsträger
- Wahrheit als Eigenschaft: die Sätzen an sich zukommt
- , Wahrheiten an sich' als Untergruppe der , Sätze an sich'
- Wahrheitsbedingungen
- Wann ist ein Satz ein wahrer Satz?
- Wie sieht die Struktur eines solchen Satzes aus?
- Beispiele, die auf eine prädikative Struktur schliessen lassen
- Ein Beispiel, das auf eine propositionale Struktur schliessen lassen könnte
- Satz und Gegenstand — Die Frage nach dem Bezug
- Wahrheitstheorie
- Bolzanos Ablehnung ,epistemischer' Theorien
- Ist Bolzanos Wahrheitsauffassung korrespondenztheoretisch?
- Fazit
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit analysiert Bolzanos Wahrheitsbegriff im Kontext seiner ,Wissenschaftslehre', insbesondere der Paragraphen 24-29. Die Arbeit strebt danach, die Art von Wahrheitstheorie zu erhellen, die Bolzano vertritt, indem sie die Bedeutung des Wahrheitsbegriffs, die Wahrheitsbedingungen und die Frage nach den Wahrmachern untersucht. Die Arbeit verfolgt dabei die Frage, ob Bolzanos Position einer epistemischen oder einer realistischen Wahrheitstheorie zuzuordnen ist.
- Die Bedeutung des Wahrheitsbegriffs bei Bolzano
- Die Wahrheitsbedingungen nach Bolzano und die Struktur wahrer Sätze
- Die Frage nach dem Bezug zwischen Sätzen und der Welt
- Bolzanos Ablehnung epistemischer Wahrheitstheorien
- Die Frage nach der Korrespondenztheorie und Bolzanos Position dazu
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Fragestellung der Arbeit ein und erläutert die Vorgehensweise. Sie stellt die drei zentralen Herausforderungen für die Interpretation von Bolzanos Wahrheitsauffassung dar: die fehlende explizite Definition, die Verwendung anderer Terminologie als heute üblich und die unterschiedlichen Klassifikationen von Wahrheitstheorien in der heutigen Philosophie.
Das Kapitel ,Wahrheitsträger' beleuchtet Bolzanos Verständnis des Begriffs der Wahrheit. Er unterscheidet zwischen der ,abstrakt-objektiven' und der ,konkret-objektiven' Bedeutung des Begriffs. Die ,abstrakt-objektive' Bedeutung bezieht sich auf die Eigenschaft der Wahrheit, die Sätzen an sich zukommt, während die ,konkret-objektive' Bedeutung sich auf die wahren Sätze an sich als Objekte bezieht. Die Arbeit verdeutlicht die Unterscheidung zwischen ,Sätzen an sich' und ,Wahrheiten an sich' und zeigt, dass ,Wahrheiten an sich' eine Untergruppe der ,Sätze an sich' darstellen.
Das Kapitel ,Wahrheitsbedingungen' analysiert Bolzanos Definition der Wahrheit. Er definiert die Wahrheit als eine Eigenschaft, die einem Satz an sich zukommt, wenn der Satz von einem Gegenstand etwas aussagt, das diesem wirklich zukommt. Die Arbeit untersucht die Umkehrbarkeit und die Selbstverständlichkeit der Definition und betrachtet die Struktur von wahren Sätzen. Sie diskutiert, ob diese Struktur prädikativ oder propositional ist und stellt die Frage nach dem Bezug zwischen Sätzen und Gegenständen.
Das Kapitel ,Wahrheitstheorie' widmet sich der Frage, welche Art von Wahrheitstheorie Bolzano vertritt. Die Arbeit diskutiert die Ablehnung epistemischer Theorien durch Bolzano und stellt die Frage, ob seine Position als korrespondenztheoretisch interpretiert werden kann. Sie analysiert Bolzanos Argumente gegen epistemische Theorien und seine Haltung zum Begriff der ,Übereinstimmung' im Kontext der Korrespondenztheorie.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Wahrheitsbegriff von Bernard Bolzano, die ,Wissenschaftslehre', die Unterscheidung zwischen ,abstrakt-objektiver' und ,konkret-objektiver' Bedeutung des Wahrheitsbegriffs, die Wahrheitsbedingungen, die Struktur von wahren Sätzen, die Frage nach dem Bezug zwischen Sätzen und der Welt, die Ablehnung epistemischer Wahrheitstheorien und die Frage nach der Korrespondenztheorie.
- Quote paper
- Patrik Süess (Author), 2010, Bolzanos Wahrheitsbegriff. Eine Exegese der §§. 24-29 von Bernard Bolzanos "Wissenschaftslehre", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265906