Entwicklung, Krise und Zukunft der Arbeitsgesellschaft - Modell ohne Alternative?!


Bachelorarbeit, 2010

92 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. EINLEITUNG

2. WORT - UND BEGRIFFSGESCHICHTLICHES

3. ARBEIT IN VERSCHIEDENEN EPOCHEN UND KULTUREN

3.1 ARBEITSVERSTÄNDNIS IN DER ANTIKE
3.1.1 Der freie Bürger in der Antike
3.1.2 Moralische Hierarchie der Arbeit
3.1.3 Unwürdige Arbeit Unwürdiger Mensch
3.1.4 Lohnarbeit in der Antike
3.2 ARBEITSVERSTÄNDNIS IM MITTELALTER
3.2.1 Arbeitsauffassung in der Bibel
3.2.2 Reichtümer und Zinsgeschäfte
3.2.3 Die kommerzielle Revolution
3.2.4 Arbeit in Utopien - ein kritischer Gegenentwurf
3.2.5 Arbeit gegen Armut
3.3 ARBEITSVERSTÄNDNIS IN DER NEUZEIT
3.3.1 Entwicklung eines „ö konomischen Bewusstseins “
3.3.2 Industrialisierung der Arbeitswelt
3.3.3 Durchsetzung der Erwerbsarbeit

4. KOPPLUNG VON ARBEIT UND EINKOMMEN
4.1 INCOME MIX: NATURALEINKOMMEN UND GELDLÖHNE
4.2 GELDGESELLSCHAFT UND ENTWICKLUNG DES SOZIALSTAATS
4.3 „DER KURZE TRAUM IMMERWÄHRENDER PROSPERITÄT“ - DIE VOLLBESCHÄFTIGUNGSGESELLSCHAFT ENTSTEHT

5. „ARBEITSGESELLSCHAFT OHNE ARBEIT“
5.1 „IM WIDERSPRUCH ZU EMPIRISCHEN BEFUNDEN.“
5.2 ZWISCHENFAZIT

6. WANDEL DER ARBEITSMARKTES UND MASSENARBEITSLOSIGKEIT - DIE EROSION DES NAV
6.1 WANDEL AUS NACHFRAGESICHT
6.2 WANDEL AUS ANGEBOTSSICHT

7. KEIN ZURÜCK ZUR VOLLBESCHÄFTIGUNGSGESELLSCHAFT
7.1 VOM KEYNESIANISMUS ZUR NEOKLASSIK
7.2 DER ARBEITSMARKT - (K)EIN MARKT WIE JEDER ANDERE?
7.3 DAS ALLHEILMITTEL „WIRTSCHAFTSWACHSTUM“?
7.4 VOLLBESCHÄFTIGUNG IM NAV - ÜBERHAUPT GEWÜNSCHT?

8. MODELLE EINER VERÄNDERTEN ARBEITSGESELLSCHAFT - WEGE AUS DER KRISE
8.1 „GERECHTE VERTEILUNG“ DER ARBEIT
8.2 BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN
8.2.1 Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen
8.2.2 Finanzierbarkeit des BGE und Mindestlohn
8.2.3 Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen

9. RESÜMEE

10. ANHANG

11. LITERATUR- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1. Einleitung

Die meisten Menschen definieren sich in einer „ Arbeitsgesellschaft “ wie die der Bundesrepublik Deutschland über ihre Erwerbsarbeit. Wenn wir jemanden kennen lernen, kommt unweigerlich irgendwann der Satz: „Und was machen Sie beruflich?“ Umgekehrt wird die Arbeitslosigkeit als ein persönliches Versagen empfunden, nicht nur weil man dadurch der materiellen Grundlage beraubt wird, sondern weil sie per se in der Gesellschaft als Makel gilt, den es zu verbergen oder zu beseitigen gilt. Jenseits der individuellen Bedeutung der Erwerbsarbeit für den einzelnen Arbeitsplatzbesitzer oder Arbeitslosen fällt aber auch auf, dass die Arbeit nicht nur zum gesellschaftlichen Wert sui generis avanciert ist, sondern sich auch zur Grundlage des gesellschaftlichen Systems und ihrer Ordnung entwickelt hat. Die Entwicklung der Erwerbsarbeit und der daran anknüpfende Wohlstand zur Zeit des „ Wirtschaftswunders “ in den 50er und 60er Jahren war eine der fundamentalsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts und eine historische Ausnahmeform, wie ich im Laufe der Arbeit zeige möchte.

Seitdem hängt das Wohlergehen unserer Gesellschaft davon ab, dass die gesellschaftliche Teilhabe an der Erwerbsarbeit generell, aber auch an den Früchten unserer Wirtschaft gewährleistet wird. Diese beiden Erkenntnisse sind nun nicht sonderlich neu. Die Frage, die sich jedoch stellt ist, was passiert, wenn diesem gesellschaftlichen System seine Grundlage entzogen wird. Seit Mitte der 70er Jahre ist hohe Arbeitslosigkeit Teil der gesellschaftlichen Realität und liegt im Juni des Jahres 2010 mit 3,15 Millionen Arbeitslosen auf einem äußerst hohen Niveau1. Daran anknüpfend sind die Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung oder staatlichen Transferleistungen oft deutlich zu niedrig und setzen die Arbeitslosen einem hohen Armutsrisiko aus. Darüber hinaus sehen wir uns mit einer immer differenzierten Berufslandschaft konfrontiert, die zum Teil dem einzelnen kein existenzsicherndes Einkommen beschert. Viele renommierte Sozialwissenschaftler beschwören mittlerweile das Ende der Arbeitsgesellschaft aufgrund zunehmender Rationalisierung und fordern ein Umdenken. Wie legitimiert sich also eine Gesellschaft deren Teilhabe am Leben und deren soziale Institutionen maßgeblich auf Erwerbsarbeit aufgebaut sind, wenn nicht genügend Arbeit vorhanden ist?

Ziel der vorliegenden Arbeit soll es zunächst sein, zu analysieren, wie es zu der derzeitigen Krise der Arbeitsgesellschaft gekommen ist. Da unsere heutige „Arbeitsgesellschaft“ jedoch nicht am Reißbrett konstruiert ist, sondern sich diese Gesellschaftsform im Laufe vieler Jahrhunderte entwickelt hat und das Ergebnis gesellschaftlicher Konflikte sowie politischer und ideologischer Auseinandersetzungen ist, erschließt sich ihre Form nur aus ihrem konkreten historischen Zusammenhang. Daher ist es von Nöten, sich zu fragen wie es zu dem für unsere heutige Gesellschaft so prägenden Arbeitsethos gekommen ist, der ebenfalls einen Teil der derzeitigen Problematik darstellt. Wie hat sich damit zusammenhängend die Erwerbsarbeit bzw. Lohnarbeit als eine spezifische Form der Arbeit unter vielen durchgesetzt? Welche Ursachen spielen dafür eine Rolle, dass unsere wirtschaftliche Leistungskraft, sozialer Zusammenhalt, kulturelle Orientierung und politische Steuerung in entscheidender Weise auf Erwerbsarbeit beruhen?

Zunächst geht es um eine etymologische Erklärung des Begriffs „Arbeit“ bzw. seinen Namensvettern in anderen Sprachen. Hierbei soll analysiert werden, ob es Gemeinsamkeiten in Bezug auf die ursprüngliche Bedeutung gibt. Ich werde darstellen, dass sich der Arbeitsbegriff und die Arbeitsauffassung im Laufe der Zeit einem stetigen Wandel unterzog und keine klare Definition vorherrschte, sondern es sich hierbei vielmehr um ein kulturelles Konstrukt handelt. Der anschließende geschichtliche Teil dient der Relativierung der Erwerbsarbeit und der Vollbeschäftigung in Normalarbeitsverhältnissen als eine historische Sonderform im Laufe der Menschheitsgeschichte. Viele Krisen werden erst dadurch ins rechte Licht gerückt, wenn man sie in ihren geschichtlichen Kontext einbettet und somit auch neue Handlungsalternativen schafft bzw. mögliche Fehler vermeidet. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie es zu der (un-)bedingten Verknüpfung von Arbeit und Geldeinkommen und damit zusammenhängend der Kopplung zur sozialen Sicherung kam, die ihre Hochzeit in der Vollbeschäftigungsgesellschaft der Nachkriegszeit hatte. Die Analyse der anschließenden Krise der Arbeitsgesellschaft listet zunächst die Irrtümer einiger Sozialwissenschaftler bezüglich der gegenwärtigen Situation auf, widerlegt diese empirisch und wendet sich danach den eigentlichen Ursachen für die Krise zu und macht eine Bestandaufnahme mit dem Fokus auf atypischen Beschäftigungsverhältnissen und dem Anstieg der Massenarbeitslosigkeit. Auch soll dargestellt werden, in wie weit die Politik aufgrund der falschen Annahme über die Funktionsweise des Arbeitsmarktes, die Situation verschärft hat. Ziel der Arbeit letzten Endes soll es sein darzustellen, dass ein Rückweg zur Vollbeschäftigung weder realistisch noch unbedingt wünschenswert ist und in diesem Zusammenhang ein Umdenken zwingend erforderlich ist. Die möglichen Auswege aus der Krise werden im Schlussteil dargestellt, empirisch untersucht inwieweit sie in der Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen und auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft. Es soll festgestellt werden, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, damit der Weg in eine veränderte Arbeitsgesellschaft gewährleistet werden kann.

Wenn man sich mit einem so umfangreichen Thema wie der „Krise der Arbeitsgesellschaft“ beschäftigt, läuft man in Gefahr sich in einzelnen Teilgebieten zu verrennen. Mir ist durchaus bewusst, dass man alleine schon über das Thema des „bedingungslosen Grundeinkommens“ eine ganze Bachelorarbeit schreiben könnte, dennoch war es mir wichtig, die Problematik in ihrer Gänze zu zeigen, und die verschiedenen Teilaspekte (normativer und deskriptiver Ansatz) zu vernetzen, da meines Erachtens nach die Analyse der gegenwärtigen Problematik sonst unzureichend wäre. In diesem Sinne hat die Arbeit aufgrund des literarischen Rahmes nicht unbedingt den Anspruch der Vollständigkeit, dennoch soll ihre Stärke in der Verknüpfung von Altem mit Neuem liegen und ich hoffe für den Leser eine in sich stimmige Analyse und daraus entwickelte Zukunftsperspektive geschaffen zu haben.

2. Wort - und Begriffsgeschichtliches

„Arbeit, f. labor, ein uraltes, viel merkwürdige seiten darbietendes wort“ (Grimm 1854: 538)

An Quellen über die Bedeutung von Arbeit in den jeweiligen geschichtlichen Epochen mangelt es nicht. So finden wir gerade zur Arbeitsauffassung und zum Klassenkonflikt im Industriezeitalter zahlreiche wissenschaftliche, aber auch literarische Schriften. Wenige Begriffe umfassen für die Gesellschaft solch relevante und vielschichtige Sachverhalte, wie dieses Wort, aber auch seine Exklusionsfunktion, d.h. darüber, was eben nicht als Arbeit aufgefasst wird, war im Laufe der Geschichte einem permanenten Wandel unterworfen und variiert sowohl sprachlich als auch kulturell. Freilich stellt es sich daher als etwas schwierig heraus, eine passable Definition zu finden, die unserem heutigen Verständnis von Arbeit entspricht und generelle Gültigkeit besitzt, da Arbeit bis aufs Engste mit anderen Tätigkeiten und Lebensäußerungen (Berufsarbeit, Hausarbeit, Gartenarbeit) verknüpft ist. Daher ist eine isolierte Betrachtung des Begriffes schwer möglich, was mich zu der Annahme bringt, dass es sich bei dem Begriff um ein im höchsten Maße gesellschaftliches und kulturelles Konstrukt, ein „kollektives Produkt von ‚Wille und Vorstellung’“ (Engler 2005: 24), handelt. Dies ist insofern interessant, als man davon spricht, dass der Gesellschaft die Arbeit ausgeht. Fragt sich nur welche? Lobpreisungen der Arbeit (im Regelfall wird von Erwerbsarbeit gesprochen) und Publikationen über die Arbeit findet man gerade dann besonders zahlreich, wenn sie gerade eben nicht im ausreichenden Maße vorhanden ist.

Wenn man von der Entwicklung der Arbeit zum gesellschaftlichen Wert sui generis spricht, ist es in diesem Kontext zunächst sehr interessant, den Begriff als solches näher in seinen geschichtlichen Kontext einzubetten und auf seinen etymologischen Ursprung hin zu untersuchen.

Der etymologische Ursprung von „Arbeit“ ist nicht ganz sicher festzumachen. Schlägt man in Lexers Mittelhochdeutschem Taschenwörterbuch nach, findet man unter „Arbeit“ die Definition: „Arbeit, das durch arbeit zustande gebrachte, erworbene; mühe; mühsal, not die man leidet oder freiwillig übernimmt; kampfesnot; strafe; kindesnöte“ (Lexer 1992: 7)

Manche meinen der Begriff geht einerseits auf das Wort „ arba “ (zu deutsch Knecht) (Riedel 1973: 125) zurück, andererseits verweisen neue etymologische Wörterbücher auf das untergegangene gemeingermanische Wort „ arb ē ji ð iz “ „Mühsal“ in Verbindung mit der indogermanischen Wurzel „ orbh “ - für „verwaist“, „Waise“, zurück, welches übersetzt dann bedeutet „ein verwaistes und daher aus Not zu harter Arbeit gezwungenes Kind.“ (Bierwisch 2003: 9) Aus dieser Kombination entstand das germanische „ ar_ejidiz/ arbejidiz “ und daraus wiederum das althochdeutsche Wort „ arbeit “ (vgl. ebd.).

Wie man sieht, besitzt das Wort eine sehr negative Konnotation als Ursprung, was man auch anhand der kreierten Gegensätze erkennt z.B. Arbeit und Ruhe, Arbeit und Freizeit oder dem Grundsatz: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Im Brockhaus wird Arbeit zum Beispiel aber dann als „das bewußte, zielgerichtete Handeln des Menschen zum Zweck der Existenzsicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen; zugleich wesentliches Moment der Daseinserfüllung." definiert (Brockhaus Lexikon 1988).

Doch nicht nur das deutsche Wort „Arbeit“, sondern auch seine Namensvetter in anderen Sprachen weisen dieses Merkmal auf. So finden wir im Französischen das Wort „travail“ bzw. im Spanischen das Wort „trabajo“, welches vom Mittellateinischen „tripalis“ kommt, und einen Dreipfahl, ein Folterwerkzeug bezeichnet. Selbst noch im 12. Jahrhundert war das dazugehörige Verb „travailler“ die Bezeichnung für „martern, quälen“ (interessant ist hierzu auch der deutsche, wenn auch veraltete Begriff „sich schinden“ als Bezeichnung für „arbeiten, schuften“, was urspr. eine bis ins Mittelalter praktizierte Hinrichtungsmethode darstellte)2. Das lateinische Wort „labor“, mit dem englischen Vetter „labour“ ist ebenfalls auf eine schwere mit Mühe, Anstrengung und Beschwerden verbundene körperliche Arbeit beschränkt (vgl. ebd.).

Vergleichen wir die einzelnen Kulturen miteinander, lässt sich festhalten, dass es zunächst sehr unterschiedliche Auffassungen davon gibt, was Arbeit eigentlich genau umfasst.

So lässt sich bei den Yir-Yoront, einem einheimischen Stamm in Australien feststellen, dass sie für „Arbeit und Spiel“ dasselbe Wort benutzen und bei den Dogon in Mali bedeutet es sowohl „Ackerbau“ als auch „Tanz“ (vgl. Kocka 2010: 2). Die Griechen in der Antike hielten nichts davon, die Handarbeit des Sklaven auf dem Felde, untergeordnete Arbeit de Frauen, literarische Produktion des Schriftstellers oder Tätigkeit des Schriftstellers mit demselben Begriff „Arbeit“ zu bezeichnen, ganz zu schweigen von der Tätigkeit als Politiker, die gemeinhin noch nicht einmal unter jene Kategorie fiel (siehe Kapitel 3.1).

Zweifelsohne gibt es einige Varianten, in der die Bedeutung von Arbeit nicht zwingend eine negative Komponente besitzt, wie beispielsweise in der klassischen Physik, wo Arbeit das Produkt aus Zeit und Leistung ist. Dies sei aber nur am Rande erwähnt. Die negative Konnotation ist für unsere Analyse von größerer Bedeutung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass, wenn man überhaupt von einer gemeinsamen Definition der Arbeitsbegriffes heute sprechen kann, sich dieser erst sehr spät entwickelt hat. Ich denke, Karl Marxs Arbeitsbeschreibung kommt hier einer universellen Definition noch am nächsten: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tätigkeit vermittelt regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber.“ (Marx 1972: 192)

3. Arbeit in verschiedenen Epochen und Kulturen

Bei meiner historischen Rekonstruktion des Arbeitsbegriffes werde ich mich an die klassische Epocheneinteilung Antike, Mittelalter und Neuzeit halten, ohne dass diese einer klar umgliederten Trennung folgt in Bezug auf die ökonomische Situation. Zwar wird sich schon ein erheblicher Unterschied in der Arbeitsauffassung der einzelnen Epochen feststellen lassen, da Wandel aber ein stetig andauernder Prozess ist und die Auffassung von Arbeit im hohen Maße kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen unterliegt, sind die Übergänge zu den einzelnen Epochen fließend.

3.1 Arbeitsverständnis in der Antike

„Freilich verbargen die Götter den sterblichen Menschen die Nahrung.

Leicht ja könntest du sonst so viel dir erringen in Tagfrist.

Dass für ein Jahr du reichtest, in völliger Muße genießend“ (Hesiod 1996: 25)

Wie wir bereits erwähnt haben, besaßen die Griechen keinen allgemein gültigen Begriff, der unserem Arbeitsbegriff entsprechen würde (Nippel, Wilfried 2000: 55). Hingegen gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Beschreibungen von Tätigkeiten wie dem Wort "ergon", der eine eigenverantwortliche Tätigkeit im weitesten Sinne benannte, wie beispielsweise in der Landwirtschaft, und dem Wort "ponos", der Sklavenarbeit, also schwere körperliche oder auch abhängige Arbeit bezeichnete3. Gemeinsam hatten sie jedoch, dass ihre Auffassung stark durch den Glauben geprägt war, dass sie eine Strafe des Göttervaters Zeus darstellten (siehe Zitat oben)4, da der Zwang zur Selbstversorgung als Last empfunden wurde5. Insofern konnten die Griechen der arbeitenden Tätigkeit nicht viel Positives abgewinnen und in den, wenn auch sehr raren Beschreibungen über Arbeit, wie z.B. in Hesiods „Werke und Tage“, Xenophons „Oikonomicos“ oder Catos „De agri cultura“ wird es immer in Negierung zur Muße6 definiert, in Form von Nicht-Muße (otium vs. negotium). Wichtig anzumerken ist jedoch, dass diese Schriften im Regelfall von Leuten verfasst wurden, die der Oberschicht angehörten (als ein geringer Teil der Bevölkerung, der lesen und schreiben konnte), die teilweise auch nur für Angehörige ihrer Schicht geschrieben wurden (vgl. Meier 2003: 25). Dies erklärt den Umstand, dass man bei der Analyse der Quellen auf eine sehr stark vereinseitigte, d.h. negative Arbeitsauffassung stößt. Dieses Phänomen wird uns in umgekehrter Form nochmals im Kapitel über die Zeit der Aufklärung begegnen.

Es lässt sich feststellen, dass die Griechen daher weit davon entfernt waren, ihre Gesellschaft als eine Art „Arbeitsgesellschaft“ anzusehen. Auch die wertschaffende Komponente, die eine Volkswirtschaft beinhalten kann, war ihnen nicht präsent; ihnen war zwar durchaus bewusst, dass ihre Polis eine Reihe von Fachkräften benötigte, um ihre Infrastruktur zu erhalten, diese aber effizienter zu strukturieren, d.h. ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen, lag ihnen fern. Der Begriff der Ökonomie („oikos“) bezog sich lediglich auf die Hauswirtschaft, in diesem Sinne galt Arbeit eher als reine Privatangelegenheit (vgl. ebd. und Aristoteles 2006: 49ff.)

Michael S. Aßländer unterscheidet in seiner Habilitationsschrift „Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung“ drei fundamentale Annahmen über Arbeit, die die Auffassung stark beeinflussten:

1. Arbeit ist eines freien Mannes unwürdig
2. Die verschiedenen Tätigkeiten unterliegen einer klaren Hierarchie
3. Unwürdige Arbeit schafft einen unwürdigen Menschen (vgl. Aßländer 2005: 31)

3.1.1 Der freie Bürger in der Antike

Das Idealbild des Menschen in der Antike, sowohl in Griechenland, als auch im alten Rom, war das des freien Bürgers. Jeder Mensch sollte demnach in der Lage sein, auf Basis seiner Einkünfte würdevoll zu leben, ohne dabei jedoch auf Arbeit angewiesen sein zu müssen.7 Das höchste Ziel des „unabhängigen und freien Mannes“ (Aßländer 2005: 33) war es so zu leben, dass man Zeit (zur Muße) hatte, um sich um die Belange der Polis, d.h. um öffentliche politische Angelegenheiten (als Politiker, Offizier, Redner oder Rechtsberater), zu kümmern, die gemeinhin nicht unter die Kategorie „Arbeit“ fielen.8 Seinen Status als Bürger in der Polis zu behaupten geschah nicht über seine Erwerbsarbeit bzw. sein Erwerbseinkommen, ja, er stand teilweise im Widerspruch dazu.9 Das gleiche Spiel findet sich auch bei den römischen Bürgern, so wurden diese per Gesetz von der Bewerbung um ein höheres Amt oder vom Kriegsdienst ausgeschlossen, sofern sie Handwerker oder Gewerbetreibende waren (vgl. Nippel 2000: 57).

Das Paradoxe ist, dass es nicht per se die Arbeit war, die den Menschen entwürdigte10, sondern die Frage danach, wofür man arbeitete. Diente sie ausschließlich dem Erwerb und dem Lebensunterhalt, wurde sie moralisch minderwertig eingestuft, da es nicht dem Idealbild des von materiellen Nöten und ökonomischen Zwängen freien Bürgers entsprach (vgl. auch Dahrendorf 1993:31). Wurde sie hingegen ausgeübt, um sich körperlich zu ertüchtigen, seine handwerklichen Fähigkeiten zu verbessern oder um generell eine sinnvolle Arbeit im Haushalt (dem oikos) zu verrichten, galt sie als durchaus nützlich11.

Fakt war zwar, dass man in einer stark durch Subsistenz- und Agrarwirtschaft geprägten Gesellschaft nicht um eine Tätigkeit zum Zwecke der Existenzsicherung darum herum kam. Lebensinhalt oder -ideal der antiken Bevölkerung war es aber sicherlich nicht (vgl. Bonß/Ludwig-Mayerhofer 2000: 111).

3.1.2 Moralische Hierarchie der Arbeit

Interessant an der griechischen Vorstellung von Arbeit ist ihre Hierarchie stiftende Komponente. Wie wir vorhin erwähnt haben, galt Arbeit prinzipiell als schlecht, da mit ihr im Wesentlichen auch die Sklavenarbeit und die durch den Menschen auferlegte Arbeit des Tieres assoziiert wurde (vgl. Nippel 2000: 61). Dennoch gab es eine klare Unterteilung moralisch besserer und schlechterer Berufe. Für die Gruppe der „nicht-arbeitenden“ Bevölkerung in der herrschenden Oberschicht lag ein meilenweiter Unterschied zwischen ihrer politischen Tätigkeit in der Polis und der Arbeit des Bauern, des Handwerkers oder des Händlers, kurz der Gruppe der arbeitenden Bevölkerung im Allgemeinen. Ihre eigene Tätigkeit überhaupt als Arbeit aufzufassen, lag ihnen fern. Es wurde also eine klare Trennung zwischen „Kopf- und Handarbeit“ gemacht.

Diese traditionell enge Verknüpfung von gesellschaftlicher Stellung an die Arbeit verwehrte den Griechen lange Zeit den Blick für mögliche Veränderungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, und somit auch eines Fortschrittsgedankens zur Verbesserung der eigenen Situation (vgl. Meier 2003: 20f.).

Bei der Auffassung über die Gruppe der arbeitenden Bevölkerung stand die landwirtschaftliche Tätigkeit moralisch gesehen an erster Stelle, weil sie dem Ideal des freien und unabhängigen Bürgers am Nächsten kam. Der einzelne Landwirt sei demnach als einzige arbeitende Bevölkerungsgruppe in der Lage, sich selbst, unabhängig von der Weisung anderer, zu versorgen und fördere darüber hinaus seine körperliche Ertüchtigung für den militärischen Dienst, sowie seinen Nationalgeist, da ein Besitzender eher bereit wäre sein Land zu verteidigen als ein Besitzloser (vgl. ebd. 43 und Aßländer 2005: 39).

In der hierarchischen Abstufung direkt darunter befand sich das Handwerk12 und auf der untersten Stufe der Handel, der als minderwertig und weniger tugendhaft erachtet wurde, aufgrund seiner bloßen Gewinnorientierung. Diese lief nämlich der griechischen Vorstellung von Gerechtigkeit zuwider, da ihrer Auffassung nach jede Ware und jede Dienstleistung einem entsprechenden Äquivalent, in diesem Sinne einem gerechten Lohn bzw. Auskommen gegenüber stehen musste. Der Händler hingegen lebe davon, seine Ware zu einem teureren Preis wieder zu verkaufen, als er es eingekauft hatte, wobei diese Handlung der Auffassung nach im eigentlichen Sinne noch nicht einmal einer Arbeit entsprechen würde. Dies erklärt, warum die Händler und Krämer auf derselben Stufe der moralische Leiter eingestuft wurden, wie die Geldverleiher und Zöllner (die von den Zinsen und Zöllen lebten).

Generell lässt sich festhalten, dass jegliche Form der Vermehrung des Reichtums (sofern es nicht der Raubzug auf See oder von der See aus war), welche aus niederem Gewerbe entstammte, offenkundig verpönt war; Geld war zum Ausgeben da und zum Dienst am Volke gedacht . Derjenige, der sich durch Mühe und Arbeit zu materiellem Wohlstand verholfen hatte (in Form des heutigen amerikanischen Traumes vom Tellerwäscher zum Millionär), galt in der Antike nicht viel (Aßländer 2005: 87ff.). Vielmehr war jede Form der Arbeit eng mit demjenigen verwoben, der sie ausführte und formte darüber hinaus, der Auffassung nach, auch entscheidend den Charakter der Person, was uns zum dritten Punkt führt.

3.1.3 Unwürdige Arbeit Unwürdiger Mensch

Die Menschen in der Antike waren der Auffassung, dass eine minderwertige Tätigkeit zugleich auch den Charakter desjenigen, der sie ausführt, verdirbt. Diese Auffassung prägte nicht nur das tägliche soziale Miteinander, sondern hatte darüber hinaus auch rechtliche Folgen. Mit dem Verweis auf Aristoteles lesen wir bei Engler: „Die Unterordnung des Lebens unter den Naturzwang, unter das Kreatürliche, entehrt für ihn den Menschen im Bürger und daher letztlich den Bürger selbst. Ein ‚im Handwerk oder Tagelöhnerdienst verbrachtes Leben kann die der Tugenden zugehörenden Eigenschaften nicht herbeiführen.“ (Engler 2005: 29). Man fühlte sich darüber hinaus im Staate im hohen Maße dem moralischen Wohlergehen des Volkes verpflichtet, welches zu erhalten galt, wenn nötig auch mit Verboten und Gesetzen:

„Scheint er (der freie Bürger) nun den Herd seiner Väter durch dessen unwürdige Berufsart zu verunehren, dann nötige ihm eine einjährige Haft, sich dessen zu enthalten; geschieht es wieder, eine zweijährige, und bei jeder weiteren Verurteilung werde stets die frühere Zeit der Verhaftung verdoppelt (…) Wer die Krämerei betreiben will, muss ein Fremder oder Schutzgenosse sein“ (Platon zitiert nach Aßländer 2005: 44)

3.1.4 Lohnarbeit in der Antike

In Bezug auf die, wenn auch nicht sehr stark ausgeprägte Lohnarbeit lässt sich sagen, dass sie in von ihrer moralischen Stellung her in etwa auf dem Niveau der Sklavenarbeit einzustufen war und weitestgehend gleichgesetzt wurde (vgl. Nippel 2000: 61 und Engler 2005: 27), da man bei beiden Arbeiten von dem „Zur- Verfügung-Stellen“ der eigenen Person leben musste, also immer in Abhängigkeit anderer Lohnarbeit existierte in der Antike bis dato in der Form von saisonalen Gelegenheitsarbeiten, d.h. „sie verdingen sich als Ruderer und Seeleute auf Handels- und Kriegsschiffen; sie arbeiten in öffentlichen Bauten; sie werden als selbstständige oder unselbstständige Handwerker (…) tätig“ (Pekáry 1976: 22)

Laut Aßländer lag die allgemein geringe Perzeption der Lohnarbeit in ihrer Nicht- Greifbarkeit als Berufsform, da hierfür zwei wesentliche Abstraktionsvorgänge von Nöten waren

1. „Arbeit“ musste in der Lohnarbeit unabhängig von Person und Produkt gedacht werden, da sonst Subsistenzwirtschaft oder gezwungene Arbeit in Form von Sklavenarbeit die Regel war. In ihrem für den eigenen Bedarf nicht herstellenden Charakter, sondern lediglich in der Form des Lohns empfangenden Charakters unterschied sie sich deutlich von anderen Tätigkeiten.
2. Die zweite Voraussetzung lag darin, dass die geleistete Arbeit auch messbar gemacht werden musste. Hierfür galt die Zeit als Messgrundlage in Form von „Arbeitstagen“, wobei auf die genaue Dauer bzw. Beginn und Ende der Arbeit nicht genau geachtet wurde.

3.2 Arbeitsverständnis im Mittelalter

3.2.1 Arbeitsauffassung in der Bibel

“Wir haben euch (…) diesen Grundsatz eingeschärft: wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir haben nämlich gehört, dass einige unter euch einen faulen Lebenswandel führen, nichts arbeiten, sondern sich unnütz machen. Denen, die es angeht, gebieten und befehlen wir im Herrn Jesus Christus, dass sie in Ruhe ihre Arbeit tun und ihr eigen Brot essen.” Apostel Paulus in seinem zweiten Thessalonicherbrief (2. Thess. 3, 10-12)

Im Mittelalter entdecken wir einen Umbruch in Bezug auf die Arbeitsauffassung. Arbeit wird zwar immer noch als „notwendiges Übel und Last“ empfunden, durch die Verbreitung der Lehren aus der Bibel bzw. des jüdisch-christlichen Glaubens, bekommt das vermeintlich göttliche Schicksal nun aber einen ganz neuen Klang13. Wie wir in der Bibel lesen können, ist es Gott, der das erste Gebot der Arbeit aufstellt: „Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun“ (Ex. 20, 9). Die Beschreibung und die Pflicht zur Arbeit im Paradies enthält hier aber noch eine durch und durch positive Konnotation14, doch mit der Vertreibung aus dem Paradies, wird die Arbeit zum göttlichen Fluch, als gerechte Strafe für den Sündenfall (vgl. Gurjewitsch 1997: 35) Der neue Aspekt ist aber die universelle Komponente der Erbsünde, da nun prinzipiell alle zur Arbeit verdammt sind. Das „Frei-Sein von Arbeit“, welches noch in der griechisch-römischen Antike vorherrschte und gepriesen wurde, wird nun im Mittelalter umgekehrt, zum einen aufgrund des kollektiven Zwanges zur Arbeit, aber auch zum anderen, weil die Arbeit zunehmend einen normativen Charakter enthält, als „Arbeit für Gott“. Dies ist, in seiner stärksten Ausprägung zur Zeit der Reformation, in der Martin Luther die Arbeit als „Berufung Gottes zur tätigen Nächstenliebe“15 postuliert, vorzufinden und beruft sich damit auf die Bibel: „Jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde.“ (1 Kor 7,20). Damit ist jeder äußerliche Beruf geprägt von einer inneren Berufung durch Gott, die es als gläubiger Christ zu erfüllen gilt, ganz gleich welchem Stande man zugehört (hierzu mehr im Kapitel über die Neuzeit).

War Müßiggang in der Antike noch legitim, da sie zumeist eine hohe soziale Stellung implizierte und mögliche Freiräume darstellte für politische Tätigkeiten, gilt sie im Mittelalter als eine der schlimmsten Sünden. Die Abwertung des „Nichts- Tuns“ (in der Auffassung von „Müßiggang ist aller Laster Anfang“) findet hier ihren Ursprung, dessen widergespiegeltes Arbeitsethos prägend sein wird für die folgenden Jahrhunderte16. Hier werden die antiken Tugenden zunehmend ins Gegenteil verkehrt: „Nicht Müßiggang und das Leben auf Kosten der anderen steht im Mittelpunkt der christlichen Arbeitsmoral, sondern Fleiß und Sorge um den eigenen Lebensunterhalt.“ (Aßländer 2005: 97) Aber auch die antike Auffassung, dass unwürdige Arbeit einen unwürdigen Menschen schafft, transformiert sich laut Luther:

"Gute, fromme Werke machen nimmermehr einen guten, frommen Mann, sondern ein guter, frommer Mann macht gute, fromme Werke"; "Böse Werke machen nimmermehr einen bösen Mann, sondern ein böser Mann macht böse Werke" (Luther 1996: 170)

Eine wesentlich vorantreibende Kraft dieses Wandels stellt zudem die klösterliche Gemeinschaft, als geistliches Vorbild der Gesellschaft dar17, deren leitenden Arbeitsethos wir auch heute noch in dem Leitspruch der Benediktiner Mönche „Ora et labora (Bete und arbeite)“ vorfinden. (vgl. Bonß/ Ludwig-Mayerhofer 2000: 111) Auch die ständische Ordnung des Mittelalters basiert auf der Interpretation der Bibel, als Abbild der himmlischen Ordnung, wobei es sich nicht um eine wie vorher hierarchische Einteilung in der aristokratischen Antike handelt, sondern um eine rein funktionale, in der jeder Stand gewisse Aufgaben und Pflichten im Sinne des Allgemeinwohls zu erfüllen hat (vgl. Oexle 2000: 72), wodurch die Arbeit erstmalig einen gesellschaftlich notwendigen Charakter erhält. Demnach ist die Gesellschaft aufgeteilt in Klerus (oratores), Ritter (bellatores) und Bauern (laboratores bzw. aratores), wobei die letztgenannte Gruppe zu Beginn des Mittelalters den größten (ca. 90%), wenn auch schrumpfenden Anteil der Bevölkerung ausmachte. (vgl. Le Goff 1987: 43).

3.2.2 Reichtümer und Zinsgeschäfte

Die Anhäufung von Reichtümern, d.h. die bloße Erzielung eines monetären Gewinnes (speziell der Händler), wie wir sie aus der Antike kennen, ist zwar weiterhin verpönt und wird verurteilt, ist nun aber insofern legitim, als damit ein gutes Ziel verfolgt wird, wie z.B. für den eigenen Unterhalt: „Wenn ein Handelsgeschäft auf Gewinn zielt, ist dagegen nichts einzuwenden, solange der Gewinn auf ein notwendiges und sittlich gutes Ziel hingeordnet ist. Es ist erlaubt, für den Unterhalt des eigenen Hauses Handel zu treiben, auch für die Unterstützung von Bedürftigen oder um des öffentlichen Wohls willen“ (Aquin, Thomas von 1985 Bd. 3, 315)

Dennoch wird Geld weiterhin in erster Linie als Tauschmittel (als Mittler zwischen dem Naturaltausch) betrachtet und besitzt keinerlei Eigenwert. Diese Ablehnung zeigt sich in ihrer stärksten Form gegenüber dem reinen Geldgeschäft, dem Zinsgeschäft: „Du darfst von deinem Volksgenossen kein Zins nehmen, weder Zins für Geld noch Zins für Nahrungsmittel, noch Zins für irgendetwas, das man auf Zins leihen kann“ (Deut. 23,20). Die normative Erwartungshaltung zu der Zeit, insbesondere der Kirche, und die Realität klaffen aber weit auseinander18, was hier aber nicht weiter ausgeführt werden soll.

3.2.3 Die kommerzielle Revolution

Die so genannte „kommerzielle Revolution“, die sich zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert ereignete, führt zu tiefgreifenden ökonomischen Veränderungen, wobei sich laut Gurjewitsch nur schwer ausmachen lässt, welches nun genau Ursache bzw. Wirkung dieses Prozesses ist.

Die Völkerwanderung findet ihren Abschluss und damit einhergehend auch die kriegerischen Auseinandersetzungen, welche nun Platz machen für einen friedlichen Handel und Warentausch. Insbesondere die Handelswege zu Wasser und zu Land werden sicherer. Des Weiteren kommt es aufgrund der sinkenden Sterberate und der Verbesserung der Ernährungslage zu einem rasanten Bevölkerungsanstieg, was für die Wirtschaft gleichzeitig mehr Arbeitskräfte, aber auch mehr Konsumenten bedeutet. Zudem schreitet die Urbanisierung weiter voran, immer mehr Menschen ziehen zwecks Arbeit in die Städte. Die damit einhergehende Berufsvielfalt führt zu einem schleichenden Erosionsprozess des von der Kirche propagierten Bildes der 3- Stände-Gesellschaft, das nun nicht mehr in der Lage ist die gesellschaftliche Ordnung adäquat abzubilden (Vgl. Gurjewitsch, Aaron J. 1997: 12 f.)

Gegen Ende des Mittelalters wandelt sich auch die Sicht auf die Handwerker, Händler und Kaufleute zum Positiven:

„Es herrscht zwar immer noch eine zweideutige Wertschätzung vor, denn Arbeit wird vor allem verherrlicht, um die Erträge und den Gehorsam der Arbeiter zu steigern. Doch zweifelsohne ist die Wertschätzung auch schon das Ergebnis der Tatsache, daß Arbeiter auf die mittelalterliche Ideologie und Mentalität einen starken Einfluss haben.“ (Le Goff 1987: 74)

3.2.4 Arbeit in Utopien - ein kritischer Gegenentwurf

Wie bereits im Kapitel über die Antike angedeutet, gibt es wenig Quellen darüber, wie Arbeit von der Bevölkerung, die sie letzten Endes ausführte, erfahren wurde, da die meisten Verfasser, die sie eher in Form eines normativen Appells schrieben (Nippel, Wilfried 2000: 54), vornehmlich aus der Oberschicht kamen.

Hilfreich dennoch für die Untersuchung darüber, möge hierbei das Heranziehen von indirekten Quellen, d.h. literarischen Gesellschaftsutopien sein, da sie sich als eine Art Antagonismus zu der gegenwärtig bestehenden gesellschaftlichen Ordnung beschreiben lassen; also eine Art positiver Gegenentwurf, in dem indirekt die bestehenden sozialen, politischen sowie ökonomischen Verhältnisse kritisiert werden.

Utopien finden sich schon in der Renaissance, wie das Werk „Utopia“ von Thomas Morus aus dem Jahre 1516, welches als Namensgeber dieser literarischen Gattung fungierte und auch die Grundlage aller späteren Utopien bildete. Morus entwirft in seinem Werk ein Bild einer auf „Toleranz“ und „sozialer Gerechtigkeit“ basierenden Gesellschaft, in der das Privateigentum aufgehoben ist und allen zu Gute kommt. (Morus, Thomas 2005: Zeile 221)

Auf der Insel „Utopia“ herrscht zwar eine allgemeine, vom Staate auferlegte Arbeitspflicht für Männer und Frauen, jedoch ist die auf lediglich sechs Stunden pro Tag beschränkt:

„Die Behörden beschäftigen die Bürger nicht gegen ihren Willen mit überflüssiger Arbeit, da die Wirtschaftsverfassung dieses Staates vielmehr in erster Linie das eine Ziel vor Augen hat, soweit es die notwendigen Ansprüche des Staates erlauben, für alle Bürger möglichst viel Zeit frei zu machen von der Knechtschaft des Leibes für die freie Pflege geistiger Bedürfnisse. Denn darin, glauben sie, liege das wahre Glück des Lebens.“ (Morus, Thomas 2005: Zeile 225)

Auch wenn man Morus Utopie als nicht ganz widerspruchsfrei einstufen muss, (sein entworfener Staatsapparat schon eher einem totalitären Staat mit harter Disziplin und Kontrolle gleicht) haben sie und andere ihm folgenden literarischen Utopien wie Thommaso Campanellas „Sonnenstaat“ (1602), Johann Valentin Andreaes „Christianopolis“ (1619) oder Francis Bacons „Neu-Atlantis“ (1624) gemein, dass sie alle ein Bild einer Gesellschaft entwerfen, in dem die allgemeine Arbeitszeit, das gemeinsame „Arbeitsleid“, durch technischen Fortschritt bzw. Arbeitsteilung verkürzt wird. Hier lassen sich schon vereinzelt Gedanken zum bedingungslosen Grundeinkommen finden, auf das wir aber an späterer Stelle noch zu sprechen kommen werden.

3.2.5 Arbeit gegen Armut

Auch das Bild der Armut ändert sich. Zu Beginn des Mittelalters wurde Bettlern noch ein gewisses Maß an Respekt entgegengebracht, da man der Meinung war, dass Arm und Reich aufeinander „angewiesen“ seien, der Arme auf die Almosen des Reichen, und der Reiche, der von seinem Überschuss Almosen abgibt, auf den Armen, um eine gute Tat im Sinne Gottes und der „christlichen Nächstenliebe“ zu erfüllen19 (vgl. Butterwegge 2006: 38) . Gegen Ende des Mittelalters wird Arbeit zunehmend als Mittel gegen Armut begriffen (vgl. Vobruba 2007: 49f.). Mit der Aufwertung der individuellen Arbeit kommt es im Gegenzug zu einer stetigen Abwertung der „Nicht-Arbeit“, d.h. der Armut, die sogar so weit geht, dass Almosengeben verboten wird, sofern man davon ausgehen konnte, dass der Bettler in der Lage war zu arbeiten (Vgl. Oexle 2000: 77-78). Hier entsteht zum ersten Mal eine klare Unterscheidung zwischen den Arbeitswilligen, den Nicht-Arbeitsfähigen und den armen Arbeitsunwilligen. Durch die „Einführung von Zucht- und Arbeitshäusern“ und „staatlichen Bettelverboten“ (Bonß/Ludwig-Mayerhofer 2000: 112) versucht man letztgenannter Gruppe die „Pflicht zur Arbeit“ anzuerziehen, um ihn zu einem „wertvollen, d.h. arbeitenden Mitglied der Gesellschaft“ (vgl. Aßländer 2005: 179) zu machen.

3.3 Arbeitsverständnis in der Neuzeit

Zu Beginn der Neuzeit kommt es zu einer herausragenden Aufwertung der Arbeit, einer „Glorifizierung der Arbeit“ (Arendt, Hannah 1987: 78), wie Hannah Arendt es in ihrem Werk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ beschreibt. Die ständische Gesellschaft bildet nicht mehr länger die gesellschaftliche Ordnung ab, sondern das individuelle Können und die eigene Leistung wird prägend dafür, welche Rolle man im sozialen Gefüge einnimmt20 und führt zu einer gesteigerten sozialen Mobilität zwischen der Klassen (vgl. Bonß/Ludwig-Mayerhofer 2000: 113). Die eigene Arbeitskraft und die Wahrnehmung individueller Chancen wird „Ausweis des sozialen Erfolgs“ und trägt zu einer gesteigerten Selbstwahrnehmung der Individuen als Bürger mit gleichen Bürgerrechten (siehe auch Kapitel 3.3.1) bei. Die nun sich entwickelnde „Bürgergesellschaft“ dient zunächst als kritischer Gegenentwurf zur bisherigen Adels bzw. Feudalgesellschaft, deren Privilegien auf Abstammung, Stand oder Beziehungen fußten, wird aber immer mehr zur einzig ordnungsstiftenden Gesellschaftsform. Gemäß der Idee des „All men are created equal“21 werden zahlreiche Schriften verfasst, die sich aus philosophischer Sicht dem Thema „Gesellschaft“, als ein Konglomerat gleichwertiger Individuen widmen und dem Menschen, der als „homo oeconomicus“ der Neuzeit, als Wirtschaftssubjekt, anhand seines ökonomischen Nutzens analysiert wird (vgl. Aßländer 2005: 176), wobei auch hier der Arbeitsbegriff von Nationalökonomen wie Adam Smith und John Locke zunehmend auf bloße monetäre Erwerbsarbeit eingeschränkt ist. Jegliche Formen anderer Arbeiten wie z.B. der Hausarbeit der Frau werden, aufgrund ihres nicht-bezahlten Charakters im philosophischen und ökonomischen Diskurs an den Rand gedrängt (vgl. Bonß/ Ludwig-Mayerhofer 2000: 112).

Ähnlich der normativen Appelle im Kontext der Arbeitsauffassung zur Zeit des Mittelalters, steht aber auch hier die heuristische Arbeitsauffassung der Gelehrten im Widerspruch zur eigentlichen hart arbeitenden Bevölkerung.22

3.3.1 Entwicklung eines „ökonomischen Bewusstseins“

Erst jetzt entwickelt sich eine „Erwerbsmentalität“ (ein „bürgerlicher Berufsethos“), die für unsere heutige „Arbeitsgesellschaft“ so charakteristisch ist (vgl. Arendt 1987: 11); das Streben nach materiellem Erfolg gilt als Aushängeschild der individuellen Tugenden, welches im krassen Gegensatz zum Mittelalter steht: „Man lebt, um zu arbeiten und zu erwerben, und man erwirbt nicht, um davon zu leben. Das Geld wird nicht angehäuft, um sich Gegenstände zu kaufen, sondern es wird angelegt, zu weiterem Erwerb“ (Hansen 1995: 28) und so fängt man an seine eigene Lebensführung in stärkerem Maße seiner Erwerbsarbeit anzupassen.

Interessant ist, dass sich innerhalb kürzester Zeit, eine Erwerbsmentalität entwickelt, deren Denke noch heute in unserer Arbeitsgesellschaft verinnerlicht ist. Denn hier findet jene Form der Erwerbsmentalität ihren Ursprung, die in Max Webers berühmtem Werk „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ beschrieben wird, wobei es Weber weniger darum geht die protestantische Ethik gemäß einer Ursache-Wirkungskette in Bezug auf die kapitalistischen Lebensmaxime zu erklären, als vielmehr den generellen Zusammenhang bzw. die Gemeinsamkeiten beider und ihre Manifestation in der modernen okzidentalen Kultur (vgl. Aßländer 2005: 197). Die Frage, die sich nun also aufdrängt, lautet: Wie kam es zu dieser spezifischen „protestantischen Ethik“ in Bezug auf die Arbeitsmoral? Bei seinen Ausführungen zu protestantischen Ethik bezieht sich Weber u.a. auf Benjamin Franklin:

„Bedenke, dass Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schilling durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat neben dem noch fünf Schilling ausgegeben oder vielmehr weggeworfen.“ und „Bedenke, dass Geld von einer fruchtbaren Natur ist. Geld kann Geld erzeugen und die Sprösslinge können noch mehr erzeugen und so fort. Wer ein Fünf-Schillings-Stück umbringt, mordet alles, was damit hätte produziert werden können: ganze Kolonnen von Pfunden Sterling.“ (Weber 1988: 31)

Hierbei handelt es sich, wie Weber postuliert, auch weniger um ökonomische Ratschläge, wie man sein Geld vermehrt, sondern vielmehr ist es ein „Ethos“ (ebd.33), der sich in den Gedanken Franklins widerspiegelt. Somit wird der Erwerb von Geld und immer mehr Geld zunehmend einem Selbstzweck23 unterworfen und als Pflicht eines jeden Einzelnen verstanden.

Es scheint, als käme es in diesem Zuge auch zu einer immensen Aufwertung jener Tugenden, die in irgendeiner Weise mit der Vermehrung des Geldes verbunden sind. Somit ist ganz utilitaristisch gedacht „die Ehrlichkeit nützlich, weil sie Kredit bringt, die Pünktlichkeit, der Fleiß, die Mäßigkeit ebenso, und deshalb sind sie Tugenden.“ (Weber 1988: 34)

In dem Maße aber wie es durch Luther zu einer Umdeutung des Berufsverständnisses kam, im Sinne einer „Berufung von Gott“24, rückt diese auch ins Zentrum einer „kapitalistischen Denke“. So zitiert Weber auch das Werk „Christian Directory“ des puritanischen Pfarrers Baxter:

„Wenn Gott euch einen Weg zeigt, auf dem ihr ohne Schaden für eure Seele oder für andere in gesetzmäßiger Weise mehr gewinnen könnt, als auf einem anderen Wege und ihr dies zurückweist und den minder gewinnbringenden Weg verfolgt, dann kreuzt Ihr einen der Zwecke Eurer Berufung, Ihr weigert euch, Gottes Verwalter zu sein und seine Gaben anzunehmen, um sie für ihn gebrauchen zu können, wenn er es verlangen sollte. Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl aber für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein.“ (Weber, Max 1988: 176)

3.3.2. Industrialisierung der Arbeitswelt

In der Frühindustrialisierung werden die Grundsteine für die Produktionsweise, wie wir sie in ihrer Höchstform im Fordismus in der Nachkriegszeit kennenlernen werden, gelegt. Arbeit war jahrhundertelang eingebettet in unterschiedliche institutionelle und rechtliche Rahmen, z.B. als Subsistenzwirtschaft auf dem eigenen Hof unter feudalen Strukturen oder als unfreie Sklavenarbeit etc. Infolge der zunehmenden Anforderungen und Spezialisierungen im Berufsleben, kommt es nun zu einer immer stärkeren Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre25, in dem die Familie sich vermehrt zu einem Rückzugsort und Raum der Erholung entwickelt, wobei man erwähnen muss, dass dies weniger auf die unteren bürgerlichen Schichten zutrifft, in denen die Familien immer noch sehr stark auf den Zuverdienst der Frau angewiesen sind.

Aus Gründen der ökonomischen Verdrängung steht dem Anstieg der lohnabhängigen Beschäftigten eine immer kleiner werdende Anzahl an nicht-fabrikmäßiger Arbeit gegenüber und es wird zunehmend schwieriger seinen Lebensunterhalt fernab der Manufakturen und Fabriken zu bestreiten. Gegen die vermehrte Zentralisierung der Arbeitsweise in den Manufakturen und das Voranschreiten maschineller Produktion sind die vielen klassischen Heimgewerbe nicht ausreichend gewappnet, da sie nicht in der Lage sind, ihre Ware zu ähnlich günstigen Konditionen anzubieten (Kocka 1990: 278). Somit wird die Maschinenarbeit in den Fabriken, nicht nur zum Symbol der industriellen Produktionsweise schlechthin, sondern auch zur Verkörperung des bedrohlichen Wandels der Arbeitswelt (Kocka 1990: 279)

Wichtig anzumerken ist jedoch, dass die Lohnarbeit in Fabriken in der Erwerbsbiographie des Einzelnen immer noch eher die Ausnahme bzw. eine vorübergehende Situation (beispielsweise aufgrund wirtschaftlicher Not oder um zwecks Existenzgründung kurzfristig mehr zu verdienen) darstellt. Die Regel bildet immer noch der ländliche Produktionsbereich, was wir im folgenden Kapitel aber noch näher erläutern werden.

Aufgrund dessen und einer Vielzahl von unterschiedlichen Fabrikarbeitsverhält- nissen dauert es daher lange, bis sich eine eigenständige „Fabrikarbeiterklasse“ in Form einer Arbeiterbewegung herausbildet. Im Zuge der Wahrnehmung der Gemeinsamkeit stiftenden „Lohnabhängigkeit“ entstehen viele weitere Prozesse, die später zu einer Klassenidentität führen sollen26, u.a. durch die „zunehmend klassenmäßige Ausprägung sozialer Proteste (Veränderung vom Volksaufstand zum Arbeiterstreik); die Bildung von Gewerkschaften27 und ähnlichen Organisationen, die sich speziell an Lohnarbeiter (der einzelnen Berufe) wendeten und selbstständige Handwerker wie Unternehmer zunehmend ausschlossen, aber auch Veränderungen in der Verkehrs- und Heiratskreisen, in der politischen Sprache und Kultur“ (Kocka 1983)

Zwar hatte es auch vorher schon Proteste gegeben, wie unter anderem die Bauernaufstände, durch die kollektive Identitätsstiftung kann sich der Klassenkonflikt aber nun in seiner äußersten Form entfalten. Die gesteigerte gesellschaftliche und Gemeinschaft stiftende Bedeutung von Arbeit innerhalb der letzten knapp 150 Jahre lässt sich allein aufgrund der Tatsache konkret vor Augen führen, dass die größte Protest- und Emanzipationsbewegung in der Geschichte auf abhängiger Erwerbsarbeit fußte, aber auch beispielsweise die Entstehung des „Dritten Reiches“ ihre Wurzeln u.a. in dem Nicht-Vorhandensein von Arbeit und der damit verbundenen Armut hatte.

Durch die immer größere Zahl abhängiger Erwerbsarbeiter wird die Bedeutung eines festen Lohnes gemäßen an der Zeit und Leistung immer bedeutsamer28 und auch der verbesserte Organisationsgrad erhält sozialpolitischen Stellenwert. So werden

„Arbeitszeitverordnungen und Fabrikordnungen (…) obligatorisch, Kündigungsfristen, Lohnzahlungsmodalitäten, Arbeits- und Pausenzeiten (…) verbindlich geregelt.“ (Aßländer 2005: 216f.) Dies dient auf Seiten des Unternehmers der besseren Kontrolle des Arbeitsprozesses, aber auch um den Arbeiter vor bloßer Willkür in Bezug auf den Lohn und Arbeitszeit29 zu schützen.

Erst jetzt kann, aufgrund der konkreten Differenzierung zwischen der reinen „Arbeitszeit“ und der „Freizeit“, das Fehlen von Arbeit als gesellschaftliches Phänomen, objektiv festbar gemacht werden. Der ursprüngliche Antagonismus „Arbeit vs. Armut“ transformiert sich, begonnen im Mittelalter, mehr und mehr zu „Arbeit vs. Arbeitslosigkeit“, in dem Arbeitslosigkeit (mehr als Armut) „einen Zustand (darstellt), der es dem Menschen verwehrt ganz Mensch zu sein und am Gemeinwohl mitzuwirken“ (Dülmen 2000: 82), und noch viel wichtiger, es somit zum selbstverschuldeten Unglück erklärt. Nun liegt es an dem einzelnen, in Form von Erwerbsarbeit für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Wie ist es möglich, dass sich hier, erst relativ spät in den westlichen Staaten eine Wirtschaftsweise herausgebildet hat, die auch noch heute charakteristisch für unser Wirtschaftssystem ist? In der Antike herrschte ein vergleichsweise niedriger Mechanisierungsgrad, obwohl sie durchaus hohe technische Möglichkeiten besaßen und über einen vergleichsweise hohen mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisstand verfügten.

Hannah Arendt behauptet hierzu, dass in der Ursache-Wirkungskette zwischen ökonomischer Produktionsweise durch fortschreitender Technisierung, die Technik sich nach dem Erwerbsverhalten und verändertem Wissenschaftsverständnis richtet und nicht umgekehrt (vgl. Arendt 1987: 281f.).

[...]


1 vgl. Monatsbericht Juni 2010 der Bundesagentur für Arbeit: „Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland“

2 vgl. Bierwisch 2003: 10

3 in der römischen Sprache das Paar „labor“ und „opus“ (vgl. Offe 1984: 15)

4 dafür, dass Prometheus den Menschen das Feuer brachte, und somit Zeus verriet

5 hierin macht sich laut Arendt der Ursprung der Sklaverei fest: „Da die Menschen der Notdurft des Lebens unterworfen sind, können sie nur frei werden, indem die anderer unterwerfen, und sie mit Gewalt zwingen, die Notdurft des Lebens für sie zu tragen.“ (Arendt 1981: 78)

6 gemeint sind vornehmlich die Politik, Literatur, Kunst und Philosophie 9

7 „Auch das ist schöner, was einem alleine gehört, denn es bleibt eher in gutem Andenken. Weiterhin Besitz, die keinen Gewinn bringt, denn er ist eher Zeichen eines Unabhängigen (…) Weiterhin keinerlei Handwerk zu betreiben; denn es ist Kennzeichen eines unabhängigen Mannes, nicht in Abhängigkeit von anderen zu leben.“ (Aristoteles zitiert nach Aßländer 2005: 55)

8 „So wurde Wohlstand oder Reichtum zur Bedingung der Teilnahme am öffentlichen Leben, aber nicht, weil sein Besitzer damit beschäftigt war, Reichtum anzuhäufen, sondern im Gegenteil, weil man sich halbwegs darauf verlassen konnte, dass des reichen Mannes Lebensunterhalt gesichert war, seine Betätigung nicht beanspruchte und er daher frei war für die öffentlichen Angelegenheiten.“ (Arendt, Hannah 1981: 62)

9 „Dass Lohnarbeit mit dem Status eines freien Bürgers unvereinbar sei, dürfte in der Antike insgesamt auch von der Masse der Bürgerschaft so gesehen worden sein, selbst wenn es vereinzelte Stimmen gab, die gegen die Gleichsetzung von Lohnarbeit mit einer sklavischen Tätigkeit protestierten“ (Nippel 2000: 62 und ebd. 56)

10 zwar liest man schon bei Hesiod: „Emsiges Schaffen sodann mach dich den unsterblichen lieber, wie auch den Menschen zugleich; denn Müßige hassen sie alle. Arbeit schändet dich nicht, wohl schändet dich aber die Faulheit“ (Hesiod 1996 Zeile 309-311), dies richtet sich aber weniger gegen die Adligen, als gegen diejenigen Bedürftigen, die es zwar nötig haben zu arbeiten, es dennoch nicht tun

11 Aristoteles: „Es ist auch ein großer Unterschied, aus welchem Grund man etwas tut oder lernt. Tut man es für sich selbst oder für seine Freunde oder um der Tugend willen, so ist es eines freien Mannes nicht unwürdig; tut man dasselbe aber um anderer willen, so wird man wohl oft wie ein Mensch dastehen, der das Geschäft eines Tagelöhners oder eines Sklaven versieht. (Aristoteles 1995: 284)

12 so schreibt Xenophon über das Handwerk: „Denn sie schädigen die Körper derjenigen, die arbeiten und die Aufsicht führen, indem sie sie zwingen, zu sitzen und sich im Schatten aufzuhalten, zum Teil sogar den ganzen Tag am Feuer zuzubringen. Sind aber die Körper erst verweichlicht werden auch die Seelen viel schwächer. Auch lassen diese sogenannten Handwerkstätigkeiten am wenigsten Muße, sich um Freunde oder um die Stadt zu kümmern. Daher scheinen solche Leute untauglich zu sein, Freunde zu haben und Verteidiger ihrer Vaterstadt zu sein, und es ist in einigen Städten, besonders in denen, die als kriegstüchtig gelten, keinem Bürger erlaubt, Handwerkertätigkeiten auszuüben.“ (Xenophon zitiert nach Meier 2003: 24)

13 so entdecken wir in der Bibel eine nahezu diametrale Auffassung (in Relation zu Antike) der einzelnen Berufsgruppen: „Vornehmlich sind es Angehörige alltäglicher Berufe, die alltägliche Tätigkeiten auf alltäglichen Schauplätzen verrichten, Personen sogar, die - nach antiken Vorstellungen - ihrer Arbeit wegen zu den sozial deklassierten und diffamierten Menschen gehören.“ (Oexle 2000: 69)

14 „…daß Gott den geschaffenen Menschen setzte ins Paradies, daß er dasselbe bearbeiten und hüten sollte (…)daß er nicht müßig gehe und seinen Leib anstrenge und bewahre, sind ihm solche freie Werke zu tun, allein Gott zu gefallen, befohlen.“ (Luther 1996: 177)

15 so finden wir in der Bibel den Spruch: „Nur soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gott einen jeden berufen hat. Und so ordne ich es an in allen Gemeinden.“ (1 Kor 7, 17)

16 „Der Lobredner des Nichtstuns ist der Provokateur par excellence (der MODERNEN Welt). Noch in unserer Zeit, die sich anschickt, das letzte kulturelle Tabu, das letzte Denkverbot zu musealisieren, kann er der öffentlichen Empörung sicher sein. Sich treiben zu lassen und dennoch, gerade darin glücklich zu sein, das ist ein unerlaubtes Glück.“ (Engler 2005: 39)

17: „…daß der Typus höchster christlicher Vollkommenheit, der Mönch, sich der Arbeit hingibt, lässt aus dieser Tätigkeit einen Teil des sozialen und geistigen Prestiges desjenigen fallen, der sie ausübt (…) Der Mönch, der sich durch Arbeit erniedrigt, erhöht sie damit.“ (Le Goff 1987: 67)

18 so wird im Jahre 1179 zwar ein Zinsverbot durch die Kirche erlassen, doch das Zinsgeschäft ist zu diesem Zeitpunkt schon sehr stark unter den Händlern verbreitet, auch zum Schutz des eignen Berufsrisikos, dass es sich nicht wirklich durchsetzt (vgl. Aßländer 2005: 115)

19 die freiwillig gewählte Armut zählt zu Beginn des Mittelalters sogar noch als Tugend: „Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! (…)Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Mk 10,17-30)

20 „Der Sohn des mittelalterlichen Schornsteinfegers wurde Schornsteinfeger und dachte die Gedanken der Schornsteinfegermentalität; der Sohn des Schornsteinfegers im 18. Jahrhundert konnte alles werden und alles denken. In einer offenen Gesellschaft muss sich das Individuum aktiv bewähren, und daher bekommen berufliche Arbeit und berufliche Leistung einen hohen Stellenwert. Mit dem Verfall des Ständestaates wird somit das Leistungsprinzip geboren, und seit dieser Zeit predigen Eltern ihren Kindern Fleiß und Können, woran sich bis heute nichts geändert hat.“ (Hansen 1995: 45)

21 Thomas Jefferson in der “Declaration of Independence” (1776)

22 Konkrete Belege und Aussagen darüber finden sich aber erst Anfang des 20. Jahrhundert in Form von ersten Umfragen unter der Arbeiterschaft, durchgeführt vom Soziologen Adolf Levenstein, in seinem Werk „Die Arbeiterfrage mit besonderer Berücksichtigung der sozialpsychologischen Seite des modernen Großbetriebes und der psychophysischen Einwirkungen auf die Arbeiter“ aus dem Jahr 1912

23 „Sondern vor allem ist das, ‚summum bonum’ dieser ‚Ethik’, der Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens“ (Weber, Max 1988:35)

24 „Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben überragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile daran mit, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch- maschineller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden (…) mit überwältigendem Zwange bestimmt“ (Weber 1988: 203)

25 „Die Arbeit in den Manufakturen, Bergwerken und Fabriken spielte sich (…) zunehmend außerhalb des Familien- und Haushaltszusammenhangs ab. Sie geschah in Räumen und zwischen Einrichtungsgegenständen, die den Arbeitern weder gehörten noch von ihnen gestaltet werden konnten. Klarer als die Heimarbeit oder als die Arbeit im meist wohnungsnahen, kleinen Handwerksbetrieb hob sich die Arbeit im zentralisierten Betrieb von anderen Lebensbereichen ab.“ (Kocka 1990: 476)

26 „Man hat den Eindruck, dass Arbeit nun anders als früher kaum noch der Rechtfertigung durch anderes bedurfte, sondern selbstbegründend wurde, den Sinn in sich trug und als rechtfertigende Basis für Ansprüche der verschiedensten Art dienen konnte. Wer sein Leben erzählte, ging fast immer ausführlich auf seine Arbeit ein.“ (Kocka 2010)

27 bis dato herrschten noch „Koalitionsverbote, d.h. Verbote der Zusammenschlüsse von Arbeitern“ (Bonß/Ludwig-Mayerhofer 2000: 115)

28 „Genauer gehende Uhren, Glocken, Sirenen, das Durchschreiten des Fabriktores oder die routinemäßige Eingangskontrolle beim Portier - so und auf andere Weise wurden Anfang und Ende der Arbeit klarer definiert.“ (Kocka 2010)

29 so lag die durchschnittliche Arbeitszeit teilweise bei bis zu 70-80 Stunden pro Woche (Schildt 2009: 150)

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Entwicklung, Krise und Zukunft der Arbeitsgesellschaft - Modell ohne Alternative?!
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
92
Katalognummer
V265923
ISBN (eBook)
9783656556381
ISBN (Buch)
9783656556701
Dateigröße
1524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
krise, arbeitsgesellschaft
Arbeit zitieren
Matthias Klopmeier (Autor:in), 2010, Entwicklung, Krise und Zukunft der Arbeitsgesellschaft - Modell ohne Alternative?!, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265923

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