Paul Celan. Analyse und Interpretation ausgewählter Gedichte


Seminararbeit, 2011

27 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. BIOGRAPHIE: PAUL ANTSCHEL ALIAS PAUL CELAN

3. „CORONA“ (AUS: MOHN UND GEDÄCHTNIS)
3.1. ALLGEMEINE INFORMATIONEN ZUM GEDICHTBAND
3.2. ANALYSE UND INTERPRETATION
3.3. INGEBORG BACHMANN UND PAUL CELAN

4. „TENEBRAE“ (AUS: SPRACHGITTER)
4.1. ALLGEMEINE INFORMATIONEN ZUM GEDICHTBAND
4.2. ANALYSE UND INTERPRETATION

5. SCHLUSSWORT

6. BIBLIOGRAPHIE
6.1. PRIMÄRLITERATUR
6.2. SEKUNDÄRLITERATUR

1. Einleitung

„Sich auf das Lebens-Werk Paul Celans einzulassen, ist ein schwieriges Unterfangen. Aus Finsternis und Verwunderung schuf er frappierende Gedichte, die die Wege unserer Welt in Frage stellen.“1

Die Lyrik Paul Celans ist heutzutage weitreichend bekannt und Celan selbst gehört zu den meist bekannten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Seine Lyrik bezeugt das Leid und die Tragödie des Holocaust, gedenkt den Opfern des Faschismus und fordert zur Erinnerung auf: Aufarbeitung der Vergangenheit und das Übertragen dieser in die Gegenwart wird zur Hauptaufgabe seiner Poesie. In seiner Lyrik versucht er dies auf vielschichtige Weise zu reflektieren, wobei er immer wieder auf die Hürde der Sprachlosigkeit trifft. Die Begebenheiten, die sich in den Gaskammern vollzogen haben, rauben ihm die Sprache, jene deutsche Sprache, die beim Mord an Millionen als Organisations- und Propagandamedium genutzt wurde.

Seine Poesie, die als symbolistische Lyrik beginnt und sich zur surrealistischen Lyrik weiterentwickelt, zeigt die Kunst des Umgangs mit Sprache auf, obwohl diese mehr verschlüsselt als enthüllt und erst im zeitgenössischen Kontext aufgearbeitet und interpretiert werden kann. Seine Dichtung zeigt trotz verwendeter Chiffren, Neologismen, Metaphern und Zusammenfügen des eigentlich nicht Zusammenpassenden eine Präzision im Ausdruck und in der Kunst und überwindet somit die Sprachskepsis.2

Diese Einzigartigkeit des lyrischen Umgangs mit Sprache und Vergangenheitsbewältigung zeigt die nachfolgende Seminararbeit durch die Analyse zweier ausgewählter Gedichte auf. „Corona“ und „Tenebrae“ stammen aus zwei verschiedenen Gedichtbänden und Schaffensphasen im Werk Paul Celans und zeigen demzufolge verschiedenste Eigenheiten seiner Lyrik auf.

Die Frage, die sich immer wieder stellt, ist vor allem welche unterschiedlichen Interpretationsansätze im zeitgenössischen, sowie biographischen Kontext auf die Gedichte angewandt werden kann. Demzufolge ist es wichtig, die Arbeit mit biographisch wichtigen Elementen Celans einzuleiten, um die Eigenheiten der anschließenden Lyrik deutlicher hervorzubringen und das Verständnis zu fördern.

Gewählt wurden zwei sehr unterschiedliche Gedichte, sei es inhaltlich als auch im literarischen Ton. Ziel ist aber nicht einen Vergleich im konkreten Sinne anzustellen, sondern zwei verschiedene Facetten des literarischen Werks Celans herauszukristallisieren, die die Thematik der Vergangenheitsbewältigung des Holocaust auf unterschiedlichste Weise bearbeiten.

2. Biographie: Paul Antschel alias Paul Celan

Paul Celans Biographie weist diverse Lücken auf, da Celan selbst kaum etwas über sich selbst preisgegeben hat und von seinen Zeitgenossen als sehr diskreter Mensch beschrieben wurde. Die meisten biographischen Details über Paul Celan wurden nach seinem Tod mühsam recherchiert und rekonstruiert.

Am 23.11.1920 wird Paul Antschel, Paul Celans gebürtiger Name, im damals rumänischen Czernowitz geboren. Er wächst als Einzelkind und Sohn einer jüdischen Familie in bescheidener Mittelklasse auf.

Während der Schulzeit zeigt Celan schon Interesse an klassischer als auch moderner deutschsprachiger Literatur. Er engagiert sich zudem im politischen und sozialen Bereich und arbeitet in einer kommunistischen Jugendorganisation mit.3 Literarisch betrachtet liegt sein Fokus auf Goethe und Schiller, sowie auf Heine, Trakl, Hölderlin, Nietzsche, Verlaine, Hofmannsthal und Kafka. Zu jener Zeit beginnt er auch selbst lyrisch tätig zu werden. Seine Lyrik „verströmt die melancholische Stimmung romantischer und symbolistischer Gedichte. Es sind gereimte melodische Strophen, die Titel tragen wie ‚Klage‘, ‚Wunsch‘, ‚Sommernacht‘, ‚Dämmerung‘, ‚Les Adieux‘ und ‚Clair de Lune‘.“4

Nach der Matura beginnt Celan 1938 ein Medizinstudium im französischen Tours, welches er jedoch wegen Ausbruchs des 2. Weltkrieges bald wieder abbrechen muss. Nachdem er nach Czernowitz zurückgekehrt ist, wird er dort für ein weiterführendes Medizinstudium wegen der prekären politischen Lage nicht akzeptiert und entscheidet sich für ein Romanistikstudium. Zu dieser Zeit beginnt er auch seine Tätigkeit als Übersetzer für sowjetische Truppen.

Durch die militärisch-politische Verbindung Deutschlands mit Rumänien 1941 beginnt eine Schreckensherrschaft in Czernowitz, welche zur Deportation der jüdischen Bevölkerung führt. Celan wird zur Zwangsarbeit verpflichtet und muss die Verschleppung seiner Eltern in ein Lager in Transnistrien miterleben. In dieser Zeit schreibt er Gedichte voller Kummer und Todesahnungen und er setzt sich bereits mit surrealen Bildern auseinander, welche seine emotionale Zerrissenheit aufzeigen.5 Im Herbst/Winter 1942 erhält er die Nachricht vom Tod seines Vaters, wenige Zeit später stirbt auch seine Mutter durch einen Genickschuss.6 Der Tod der Eltern verändert Celans Lyrik und hinterlässt einen intensiven Einschnitt in seinem Leben. Bevorzugt tritt nun das Todesmotiv in den Vordergrund. In den Gedichten dieser Zeit steht die Figur der Mutter im Mittelpunkt, über deren Verlust er sich mit Hilfe des tröstlichen Motivs der Natur hinwegtröstet. Zudem verändert sich die lyrische Sprachgestaltung und Form.

1945 siedelt Paul Celan nach Bukarest über, wo er als Festangestellter Verlagslektor russische Literatur ins Rumänische übersetzt. Unter dem Anagramm der rumänischen Schreibung seines Namens und seinem zukünftigen Pseudonym Paul Celan erscheinen 1947 die ersten Gedichte, darunter auch die „Todesfuge“ oder „Tangoul mortii“. Durch ihre erschreckenden Metaphern wird das Grauen Auschwitz‘, sowie aller nationalsozialistischen Lager beschrieben. Das Gedicht zeichnet sich durch das berühmte Paradoxon ‚Schwarze Milch‘ aus, seine Verbindung von variierenden Rhythmen, sich wiederholenden Motiven, Alliterationen und dem seltenen Reim ist eine Kombination aus Kunst, Geschichte und Musik.7

Aufgrund der ungünstigen politischen Situation flieht Celan nach Wien, wo er bald Anschluss an die Wiener Szene surrealistischer Künstler sucht und auf Ingeborg Bachmann trifft. Aus der Begegnung entsteht eine kurze, aber sehr intensive Liebesbeziehung. Das Zusammenleben scheitert, die Liebesbeziehung endet.

Im Juli 1948 trifft Paul Celan in Paris ein, wo er bis zu seinem Tode lebt. Hier schlägt er sich in der harten und ernüchternden Anfangszeit zunächst mit Gelegenheitsarbeit in einer Fabrik, sowie als Dolmetscher und Übersetzer durch und absolviert daneben ein Studium der Literatur- und Sprachwissenschaft. Er tritt in Kontakt mit dem deutsch-französischen Schriftstellerehepaar Yvan und Claire Goll und übersetzt für sie mehrere Gedichte. Aus dieser Freundschaft resultiert die für Celan sehr rufschädigende Situation der Plagiats-Vorwürfe, welche Claire Goll 1960 gegen ihn erhebt. Der sich zu einer Pressekampagne ausweitende Vorwurf führt zu einer bleibenden Schädigung von Celans Psyche.8

Zwischen 1948 und 1952 schreibt Celan nicht mehr als sieben oder acht Gedichte pro Jahr, die auch publiziert wurden. 1952 präsentiert der Dichter auf der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee u. a. seine „Todesfuge“. Die Gruppe 47 war dafür bekannt, vorgetragene Lyrik sofort einer Kritik zu unterziehen und der Vortrag Celans war kein hervorstechender Erfolg. Verschiedenste andere Autoren kritisieren sowohl Celans Vortragsweise, als auch die Motive und Metaphorik seiner Lyrik. Dennoch bringt ihm dieser Vortrag Vorteile. Er wird offiziell von einem Verlag unter Vertrag genommen.9 Im selben Jahr erscheint sein Gedichtband Mohn und Gedächtnis, der ihm Ruhm verschafft und in dem auch das nachfolgend analysierte Gedicht „Corona“ erscheint. Er heiratet Gisélè de Léstrange, eine Malerin und Grafikerin aus der französischen Oberschicht. 1955 erscheint Celans zweiter Gedichtband Von Schwelle zu Schwelle und der Dichter wird offiziell in Frankreich eingebürgert. In diesem Jahr begegnet er auch Ingeborg Bachmann wieder, doch nach dem Scheitern des zweiten Anlaufs mit Celan 1958 zieht sie zum Schweizer Schriftsteller Max Frisch. In Frankreich beginnt eine neue Schaffensphase in Celans Lyrik, die mit dem Gedichtband Sprachgitter in Verbindung gebracht werden kann, welcher zum ersten Mal mit dem Motiv der Sprachlosigkeit (und des Schweigens) durch die Verluste der Vergangenheit und das Gedenken an die Toten arbeitet, wie im nachfolgend analysierten Beispiel „Tenebrae“. 1957 hält Celan seine weltberühmte „Bremer Rede“, eine seiner wichtigsten poetologischen Äußerungen.10

Nach dem nationalsozialistischen Massenmord ist für Celan der naive und unmittelbare Gebrauch der deutschen Sprache, der „Mördersprache", nicht mehr möglich.

Die Frage, ob man in der deutschen Sprache noch Lyrik schreiben kann und darf, wird immer häufiger von Schriftstellern aufgeworfen. Auch Paul Celan belastet die Arbeit mit der deutschen Sprache der Nationalsozialisten. In seiner „Bremer Rede“ betont er:

"Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie musste nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah; aber sie ging durch dieses Geschehen. Ging hindurch und durfte wieder zutage treten, 'angereichert' von all dem."11

Die beginnenden 60iger Jahre sind wiederum geprägt von einer intensiven Übersetzungsarbeit und der Arbeit an seinem Gedichtband Die Niemandsrose, welcher in den zeitgenössischen Rezensionen bereits Celans labilen geistigen Zustand zu wiederspiegeln scheint. Als Höhepunkt in seinem lyrischen Schaffen bekommt Celan 1960 den Georg-Büchner-Preis verliehen, bei dessen Übergabe er seine Rede „Der Meridian“ hielt.

1962/63 muss sich Celan erstmals in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen. Dem kurzen Aufenthalt folgen viele weitere im Zeitraum von 1962-1969. Vor allem durch seine Israel-Reise 1969, die alte Erinnerungen wieder hervorlockte, entstanden schwere unüberwindbare Depressionen. Im gleichen Jahr der Erscheinung seines Gedichtbandes Lichtzwang, begeht Paul Celan am 20.04.1970 Selbstmord, in dem er sich in der Seine ertränkt.12

3. „Corona“

1 Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.

Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen: die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,

5 im Traum wird geschlafen,

der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten: wir sehen uns an,

wir sagen uns Dunkles,

10 wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,

wir schlafen wie Wein in den Muscheln, wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße: es ist Zeit, daß man weiß!

15 Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,

daß der Unrast ein Herz schlägt.

Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.13 (aus: Mohn und Gedächtnis)

3.1. Allgemeine Informationen zum Gedichtband

Als erster Gedichtband Celans erschien Mohn und Gedächtnis 1952 in Deutschland bei der Deutschen Verlags-Anstalt und wird als Fortsetzungsarbeit des Gedichtbandes Der Sand aus den Urnen bezeichnet, welcher wegen zahlreichen Druckfehlern vom Markt genommen wurde. Somit wurden die Gedichte aus diesem in Mohn und Gedächtnis erneut abgedruckt. Der Band dokumentiert somit acht Jahre lyrischen Schaffens und dient als Zeugnis mehrerer Schaffensperioden Celans. Beeinflusst wurde das Werk von symbolistischen, expressionistischen und

[...]


1 Felstiner, John: Paul Celan: Eine Biographie. S.21

2 Vgl. Lorenz, Otto: Paul Celan, S. 2-10 2

3 Vgl. May, Markus /Goßens, Peter/ Lehnmann, Jürgen (Hrsg.).: Celan - Handbuch: Leben-Werk- Wirkung, S.7ff.

4 Felstiner, John: Paul Celan: Eine Biographie. S.32 4

5 Vgl. ebd. S.37f.

6 Vgl. May, Markus/Goßens, Peter/Lehnmann, Jürgen (Hrsg.).: Celan - Handbuch, S. 9f.

7 Vgl. Felstiner, John: Paul Celan- Eine Biographie. S.48ff.

8 Vgl. May, Markus/ Goßens, Peter/Lehmann, Jürgen (Hrsg.): Celan - Handbuch, S.11-22

9 Vgl. Felstiner, John: Paul Celan , S. 98ff.

10 Vgl. May, Markus/ Goßens, Peter/Lehmann, Jürgen (Hrsg.): Celan - Handbuch, S.12f. 6

11 Felstiner, John: Paul Celan, S.157

12 Vgl. May, Markus/ Goßens, Peter/Lehmann, Jürgen (Hrsg.): Celan - Handbuch, S.14 f., S.24 7

13 Wiedemann, Barbara: Paul Celan - Die Gedichte. S. 39

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Paul Celan. Analyse und Interpretation ausgewählter Gedichte
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Germanistik)
Veranstaltung
Seminar "Österreichische Lyrik seit 1945"
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
27
Katalognummer
V266058
ISBN (eBook)
9783656558163
ISBN (Buch)
9783656558132
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Gedichte: "Corona" und "Tenebrae"
Schlagworte
paul, celan, analyse, interpretation, gedichte
Arbeit zitieren
Anna Rauch (Autor:in), 2011, Paul Celan. Analyse und Interpretation ausgewählter Gedichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266058

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