Geister und Geistererscheinungen im Barock

Eine Untersuchung ihrer Herkunft, Funktion und Umsetzung anhand ausgewählter Werke von Daniel Casper von Lohenstein und Andreas Gryphius


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

30 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Ursprung und Entwicklung der Geisterszenen

3 Geistererscheinungen im barocken Drama
3.1 Geister und Gespenster
3.2 Träume
3.3 Funktionen der Geistererscheinungen

4 Geisterescheinungen in den Dramen Lohensteins und Gryphius‘
4.1 Cleopatra
4.2 Leo Armenius

5 Schlusswort

6 Anhang
6.1 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Da kam mich Furcht und Zittern an, und alle meine Gebeine erschraken. / Und da der Geist an mir vorüber ging, standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Das Buch Hiob, 4,14-16.1

Geister und Geistererscheinungen sind seit jeher in literarischen Werken zu finden. Man liest in der Bibel von ihnen, in verschiedenen mittelalterlichen Abhandlungen, in den Hausmärchen der Gebrüder Grimm sowie in Goethes Faust. In den Werken des 20. und 21. Jahrhunderts verbindet man mit ihnen oftmals Gruselgestalten, die Spuk und Unheil bringen. Woher aber stammt die Vorstellung von Geistern? Wie hat sie sich entwickelt? Diese Arbeit wird den Ursprung und die Veränderung des Geis- terglaubens herausarbeiten und explizit an zwei deutschen Dramen des Barock auf- zeigen. So wird nicht nur erklärt, was die einzelnen Stände und Religionen des 17. Jahrhunderts unter dem Begriff Geist verstanden, sondern ebenfalls, welche Funktion die Jenseitserscheinungen in den Dramen und auf dem Theater hatten. Die herausgearbeiteten Ergebnisse werden schließlich anhand der Werke Cleopatra von Daniel Casper von Lohenstein und Leo Armenius von Andreas Gryphius erklärt. Es wird sich herausstellen, dass die Funktionen der Geistererscheinungen im deutschen Drama des Barock nicht nur vielseitig sind, sondern sich ebenfalls eine Vermischung der verschiedenen Geistervorstellungen erkennen lässt.

2 Ursprung und Entwicklung der Geisterszenen

Mit dem Aufkeimen des Renaissance-Humanismus fanden antike Einflüsse ihren Weg in die Philosophie, Kunst und Literatur des 16. Jahrhunderts. Wenn auch im Humanistendrama der Geist nur partiell auftritt und zunächst keinerlei Bezüge zum zeitgenössischen Volksglauben hat, liegt sein Ursprung zweifelsohne in den antiken Werken. Der dortigen Forderung, den Geist in den Handlungsablauf einzuordnen, wird lediglich der Form halber nachgekommen2 und durch christliche Glaubensvor- stellungen - und der damit einhergehenden Aufgeschlossenheit gegenüber übersinn- lichen Kräften - ergänzt.3

Mit dem Erscheinen der Englischen Komödianten im 17. Jahrhundert und der großen Beliebtheit der Wanderbühnen, tritt der Geist nun in hoher Zahl im deutschen Thea- ter auf. Die antiken Einflüsse sind bei ihm jedoch weitgehend verschwunden. Statt- dessen liegt das Augenmerk nunmehr auf der theatralischen Wirkung. Statt in langen Monologen zu sprechen, wie es im Humanistendrama der Fall war, sind die Geister nun wesentlich agiler und Äreden mit im Dialog“.4 Der anfänglichen Skepsis folgt eine große Popularität der Bühnengeister, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhun- derts vom lateinischen Schuldrama und den Jesuiten übernommen werden. Beson- ders das Jesuitentheater sieht in ihnen eine Möglichkeit, sie als ÄKampfmittel gegen die Reformation“5 zu verwenden, indem mit ihrer Hilfe die theatralischen Effekte der Stücke gesteigert wurden. Zum einen konnten so die Vorlieben des Publikums be- dient werden, während es zum anderen möglich war, die eigenen Intentionen weiter- zutragen.

Der Theatergeist selbst - und das ist typisch für das Jesuitentheater überhaupt - wird [somit] ein Werkzeug der Tendenz. Er erhält auf der Bühne bestimmte Aufgaben im jesuitischen Missionsplan.6

Das zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstandene Schlesische Kunstdrama um Andreas Gryphius und Daniel Casper von Lohenstein verwendet die Geisterszenen eher nach antikem Vorbild, kann sich jedoch nicht von den Einflüssen der Engli-

schen Komödianten oder des Jesuitentheaters befreien. Ganz im Gegenteil: Sowohl bei Gryphius als auch bei Lohenstein lassen sich Einflüsse verschiedener Theater- praktiken nachweisen, die sie innerhalb ihrer Reisen nach Holland und Frankreich sammeln konnten.7 Wichtig ist, dass der Geist nicht mehr vorrangig eine religionsbe- lehrende Rolle besitzt, sondern auf vielfältige Weise und über verschiedene Funktio- nen im Drama integriert wird.

3 Geistererscheinungen im barocken Drama

Bevor die Werke Lohensteins und Gryphius‘ näher betrachtet werden, ist es notwen- dig, auf zwei wesentliche Punkte in Bezug auf die Geistererscheinungen im barocken Drama einzugehen. In den folgenden Kapiteln wird demzufolge der Begriff Geist beleuchtet und definiert. Was verstand man im Barock unter den Jenseitsgestalten? Veränderte sich ihre Bedeutung im 17. Jahrhundert? Zudem wird kurz auf den As- pekt des Traumes eingegangen, der im Barock zumeist eng mit dem Erscheinen von Geistern verknüpft ist. Darauf aufbauend kann schließlich in Kapitel 3.3 ein allge- meiner Überblick über die Funktion von Geistererscheinungen im Drama das Barock gegeben werden.

3.1 Geister und Gespenster

Eine klare Definition des Begriffes Geist im Barock kann nicht gegeben werden. Das liegt zum einen daran, dass die verschiedenen Geistervorstellungen je nach Konfes- sion und Bevölkerungsschicht variierten und zum anderen an der fehlenden allge- meingültigen Lexikon-Grundlage im 17. Jahrhundert.8 Man kann jedoch annehmen, dass die Begriffserklärung in Johann Georg Krünitz‘ Oeconomischer Encyclopädie von 1773 zumindest teilweise auch auf die Zeit des Barock anzuwenden ist. Darin führt er allein sechs verschiedene Bedeutungen des Begriffes Geist auf, wobei sich die einzelnen Punkte noch weiter unterteilen. Beachtet werden muss jedoch auch die den spezifischen Definitionen vorangehende Bemerkung, nach der ein ÄGeist [...] ein buchstäblich nach dem Lateinischen gebildetes Wort [ist], von welchem es auch sei- ne Bedeutungen entlehnt hat, von denen ich nur diejenigen, welche in dieses Werk gehören, anführe“.9 Demnach existierten im 18. Jahrhundert weitaus mehr Definitio- nen, die möglicherweise bereits im Barock Bestand hatten. Im Folgenden soll trotz der Vagheit der Begriffsdefinitionen versucht werden, einen ungefähren Überblick über die verschiedenen Geistervorstellungen zur Zeit des Barock zu geben.

Der Begriff Gespenst, der synonym mit Geist verwendet wird,10 leitet sich vom alt- hochdeutschen Verb »spanan« ab, was in etwa »anreizen, überreden, verlocken« heißt.11 Das dem Verb äquivalente althochdeutsche Substantiv »spanst, gispanst, gispensti« bezeichnet annähernd wertneutral »Eingebungen, Beredungen, Verlo- ckungen, Verführungen, Sinnesreize« und verändert sich im Mittelhochdeutschen zu »spenst, gespanst, gespenst«.12 In religiösen Texten wird der Verwendung des Be- griffes rasch eine negative Wertung gegeben und Gespenst im Sinne von der Teufel und sein Gespenst verstanden. Ab dem 14. Jahrhundert entwickelt sich parallel dazu die Bedeutung als »schattenhafte, unscharfe Geistererscheinung«, die sich jedoch ebenfalls nur auf böse Geister und den Teufel bezieht.13 Zu Beginn des 16. Jahrhun- derts erfährt die Vorstellung von Geistern eine Erweiterung, explizit darin, dass die Geistererscheinungen nicht mehr zwangsläufig ein Werk des Teufels und der bösen Mächte sind. Der Volksglaube schöpft aus den heidnischen Traditionen. Nach ihnen sind Geister Äselbstverständlich die immaterielle Substanz“ von Verstorbenen, von Existenzformen, die auf der Erde verweilen und Lebenden erscheinen. Wilpert nennt dafür folgende Gründe: die Art des Todes, die Art der Bestattung, Schuld der Nach- welt gegenüber dem Toten, Schuld des Toten gegenüber der Nachwelt, der Charakter des Toten und Rache.14 Ist die Seele durch eine dieser sechs Gründe noch immer an das Irdische gebunden, kann sie nicht nach Gottes Heilsplan in den Himmel fahren, oder in die Hölle hinabsteigen. Genauer spezifiziert bedeutet dies zum Beispiel, dass die Essenz eines Toten so lange als Geistererscheinung auf der Erde verbleibt, bis sein Mörder bestraft wird, bis sein Körper christlich korrekt beigesetzt wird oder verbleibende Schulden, die noch zu Lebzeiten offen blieben, getilgt werden. Der Kirche jedoch war dieser Volksglaube ein Dorn im Auge. ÄMit der Einführung oder Erfindung des Fegefeuers oder Purgatoriums war schließlich der ideale Ort für solche unentschiedenen Zweifelsfälle geschaffen“.15 Indem die Seelen der Toten, die nach dem Volksglauben noch an die irdische Welt gebunden waren, nun unter dem kirchlichen Einfluss standen, wirkte man dem heidnischen Toten- und Ahnenkult entgegen.16 Das Volk konnte in der Kirche für sie beten.

Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele bedingt im Christentum bekannterma- ßen den Glauben an eine Existenz übersinnlicher Dinge und Begebenheiten. Dabei unterscheidet man nun Seelen als die immaterielle Existenz Verstorbener, die sich passiv und unselbstständig verhalten und lediglich im Auftrag Gottes oder des Teu- fels handeln, und Geister aus dem Purgatorium, zumeist negativ konnotiert, die aktiv handeln und ihre Taten weitgehend selbstständig bestimmen.17 Im Barock bediente sich das Jesuitentheater der Seele als Anschauung des göttlichen Heilsplans, indem sie nach dem Tod entweder in den Himmel eingeht, oder in die Hölle bzw. ins Fege- feuer absteigt.18 Geister - und unter ihnen auch Totengeister - galten hingegen als von Gott abgewendete Dämonen und Spukgestalten. Bereits im Alten Testament steht: ÄIhr sollt euch nicht zu den Totengeistern und zu den Wahrsagern wenden; ihr sollt sie nicht aufsuchen, euch an ihnen unrein zu machen [...]“.19 Demzufolge ist das Anrufen und Befragen eines Totengeistes gegen den Willen Gottes und die jenseitige Erscheinung eindeutig unheilbringend. Beachtet werden muss jedoch, dass der All- gemeinbegriff Geist auch von den Jesuiten doppeldeutig verwendet wird. Er kann sowohl für die von Gott gesendeten Erscheinungen, also Seelen stehen als auch für die Totengeister, die durch verwerfliche Zauberei herbeigerufen werden. Gegen diese Auffassung der Jesuiten wenden sich jedoch die protestantischen Schriftsteller. ÄFür sie gibt es keine Geister der Verstorbenen, sondern nur Erscheinungen, die vom Himmel oder von der Hölle gebildet werden“.20 Diese Erscheinungen sind zudem auch keine Seelen, da diese weder aus der Hölle aufsteigen dürfen, noch vom Him- mel auf die Erde kommen wollen.21 Die Verwendung der Begriffe Geist, Gesichte oder Gespenst bezeichnet folglich ein von Gott oder der Hölle gesandtes Zeichen, dessen positive oder negative Art der irdische Mensch erkennen soll.22 Die Frage ist nun: Warum ist es so wichtig, die verschiedenen Geistervorstellungen des 17. Jahrhunderts zu betrachten und zu unterscheiden? Treppmann sagt:

Für die Barockzeit bringt das Theater den Beweis dafür, wie wenig die Erörterungen der Gelehrten dem Geisterglauben des Volkes gerecht wer- den. Der Wert dieser zahllosen Geisterabhandlungen in der Epoche der Renaissance und des Barock liegt denn auch nicht so sehr in ihren histo- rischen und religionsphilosophischen Auseinandersetzungen, die das Problem der Geistererscheinungen durch die Brille christlicher Glau- bensgrundsätze sehen, als vielmehr in den Mitteilungen über Realien des Geisterglaubens, die durch die Kruste der Dialektik schimmern.23

Es wird demnach behauptet, dass das Theater die Geistervorstellung des Volkes übernimmt, oder zumindest in das Stück einbaut, trotzdem die Aufführungen der Jesuiten und der Protestanten an Königshöfen oder Schulen aufgeführt wurden und deren Adressaten anfangs nicht die breite Masse des Volkes war. Verwiesen sei in dieser Hinsicht auch auf Carlo Ginzburgs Werk Der Käse und die Würmer - Die Welt eines Müllers um 1600, in dem er die Auffassung widerlegt, die Ideen, Glaubensformen und Weltbilder der Unterschichten seien nichts als passiv aufgenommene, ungeordnete Bruchstücke älterer Formen der Elitekultur. Statt dessen vertritt er die These, im vorindustriellen Europa habe zwischen der Kultur der herrschenden Klasse und derjenigen der Unterschichten eine Zirkulation stattgefunden.24

Diese Position hat sich in der Frühneuzeitforschung etabliert.25 Um diese These mit- hilfe der hier besprochenen Werke zu bestätigen, ist es aus diesem Grund nötig, die verschiedenen Auffassungen in Bezug auf den Geisterglauben zu kennen, um so her- ausstellen zu können, wo genau eine Vermischung stattfand und welche Funktion sie erfüllt.

[...]


1 Zitiert wurde nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers.

2 Vgl. Treppmann, Egon: Besuche aus dem Jenseits. Geistererscheinungen auf dem deutschen Theater im Barock. Konstanz: UVK 1999. S. 31.

3 Vgl. Ebd. S. 19.

4 Vgl. Ebd. S. 46.

5 Ebd. S. 62.

6 Ebd.

7 Dazu siehe Kapitel 4.

8 Lexika und andere literarische Werke geben uns heute Aufschluss über damalige Vorstel- lungen und Annahmen. Da es im 17. Jahrhundert kein allgemeingültiges deutschsprachi- ges Lexikon gab, mithilfe dessen wir die Vorstellungen in Bezug auf Geister rekonstruie- ren können, müssen spätere Lexika betrachtet werden.

9 Das Zitat findet sich in der Beschreibung des Lemmata ‚Geist‘ in der Online-Version des Kruenitz: http://www.kruenitz1.uni-trier.de (Stand: 19. Februar 2013).

10 Eine Ausnahme bildet in Bezug auf das Christentum die Verwendung von Heiliger Geist als ein Teil der göttlichen Trinität. Hierzu Vgl. Lindblom, Johannes: Gesichte und Offen- barungen. Vorstellungen von göttlichen Weisungen und übernatürlichen Erscheinungen im ältesten Christentum. Lund: Gleerup 1968. S. 157.

11 Wilpert, Gero von: Die deutsche Gespenstergeschichte. Stuttgart: Kröner 1994. S. 1.

12 Vgl. Ebd. S. 2.

13 Vgl. Ebd.

14 Vgl. Ebd. S. 11f.

15 Ebd. S. 65.

16 Vgl. Ebd.

17 Vgl. Treppmann, E.: Besuche aus dem Jenseits. S. 21.

18 Vgl. Ebd.

19 Lev 19,31. Der zitierte Psalm wurde aus der Elberfelder Bibel entnommen. Die Einheits- übersetzung verwendet anstelle von ‚Totengeister‘ den Begriff ‚Totenbeschwörer‘.

20 Treppmann, E.: Besuche aus dem Jenseits. S. 14.

21 Vgl. Ebd.

22 Beachtet werden muss hier, dass aufgrund der Ablehnung des Purgatoriums durch die Protestanten jene Geistererscheinungen, die im katholischen Glauben weitgehend zwar eher negativ, aber keineswegs als Gesandte des Teufels galten, nun als solche gesehen wurden. Aber auch hier sind sich die Wissenschaftler uneinig, weswegen die Fachliteratur oft widersprüchlich ist. In dieser Arbeit orientiere ich mich demnach lediglich an der oben beschrieben Ausführung.

23 Treppmann, E.: Besuche aus dem Jenseits. S. 15.

24 Sawicki, Diethard: Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Entstehung des Spirituismus in Deutschland 1770-1900. Paderborn: Schöningh 2002. S. 28f.

25 Vgl. Ebd. S. 28.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Geister und Geistererscheinungen im Barock
Untertitel
Eine Untersuchung ihrer Herkunft, Funktion und Umsetzung anhand ausgewählter Werke von Daniel Casper von Lohenstein und Andreas Gryphius
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
30
Katalognummer
V266143
ISBN (eBook)
9783656559238
ISBN (Buch)
9783656559214
Dateigröße
692 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
geister, geistererscheinungen, barock, eine, untersuchung, herkunft, funktion, umsetzung, werke, daniel, casper, lohenstein, andreas, gryphius
Arbeit zitieren
B.A. Julia Steinborn (Autor:in), 2013, Geister und Geistererscheinungen im Barock, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266143

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