Leseprobe
Inhalt
Gliederung
A. Einleitung - Die europäische Gemeinschaftswährung als politisches Trilemma..l
B. Hauptteil - Wirtschaftpolitisches Denken und daraus abgeleitete Positionen
I. Wirtschaftspolitische Konzeptionen am Beispiel der Geldpolitik
1. Klassische Nationalökonomie
a) Grundannahme
b) Geldpolitische Konsequenz
2. Neoklassik
a) Grundannahme
b) Geldpolitische Konsequenz
3. Keynesianismus
a) Grundannahme
b) Geldpolitische Konsequenz
4. Monetarismus
a) Grundannahme
b) Geldpolitische Konsequenz
5. Österreichische Schule
a) Grundannahme
b) Geldpolitische Konsequenz
6. Ordoliberalismus
a) Grundannahme
b) Geldpolitische Konsequenz
II. Differenzierte Bewertung der europäischen Gemeinschaftswährung am Beispiel der Haltung zur Geldmengenpolitik der EZB und zum ESM
l. Bundesregierung 1987 - 1991 / Kabinett Kohl
a) Geldpolitische Leitentscheidungen
b) Erkennbare wirtschaftspolitische Ausrichtung
1. Bundesregierung seit 2009 / Kabinett Merkel
a) Geldpolitische Leitentscheidungen
b) Erkennbare wirtschaftspolitische Ausrichtung
2. Euro-Rebellen in der FDP im 17. Deutschen Bundestag
a) Geldpolitische Leitentscheidungen
b) Erkennbare wirtschaftspolitische Ausrichtung
3. AfD
a) Geldpolitische Leitentscheidungen
b) Erkennbare wirtschaftspolitische Ausrichtung
4. Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB
a) Geldpolitische Leitentscheidungen
b) Erkennbare wirtschaftspolitische Ausrichtung
C. Schluss - Wirtschaftspolitik als Ausgleichs-Instrument im Spannungsfeld von
politischem Wollen und praktischer Realisierbarkeit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
A. Einleitung - Die europäische Gemeinschaftswährung als politisches Trilemma
[1] In der öffentlichen Diskussion ist die Beurteilung der gemeinsamen europäischen Währungspolitik in erster Linie politisch besetzt. Eine positive, skeptische oder ablehnende Haltung zur europäischen Gemeinschaftswährung wird, besonders angesichts der nahenden Bundestagswahl, gleichgesetzt mit einer grundsätzlichen Haltung zur Idee der europäischen Gemeinschaft. Diese Arbeit baut dagegen auf der Hypothese auf, dass die Frage nach dem ob und dem wie einer europäischen Gemeinschaftswährung zunächst einmal auch das Ergebnis ökonomischer Überlegungen sein kann, welche wiederum auf bestimmten ökonomischen Grundannahmen aufbauen.
Wo sind die Ursachen für die unterschiedlichen Positionen zur europäischen Gemeinschaftswährung? Welcher Zusammenhang besteht zwischen wirtschafts-politischen Überzeugungen und konkreten Positionen in geldpolitischen Tagesfragen? Gibt es trotz aller unterschiedlichen Auffassungen einen „gemeinsamen Nenner“ der Beteiligten?
Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt durch die Analyse und Einordnung der Positionen von Politik und Ökonomie in die Schulen des ökonomischen Denkens an den Beispielen
- der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Euro,
- der aktuellen Bundesregierung,
- der „Euro-Rebellen“ in der FDP,
- der AfD und
- des ehemaligen Präsidenten der EZB, Otmar Issing.
So wird deutlich, dass die Frage nach der europäischen Geldpolitik in erster Linie die Frage nach den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Positionen ist und nur in Ausnahmefällen unmittelbar politisch motiviert ist. Im Rahmen dieser Analyse werden auch die besonderen Merkmale und Axiome der jeweiligen wirtschaftspolitischen Handlungsprinzipien aufgezeigt.
Trotz aller Unterschiede, die bis hin zu erbitterten Gegnerschaften zwischen den Repräsentanten der einzelnen Positionen führen, besteht Einigkeit in der Feststellung des Aus- gangs-Problems: die europäische Gemeinschaftswährung ist einem politischen Trilemma ausgeliefert. Die jeweiligen Lösungsmodelle basieren auf den isolierten Bedingungen der ihnen zugrunde liegenden Modelle und sind damit nur bedingt alltagstauglich, soweit ein gemeinsamer Konsens über die Lösungswege innerhalb der europäischen Währungsunion erzielt werden muss. Die Lösung dieses Trilemmas gleicht damit einer „Quadratur des Kreises“, die immer ein wenig, immer an einer bestimmten Stelle - aber nie vollständig gelingt. In der wissenschaftlichen Literatur wird dieses Phänomen etwas zurückhaltender, aber mit einer identischen Argumentation auf „einen strukturell suboptimalen Währungsraum“ zurückgeführt.[2]
Besondere Berücksichtigung finden neben der ideengeschichtlichen und ökonomischen Fachliteratur im analytischen Teil der Arbeit (B. II.) auch die in jüngerer Zeit formulierten Positionen in Zeitschriften und Zeitungen.
Die Arbeit verzichtet bewusst auf die detaillierte Wiedergabe der unterschiedlichen Begründungsansätze und auf die Wiedergabe der Streitstände zwischen den unterschiedlichen Positionen. Vielmehr folgt sie einem selektiven Ansatz zugunsten der fokussierten Darstellung der zentralen geldpolitischen Positionen und ihrer Konsequenzen für die Beurteilung der europäischen Gemeinschaftswährung.
В. Hauptteil - Wirtschaftspolitisches Denken und daraus abgeleitete Positionen
Wirtschaftspolitik hat die Aufgabe, mittels Ordnungs- und Konjunkturpolitik einen bestmöglichen Ausgleich zwischen (1) einem stabilen Preisniveau, (2) einem stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum, (3) einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht und (4) einem hohen Beschäftigungsstand zur erzeugen.[3] Die Priorisierung der Faktoren (1) bis (4) sowie Art und Maß des Einsatzes von ordnungs- und konjunkturpolitischen Instrumenten sind umstritten und resultieren aus unterschiedlichen Sichtweisen auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik.
I. Wirtschaftspolitische Konzeptionen am Beispiel der Geldpolitik
Die „Streitlinie“ entspricht dem Grenzverlauf zwischen den konkurrierenden angebotsund nachfrageorientierten Marktkonzeptionen. In der Konsequenz fuhrt dieser Streit zu diametral gegenüberstehenden Auffassungen über den Vorrang von Geld- oder Fiskalpolitik und in der Konsequenz zu differierenden Ergebnissen in der Beurteilung der europäischen Währungspolitik.[4]
1. Klassische Nationalökonomie
Den Ausgangspunkt aller ordnungspolitisch geprägten Wirtschaftskonzeptionen bildet die Nationalökonomie. Ihre klassische Theorie bildet die Basis für die „großen“ wirtschaftspolitischen Konzeptionen mit Ausnahme des Keynesianismus. Neoklassik, Österreichische Schule und Ordoliberalismus haben die klassische Theorie erweitert bzw. angepasst. Ohne deren Grundannahmen und die Anerkenntnis des sayschen Theorems über den Kausalzusammenhang von Angebot und Nachfrage könnten sie allerdings nicht bestehen.[5]
a) Grundannahme
Sie betont neben der höheren Problemlösungskompetenz von Privaten gegenüber dem Staat die Bedeutung von stabilen Produktionspreisen als Ausdruck eines barriere- und störungsfreien Marktes.[6] Allein Menge und Qualität der Produktionsfaktoren bestimmen die Höhe der Produktion[7]. Vor diesem Hintergrund sind staatliche konjunkturpolitische Maßnahmen zu unterbleibende Störungen des privaten Handelns. Allein der Einsatz ordnungspolitischer Instrumente soll die Bedingungen für eine störungsfreie Wirtschaft gewährleisten[8]
b) Geldpolitische Konsequenz
Im klassischen Modell wird Geld als Verrechnungseinheit ohne Wertaufbewahrungsfunktion betrachtet. Eine Besonderheit der klassischen Theorie ist die Annahme, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes V eine durch Zahlungsgewohnheiten feste Konstante ist. Ebenso unveränderlich, da durch Angebotsseite bestimmt, ist das Bruttoinlandsprodukt Y.[9] Daraus ergibt sich die folgende Quantitätsgleichung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Betonung des Vorranges eines stabilen Preisniveaus gegenüber den übrigen Faktoren des „magischen Vierecks“ führt aufgrund der nicht beeinflussbaren Größen V und Y zur Notwendigkeit restriktiven Geldmengenpolitik. Der Verzicht auf die Entscheidungshoheit über die Geldmengenpolitik ist im Lichte der klassischen Theorie ein Verlust des Kernbereichs der wirtschaftspolitischen Einflussmöglichkeiten und hat unbedingt zu unterbleiben.
2. Neoklassik
Während die Klassik Preisbildung und Güterverteilung makroökonomisch beschrieb, stellen die Berücksichtigung von Allokationsproblemen und subjektiver Wertlehre in der Neoklassik eine Wende zur mikroökonomischen Beschreibung des Wirtschaftsprozesses dar.[10]
a) Grundannahmen
Durch die Optimierung von Kosten, Gewinn und Nutzen (Grenznutzenausgleichs-Ge- setz) bei individuellen ökonomischen Entscheidungen (Methodologischer Individualis- mus) stellt sich ein Gleichgewicht der wirtschaftspolitischen Faktoren ein.[11]
b) Geldpolitische Konsequenz
Die mikroökonomischen Modifikationen haben auch in der Neoklassik keinen Einfluss auf die fortbestehende Gültigkeit der Quantitätsgleichung. Im Rahmen einer „potentialorientierten Wirtschafts- und Geldmengenpolitik“ hat die neoklassische Konzeption langfristiges, berechenbares und stetiges Wachstum und die Bekämpfung von Preisniveausteigerungen und die Vermeidung von Staatsdefiziten zum Ziel.[12] Änderungen in der Geldmenge bildet das neoklassische Konzept mit der Cambridge-Gleichung ab, nach welcher die Geldmenge des Kassenhaltungskoeffizienten, des Preises und des Realeinkommens ist:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Anwendung der Cambridge-Formel führt zu dem Ergebnis, dass die Erhöhung der Geldmenge zum Anstieg des Preisniveaus führt, ohne weitere positive Folgen hervorzurufen.
3. Keynesianismus
Als Gegenentwurf zur (neo)klassischen Wirtschaftskonzeption entstand der Keynesianismus. Die höchste Priorität der wirtschaftspolitischen Faktoren misst der Vollbeschäftigung zu, welche durch kurzfristig angelegte Konjunkturpolitik erreicht werden soll.[13]
a) Grundannahme
Der Keynesianismus baut auf der Nicht-Geltung des sayschen Gesetzes und damit dem Nichtvorhandensein eines sich selbst regulierenden Marktes auf. Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen wirtschaftspolitischen Faktoren erfolgt durch staatlichen Interventionismus.[14] In der Konsequenz bedarf damit auch die wirtschaftliche Konjunktur der staatlichen Regelung.[15] Diese soll durch fiskalpolitische Maßnahmen in Form von Steuerhebungen und -erleichterungen und öffentlicher Ausgabenpolitik zur Angebots- und Nachfragelenkung realisiert werden.[16]
b) Geldpolitische Konsequenz
Die Priorisierung des wirtschaftspolitischen Faktors „Vollbeschäftigung“ führt zu einer nachrangigen Beurteilung des Faktors „Preisstabilität“ und damit auch der Geldpolitik. Preisschwankungen und in der Folge auch Inflation werden in gleicher Weise wie Staatsdefizite infolge von Konjunkturmaßnahmen als konjunkturpolitische Steuerungselemente eingesetzt.[17] Mit Keynes wird davon ausgegangen, dass die Geldnachfrage durch Zinsen gesteuert werden kann, während Investitionen vergleichsweise zinsunelastisch sind. Dies bedeutet, dass die Erhöhung der Geldmenge keine nennenswerte Auswirkung auf das Bruttoinlandsprodukt zur Folge habe, während fiskalpolitische Maßnahmen dieses stark beeinflussen.[18]
Auf die Darstellung des keynesianischen IS-LM-Modells über das Gleichgewicht von Geld- und Gütermarkt wird zugunsten der Gesamtdarstellung der tragenden Leitgedanken an dieser Stelle bewusst verzichtet.[19]
4. Monetarismus
Im Streit um den Wirksamkeitsgrad von Geld- und Fiskalpolitik zur Realisierung von stabilisierungspolitischen Zielen griffen der keynesianischen Konzeption kritisch gegenüberstehende Ökonomen auf (neo)klassische Konzepte zurück und entwickelten daraus mit Verweis auf die Bedeutung der Geldmenge das monetaristische Konzept.[20]
a) Grundannahme
Danach ist die Geldnachfrage primär auf die reale Kaufkraft gerichtet und relativ zinsunelastisch, während Geldmengenänderungen bereits kurzfristig erheblichen realen Einfluss auf die Wirtschaftsaktivität ausüben (Neo-Quantitätstheorie).[21] Empirische Unter-
[...]
[1] Die im folgenden gewählte Zitierweise entspricht Ebster/Stalzer (2008).
[2] Vöpel/Straubhaar (2012), in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, S. 58.
[3] DichtFIssing (1994), S. 2379, MussefPätzold (2008), S. 20f.
[4] Mussel/Pätzold (2008), S. 21.
[5] Felderer/Homburg (2005), S. 83.
[6] Issing (1994), S. 68; Söllner (2001), S. 29.
[7] Demmer (1997), S. 463.
[8] DichtPIssing (1994), S. 1128; Neck/Schneider (2013), S. 13.
[9] Demmler (1997), S. 480.
[10] Felderer/Homburg (2005), S. 25.
[11] Söllner (1999), S. 50ff.
[12] Mussel/Pätzold (2012), S. 14f.
[13] Mussel/Pätzold (2012), S. 21.
[14] Dichtl/Issing (1994), S. 1125.
[15] Altmann (2007), S. 246.
[16] Dichtl/Issing (1995), S. 695; May (2008), S. 383; Mussel/Pätzold (1994), S. 20;
[17] Altmann (2007), S. 230; May (2008), S. 383; Mussel/Pätzold (2012), S. 20f.
[18] Neck/Schneider (2013), S. 90.
[19] vgl. hierzu: Issing (2011), S. 103ff.
[20] Neck/Schneider (2013), S. 90.
[21] Söllner (1999), S. 213.