Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Notwendigkeit, Ziel und Methode
2.1 Seinsvergessenheit
2.2 Seinsfrage
2.3 Methode und Aufbau
3 Die Jemeinigkeit der Existenz
3.1 In-der-Welt-sein
3.1.1 Welt
Die Welt der Dinge
Die Weltlichkeit des Daseins
3.1.2 In-Sein
3.2 Das Selbst
3.2.1 Der Modus der Uneigentlichkeit
3.2.2 Der Modus der Eigentlichkeit
3.3 Sorge und Zeitlichkeit
4 Schlussbemerkung: Die Frage nach dem Scheitern
Literatur
1 Einleitung
„Die Undefinierbarkeit des Seins dispensiert nicht von der Frage nach seinem Sinn, sondern fordert dazu gerade auf “ (Heidegger 2006: 4). Diese Worte Martin Heideggers führen unmittelbar in das Zentrum seines 1927 unter dem Titel „Sein und Zeit“1 erschienenen Hauptwerks, welches sich im Nachgang dieser von der Seinsfrage ausgehenden Aufforderung versucht. Heidegger stellt die lange Zeit in Vergessenheit geratene Frage nach dem Sein erneut und berührt somit einen grundsätzlichen Bezugspunkt unseres Lebens. Dieser Bezug ist so eindeutig wie uneindeutig, sodass sich die Seinsfrage als klarste und auch dunkelste aller Fragen eröffnet, deren Durchleuchtung ein beachtliches Vorhaben darstellt - ein Vorhaben, das gescheitert ist?
SuZ blieb bekanntlich Fragment und im Zuge dessen stellt sich die pragmatische Frage danach, was die Beschäftigung mit einem Torso hervorbringen soll, dessen ursprüngliches und eigentliches Ziel niemals erreicht wurde. Möglicherweise besteht das Erbe einer solch unabgeschlossenen Analyse in den vorbereitenden Gedanken und bereits geleisteten Analyseschritten, sodass im ursprünglichen Rahmen des Gesamtvorhabens als Vorlauf bestimmte Erkenntnisse in den Fokus der Betrachtung rücken. Im Kontext von SuZ richtet sich der Blick somit auf die umfassende sowie ausführliche Analyse des Daseins; eine Betrachtung des Menschen, die sich durch beachtliche Schärfe und Präzision, durch das beständige Fragen nach dem Da- hinter auszeichnet. Diese dem Denken Martin Heideggers eigene „bohrende Qualität“ (Arendt 1969: 895) verleiht der Daseinsanalyse einen Status, der sie möglicherweise zu mehr als einer notwendigen vorbereitenden Betrachtung macht; der sie vielleicht sogar über die Grenzen der Philosophie hinaus relevant werden lässt.
Martin Heidegger bemühte sich stets darum von einer gesellschaftskritischen, anthropologischen oder moralischen Lesart seiner vorbereitenden Analyse Abstand zu nehmen, sodass sich eine primär interpretatorische Auslegung der Daseinsanalyse als eines der oben Genannten verbietet. Die Chance zu den Gedanken Heideggers durchzudringen und diese womöglich sogar in ihrer Bedeutung für eine Wissenschaft des Daseins, die Soziologie, sichtbar zu machen, wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit vielmehr in einer strengen und zunächst textimmanenten Beschäftigung verankert. Wenn dies ernsthaft geschieht, so kann sie vorbereitendes Fundament einer externen Betrachtung sein, die ihren Boden somit auf einer philosophi- schen Erstanschauung begründet und daher womöglich weniger der Gefahr einer bloßen Auslegung der Daseinsanalyse als etwas unterliegt.2
Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesem Kontext als genuin philosophisch, da sie den Versuch einer adäquaten und verständlichen sowie ihrem Rahmen entsprechend verkürzten Darlegung der Daseinsanalyse Martin Heideggers darstellt. Die hierbei dominierende Intention, ist die Vermittlung eines ersten Einblicks in das Hauptwerk des frühen Heideggers sowie in die Darstellung seiner Konzeption des Menschen3.
Basierend auf dieser Zielsetzung stellt sich das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Vorgehen wie folgt dar: Kapitel 2 widmet sich zunächst dem zeitlich-philosophischen Kontext sowie dessen Bewertung Heideggers, welche ihn zu der Ansicht einer Notwendigkeit des erneuten Stellens der Seinsfrage veranlasst (Kapitel 2.1). Darüber hinaus erfolgt eine genauere Auslegung der Frage nach dem Sein, indem der ihr entsprechende Rahmen beschrieben wird (Kapitel 2.2). Aus dieser Struktur ergibt sich die im Anschluss dargelegte Methode sowie der mit ihr einhergehende Aufbau von SuZ (Kapitel 2.3). Nachdem in Kapitel 2 ersichtlich geworden ist, dass die Seinsfrage einer Vorbereitung bedarf, welche im Rahmen der Daseinsanalyse erfolgen soll, widmet sich die vorliegende Arbeit im Fortgang ihrer Kernthematik. In Kapitel 3 erfolgt daher die Auslegung des Daseins als Existenz, indem die mit dieser Seinsweise einhergehenden Momente betrachtet werden. In diesem Zusammenhang wird zunächst das Existenzial des In-der-Welt-seins erläutert (Kapitel 3.1), wobei dieses durch die Einzelbetrachtung seiner Phänomene erfolgt. Somit wird zunächst die Welt in ihrer Differenzierung zwischen der Welt der Dinge sowie der Weltlichkeit des Daseins beschrieben (Kapitel 3.1.1), damit im Anschluss das Phänomen des In-Seins erläutert werden kann (Kapitel 3.1.2). Das Selbst, dessen ausgehende Situation somit skizziert ist, wird nun explizit zum Gegenstand des Kapitels 3.2, welches sich im Zuge dessen den Modi von Uneigentlichkeit (Kapitel 3.2.1) sowie Eigentlichkeit (Kapitel 3.2.2) widmet. Der letzte Schritt dieser Darlegung Heideggers Daseinsanalyse manifestiert sich in der Ausweisung des Daseins als Ganzheit und der Freilegung des dieser zugrundeliegenden Sinns (Kapitel 3.3). Das die vorliegende Arbeit abschließende Kapitel 4 wagt eine erste Erwägung möglicher Bezüge, die über die philosophische Disziplin hinausreichen und bemüht sich in diesem Zusammenhang das vorher Dargestellte als mögliches Interesse für den Bereich soziologischer Betrachtungen vorzuschlagen.
2 Notwendigkeit, Ziel und Methode
2.1 Seinsvergessenheit
„Haben wir heute eine Antwort auf die Frage nach dem, was wir mit dem Wort »seiend« eigentlich meinen? Keineswegs. Und so gilt es denn, die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen“ (Heidegger 2006: 1).
Das Problem des Seins geht bis in die antike Philosophie zurück, welche feststellen musste, dass der Begriff vom Sein als der „allgemeinste und leerste“ (Heidegger 2006: 2) Begriff ausgewiesen werden kann. Heidegger definiert den Begriff des Seins wie folgt: „Sein ist jeweils das Sein eines Seienden“ (Heidegger 2006: 9), wodurch ersichtlich wird, dass sich Sein in Seiendem zeigt. Mit dem zunächst abstrakt anmutenden Begriff vom „Sein“ scheint demzufolge eine allgemeine Struktur gemeint zu sein, welche die Dinge, deren Zusammenhänge, jeden Einzelnen von uns - kurzum die Welt in der wir leben - zusammenhält und deren Fundament bildet. Sein ist demnach „allgemein“, da strenggenommen alles ist und dieses alles durchdringende Sein ist auf eine unbestimmte Weise immer schon a priori verstanden. Dieses allgemeine Verständnis des Seinsbegriffs ist für unser alltägliches Zutunhaben mit der Welt unabdingbar; unser tagtägliches Leben hält uns demnach in einem Seinsverständnis. Dieses Verständnis muss jedoch als „leer“ ausgewiesen werden, da wir, gefragt nach dem konkreten Sinn von Sein, nach dem was wir denn eigentlich meinen, wenn wir uns dieses Begriffs bedienen, zwangsläufig „verstummen“ (Prüwer 2004: 5).
Wir befinden uns demnach, all dieser Unklarheit zum Trotz, in einem stetigen Verständnis von Sätzen wie „Der Himmel ist blau“ und gewissermaßen basiert sowohl das alltägliche Leben als auch jegliche Wissenschaft auf grundsätzlichen Annahmen ontologischer Bestimmungen, welche sich jedoch bei genauerer Betrachtung als lediglich scheinbares Seinsverständnis entlarven lassen. Eben dieser, vom Vorverständnis von Sein ausgehenden Versuchung, unterlag, laut Heidegger, die gesamte abendländische Philosophie (Heidegger 2006: 2). Die vage und unvollständige Erahnung dessen, was der mannigfaltige Begriff des Seins an Bedeutung in sich trägt, führte zu einer Abschiebung der Seinsfrage in den Bereich des Nichtnotwendigen. Heideggers Vorwurf gilt somit einer Bequemlichkeit, welche das mühsame Freilegen des Seinsbegriffs zugunsten eines scheinbaren Verständnisses verworfen und letzteres somit zu einer allgemein klaren Selbstverständlichkeit erhoben hat. Auf diese Weise ist das, „was als Verborgenes das antike Philosophieren in die Unruhe trieb […] zu einer sonnenklaren Selbstverständlichkeit geworden“ (Heidegger 2006: 2). Eine „sonnenklare Selbstverständlichkeit“, die auch zu Heideggers Zeit noch im Dunkeln verweilt, ließe sich an dieser Stelle ergänzen. Was als Folge dieser Nichtbeachtung der Seinsproblematik festgehalten werden muss, ist zweierlei: Zunächst unterliegt die abendländische Philosophie einem grundlegenden Irrtum, da ihr Seinsdiskurs an der Ebene der Ontik haften bleibt. Man könnte festhalten, dass der verheerende Umkehrschluss aus Heideggers Verständnis vom Sein als „Sein eines Seienden“ (Heidegger 2006: 9) gezogen wurde, denn Sein wurde auf Seiendes reduziert. Es verhält sich jedoch ausdrücklich nicht in dieser Weise, denn das „Sein des Seienden »ist« nicht selbst ein Seiendes“ (Heidegger 2006: 6). Indem Reden und Denken über Sein auf der Ebene der Ontik eine Stagnation erfährt, wird der kontextuelle Hintergrund, die Voraussetzung dafür, dass Seiendes überhaupt ist, missachtet und das echte Fragen und Suchen nach dem Sein bricht zwangsläufig ab.
Worum es hier geht, ist die Betonung der „ontologischen Differenz“, welche Heidegger zwar erst in einer Vorlesung des Sommersemesters 1927 explizit einführt (Herrmann 2005: 22), die aber bereits in SuZ eine wesentliche Rolle spielt. Was in dieser Unterscheidung betont wird, ist das Verhältnis zwischen der Ebene der Ontik, auf welcher Seiendes in einem Verhältnis zu Sein steht, und der Ebene der Ontologie, welche die Untersuchungsebene, gleichermaßen die Ebene des Verständnisses von Sein, darstellt. Es ergibt sich somit, dass ein solches Reden über Sein, wie es seit der philosophischen Antike praktiziert wird, ausschließlich zeigen kann, dass Seiendes ist, höchstens aber, dass sich dieses Sein in irgendeinem Verhältnis zu Sein hält; nicht jedoch aber, wie es tatsächlich in diesem Verhältnis ist, sich in ihm versteht oder gar was Sein als solches auszeichnet.
Dem Seienden, das sich tastsächlich in einem Verhältnis zu seinem Sein befindet und sich aus diesem heraus versteht, verleiht Heidegger den Titel „ Dasein “ (Heidegger 2006: 11)4. Der Mensch ist also ausdrücklich der Ort, in dem Sein da ist und dies nur deshalb, weil er sich vor allem anderen Seienden in einem Verhältnis zu seinem Sein und dem Sein als solchem befindet, was wiederum überhaupt erst die Grundlage für das in ihm mitschwingende vage Seinsverständnis bildet. Aus dieser wesenhaften Betroffenheit des Daseins durch das Sein, ergibt sich in der Konsequenz die zweite verheerende Folge der Nichtbeachtung der Seinsproblema- tik, nämlich dass Seinsvergessenheit auch Selbstvergessenheit bedeutet (Heidegger 2006: 12). Der Mensch als solcher ist, und insofern verschließt er sich durch die Verdrängung der Frage nach dem Sein als solchem zuletzt vor seinem eigenen Sein, dem Sein des Daseins; das Fundament seines Lebens in dunkle Selbstverständlichkeit abschiebend, bleibt ihm auch sein eigenes Sein verborgen.
Aus dieser der Seinsfrage eigentlich innewohnenden Betroffenheit, resultiert auch die Auszeichnung derselbigen als „erste und letzte Frage der Philosophie“ (Roth 2008: 4), deren vorangegangene Missachtung Heidegger nun als Möglichkeit begreift, einen neuen Anfang zu setzen, um Licht in die lang gehegte Dunkelheit zu bringen.
2.2 Seinsfrage
Es ist ersichtlich geworden, worin Notwendigkeit und Berechtigung für das erneute Stellen der Frage nach dem Sein begründet sind. Die Disziplin, welche in der Folge dieser sich aufdrängenden Aufgabe begründet wird, ist die Fundamentalontologie, da sich aus dem Dargelegten ein „ontologischer Vorrang“ (Heidegger 2006: 11) der Frage nach dem Sein vor allem anderen kulminieren lässt. Die Seinsfrage bildet also das Fundament allen andern Fragens, denn „alle Ontologie […] bleibt im Grunde blind […], wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklärt und die Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen hat“ (Heidegger 2006: 11). Während vorangegangene Ontologien in der Tradition stehen alles Seiende einer Ordnung zu unterziehen und sich somit vielmehr an der Oberfläche der Seinsthematik bewegen, indem sie sich schlichtweg mit Seiendem beschäftigen, ist der Duktus einer Fundamentalontologie wesentlich tiefgründigerer Natur, denn nur sie hat gewissermaßen den Mut, tatsächlich nach dem Sein des Seins zu fragen (Prüwer 2004: 6).
Doch auf welche Weise ist es möglich nach dem Sein zu fragen? Wie ergründet man den Sinn von etwas, das wesenhafte Bestimmung allen Seienden ist? Wie geht man ein Problem an, dass bereits Platon nicht zu lösen vermochte?
Unter Berücksichtigung dessen, dass sowohl Verfasser als auch Leser der vorliegenden Arbeit und nicht zuletzt Martin Heidegger selbst, schlichtweg Seiendes sind, dass sich in einem Seinsverständnis unzureichender Natur hält, stellt sich die Frage nach der Durchsetzungsmöglichkeit der Seinsfrage. Wo sollte diese ansetzen und wie muss sie durchgeführt werden, damit der Fragende keinem erneuten Scheitern unterliegt? Und nicht zuletzt, wer ist überhaupt derjenige, der die Seinsfrage stellen kann und an wen soll er sie richten?
„Jedes Fragen ist ein Suchen. Jedes Suchen hat sein vorgängiges Geleit aus dem Gesuchten her“ (Heidegger 2006: 5). Das nach dem Sinn von Sein suchende Fragen muss dementspre- chend jenem Seienden entspringen, welches gewissermaßen einer apriorischen Leitung vom Gesuchten her, dem Sein, unterliegt. Dem zuvor Ausgeführten gemäß, handelt es sich hierbei um das Dasein. Der Mensch ist jenes Seiende, in dem Sein schon immer irgendwie da ist, weil er durch sein Vorverständnis, wenngleich dieses auch vager Natur sei, immer schon in einer Beziehung zum Sein ist und darüber hinaus die Seinsmöglichkeit des Fragens inne hat (Heidegger 2006: 7). Der Fragende der Seinsfrage ist somit das Dasein, das überhaupt in einem Verhältnis zum Gegenstand der Frage steht; doch an wen soll es seine Frage richten?
Dass Sein nicht auf Seiendes zurückgeführt werden darf, wurde bereits festgehalten; dass jedoch der Befragte der Seinsfrage selbst Seiendes ist, stellt keineswegs eine Missachtung der ontologischen Differenz dar. Wenn nach Heidegger Sein dasjenige ist, „was Seiendes als Seiendes bestimmt“ (Heidegger 2006: 6), so scheint es nicht nur legitim, sondern auch die einzige Möglichkeit, zu Sein als solchem über den Weg des Seienden vorzudringen. Der Fragende der Seinsfrage muss sozusagen einen Umweg nehmen, um über das spezifische Verständnis eines Seienden, indem sich Sein offenbart, zu einer adäquateren Vorstellung des Seins als solchem zu gelangen. In Anbetracht der Vielfältigkeit von Seiendem, stellt sich im Anschluss die Frage nach dem konkret Befragten der Seinsfrage (Heidegger 2006: 6f.). Die Wahl dieses Seienden ergibt sich aus der durch die Eigenschaften des Fragens an die einzelnen Strukturelemente der Seinsfrage gestellten Anforderungen: „Hinsehen auf“, „Verstehen und Begreifen von“, „Wählen und Zugang haben zu“ (Heidegger 2006: 7). Dies sind die Eigenschaften des zugleich auch fragenden Daseins, wodurch sich die Ausarbeitung der Seinsfrage als „Durchsichtigmachen eines Seienden - des fragenden - in seinem Sein“ (Heidegger 2006: 7) darstellt. Die Seinsfrage ist also gewissermaßen in erster Instanz ein Durchleuchten des fragenden Daseins seiner Selbst, als der Ort, an dem sich Sein zeigt. Dem Dasein wird auf diese Weise ein „ontisch-ontologischer Vorrang“ (Heidegger 2006: 15) eingeräumt, welcher in dem eigentümlichen Verhältnis des Menschen zu seinem Sein sowie dem Sein als solchem begründet ist.
Auf diese Weise wird zudem ersichtlich, dass es sich bei dem Gefragten der Seinsfrage um das Sein des Daseins handelt, also darum, was Dasein in seinem Sein maßgeblich bestimmt (Heidegger 2006: 6). Die Herleitung der Beantwortung des im Gefragten Geforderten, ist folglich im Gesamtzusammenhang von SuZ als ein Zwischenschritt anzusehen, welchen Heidegger im Rahmen seiner Daseinsanalyse leistet. Dieses vorläufige Ergebnis stellt gewisser- maßen nur das Sprungbrett für das eigentliche Ziel der Seinsfrage dar, welche somit als Erfragtes den Sinn von Sein ausmacht (Heidegger 2006: 5).5
Aus der Struktur der Seinsfrage ergibt sich demnach, dass Dasein (Fragender und Befragter) mit dem Ziel den Sinn von Sein (Erfragtes) als solchem aufzudecken, sein eigenes Sein (Gefragtes) analysiert. Die Seinsfrage ist somit keine beliebig austauschbare Frage, sondern eine Angelegenheit, die im Wesen des Daseins direkt angelegt und verankert ist; sie ist „[…] nichts anderes, als die Radikalisierung einer zum Dasein selbst gehörigen wesenhaften Seinstendenz, des vorontologischen Seinsverständnisses“ (Heidegger 2006: 15).
Es sei an dieser Stelle kurz eine mögliche Annahme der Redundanz diskutiert, welche davon ausgehen könnte, dass sich die der Seinsfrage vorangestellte Analyse des Seins von Dasein gleichermaßen erübrigte. Es konnte gezeigt werden, dass dieser Zusammenhang zwischen der Frage nach dem Sein als solchem sowie der Analyse des Fragenden, dem Dasein, ein notwendiger ist: „Wenn nur Dasein sinnverstehend ist, dann wird die Frage nach dem Sinn von Sein zur Frage nach dem Sein des Daseins“ (Rentsch 2003: 157). Zunächst gilt es also Klarheit hinsichtlich desjenigen, die Seinsfrage Stellenden, zu gewinnen; desjenigen, welchen Heidegger treffend als „Lichtung“ (Heidegger 2006: 133) des Seins bezeichnet, da das verstehende Dasein der Ort ist, an dem sich Sein lichtet - hier kann Sein als Bezugspunkt sichtbar werden. Die Frage nach dem Sein des Daseins, die der Frage nach dem Sinn von Sein vorgängig sein muss, ist nun alles andere als trivial, denn „Dasein ist ihm selbst ontisch »am nächsten«, ontologisch am fernsten, aber vorontologisch doch nicht fremd“ (Heidegger 2006: 16). Es zeigt sich also, dass auch die Analyse des Daseins ontologisch eine Herausforderung ist, die durch Heidegger jedoch als unabdingbarer Zwischenschritt geleistet werden muss, um der Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein näher zu kommen. Der potenzielle Vorwurf einer Trivialität innerhalb der Struktur der Seinsfrage erweist sich somit als unbegründet.
Heidegger hat somit, ausgehend vom Gegenstand seines Denkens, zunächst dessen Relevanz aufgedeckt und die Struktur der auf seine Durchleuchtung abzielenden Fragestellung explizit hervorgebracht. Diese Erkenntnisse führen nun in fortlaufender Konsequenz zum geplanten Aufbau von SuZ und somit zum Vorhaben der konkreten Durchführung der Frage nach dem Sein. Darüber hinaus scheint die analytische Herausforderung, welche die Seinsfrage an das Dasein stellt, beachtlich und es bedarf daher einer genaueren Betrachtung jener Methode, mithilfe derer dieses Vorhaben bewältigt werden soll.
2.3 Methode und Aufbau
Das ambitionierte Ziel Heideggers, nämlich das Setzen eines neuen Anfangs innerhalb der vorangegangenen Philosophiegeschichte, geht mit der Notwendigkeit einer neuen, dem Vorhaben angemessenen Methode einher. So wie sich die Struktur des Denkens dessen Gegenstand anzupassen, wenn nicht gar unterzuordnen hat, so bedarf es eines der Vorgehensweise und der Fundamentalontologie adäquaten Zugriffs. Diesen formuliert Heidegger in seinem eigensten Ansatz der „phänomenologischen Hermeneutik der Faktizität“ (Heidegger 2002: 29).
Um die Verbindung dieser zunächst verschiedenen Ansätze nachvollziehen zu können, empfiehlt es sich, die einzelnen Begriffe im Hinblick auf ihre Bedeutung im Gesamtzusammenhang des heideggerschen Vorgehens zu betrachten. So sind Ontologie und Phänomenologie strenggenommen eine zur Einheit verschmolzene Disziplin, denn „ Ontologie ist nur als Phä- nomenologie möglich “ (Heidegger 2006: 35). Heidegger unterscheidet zwischen drei Begriffen des Phänomens: der „formale“, der „vulgäre“ und der „phänomenologische“ Begriff des Phänomens. Während der formale Begriff weit gefasst ist, indem er all das beschreibt, was sich überhaupt an sich selbst zeigt6, bezieht sich der vulgäre Phänomenbegriff auf einzelne konkrete Dinge oder Sachverhalte, die gewissermaßen ersichtlich sind. Der phänomenologische Begriff bezeichnet hingegen etwas dem vulgären Phänomen Vorgängiges, das seinerseits jedoch unthematisch bleibt (Steinmann 2010: 17). Im Kontext von SuZ stellt sich das Vorhaben Heideggers wie folgt dar: Ausgehend von der alltäglichen Erscheinungsform (Faktizität) des Seienden (vulgäres Phänomen), lässt sich mithilfe der Phänomenologie das Sein dieses Seienden aufzeigen (phänomenologisches Phänomen), um im Anschluss mittels der Hermeneutik das Sein als solches, den verdeckten Sinn und Grund dieser Phänomene, aufdecken zu können (Steinmann 2010: 18).
In Anlehnung an die in Kapitel 2.2 skizzierte Struktur der Seinsfrage, zeigen sich nun die konkreten Schritte der heideggerschen Annäherung an den Begriff des Seins. Das Dasein wird in seiner Alltäglichkeit analysiert (Faktizität), also in der Weise, in der es sich zunächst und zumeist zeigt, um im Zuge dieser phänomenologischen Untersuchung das Sein des Daseins herausarbeiten zu können, damit das abschließende und eigentliche Ziel der Untersuchung, nämlich die Auslegung (Hermeneutik) des Seins als solchem, erfolgen kann. Es zeigt sich bereits an dieser Stelle eine ausgesprochene Besonderheit des Vorgehen Heideggers, welcher bereits den Denkvorgang vom Gegenstand her denkt, sodass das Sein selbst die Herangehensweise und sein Sich-zeigen vorgibt und es sich nicht einer äußerlich aufgezwungenen Methode zu beugen hat.
Diesem Maßstab getreu, ergibt sich der Aufbau von SuZ wie folgt: Heidegger betrachtet, wie gesehen, im Ausgangspunkt den Menschen in seiner Ursprünglichkeit und Alltäglichkeit und unterzieht ihn somit einer Analyse. Dieser Schritt wird im Rahmen der Daseinsanalytik geleistet, welche die verschiedenen Momente des Daseins hervorbringt und sie letztendlich in ihrer strukturellen Ganzheit gipfeln lässt, sodass das Sein des Daseins schließlich im Begriff der Sorge verankert wird (Erster Teil, Erster Abschnitt, Kapitel 1-6). Diese Betrachtung bietet die Erkenntnisgrundlage für die sich anschließende Herausarbeitung eines allgemeinen Sinns, welcher dieser zuvor freigelegten Strukturganzheit des Daseins zugrunde liegt und den Sinn der Sorge in der Zeitlichkeit festmacht (Erster Teil, Zweiter Abschnitt, Kapitel 1-3). Da dieser maßgebliche Schritt in Heideggers Analyse des Seins jedoch nicht dem Vorwurf willkürlicher Emporhebung eines scheinbar beliebigen Phänomens des Daseins zur allgemeinen Struktur unterliegen darf, erfolgt im Anschluss eine wiederholte Interpretation der zuvor aufgezeigten Daseinsstrukturen im Hinblick auf das als sinnstiftend ausgezeichnete Phänomen, da dieses nur insofern als allgemeiner Sinn festgehalten werden kann, als dass es in jedem Moment des Daseins zum Tragen kommt. Die Zeitlichkeit muss demnach in den einzelnen, zuvor herausgearbeiteten Momenten menschlicher Existenz nachgewiesen werden, um als tatsächlicher Sinn der Sorge bestätigt zu sein (Erster Teil, Zweiter Abschnitt, Kapitel 4). Die Argumentation kommt in der Folge über die Explikation der Zeit sowie mittels der Ausweisung der Zeitlichkeit als ursprünglichem Zeitbegriff der Ebene des Seins näher (Erster Teil, Zweiter Abschnitt, Kapitel 5-6), wenngleich ein Durchdringen zur selbigen ausbleibt.
An dieser Stelle bricht das Werk schlichtweg ab und lässt die eigentliche Fragestellung unbeantwortet. Von dem eigentlich geplanten Verlauf der Abhandlung erschien letztendlich nur der Erste Teil, während der Zweite Teil, der von der Zeit ausgehend den Sinn von Sein als solchem begründen sollte, niemals erschienen ist (Steinmann 2010: 27-30). Dieser Plan, welchen Heidegger zu späterer Zeit vollends verwirft, weicht in der „Kehre“ seines Denkens der Idee einer Wende hin zum Sein, einer Radikalisierung der husserlschen Prämisse „zu den Sachen selbst“ und somit der Abkehr von der subjektiven Herangehensweise über die menschliche Existenz (Roth 2008: 4).
[...]
1 Das Werk wird im Folgenden aus Gründen der Lesbarkeit durch die offizielle Abkürzung SuZ angegeben.
2 Die Tatsache, dass auch die vorliegende Arbeit eine Beschäftigung mit Heideggers Daseinsanalyse als Bachelorarbeit darstellt, soll an dieser Stelle keineswegs missachtet werden. Es sei jedoch betont, dass sich ihr primäres Ziel im Versuch einer werkimmanenten Darstellung konstatiert, da diese als notwendige Vorbereitung einer jeden externen Herangehensweise erachtet wird.
3 Es sei darauf hingewiesen, dass die vorliegende Arbeit weder die Originallektüre ersetzt, noch als umfassende Einführung verstanden werden möchte. Der Rahmen erlaubt eine stark verkürzte Einführung in die Thematik, deren Anspruch auf Vollständigkeit in der Darlegung von Heideggers Daseinsanalyse in SuZ als anmaßend erachtet würde.
4 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist die mit der Rede vom „Dasein“ konnotierte Bedeutung jene der menschlichen Seinsweise. Für dieses Verständnis lassen sich unter anderem bei Schatzki fünf Gründe ausmachen (Schatzki 1992: 82-85), wobei an dieser Stelle auch auf abweichende Lesarten, etwa durch Haugeland, welcher Dasein als „anyone and everything instituted by it“ (Haugeland 1982: 19) ausweist und somit das Bedeutungsspektrum erheblich erweitert, hingewiesen sei.
5 „Sinn“ kann in diesem Zusammenhang nicht nur semantisch gedacht werden, nämlich als Sinn des Seinsbegriffs, sondern muss auch im Hinblick auf seine gewissermaßen normative Beschaffenheit verstanden werden (Roth 2008: 4). Sinn ist nämlich „[…] das, worin sich die Verständlichkeit von etwas hält“ (Heidegger 2006: 151) und bezeichnet demnach gewissermaßen einen Verständnishorizont, vor dem jede Sache erst zugänglich und beschreibbar wird.
6 An dieser Stelle wird die Anlehnung an Edmund Husserl, den Urvater der klassischen Phänomenologie, deutlich, deren Hinwendung zum Gegenstand des Denkens sich immer „zu ihm selbst“ zu verhalten hat, damit sich dieser „von sich selbst her“ zeigen kann. Husserl räumt der Philosophie in seinem Denken ebenfalls besonderen Stellenwert ein und verfolgt dabei das Ziel, sie als strenge Wissenschaft zu begründen (Husserl 1981). Zur Vertiefung eignet sich das gleichnamige Werk „Philosophie als strenge Wissenschaft“.