In der vorliegenden Arbeit sollen die rollentheoretischen Aspekte behandelt werden, die in der Sozialisationstheorie von großer Bedeutung sind. Zunächst wird die Rollentheorie nach Ralf Dahrendorf anhand des „Homo Sociologicus“ dargestellt. Dabei wird der Mensch in der Gesellschaft dargestellt. Außerdem wird die Bedeutung und die Funktion von sozialen Rollen eingegangen. Des weiteren wird die Definitionsproblematik bezüglich der Kategorien soziale Rolle und Status aufgezeigt und die Kritik Dahrendorfs an der Soziologie verdeutlicht. Anschließend werden Begriffsbestimmungen bezüglich der Rollen und verschiedene Rollenkonzepte von Jürgen Habermas, Lothar Krappmann und Hans Paul Bahrdt zu diesem Thema angeführt, die Unterschiede zum konventionellen Rollenkonzept aufweisen und dieses kritisieren bzw. modifizieren. Dabei ist das Konzept des Interaktionismus von großer Bedeutung. Schließlich werden die Ansichten von Habermas, Krappmann und Bahrdt mit denen von Dahrendorf verglichen und in diesem Zusammenhang die Kritik am strukturell- funktionalen Rollenkonzept unterstrichen.
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.1. Der „Homo Sociologicus“ und seine Bedeutung in der Sozialisationstheorie
2.1.1. Der Mensch und die Gesellschaft
2.1.2. Soziale Rollen, ihre Bedeutung und Funktionen
2.1.3. Sozial Rolle und Status als Doppelbegriff
2.1.4. Kritik an der Soziologie
2.2. Weitere Theorien und Kritik anderer Soziologen
2.2.1. Kritik und Erweiterung des Rollenschemas nach Jürgen Habermas
2.2.2. Verschiedene Rollenkonzepte nach Lothar Krappmann
2.2.3. Begriffsbestimmungen der sozialen Rolle nach Hans Paul Bahrdt
2.3.Vergleich von Dahrendorf mit Habermas, Krappmann und Bahrdt
2.3.1. Vergleich von Dahrendorf mit Habermas
2.3.2. Vergleich von Dahrendorf mit Krappmann
2.3.3. Vergleich von Dahrendorf mit Bahrdt
3. Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit sollen die rollentheoretischen Aspekte behandelt werden, die in der Sozialisationstheorie von großer Bedeutung sind.
Zunächst wird die Rollentheorie nach Ralf Dahrendorf anhand des „Homo Sociologicus“ dargestellt. Dabei wird der Mensch in der Gesellschaft dargestellt. Außerdem wird die Bedeutung und die Funktion von sozialen Rollen eingegangen. Des weiteren wird die Definitionsproblematik bezüglich der Kategorien soziale Rolle und Status aufgezeigt und die Kritik Dahrendorfs an der Soziologie verdeutlicht.
Anschließend werden Begriffsbestimmungen bezüglich der Rollen und verschiedene Rollenkonzepte von Jürgen Habermas, Lothar Krappmann und Hans Paul Bahrdt zu diesem Thema angeführt, die Unterschiede zum konventionellen Rollenkonzept aufweisen und dieses kritisieren bzw. modifizieren. Dabei ist das Konzept des Interaktionismus von großer Bedeutung.
Schließlich werden die Ansichten von Habermas, Krappmann und Bahrdt mit denen von Dahrendorf verglichen und in diesem Zusammenhang die Kritik am strukturell-funktionalen Rollenkonzept unterstrichen.
2.1. Der „ Homo Sociologicus “ und seine Bedeutung in der Rollentheorie
2.1.1.Der Mensch und die Gesellschaft
Die Soziologie ist die Wissenschaft von dem Menschen, der eingebettet ist in seine Umwelt. Jedoch kann die Soziologie keineswegs den ganzen Menschen als solches zum wissenschaftlichen Objekt haben. Vielmehr wird er im Zusammenhang mit der Gesellschaft gesehen.[1]
Die Gesellschaft ist im Leben des Menschen von elementarer Bedeutung. Sie prägt sein Verhalten in entscheidender Weise und niemand kann sich ihr entziehen. Sie findet sich in allen Lebensbereichen des alltäglichen Lebens. Man besucht verschiedene Schulen, wählt einen Beruf, ist Mitglied in bestimmten Vereinen oder der Kirche, verhält sich einigen Menschen gegenüber anders als anderen, erzieht seine Kinder nach bestimmten Regeln; und all dies geschieht im Kontext der Gesellschaft. Dahrendorf (1971, S17) spricht daher von „der Tatsache der Gesellschaft, an die wir so oft und so intensiv gemahnt werden, dass sie sich mit gutem Grund auch als die ärgerliche Tatsache der Gesellschaft beschreiben lässt“. Die Gesellschaft stellt die vermittelnde Kraft zwischen Mensch und der Welt dar. Daher muss man nach den Elementen einer bestimmten Wissenschaft forschen, deren Aufgabe ist, den Menschen in Gesellschaft darzustellen (Dahrendorf, 1971, S.17f).
Wo der Mensch und die Gesellschaft sich schneiden, ist die Rede vom homo sociologicus. Er ist der Träger von speziellen Rollen, die von der Gesellschaft geformt werden. (Dahrendorf, 1971, S.19f). Für die Soziologie stellt der Mensch als homo sociologicus eine künstlich konstruierte, gläserne Gestalt dar, der mit dem Menschen aus unseren Alltagserfahrungen nichts gemein hat. Man spricht daher von einem Paradox zwischen diesen beiden Menschen, die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet beide Arten von Mensch in sich tragen (Dahrendorf. 1971, S.16). Er zeigt dazu den Vergleich zweier Tische auf. Zunächst den Alltagstisch, den wir als Unterlage für unsere täglichen Tätigkeiten verwenden und des weiteren den Tisch, wie der Physiker ihn beschreibt, nämlich als Aggregat von vielen Atomteilchen, das keineswegs eine feste Unterlage bietet (Dahrendorf, 1971, S.13).
Die Gesellschaft kennt für jede Art von Rollen bestimmte Verhaltensweisen, die der Einzelne anzunehmen hat. Zwar gibt er durch die Annahme dieser Attribute seine Einzigartigkeit auf, jedoch gewinnt er dadurch auch die Fürsprache der Gesellschaft, die ihn umgibt. Nimmt er die an ihn gestellten Forderungen nicht an, so behält er seine Unabhängigkeit einerseits. Diese ist dann jedoch eine beziehungs- und hoffnungslose. Andererseits zieht er mit seinem Verhalten den Zorn seiner Umwelt auf sich. In der amerikanischen Soziologie bezeichnet man diese Personen als deviants (Abweicher) (Dahrendorf, 1971, S.27).
Der homo sociologicus stellt also ein Mittel dar, einen Ausschnitt der Welt, die uns umgibt, erklärbar, rationalisierbar zu machen und sie kontrollieren zu können (Dahrendorf, 1971, S.71).
2.1.2. Soziale Rollen, ihre Bedeutung und Funktionen
Jede Person wird in der Gesellschaft einer bestimmten Stellung im Koordinatensystem von sozialen Beziehungen zugeordnet. Jede Position ist verknüpft mit einem Netz von anderen Positionen und stellt ein Positionsfeld dar. Der Begriff soziale Position bezeichnet somit jeden einzelnen Platz im Feld von sozialen Beziehungen, wobei das Individuum in der Regel mehrere Positionen einnimmt. Außerdem ist die soziale Position als Summe von Positionssegmenten zu verstehen. Dieser sozialen Stellung werden gewisse Erwartungen an ihr Verhalten zugeordnet. Zu jeder sozialen Position gehört also eine soziale Rolle. Die Gesellschaft gibt dem Einzelnen also die Rolle vor, die er zu spielen hat und somit werden die beiden Tatsachen des Individuums und der Gesellschaft zusammengebracht. Dieses Begriffspaar stellt den Menschen der Soziologie, den homo sociologicus dar. Es bildet somit ein Element der soziologischen Analyse.
Die soziale Rolle ist durch drei Merkmale gekennzeichnet, welche sie als Element der sozialen Analyse auszeichnet (Dahrendorf, 1971, S.35):
1) Die soziale Rolle ist vom Einzelnen unabhängig und bildet einen Komplex von Verhaltenserwartungen.
2) Der Inhalt der sozialen Rolle wird durch die Gesellschaft, und nicht durch den Einzelnen geprägt und verändert.
3) Die Verhaltenserwartungen, die eine soziale Rolle an das Individuum stellt, sind verbindlich und können erzwungen werden.
Die soziale Rolle ist eine Kategorie, die notwendig ist, um den Menschen in der Gesellschaft darzustellen. Die Namen dieser Kategorien bestehen seit Jahrtausenden und sind sich seither stets gleichgeblieben (Dahrendorf, 1971, S.21).
In ihr existieren Begriffe, wie sie im Bereich des Theaters zu finden sind, wie Rolle, Maske oder Charakter . Der Schauspieler auf der Bühne spielt etwas, das ihm vorgegeben wurde und außerhalb von ihm als Darsteller besteht. Dieses Vorgegebene, als Komplex von Verhaltensweisen gesehen, wird nun zusammen mit anderen Verhaltensweisen zu einem Ganzen. Außerdem hat der Schauspieler zur Aufgabe, die ihm vorgegebenen Rollen zu erlernen. Ihm ist es möglich, viele verschiedene Rollen zu lernen und ist nicht nur auf eine einzige festgelegt. Doch hinter den gespielten Rollen bleibt der Schauspieler er selbst. Nachdem er einen Charakter auf der Bühne dargestellt hat, streift er sie ab und ist der Eigentliche (Dahrendorf, 1971, S.21f).
Hierzu führt Dahrendorf unter anderem Shakespeare an. In der Komödie „As you like it“[2] zeigt sich die Möglichkeit zur Kategorisierung von sozialen Rollen bereits deutlich. Nach Shakespeare stellt die Welt eine Bühne dar, die der Mensch betritt und die er wieder verlässt. Jedoch erscheint er nicht ein einziges Mal, sondern mehrfach und in verschiedenen Rollen. Es wird hierbei auf die Altersrollen eingegangen, indem die Person als Kind die Bühne betritt und sie nach und nach als junger Mann und später als Greis wiederzubetreten. Sobald diese Person stirbt und die Bühne entgültig verlässt, treten neue Charaktere auf, die seine Rolle(n) übernehmen. Der einzelne Mensch stellt hier den Träger von gesellschaftlich geprägten Verhaltensweisen dar. Gleiches gilt auch für die Berufsrollen in diesem Stück. Die Person durchläuft während ihres Lebens zunächst die Rolle des Schuljungen, dann des jungen Soldaten und später des Richters. Für all diese Rollen, die des Richters im Speziellen, zeigt Shakespeare individuelle Verhaltensmuster auf, die den Einzelnen aus ihrer persönlichen Situation herausnehmen und ihm ein fremdes, verallgemeinertes Verhalten aufgibt. Er entwickelte somit ein Grundprinzip der Gesellschaftswissenschaft (Dahrendorf, 1971, S. 25f).
Die sozialen Rollen des Einzelnen müssen von ihm erlernt und angeeignet werden. Dies geschieht durch die Verinnerlichung von Verhaltensmustern. Den homo sociologicus macht dabei aus, dass er die gesellschaftlichen Vorschriften durch Beobachtung, Nachahmung und bewusstes Lernen in sich aufnimmt und somit mit der Gesellschaft vermittelt wird. Die Zuordnung der Positionen und die Verinnerlichung von Rollen sind gegensätzliche Prozesse, die jedoch beide zu deren Sicherung das Erziehungssystem als institutionellen Bereich beauftragt haben.
Sozialisierung und Verinnerlichung sind zwei Aspekte der Vermittlung zwischen der Gesellschaft und dem Individuum. Der Ort dieses Prozesses befindet sich am Schnittpunkt vom Einzelnen mit der Gesellschaft, die Kategorie der Rolle fällt somit auf die Grenzlinie von Soziologie und Psychologie. Der rollenlose Mensch, zum homo sociologicus entfremdet, stellt für die Soziologie ein Wesen ohne Existenz dar. Der Mensch wird vergesellschaftet, um selbst zum Mitglied der Gesellschaft und letztendlich zum Objekt der soziologischen Analyse zu werden. Im Gegensatz zur Psychologie stellt die Sozialisierung einen Prozess der Entpersönlichung dar. Der Mensch verliert die Individualität und seine Freiheit in der Annahme seiner Rollen, da diese allgemein sind und eine Kontrollfunktion besitzen. Die Psychologie sieht dies anders. Hier wird das Individuum nicht vergesellschaftet, sondern er nimmt Außenstehendes in sich auf und macht es individuell zum Teil seiner Persönlichkeit. Die Verinnerlichung von Rollen stellt für die Psychologie der Persönlichkeit einen wesentlichen Prozess dar (Dahrendorf, 1971, S.57f).
Die Gesellschaft hat verschiedene Möglichkeiten, auf das Verhalten des Individuums in bezug auf die ihm zugeordneten Rollen zu reagieren. Sie verfügt über gewisse Sanktionen. Einerseits sind dies positive, andererseits negative Sanktionen. Übt der Mensch seine Rollen nicht aus, so wird er bestraft. Tut er jedoch, wird er dafür von der Gesellschaft belohnt. Teile dieser Sanktionen sind im Rechtssystem einer Gesellschaft verankert, beispielsweise die Verhängung von Gefängnisstrafen. Negative Sanktionen können sich aber auch in der Verachtung einzelner Mitglieder zeigen. Positive Sanktionen sind unter anderem die Verleihung von Orden oder die Zuerkennung von Prestige. Die Sanktionen, sowie die Formen ihrer Ausführung, sind einem ständigen Wandel unterworfen.
Das Wirken von gesellschaftlichen Sanktionen zeigt sich deutlich in den Rollenerwartungen. Die Überwachung ihrer Einhaltung überwachen die verschiedenen Rechtsinstitutionen der Gesellschaft. Diese Muss - Erwartungen sind in fast jeder sozialen Rolle existent. Die Muss-Erwartungen bilden den Kern jeder sozialen Rolle, sie sind in ausdrücklicher Form formuliert und die mit ihnen verbundenen Sanktionen sind ausschließlich negativ, wie die Gefängnisstrafe oder der Ausschluss aus einer Partei. Mildere Strafen sind beispielsweise Verächtung oder Beförderungsverzögerungen, die jedoch in ihrer Wirkung ebenfalls nicht unterschätzt werden sollten.
Neben diesen Muss - Erwartungen gibt es außerdem die Soll - Erwartungen. Diese sind ebenfalls verbindlich und können erzwungen werden. Des weiteren sind ihre Sanktionen negativer Art, wie der Ausschluss aus sozialen Verbänden. Kommt das Individuum jedoch seinen Soll-Erwartungen nach, so kann es stets mit der Sympathie seiner Umwelt rechnen.
Eine dritte Art von gesellschaftlichen Erwartungen stellen die Kann - Erwartungen dar. Ihre Sanktionen sind überwiegend positiver Natur und drücken sich durch Schätzung des Einzelnen aus. Kann-Erwartungen sind die Erfüllung von freiwilligen Aktivitäten, wie das Sammeln von Spenden für den Verein. Erfüllt ein Mensch keinerlei Kann-Erwartungen, so muss er unter Umständen mit Antipathie seiner Mitmenschen rechnen. Er muss alternative Verhaltensformen kennen, um durch die Missachtung seiner Umwelt keinen Schaden zu nehmen (Dahrendorf, 1971, S.37ff). Rollenerwartungen sind in den meisten aller Fälle ein Ausschnitt von erlaubten Abweichungen, und stellen selten definitive Vorschriften dar. Sie können das Wissen des Einzelnen vermehren, ihn aber zu Verdrängungsprozessen verleiten und ihn somit in Konflikte führen (Dahrendorf, 1971, S.59). Wichtig hierbei ist, dass Rollenerwartungen und Sanktionen nicht unveränderlich oder fixiert sind, sondern dass sie einem ständigen Wandel unterliegen, so wie alle gesellschaftlichen Aspekte (Dahrendorf, 1971, S.60).
Die Konfrontation der Verhaltenserwartungen, die an eine soziale Rolle gestellt sind, mit dem tatsächlichen Verhalten des Individuums, ist häufig mit Schwierigkeiten verbunden. Es gilt bei der theoretischen Betrachtung zu trennen zwischen den festgelegten Normen, die auf den Einzelnen einwirken, den Meinungen der Mitglieder einer Gruppe über die Normen, die diese bestimmen und dem tatsächlichen Verhalten der Person, welche die Erwartungen an seine soziale Rolle zu erfüllen hat (Dahrendorf, 1971, S.50). Der Begriff der Gruppe wird nach R.K. Merton auch als Bezugsgruppe (reference group) beschrieben. Sie sind Fremdgruppen und bilden das Bezugssystem des Einzelnen auf sein Verhalten, indem er sich an ihrer Zustimmung oder der Ablehnung orientiert (Dahrendorf, 1971, S.45). Die Bezugsgruppe „Gesellschaft“ tritt bei der Bestimmung von Rollenerwartungen und ihrer Kontrolle neben anderen, weiteren Bezugsgruppen auf (Dahrendorf, 1971, S.51).
Die Stabilität sozialer Prozesse zeigt sich darin, in wie weit die soziale Rolle mit dem tatsächlichen Verhalten übereinstimmt oder sich die Normen und Meinungen über diese ergänzen. Mögliche Konflikte können Aufschluss über Nichtübereinstimmungen geben, durch welche die Entwicklung in eine bestimmte Richtung verlagert wird.
Die erste Art von Erwartungskonflikten liegt innerhalb einer sozialen Rolle dem Intra - Rollenkonflikt. Es handelt sich dabei um sich widersprechende Erwartungen, die an die soziale Rolle des Einzelnen gestellt werden und für ihn ein unlösbares Problem darstellen. Zum einen sieht er sich gezwungen, einen Wandel seiner sozialen Strukturen zu vollziehen. Zum anderen entstehen, falls dieser Wandel nicht eintritt, neue Verhaltensweisen, die von den Gruppen, welche auf das Individuum einwirken, nicht beabsichtigt sind. Diese Art der Untersuchung von Konflikten innerhalb der Rollen ist erst möglich, seit man zwischen verschiedenen Rollensegmenten unterscheidet.
Die zweite Art von Rollenkonflikten findet sich dort, wo auf eine Person mehre Rollen mit verschiedenen Erwartungen fallen. Diese Art von Konflikt nennt sich Inter - Rollenkonflikt. Sie sind dann bedeutsam, wenn die Rollen nicht zufällig vom Individuum ausgewählt werden, sondern Gesetzmäßigkeiten der Positionszuordnung sie bestimmen. Das bekannteste Beispiel des Inter-Rollenkonflikt zeigt sich in der Familie während der industriellen Gesellschaft. Hier verlagerte sich die Produktion von Gütern fort vom eigenen Haus zu Fabriken und der Konflikt zwischen familialen und beruflichen Rollenerwartungen war die Folge (Dahrendorf, 1971, S.76f).
Um soziale Rollen empirisch zu identifizieren, muss man zunächst eine Klassifikation vornehmen. Dabei werden diejenigen Gruppen sozialer Positionen ausgesondert, die jedem Einzelnen eine typische Position zuordnet. Diese schließen unter anderem Familien-, Berufs-, Geschlechts- und Altersklassen ein. Durch die Beschreibung von Positionen, die das Individuum einnimmt, werden die wichtigsten Gruppen abgegrenzt. Die Unterscheidung von Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen gibt Aufschluss über die Verbindlichkeit von Rollenerwartungen. Negative Sanktionen können bei der quantitiven Unterscheidung hilfreich sein. Des weiteren müssen die Bezugsgruppen ermittelt werden. Sie definieren den Ort der verschiedenen sozialen Positionen. Über die Existenz einer bestimmten Anzahl von Bezugsgruppen für jede Position lässt sich dabei keine genaue Aussage treffen. Es ist ausreichend, die wichtigsten Bezugsgruppen einer Position zu identifizieren. Dort, wo mehrere Bezugsgruppen auf eine Position einwirken, wird entscheidend, in welchem Maß sie Bezug auf die jeweilige Position nehmen. Eine Rangordnung von Bezugsgruppen ermöglicht diese Ermittlung. Die wichtigste Aufgabe bei der Beschreibung von Rollen liegt in der Identifizierung von Rollenerwartungen und Sanktionen und in deren Beschreibung. Diese Tatsache stellt zugleich eine große Schwierigkeit dar, viele frühere Versuche sind an ihr bescheitert. Es besteht die Möglichkeit, einem Menschen anhand seinem Aussehen, seinen Verhaltens- und Sprechgewohnheiten eine oder mehrere Positionen zuzuordnen. Dieses „Bestimmungsexperiment“ (Hofstätter) ist auch im umgekehrten Fall möglich (Dahrendorf, 1971, S.72ff).
2.1.3. Soziale Rolle und Status als Doppelbegriff
In seiner Beschreibung des homo sociologicus weist Dahrendorf auf die unterschiedliche Auffassung verschiedener Soziologen in Bezug auf die Elemente der soziologischen Analyse. Besonders die Divergenzen zwischen Terminologie und Konzeption ist nach Dahrendorf erstaunlich. Er führt dazu Ralph Linton an, der vom Begriff des Status spricht, was Dahrendorf als Position benennt. Für Linton stellt der Begriff des Status ein Bündel von Rechten und Pflichten dar. Er verdeutlicht dies an der bildlichen Beschreibung eines Fahrersitzes in einem Auto, bei dem die verschiedenen Funktionen wie Lenkrad, Kupplung, Gashebel oder Bremse die dem jeweiligen Fahrer als stets präsente Möglichkeiten gegeben sind. Der Fahrersitz ist dabei die Konstante. Als Rolle sieht Linton dabei den dynamischen Aspekt des Status. Dem Einzelnen wird ein bestimmter Status zugeordnet. Sobald er die Rechte und Pflichten erfüllt, die dem Status zugeordnet werden, spielt er eine soziale Rolle. Dabei ist zu beachten, dass Status und Rolle nur theoretisch voneinander zu trennen sind.
An dieser klassischen Definition zeigen sich für Dahrendorf alle Unklarheiten in Bezug auf die Begriffe Status und Rolle. Die erste ist terminologischer Art, wie also die angemessenen und möglichst unmissverständlichen Begriffe zur Bezeichnung dieser Kategorien gewählt werden müssten. Von größerer Bedeutung ist jedoch die Frage, ob es überhaupt nötig ist, zwei Begriffe für diese Elementarkategorien zu verwenden, wenn nach Linton bereits der Status ein Bündel von Rechten und Pflichten repräsentiert. Wie wäre dann die Rolle zu definieren? Dahrendorf wirft die Frage auf, ob überhaupt ein Unterschied im sozialen Beziehungsfeld gibt zwischen dem statischen und dem dynamischen Aspekt des Ortes. Auf diese Frage bezieht sich auch die nächste Unklarheit in Lintons und den darauf folgenden späteren Definitionen. Dahrendorf stellt die Frage, ob Rollen objektiv, also vom Einzelnen abzunehmen, oder ob sie vielmehr subjektive Gegebenheiten sind und vom Individuum untrennbar. Hier zeigt sich der große Unterschied zwischen den Definitionen. Dahrendorf sieht in Lintons Definition der Rolle das tatsächliche Verhalten des Einzelnen in Bezug auf die ihm entgegneten Verhaltenserwartungen und nicht einen Komplex von erwarteten Verhaltensweisen. Diese schreibt Linton dem Status als Rechte und Pflichten zu. Somit wandelt sich jedoch nach Dahrendorf die Rolle von einer quasi-objektiven Elementarkategorie zu einem Aspekt in der sozialpsychologischen Analyse. Dazu wird bei K. Davis die Kategorie der Rolle nahezu bewusst der Sozialpsychologie übergeben und aus dem Schnittbereich des Einzelnen mit der Gesellschaft genommen. Davis sieht die Rolle als die Art und Weise der Erwartungserfüllungen, die dem Einzelnen in seiner speziellen Position zugeordnet sind. Hier wird, ähnlich wie bei H.H. Gerth und C.W. Mills, die Rolle nicht mehr als Verhaltenserwartung definiert. Dahrendorf verdeutlicht, dass er im Gegensatz zu Linton, Davis, Gerth und Mills und anderen Sozialpsychologen die soziale Rolle als Verhalten eines Individuums zu vorgeformten Mustern definiert, die sich „in der Spiegelung jener nicht-individueller Tatsachen“ (vgl. Dahrendorf, 1971, S.63) zeigt. Dadurch gewinne das Verhalten des Einzelnen in Reaktion auf anderer an soziologischer Bedeutung (Dahrendorf, 1971, S.60ff).
[...]
[1] Vgl. Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus, Zehnte Auflage, Opladen, 1971, Westdeutscher Verlag
[2] vgl. Shakespeare: As you like it, II,7, siehe Anhang, S.
- Arbeit zitieren
- Insa Schmidt (Autor:in), 2004, Rollentheoretische Aspekte in der Sozialisationstheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26692