Evaluation des Gesundheitsziels "Gesundheitliche Kompetenz erhöhen"

Welche sozial differenziellen Veränderungen lassen sich feststellen?


Masterarbeit, 2013

83 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Konzepte und Definitionen
1.1.1 Das „medizinische Modell“
1.1.2 Das „Public Health-Modell“
1.1.3 Das Stufenmodell von Nutbeam
1.1.4 Die Konzeption von Gesundheitskompetenz im nationalen
Gesundheitsziel „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patienten-souveränität stärken“
1.2 Gesundheitskompetenz messen
1.2.1 Messinstrumente
1.2.2 Ergebnisse internationaler Studien zur Gesundheitskompetenz

2. Fragestellung

3. Methodik
3.1 Was soll evaluiert werden?
3.2 Auf welcher Ebene soll evaluiert werden?
3.3 Wie soll evaluiert werden?
3.3 Was ist der Bewertungsmaßstab?

4. Ergebnisse
4.1 Transparenz erhöhen
4.1.1 Transparenz über die Qualität der Einrichtungen des Gesundheitswesens: Wahrgenommene Transparenz und Wunsch nach Transparenzdaten
4.1.2 Auffindbarkeit von Transparenzinformationen
4.1.3 Verständlichkeit von Gesundheitsinformationen
4.2 Kompetenz entwickeln
4.2.1 Informationsverhalten: Interesse an Gesundheitsinformationen, genutzte Informationsquellen, Anwendung von Informationen
4.2.2 Selbstbestimmtes Handeln in Bezug auf Kontakte mit
Ärzten und Krankenkassen
4.3 Patientenrechte stärken
4.3.1 Kenntnisstand Patientenrechte
4.3.2 Wahrnehmung und Durchsetzung von Patientenrechten
4.4 Beschwerdemanagement verbessern
4.4.1 Bekanntheitsgrad und Nutzung unabhängiger Beratungsangebote

5. Diskussion und Bewertung
5.1 Transparenz erhöhen
5.2 Kompetenz entwickeln
5.3 Patientenrechte stärken
5.4 Beschwerdemanagement verbessern

Fazit

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Um das Gesundheitssystem adäquat nutzen zu können, müssen Bürger, Versicherte und Patienten[1] in der Lage sein, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und in Handlungen umzusetzen. Sie brauchen Wissen und Fähigkeiten, um körperliche Beschwerden richtig zu interpretieren, rechtzeitig Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen und Symptome gegenüber Professionellen zu beschreiben. Sie müssen Beipackzettel, Dosieranleitungen und ärztliche Therapieanweisungen verstehen oder im Falle einer chronischen Erkrankung einfache therapeutische Entscheidungen treffen.

Nicht nur im Gesundheitssystem, auch im täglichen Leben – zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft ganz allgemein - wird Gesundheit hergestellt. Die Fähigkeit, im alltäglichen Leben „Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken“, wird mit dem Begriff Gesundheitskompetenz umschrieben (Kickbusch 2006).

Durch den medizinisch-technischen Fortschritt, mehr Mitspracherechte auf Patientenseite und eine zunehmende Differenzierung von Versorgungsformen haben die oben beschriebenen Anforderungen an die Nutzerinnen und Nutzer moderner Gesundheitssysteme zugenommen.

Bevölkerungsweite Befragungen in den USA, Kanada, Australien und Europa kommen zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen dafür, sich im Gesundheitswesen zurechtzufinden, bei breiten Teilen der Bevölkerung in einem Missverhältnis zu den tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten stehen (Kutner et al. 2006, Murray et al. 2007, Pelikan et al. 2011). So kommt eine Studie zur Gesundheitskompetenz in acht europäischen Ländern (Österreich, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Irland, Niederlande, Polen und Spanien) zu dem Ergebnis, dass knapp die Hälfte der befragten Bürger (47%) über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz verfügen (Pelikan et al. 2011).

Die Folgen, die sich aus diesem Missverhältnis ergeben, können gravierend sein –sowohl für den einzelnen Patienten als auch für die Gesellschaft. Es besteht mittlerweile eine gefestigte Evidenzlage, dass eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz mit einem schlechteren Gesundheitszustand assoziiert ist (Easton et al. 2010). Bei älteren Menschen mit eingeschränkter Gesundheitskompetenz ist das Sterberisiko erhöht (Berkman et al. 2011). Zudem führt eine eingeschränkter Gesundheitskompetenz zu einer inadäquaten Nutzung des Gesundheitssystems (ebd.) Schätzungen zufolge belaufen sich die hierdurch entstehenden Mehrkosten auf etwa 3-5% des Gesamtbudgets für Gesundheit pro Jahr. Die Evidenzlage auf diesem Forschungsfeld ist jedoch noch heterogen (Eichler et al. 2009, Berkman et al. 2011).

Aufgrund dieser Zusammenhänge nehmen weltweit gesundheitspolitische Aktivitäten zu, die auf eine Verbesserung der Gesundheitskompetenz auf Bevölkerungsebene zielen (vgl. US Department of Health & Human Services 2010). Auf europäischer Ebene wurde die Verbesserung der Gesundheitskompetenz in dem Strategiepapier Together for health: a strategic approach for the EU 2008-2013 als eines der vorrangigen Ziele europäischer Gesundheitspolitik verankert (Sorensen et al. 2012).

Auch in Deutschland hat das Thema Gesundheitskompetenz in den letzten Jahren in Wissenschaft und Politik an Bedeutung gewonnen, wenngleich es als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand im internationalen Vergleich – gemessen z.B. am deutschsprachigen Publikationsaufkommen – noch relativ wenig Beachtung findet (vgl. Soellner et al. 2009). Die gesundheitspolitischen Bemühungen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz auf Bevölkerungsebene konzentrieren sich in Deutschland auf den Kooperationsverbund gesundheitsziele.de. Im Rahmen des Kooperationsverbunds wurde ein eigenes Gesundheitsziel entwickelt, um die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu verbessern, das Gesundheitsziel „Gesundheitliche Kompetent erhöhen, Patient(inn)ensouveränität stärken“. Bevor dieses Ziel näher beschrieben wird, soll der Begriff Gesundheitskompetenz geklärt werden.

1.1 Konzepte und Definitionen

Der Begriff Gesundheitskompetenz ist vielschichtig und befindet sich noch in der Entwicklung (vgl. Nutbeam 2008). Dementsprechend finden sich in der wissenschaftlichen Literatur eine Vielzahl von Definitionen und Modellen zur Beschreibung von Gesundheitskompetenz (zu einer Übersicht s. Soellner et al. 2009, Sorensen et al. 2012). Auf eine umfassende Darstellung dieser Konzepte soll aus Kapazitätsgründen verzichtet werden. Stattdessen wird der Begriff Gesundheitskompetenz anhand zweier Konzeptionen, die in gewissem Sinne zwei Enden eines breiten Spektrums markieren, plastisch gemacht. Im Anschluss soll die Konzeption von Gesundheitskompetenz im Rahmen des Gesundheitsziels „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen“ näher beleuchtet werden.

1.1.1 Das „medizinische Modell“

Die Perspektive der Medizin auf das Konzept Gesundheitskompetenz ist primär defizitorientiert. Eine mangelnde Gesundheitskompetenz wird als potentieller Risikofaktor reflektiert, der zu Beginn des Behandlungsprozesses erkannt und beherrscht werden muss (Nutbeam 2008). Empirische Ergebnisse bevölkerungsweiter Studien in den USA, nach denen breite Teile der Bevölkerung nicht über die notwendige Lesefähigkeit verfügen, um einfache Gesundheitsinformationen zu verstehen, stützen diese Sicht (vgl. Kutner et al. 2006). Der Begriff von Gesundheitskompetenz ist eng gefasst und beinhaltet primär eine auf den medizinischen Kontext bezogene Lese- und Rechenfähigkeit bzw. das entsprechende Textverständnis. Diese enge Konzeption von Gesundheitskompetenz findet sich z.B. in der Definition der American Medical Association wieder:

„The constellation of skills, including the ability to perform basic reading and numeral tasks required to function in the healthcare environment“ (Sorensen 2012).

Nach dieser Konzeption erlauben gesundheitliche Kompetenzen also primär die gelungene Anpassung an ein vorbestehendes System, z.B. die Therapietreue im Rahmen des Behandlungsprozesses. In der aktuelleren Diskussion rückt allerdings mehr und mehr der Aspekt in den Vordergrund, dass für eine gelungene Anpassungsleistung zwei Faktoren ausschlaggebend sind: die Fähigkeiten des Patienten auf der einen Seite und die Patientenorientierung der Institutionen des Gesundheitssystems auf der anderen Seite. Diese Vorstellung einer Interaktion zwischen Patient und Umgebung kommt in der Definition des Instituts of Medicine zum Ausdruck:

„Health literacy is a shared function of social an individual factors, which emerges from the interaction of the skills of individuals and the demands of social systems“ (Institute of Medicine 2004).

Diese Perspektiverweiterung hat wichtige Konsequenzen bezüglich möglicher Interventionsfelder zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz. Es stehen jetzt nicht mehr allein die Fähigkeiten des Patienten, Gesundheitsinformationen zu verstehen, sondern auch die Komplexität vermittelter Gesundheitsbotschaften seitens der Professionellen im Fokus (vgl. Baker 2006, Rudd 2010).

1.1.2 Das „Public Health-Modell“

In Abgrenzung zu der defizitorientierten Sichtweise, nach der eine (mangelnde) Gesundheitskompetenz ein Risikofaktor darstellt, ist nach der Public Health-Perspektive Gesundheitskompetenz eine wichtige Ressource, die im Rahmen von Gesundheitsbildung und Gesundheitskommunikation gestärkt werden soll. Ziel der Förderung von Gesundheitskompetenz ist es, Individuen eine größere Kontrolle über ihre Gesundheit und die sie bestimmenden persönlichen, sozialen und umweltbezogenen Determinanten zu ermöglichen. Damit ist die Konzeption von Gesundheitskompetenz eng verknüpft mit dem Empowerment-Konzept, nachdem einzelne oder Gruppen befähigt werden sollen, ihre personalen und sozialen Ressourcen zu nutzen, um mehr Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit auszuüben. Nach dem „Public Health-Modell“ wird die Wirkbreite von Gesundheitskompetenz deutlich weiter gefasst als im „medizinischen Modell“: Die Relevanz von Gesundheitskompetenz erstreckt sich nicht mehr allein auf den Bereich der unmittelbaren Gesundheitsversorgung, sondern wird auf alle Lebensbereiche ausgedehnt, in denen Gesundheit hergestellt wird (Nutbeam 2000, Nutbeam 2008).

Die WHO-Definition kann als Zusammenfassung dieser breiten Konzeption verstanden werden:

„Health literacy represents the cognitive and social skills which determine the motivation and ability of individuals to gain access to, understand and use information in ways which promote and maintain good health“ (WHO 1998).

In einem Zusatz wird der Sinngehalt dieser Definition präzisiert:

„Health literacy implies the achievement of a level of knowledge, personal skills and confidence to take action to improve personal and community health by changing personal lifestyles and living conditions. Thus, health literacy means more than being able to read pamphlets and make appointments. By improving people´s access to health information, and their capacity to use it effectively, health literacy is critical to empowerment“ (WHO 1998).

Nach der WHO-Definition versetzen gesundheitliche Kompetenzen einzelne oder Gruppen in die Lage persönliche Verhaltensweisen oder auch gesellschaftliche Verhältnisse in einer der Gesundheit zuträglichen Weise zu beeinflussen und zu verändern. (vgl. Nutbeam 2008). Die beschriebene Spanne des Wirkspektrums von Gesundheitskompetenz in den verschiedenen Konzeptionen wird durch das Stufenmodell von Nutbeam illustriert, das im Folgenden dargestellt werden soll.

1.1.3 Das Stufenmodell von Nutbeam

Funktionale Ebene: Auf der funktionalen Ebene verfügt der Patient über ein grundlegendes Lese- und Textverständnis, um einfache gesundheitsbezogene Informationen wie z.B. Beipackzettel zu verstehen. Funktionale Gesundheitskompetenz befähigt den Patienten zu gelungenen Anpassungsleistungen an vorhandene Strukturen wie sie z.B. durch das Gesundheitssystem vorgegeben werden. Eine verbesserte Therapietreue ist ein Beispiel für ein angestrebtes Ergebnis der Förderung funktionaler Gesundheitskompetenz.

Interaktive Ebene: Auf der interaktiven Ebene verfügt das Individuum über die kognitiven und sozialen Fähigkeiten, den Informationsgehalt aus verschiedenen kommunikativen Botschaften herauszufiltern und das erworbene Wissen losgelöst vom Kontext des Wissenserwerbs in unterschiedliche Lebenssituationen einzubringen. Die Herausbildung von interaktiver Gesundheitskompetenz ist von einem unterstützenden und motivierenden Umfeld abhängig. Die Bereitschaft zur gemeinsamen Entscheidungsfindung („Shared decision making“) kann als Beispiel für ein angestrebtes Ziele auf dieser Ebene genannt werden.

Kritische Ebene: Auf der kritischen Ebene verfügt das Individuum über erweiterte soziale und kognitive Fähigkeiten, um Informationen kritisch zu bewerten und zu hinterfragen. Auf der Basis dieser Fähigkeiten können Einzelne oder Gruppen ein größeres Maß an Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit ausüben als auf den anderen Stufen. Die hinzugewonnene Gesundheitskompetenz ermöglicht dem Individuum die schrittweise Emanzipation von der passiven Anpassungsrolle an bestehende Systeme zur aktiven Gestaltung dieser Systeme, sowie die Ausübung von Kontrolle über die sozialen Determinanten von Gesundheit (Nutbeam 2000, Nutbeam 2008).

1.1.4 Die Konzeption von Gesundheitskompetenz im nationalen Gesundheits-
ziel „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken“

Im Gesundheitsziel „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken“ ist Gesundheitskompetenz der Schlüssel zu mehr Patientensouveränität (Brasseit 2005). Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität werden dabei in Bezug auf zwei unterschiedliche Zielsetzungen angestrebt. Zum einen wird die Absicht verfolgt, die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger sowie den Gesundheitszustand in der Bevölkerung zu verbessern. Die Bürger sollen zu einem selbstbestimmten Umgang mit Gesundheit und Krankheit befähigt werden. Diese Zielsetzung ist eng angelehnt an das oben beschriebene Empowerment-Konzept. Zur Förderung von Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität sollen ganz im Sinne der Gesundheitsförderung „auch gesundheitlich relevante Gesellschaftsbereiche außerhalb des Gesundheitswesens als Interventionsbereiche für Maßnahmen ins Auge gefasst werden. Rein krankheits-, risikofaktoren-, oder verhaltensorientierte Ansätze können so durch verhältnisorientierte Ansätze sinnvoll ergänzt werden“ (Hölling & Brasseit 2003).

Neben dieser Public Health-Orientierung ist die Konzeption von Gesundheitskompetenz eng verknüpft mit den gesundheitspolitischen Bemühungen um eine stärkere Bürger- und Patientenbeteiligung auf allen Ebenen des Gesundheitssystems. Gesundheitskompetenz wird als Schlüsselqualifikation erkannt, die zu einer effizienteren Nutzung von gesellschaftlichen Ressourcen unter den Bedingungen des Kosten- und Rationalisierungsdrucks im Gesundheitswesen beitragen kann. Patienten sollen befähigt werden, als „Koproduzenten“ für ihre eigene Gesundheit Verantwortung zu übernehmen, um vermeidbare Kosten einzusparen. Darüber hinaus spielt Gesundheitskompetenz eine wichtige Rolle im Rahmen des Qualitätsmanagements, indem Patienten als „Experten“ für die eigene Gesundheit „als Bündnispartner von Qualitätsexperten in die Verbesserung von Versorgungsstrukturen einbezogen“ werden sollen (vgl. Dierks et al. 2001, Hölling & Brasseit 2003). Den kompetenten Nutzern des Gesundheitswesens wird die Rolle einer „dritten Kraft“ zugedacht, die Fehlanreizen im Gesundheitswesen wie z.B. einer Über-, Unter- oder Fehlversorgung, korrigierend entgegenwirken soll (vgl. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 2001). Damit erfährt das Konzept Gesundheitskompetenz eine gesundheitsökonomische Aufladung.

In den Publikationen zum Gesundheitsziel „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken“ wird auf die in der englischsprachigen Literatur gängigen Definitionen und Konzepte nicht direkt Bezug genommen. Eine eindeutige Definition von Gesundheitskompetenz findet sich nicht. Stattdessen heißt es in einer Beschreibung der entwickelten Ziele und Maßnahmen:

„ Die Arbeitsgruppe versteht unter gesundheitlicher Kompetenz einerseits individuelle und andererseits soziale bzw. kommunikative gesundheitliche Kompetenzen. Individuelle gesundheitliche Kompetenzen beziehen sich z.B. auf Fachwissen über die eigene Erkrankung oder Wissen über bestimmte Anbieter. Bei sozialen und kommunikativen Kompetenzen kann es sich z.B. um Verhandlungsgeschick im Kontakt mit Leistungsanbietern, Strategien der Hilfesuche und Fähigkeiten zur sozialen Interaktion in einer Selbsthilfegruppe handeln. In engem Zusammenhang mit der Kompetenz der Patienten steht die Patientenorientierung der Institutionen und Leistungsanbieter, die Fähigkeit zu einer patientenorientierten Gesprächsführung oder die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, die patientenorientiertes Entscheiden und Handeln erlauben“ (Hölling & Brasseit 2003).

Der Fokus dieser Beschreibung liegt auf der Förderung gesundheitlicher Kompetenzen, die auf der interaktiven Ebene des Stufenmodells von Nutbeam angesiedelt sind. Die oben angeführte wechselseitige Beziehung zwischen Kompetenzen auf Seiten des Patienten und Patientenorientierung seitens der Institutionen findet eine deutliche Gewichtung.

1.2 Gesundheitskompetenz messen

Um den Erfolg von Interventionen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz beurteilen zu können, sind geeignete Messinstrumente erforderlich.

1.2.1 Messinstrumente

Die aktuell verfügbaren Messinstrumente lassen sich drei Kategorien zuordnen. Bei der ersten Kategorie basiert die Messung auf einem kurzen Test. Messinstrumente dieser Kategorie wurden als Screening-Instrumente für den klinischen Alltag entwickelt, um Patienten mit eingeschränkter Gesundheitskompetenz zu identifizieren. Die den Messinstrumenten zugrunde liegende Konzeptualisierung von Gesundheitskompetenz bleibt auf die funktionale Ebene nach dem Stufenmodell von Nutbeam beschränkt. Geprüft wird eine auf den medizinischen Kontext bezogene Lese- und Schreibfähigkeit, bzw. der Umgang mit Zahlen. Als wichtigste Vertreter dieser Gruppe können der „Rapid Estimate of Adult Literacy in Medicine“ (REALM), der „The Test of Functional Health Literacy in Adults“ (TOFHLA) und der „Newest Vital Sign“ (NVS) genannt werden (Jordan et al. 2010).

Der REALM prüft die Aussprache- und Lesefähigkeit anhand einer Liste von
66 Begriffen mit medizinischem Bezug, die von der Testperson laut vorgelesen werden (3 Spalten, Begriffe werden immer schwerer, Beispiele für Begriffe: Anämie, Gonorrhoe). Der TOFHLA besteht aus drei Lückentexten aus dem medizinischen Bereich, die von der Testperson ergänzt werden sollen, sowie einem zahlenbezogenen Teil. Der NVS besteht aus 6 Fragen, die sich auf die Nährwerttabelle einer Eispackung beziehen. Die Testperson ist aufgefordert, aus den Angaben einfache Schlüsse abzuleiten, z.B. bezüglich der Kalorienaufnahme oder des Fettgehalts einer Portion (Jordan et al. 2010).

Bei einer zweiten Gruppe von Messinstrumenten erfolgt die Einteilung in Kompetenzlevel auf Basis der Selbsteinschätzung durch die Teilnehmer. Als Vertreter dieser Gruppe kann der The European Healt Literacy Survey (HLS-EU) genannt werden. Der EU - HLS wurde für die Messung der Gesundheitskompetenz in verschiedenen europäischen Ländern unter Federführung des Department of International Health an der Universität Maastricht, Niederlande, entwickelt. Der Fragebogen gliedert sich in zwei Teile. Im Teil A sind die Befragungsteilnehmer aufgefordert, ihre Fähigkeiten, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, den Informationsgehalt zu bewerten und mit Hilfe der Informationen Entscheidungen zu treffen auf einer 5-stufigen Lickertskala einzuschätzen (Beispiel: „Wie leicht fällt es Ihnen, Informationen über Symptome von Krankheiten, die Sie betreffen, zu finden?“). Die Fragen beziehen sich auf die drei Bereiche „medizinische Versorgung“, „Prävention“ und „Gesundheitsförderung“. Die Fragen im Teil B beziehen sich auf den subjektiven Gesundheitszustand, die Nutzung medizinischer Einrichtung, das gesundheitsrelevante Verhalten und das soziale Netz der Befragten. Zudem werden wichtige soziodemografische Merkmale wie Alter Geschlecht und den sozioökonomischen Status erfasst. Entsprechend der erreichten Punktzahl im ersten Fragenteil erfolgte die Einteilung der Teilnehmer in vier Kompetenzklassen („inadequate HL“, „problematic HL“, „sufficient HL“, „excellent HL“) (Pelikan et al 2011, Fragebogen erhältlich beim Autor).

Eine dritte Kategorie umfasst Messinstrumente, bei denen die Messung von Gesundheitskompetenz als Zusatzmodul zu allgemeineren Erhebungen des Lese- und Textverständnisses erfolgt. Unter diese Kategorie fällt z.B. der National Assessment of Adult Literacy (NAAL), der im Jahr 2003 in den USA unter Federführung des US-Department of Education durchgeführt wurde, sowie die Health Activities Literacy Scale (HALS) die in einer Studie unter Schirmherrschaft der OECD in den Jahren 2003 und 2006 zur Anwendung kam. NAAL: Der im Rahmen von computerassistierten Interviews erhobene Fragebogen enthielt neben Fragen zum allgemeinen Literacy-Niveau 28 gesundheitsbezogene Items. Die Fragen bezogen sich auf die Fähigkeit der Teilnehmer, gesundheitsrelevante Informationen in verschiedenen Textformaten, wie z.B. Informationsbroschüren oder Dosisanleitungen zu finden, zu verstehen und anzuwenden, bzw. Rechenaufgaben mit dem vorgefundenen Zahlenmaterial durchzuführen. Das Textmaterial bezog sich auf die drei Bereiche: „medizinische Versorgung“ (3 Fragen), „Prävention“ (14 Fragen) und „Navigation im Gesundheitssystem“ (11 Fragen). Die Originalfragen wurden nicht veröffentlicht. Entsprechend der Messergebnisse erfolgte eine Einteilung in vier Kompetenzklassen („below basic“, „basic“, „intermediate“, „proficient“) (Kutner et al. 2006).

Die HALS wurde ebenfalls mit dem Ziel entwickelt, Aussagen über die Gesundheitskompetenz auf Bevölkerungsebene treffen zu können. Das Testinstrument besteht aus 191 gesundheitsbezogenen Fragen, die großen Erhebungen zum Lese- und Textverständnis entnommen wurden –z.B. dem 1992 in den USA durchgeführten National Adult Literacy Survey (NALS) oder dem International Adult Literacy Survey (IALS), der in 3 Wellen zwischen 1994 und 1998 unter Federführung der OECD in zahlreichen Ländern durchgeführt wurde. Die Fragen der HALS beziehen sich erneut auf die Fähigkeit der Teilnehmer, Informationen in verschiedenen Textformaten (z.B. Informationsbroschüren, Beipackzetteln, Nährwerttabellen, Befundberichten, etc.) zu finden, zu verstehen und mit dem vorhandenen Zahlenmaterial umzugehen. Das Textmaterial wurde fünf gesundheitsrelevanten Bereichen entnommen: 1) Gesundheitsförderung, 2) Unfallverhütung bzw. Arbeits- und Umweltschutz, 3) Prävention, 4) medizinische Versorgung und 5) Navigation im Gesundheitssystem.

Die Originalfragen sind ebenfalls nicht veröffentlicht worden. Die HALS wurde leicht abgewandelt in den Adult Literacy and Life Skills Survey (ALLS) als gesundheitsbezogener Fragenkomplex integriert. Der erreichbare Punktwert variiert von 0-500 Punkten und erlaubt eine Eingruppierung in 5 Kompetenzlevel (Level 1 niedrigste Kompetenzstufe). Dabei wird das Erreichen von Level 3 als Minimalvoraussetzung angesehen, um den Ansprüchen moderner Informations- und Wissensgesellschaften in unterschiedlichen Lebensbereichen gerecht werden zu können (Murray et al. 2007, Jordan et al. 2010).

Der REALM und der TOFHLA zeigen die besten Testqualitäten (Validität und Reliabilität) und wurden in der Vergangenheit bevorzugt eingesetzt (Jordan et al. 2011). Allerdings messen diese Testinstrumente primär Lesefähigkeiten und Textverständnis und spiegeln einen sehr begrenzten Ausschnitt von Gesundheitskompetenz wieder. Mit dem EU-HLS steht seit kurzer Zeit ein Testinstrument zur Verfügung, dass auf einer breiteren Definition von Gesundheitskompetenz beruht (Sorensen et al. 2011).

1.2.2 Ergebnisse internationaler Studien zur Gesundheitskompetenz

Bis vor wenigen Jahren wurden Studien zur Messung der Gesundheitskompetenz auf Bevölkerungsebene primär im angloamerikanischen Sprachraum (USA, Kanada, Australien) durchgeführt. Im Jahr 2011 wurde erstmals auch in 8 europäischen Ländern die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung gemessen. Dies spiegelt die gewachsene Bedeutung wieder, die dem Konzept Gesundheitskompetenz nun auch im europäischen Raum beigemessen wird. Die Ergebnisse der wichtigsten und größten Studien werden im Folgenden dargestellt.

Im Jahr 2003 wurde in den USA unter Federführung des US Department of Education eine großangelegte Studie zur Lesefähigkeit und zum Textverständnis auf Bevölkerungsebene durchgeführt: The National Assessment of Adult Literacy (NAAL). Im Rahmen dieser Studie wurde eine repräsentative Stichprobe von mehr als 19.000 US-Amerikaner im Alter von 16 Jahren und älter befragt. Der Fragenkatalog beinhaltete 28 gesundheitsbezogene Fragen, womit erstmals in einem Land explizit gesundheitliche Kompetenzen auf Bevölkerungsebene gemessen wurden. Nach den Ergebnissen der Studie verfügten nur 12% der Teilnehmer über die notwendige Gesundheitskompetenz, um den komplexen Anforderungen moderner Gesundheitssysteme in vollem Umfang gerecht werden zu können (Kutner et al. 2006). In dem vom US-Department of Health and Human Services im Jahr 2010 aufgelegten „ National Action Plan to improve Health Literacy“ werden die Ergebnisse des NAAL folgendermaßen bilanziert: „These data identify limited health literacy as a population-level problem of enormous proportion, affecting nearly 9 out of 10 English-speaking adults in the United States“ (US Department of Health & Human Services 2010). Jeder fünfte Teilnehmer (22%) scheiterte an Gesundheitsinformationen, wenn sie nicht kurz und einfach gehalten waren. 14% der Teilnehmer waren lediglich in der Lage, einfachste Aufgaben durchzuführen wie das z.B. Einkreisen des nächsten Arzttermins auf einem Terminkärtchen.

Eine Auswertung nach sozialstatistischen Merkmalen zeigte, dass Männer schlechter abschnitten als Frauen. Ebenso waren Migrationshintergrund, höheres Lebensalter, niedrige Bildung und ein niedriges Haushaltseinkommen negativ mit der Fähigkeit korreliert, Gesundheitsinformationen zu lesen und zu verstehen. So kam jeder zweite Befragungsteilnehmer (49%) ohne Schulabschluss nicht über das unterste Kompetenzlevel hinaus („below basic“), während 15% der Teilnehmer mit High-School-Abschluss und 3% der Befragten mit einem Hochschulabschluss ähnlich schlecht abschnitten. Ebenso verfügten Befragte, die unterhalb der Armutsgrenze lebten, im Durchschnitt über eine geringere Gesundheitskompetenz als finanziell Bessergestellte. Bezüglich der genutzten Informationsquellen kam die Studie zu dem Ergebnis, dass Personen in den unteren beiden Kompetenzklassen („Below Basic“, „Basic“) Gesundheitsinformationen eher über das Radio und Fernsehen beziehen, während Teilnehmer in den höheren Kompetenzklassen primär Zeitungen, Bücher, Broschüren oder das Internet nutzten. Zudem nahm mit jedem Kompetenzlevel der Anteil derjenigen zu, die Gesundheitsinformationen über soziale Netzwerke wie Familie, Freunde oder den Kollegenkreis bezogen (White & Dillow 2005, Kutner et al. 2006, Rudd 2007).

Der Adult Literacy and Life Skills Survey (ALLS) wurde unter der Schirmherrschaft der OECD in zwei Wellen (2003 und 2006) in verschiedenen Ländern durchgeführt (2003: USA, Bermuda, Kanada, Italien, Mexiko, Norwegen, Schweiz; 2006: Australien, Ungarn, den Niederlanden, Neuseeland und Südkorea). Als Messinstrument für gesundheitliche Kompetenzen wurde der HALS in leicht abgewandelter Form in den allgemeinen Fragenkatalog integriert. Derzeit liegen Ergebnisse für Kanada und Australien vor.

Nach den Ergebnissen des ALLS in Kanada erreichten annähernd 55% der befragten Kanadier im Alter zwischen 16 und 65 Jahren lediglich Level 1 oder 2 und verfügten somit nicht über ausreichende Fähigkeiten um Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und für gesundheitsrelevante Entscheidungen zu nutzen. Dabei zeigte sich ein starker Zusammenhang zwischen dem erreichten Kompetenzlevel und dem Bildungsgrad der Teilnehmer: je höher der formale Bildungsabschluss war, desto besser schnitten die Testpersonen ab. Dieser Zusammenhang zeigte sich über alle Altersgruppen, wobei sich die Kluft zwischen den Teilnehmern mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen mit zunehmendem Alter vertiefte. Insgesamt erreichte in der Personengruppe der über 65-Jährigen nur etwa jede achte Teilnehmer (12%) Level 4 und 5, die angemessene gesundheitliche Kompetenzen anzeigen. Neben Personen mit niedrigem Bildungsgrad und höherem Lebensalter schnitten Personen mit Migrationshintergrund vergleichsweise schlecht ab. Zwischen den Geschlechtern zeigten sich hingegen – anders als in den USA – keine Unterschiede (Murray et al. 2007, Rootmann & Gordon-El-Bihbety 2008).

Die Auswertung des ALLS in Australien kommt zu vergleichbaren Ergebnissen. So erreichten etwa 59% der befragten Australier im Alter zwischen 15 und 74 Jahren lediglich Level 1 und 2 und verfügten somit nicht über eine ausreichende Kompetenz, um den Anforderungen eines modernen Gesundheitssystems gerecht werden zu können. Ähnlich wie in den USA und Kanada zeigte sich eine deutliche Alters- und Bildungsabhängigkeit bezüglich des erreichten Kompetenzgrads. So erreichten 69% der Teilnehmer mit einem Hochschulabschluss mindestens Level 3, während nur 28% der Personen ohne Bildungsabschluss diesen Kompetenzgrad erlangten. Neben Alter und Bildungsgrad übte auch der Beschäftigungsstatus und die Einkommenssituation einen Einfluss auf das erzielte Kompetenzlevel aus. Im Vergleich zu Erwerbslosen erreichte ein signifikant höherer Anteil von Beschäftigten mindestens Level 3 (47% vs. 25%). Noch größere Unterschiede zeigten sich beim Vergleich von hochqualifizierten Erwerbstätigen und einfachen Arbeitern (71% vs. 21% erreichten mindestens Level 3). Zudem zeigten sich deutliche Differenzen im Netto-Haushaltseinkom-men zuungunsten der Personengruppe, die maximal Level 1 erreichte. Zwischen den Geschlechtern konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (Australian Bureau of Statistics 2006).

Im Juli 2011 wurde in acht europäischen Ländern - Österreich, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Irland, Niederlande, Polen und Spanien – unter Leitung der Maastricht University, Niederlande, der The European Health Literacy Survey (HLS-EU) durchgeführt. Studienpopulation waren EU-Bürger im Alter von 15 Jahren und älter. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug 46 Jahre. In jedem Teilnehmerland wurden repräsentative Bevölkerungsstichproben von 1000 Personen gezogen. Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen von computer-assistierten persönlichen Interviews (CAPI). Nach den Ergebnissen der Studie verfügten im Länderdurchschnitt knapp 47% der Befragten über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz („inadequate HL“ oder „problematic HL“), wobei sich z.T. erhebliche Unterschiede in den einzelnen Teilnehmerländern zeigten. So lag der Anteil der Befragten, die der niedrigsten Kompetenzklasse („inadequate HL“) zuzuordnen waren, in den Niederlanden bei nur 1,6%, während der Anteil dieser Gruppe in Bulgarien immerhin 26,3% betrug. Neben „regionalen“ Unterschieden waren insbesondere ein höheres Lebensalter, Arbeitslosigkeit, ein niedriger Bildungsgrad, ein schlechter subjektiver Gesundheitszustand, sowie ein niedriges Einkommen mit einer eingeschränkten Gesundheitskompetenz assoziiert („inadequate HL“ oder „problematic HL“). So verfügten beispielsweise 72% der Teilnehmer mit einem schlechten subjektiven Gesundheitszustand, 65% der Teilnehmer mit finanziellen Schwierigkeiten und 67% der Befragten in den beiden untersten Bildungskategorien (von insgesamt 6) über unzureichende Fähigkeiten, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und für Entscheidungen zu nutzen.

Im Rahmen des HLS-EU wurde eine größere Bevölkerungsstichprobe (N = 1000) im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) gezogen. Nach den Ergebnissen für Deutschland (NRW) verfügen etwa 46% der Bürgerinnen und Bürger über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz, womit sich Deutschland in etwa im EU-Durchschnitt bewegt (47%). Weniger stark ausgeprägt als in anderen Ländern zeigt sich auch in Deutschland ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen Sozialstatus und einer eingeschränkten Gesundheitskompetenz (Pelikan et al. 2011).

Zusammenfassend kommen unabhängig von der verwendeten Messmethode großangelegte bevölkerungsweite Studien in den USA, Kanada, Australien und Europa zu dem Ergebnis, dass breite Teile der Bevölkerung nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um den Anforderungen moderner Gesundheitssysteme gerecht werden zu können. Eine besondere Risikogruppe stellen ältere Menschen, Personen mit niedrigem Bildungsgrad und Menschen mit Migrationshintergrund dar.

2. Fragestellung

Bevölkerungsweite Studien zeigen, dass Personen mit niedrigem Bildungsgrad und Sozialstatus häufiger über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz verfügen als sozial Bessergestellte. Gleichzeitig weisen verschiedene Studien darauf hin, dass eine niedrige Gesundheitskompetenz mit einem schlechteren Gesundheitszustand assoziiert ist (Easton et al. 2011). Bei älteren Menschen mit eingeschränkter Gesundheitskompetenz ist das Sterberisiko erhöht (Berkman et al. 2011). Die vorhandene Evidenz zum Thema Gesundheitskompetenz lässt auf drei Wege schließen, über die vermittelt eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz zu einem schlechteren Gesundheitszustand führen kann: 1) über eine mangelnde Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen (z.B. Vorsorgeuntersuchungen), 2) über Probleme bei der Gesundheitskommunikation (Verstehen und kommunizieren von Gesundheitsbotschaften) und 3) über ein schlechteres Selbstmanagement bei Erkrankungen (Probleme bei der Einnahme von Medikamenten, niedrigeres Krankheitswissen) (vgl. Paasche-Orlow et al. 2007, Berkman et al. 2011).

Da sozial benachteiligte Personen über eine schlechtere Gesundheitskompetenz verfügen, gleichzeitig aber eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz mit einem schlechteren Gesundheitsstatus assoziiert ist, ist eine mangelnde Gesundheitskompetenz möglicherweise ein wichtiger Einflussfaktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung gesundheitlicher Ungleichheit. So führt Rudd, eine der führenden US-Forscherinnen auf dem Gebiet „Health Literacy“ in Bezug auf die Rolle soziodemographischer Einflussfaktoren aus:

„Furthermore, differences in literacy proficiencies based on educational attainment, poverty, access to resources, and on majority versus minority status indicate powerful effects of social factors. These findings set a foundation for future examinations of literacy and health literacy as a mediating factor in health disparities.“ (Rudd 2007).

Vor diesem Hintergrund stellt die Verbesserung der Gesundheitskompetenz sozial Benachteiligter einen vielversprechenden Ansatz zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit dar (vgl. Lampert & Mielck 2008).

Die gesundheitspolitischen Bemühungen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz auf Bevölkerungsebene konzentrieren sich in Deutschland auf den Kooperationsverbund gesundheitsziele.de. Im Kooperationsverbund gesundheitsziele. de sind alle wichtigen gesundheitspolitischen Akteure – Bund, Länder, Kostenträger, Leistungserbringer, Wissenschaft, Patientenorganisationen – zusammengeschlossen. Aufgabe ist die gemeinsame Erarbeitung von Gesundheitszielen sowie die Festlegung geeigneter Maßnahmen zur Zielerreichung. Gesundheitsziele sind Vereinbarungen, die eine Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben. Sie können als politisches Steuerungsinstrument verstanden werden, mit dessen Hilfe sich die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen einen gemeinsamen Handlungsrahmen setzen. Die Zielorientierung soll dazu beitragen, den Herausforderungen eines immer komplexer werdenden Gesundheitssystems durch die Entwicklung abgestimmter Strategien und Lösungsansätze gerecht zu werden ( www.gesundheitsziele.de). Hierzu werden auf der Grundlage epidemiologischer Daten Ziele ausgewählt, die von den beteiligten Akteuren im Rahmen von Arbeitsgruppen weiter ausgestaltet werden. Die Umsetzung der gemeinsam erarbeiteten Ziele und Maßnahmen erfolgt im Sinne der Selbstverpflichtung durch die Akteure im jeweiligen Verantwortungsbereich.

Im Januar 2002 wurde die Arbeitsgruppe 8 (AG8) „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patient(innen)souveränität stärken“ eingerichtet, um exemplarische Gesundheitsziele zur Verbesserung der Bürger- und Patientenorientierung zu erarbeiten. An der Arbeitsgruppe wirkten Vertreter der Patienten- und Verbraucherberatung, der Selbsthilfe, der Wohlfahrtsverbände, der Krankenkassen, der Ärzteschaft, der Wissenschaft, des Sachverständigenrates, der Bundesländer, der Kommunen, der Frauengesundheitsbewegung, der Gewerkschaften, der pharmazeutischen Industrie und des Bundesministeriums für Gesundheit mit. Nicht beteiligten waren Vertreter der Krankenhäuser. Im Frühjahr 2003 wurde die Phase der Ziele- und Maßnahmenfindung abgeschlossen und die Umsetzungsphase begonnen (Hölling et al. 2003, Hölling & Brasseit 2003).

An die inhaltliche Ausgestaltung aller Ziele und Maßnahmen wird die Anforderung gestellt, bestimmte Querschnittsdimensionen zu berücksichtigen. Zu diesen Querschnittsdimensionen gehört u.a. die Zielsetzung, „gesundheitliche Chancengleichheit“ herzustellen (www.gesundheitsziele.de).

Bislang liegen keine Studien vor, wie sich die Gesundheitskompetenz in den sozialen Statusgruppen im zeitlichen Verlauf verändert hat.

1. Konnte die Gesundheitskompetenz sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen seit dem Jahr 2003 verbessert werden?
2. Welche Veränderungen in der Gesundheitskompetenz zeigen sich zwischen den sozialen Schichten?
3. Welcher Erkenntnisgewinn lässt sich aus diesen Ergebnissen für die Planung zukünftiger Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz sozial Benachteiligter ableiten?

3. Methodik

Zur Beantwortung der Fragestellungen soll das Gesundheitsziel „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken“ hinsichtlich der Querschnittsdimension „Gesundheitliche Chancengleichheit“ evaluiert werden. Evaluation kann begriffen werden als „ein Instrument zur empirischen Generierung von Wissen, das mit einer Bewertung verknüpft wird, um zielgerichtete Entscheidungen zu treffen“ (Stockmann & Meyer 2010). In welcher Form dieses Wissen generiert wird, welches der zugrunde gelegte Bewertungsmaßstab ist, in welcher Hinsicht die erzeugten Ergebnisse Entscheidungsfindungsprozesse für die Planung weitere Maßnahmen unterstützen können und auf welchen Gegenstand sich die Evaluation bezieht, soll entlang der folgenden Basisfragen dargestellt werden (vgl. Bortz & Döring 2006, Stockmann & Meyer 2010):

1. Was soll evaluiert werden (welcher Gegenstand)?
2. Auf welcher Ebene soll evaluiert werden (Struktur-, Prozess-, Ergebnisevaluation)?
3. Wie soll evaluiert werden (Indikatoren, Datenquellen, Studiendesign)?
4. Wozu soll evaluiert werden?
5. Was dient als Bewertungsmaßstab?

3.1 Was soll evaluiert werden?

Gegenstand der Evaluation ist das nationale Gesundheitsziel „Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patient(innen)souveräntität stärken. Das Ziel gliedert sich in vier Zielbereiche:

- Transparenz erhöhen
- Kompetenz entwickeln
- Patientenrechte stärken
- Beschwerdemanagement verbessern

Dem Ziel „Transparenz erhöhen“ liegt die Überlegung zugrunde, dass Patienten über verständliche, qualitätsgesicherte und leicht zugängliche Informationen verfügen müssen, um selbstbestimmte Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen zu können. Auf der Grundlage dieser Informationen sollen Patienten unterstützt werden, gesundheitliche Kompetenzen zu entwickeln. Der Zielbereich „Patientenrechte stärken“ zielt auf die Verbesserung im Informationsgrad der Nutzer über ihre Rechte und die Durchsetzung dieser Rechte gegenüber Leistungserbringern und Kostenträgern. Schließlich sollen mit dem Zielbereich „Beschwerdemanagement verbessern“ zu Schaden gekommene Patienten befähigt werden, ihre Beschwerden und Ansprüche wirksamer und schneller geltend zu machen (Hölling et al. 2003).

[...]


[1] In dem folgenden Beitrag sind bei männlicher Schreibweise immer beide Geschlechter gemeint

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Evaluation des Gesundheitsziels "Gesundheitliche Kompetenz erhöhen"
Untertitel
Welche sozial differenziellen Veränderungen lassen sich feststellen?
Hochschule
Charité - Universitätsmedizin Berlin  (Berlin School of Public Health)
Note
1,0
Autoren
Jahr
2013
Seiten
83
Katalognummer
V267393
ISBN (eBook)
9783656575955
ISBN (Buch)
9783656575948
Dateigröße
1117 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
evaluation, gesundheitsziels, gesundheitliche, kompetenz, patient, welche, veränderungen, gesundheitskompetenz
Arbeit zitieren
Julian Bleek (Autor:in)Marie-Luise Dierks (Reihenherausgeber:in)Gabriele Seidel (Reihenherausgeber:in), 2013, Evaluation des Gesundheitsziels "Gesundheitliche Kompetenz erhöhen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/267393

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