Leseprobe
Gliederung
I. Einleitung
II. Hauptteil
II.1 Darstellung des Ansatzes der „Bibeltheologischen Didaktik“
II.1.1 Der Text und seine Welt
II.1.2 Annäherungen an die Textwelt
II.1.3 Der Leser und seine Welt
II.1.4 Annäherungen an die Leserwelt
II.1.5 Bewegungen zwischen Textwelt und Leserwelt
II.1.6 Zur Bedeutung der Lehrkraft
II.1.7 Zusammenfassung
II.2 Konkretisierung des Ansatzes der „Bibeltheologischen
Didaktik“ anhand Gen 32,23-33: Jakobs Kampf am Jabbok
II.2.1 Hinführung zu Gen 32,23-33
II.2.2 Physischer Text Gen 32,23-33
II.2.2.1 Überblick über die Bibelstelle
II.2.2.2 Sinnabschnitte
II.2.2.3 Brüche
II.2.2.4 Doppelungen
II.2.2.5 Widersprüche / Ungereimtheiten
II.2.2.6 Leerstellen
II.2.3 Enzyklopädie des Textes
II.2.3.1 Gen 32,23-33 im Kontext der Jakobserzählung
II.2.3.2 Der Name Jakob negativ konnotiert –
Name Israel als neuer Lebensabschnitt
II.2.3.3 Charakterisierung des Mannes und Bedeutung
für Jakobs weiteren Lebensweg
II.2.3.4 Bedeutung des Segens im AT
II.2.3.5 Name des Flusses Jabbok und seine Rolle für die Erzählung
II.2.3.6 Ursprung des Ortsnamens Penuel
II.2.3.7 Wieso die Juden bin heute keinen Hüftmuskel essen
II.2.3.8 Vorbiblische Fassung des Kampfes am Jabbok
II.2.3.9. Resümee
III. Zur Tragweite und den Grenzen der Arbeit mit der
„Bibeltheologischen Didaktik“ im Religionsunterricht
des Gymnasiums
IV. Literaturverzeichnis
I Einleitung
Die Bibeldidaktik war in den letzten 80 Jahren von einem starken Wandel geprägt. Wandel in Bezug auf die Ausrichtung hin zum Subjekt. Der Leser gerät immer mehr in den Focus und mit ihm seine Fähigkeit den Text zu rekonstruieren und ihm einen je eigenen Sinn zu verleihen. Für die kerygmatische Bibelkatechese stand es noch nicht zur Debatte, dass der Leser sich seinen eigenen Textsinn konstruiert, hier ist er lediglichAdressat des Kerygmas, „[s]ein Part als Rezipient, geschweige denn als Dialogpartner des Wortes, der dieses auch prägt, wird nicht gesehen“[1]. Die hermeneutische Bibeldidaktik nähert sich dem Subjektbezug einen Schritt weiter an, sie sieht die Leser nicht mehr nur als diejenigen, denen das Wort Gottes, das in der Bibel steht, gilt, sondern die Leser sind Teil des Sinnstiftungsprozessen. Auch gibt es nicht mehr nur den einen Sinn eines biblischen Textes, sondern verschiedene. Damit wendet sich die hermeneutische Bibeldidaktik gegen die Skopusmethode der Materialkerygmatik. Ingo Baldermann geht aber davon aus, dass die biblischen Texte für den heutigen Leser immer noch unmittelbar verstehbar sind, da die Texte die Erfahrungen der Menschen transportieren, und diese stets, auch in der heutigen Zeit, Gültigkeit besitzen. Doch fraglich bleibt hierbei, ob die heutigen Leser sofort die Grundaussagen eines Textes erfassen können, da doch einige Wendungen und Textarten heutzutage nicht mehr geläufig sind. Nach Baldermann sind die Leser/innen direkt von den Erfahrungen, die der Text übermittelt, angesprochen, doch bewusst für oder gegen diese entscheiden, können sich die Leser - vor allem kindliche - nicht. Die hermeneutische Bibeldidaktik ist trotz ihres Bewusstseins, dass das Subjekt am Sinnfindungsprozess beteiligt ist, sehr auf den Text fixiert. Der Textwelt wird hierbei die komplette Aufmerksamkeit gewidmet und die Leserwelt kommt noch zu kurz.[2] Während bei den beiden vorhergehenden Didaktiken der Textsinn bereits durch den Text festgelegt war, rückt bei der Rezeptionsästhetik der Leser als Sinnstifter des Textes in das Blickfeld. Somit ist es dem Leser hier erstmals möglich aktiv am Prozess der Sinnerschaffung teilzunehmen. Das Subjekt steht hier im Mittelpunkt und nicht mehr der Text allein. Auf die Begegnung von Leser und Text kommt es an, da der Leser in dieser Begegnung aktiv den Textsinn konstruiert. Doch bei Meurer z.B. wird auf diese Begegnung an sich das Hauptaugenmerk gelegt, ob letztlich etwas daraus entsteht, ist seiner Ansicht nach zweitrangig. Hierbei ist es fraglich, ob der Prozess der Begegnung allein ausreichend ist, wäre es nicht noch wichtiger die Ergebnisse, die durch diese Begegnung entstehen, nicht untergehen zu lassen, sondern sie mit Anderen zu teilen, um dadurch den Sinnschaffungsprozess zu fördern und zu verändern.[3] Die dekonstruktive Bibeldidaktik schafft ein relativ ausgewogenes Verhältnis zwischen Text und Leser. War bei Meurer die Begegnung zwischen beiden noch das entscheidende Element, so legt die dekonstruktive Didaktik Wert auf den Austausch der Lesenden. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass die Rekonstruktionen Einzelner nicht in Vergessenheit geraten, sondern den anderen Lesern zugänglich gemacht werden. Das dient wiederum dazu, dass die verschiedenen Auslegungen Gehör finden und nicht im Individuum verweilen, ohne die Gemeinschaft dadurch zu bereichern. Doch bei dieser Didaktik stellt sich dich Frage, da sie sich vom Dekonstruktivismus ableitet, wieso überhaupt etwas konstruiert werden soll, wenn sowieso jeder rekonstruierbare Sinnzusammenhang bestritten wird.[4] Einen weiteren biblischen Ansatz entwirft Mirjam Schambeck, die ihre bibeltheologische Didaktik vor dem Hintergrund der o.g. Konzepte entwickelt. Hierbei nimmt sie sich die für sie wichtigen Punkte heraus und integriert sie in ihr Konzept, wobei sie ihren Schwerpunkt auf die Bewegung zwischen Leser und Text richtet, also auf das, was die Begegnungen der beiden auslösen. Doch dieser Schritt wird noch erweitert, da nur der Blick auf den Leser und den Text nicht umfassend genug ist, um allem was dazugehört gerecht zu werden. In der folgenden Arbeit soll der Ansatz der bibeltheologischen Didaktik dargestellt und an einem konkreten Beispiel näher erläutert werden. Dazu wird zuerst die Textwelt und anschließend die Leserwelt in den Blick genommen und wie sich diesen beiden Welten angenähert werden kann. Anschließend soll auf die Begegnung zwischen Leser und Text eingegangen werden und die Bewegungen, die diese auslöst. Auf die Rolle der Lehrkraft, die einen wesentlichen Teil zu einer erfolgreichen Auseinandersetzung zwischen den Schüler/innen, als Leser, und dem Text beiträgt, wird ebenfalls einzugehen sein. Anschließend wird der Kampf Jakobs am Jabbok (Gen 32,23-33), als konkretes Beispiel, für die bibeltheologische Didaktik entfaltet. Hierzu wird in einem ersten Schritt auf die „Strategien des Textes“ eingegangen und in einem weiteren Schritt die Enzyklopädie des Textes näher dargestellt.
II Hauptteil
II.1 Darstellung des Ansatzes der „Bibeltheologischen Didaktik“
Im Ansatz der bibeltheologischen Didaktik von Mirjam Schambeck, welchen sie in ihrem gleichnamigen Buch beschreibt, geht es um zwei „Welten“, die sich gegenüberstehen und sich gegenseitig in Bewegung versetzen, wenn sie aufeinandertreffen. Die Rede ist hier von der „Welt des Textes“ und von der „Welt des Lesers“.[5]Im Folgenden soll ein kurzer Überblick gegeben werden, was unter der Text- und der Leserwelt zu verstehen ist.
II.1.1 Der Text und seine Welt
Wenn ein Leser einen biblischen Text liest, kann das zunächst so wirken, als sei dieser einfach zu verstehen. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass in einem solchen Text mehr steckt, als zunächst angenommen. Das liegt daran, dass solch ein biblischer Text – und auch jede andere Art von Text – eben nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern dass dieser eine komplexe Wirklichkeit repräsentiert, die durch ihn mit übermittelt wird. Jeder Text übermittelt seine Welt, doch Voraussetzung ist, dass er auch gelesen wird, denn ohne den Leser kann nichts mitgeteilt werden und somit auch keine Bewegung zwischen Leser und Text stattfinden. Beim Lesen eines biblischen Textes rekonstruiert jeder Leser den Text auf seine Weise, so ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass zwei Leser genau denselben Textsinn herauslesen. Daraus ergibt sich eine Vielgestaltigkeit des Textsinns, je nachdem, welcher Leser den Text liest, und ihn durch sein Lesen rekonstruiert. Die Enzyklopädie des Textes ist eine weitere wichtige Größe der Textwelt. Diese beschreibt das Hintergrundwissen, das ein Text übermittelt. Darunter kann - grob gesagt - geschichtliches Wissen über die Entstehungszeit des Textes verstanden werden, also Wissen, das dem Leser hilft die kulturellen und geschichtlichen Hintergründe des vorliegenden Textes zu verstehen. So können bestimmte Ausdrücke oder auch Redewendungen besser verstanden werden, die in der Entstehungszeit des biblischen Textes üblich waren. Heutzutage klingen manche Ausdrücke fremd, doch die damaligen Leser, an die der Text ursprünglich gerichtet war, kannten die Wendungen aus dem normalen Sprachgebrauch. Somit ist es für das Verstehen eines Textes von essentieller Bedeutung sich mit seiner Enzyklopädie auseinanderzusetzen, weil nur dadurch eine angemessene Auslegung erreicht werden kann. Natürlich ist es nicht möglich und auch nicht sinnvoll, die kompletten Hintergründe eines Textes zu eruieren, da diese schlichtweg zu umfangreich sind, es könnte unter Umständen sogar eher hinderlich, als förderlich für das Verstehen sein, da nicht alles relevant für den Text ist. Als Begrenzung werden hierbei der biblische Kanon und auch die Rekonstruktion des Textes durch den Leser gesehen. Die Einschränkung der Textwelt durch den Leser ist hierbei so zu verstehen, dass jeder Leser andere Ansprüche an den Text stellt, keiner kann völlig frei von irgendeiner Perspektive - vollkommen objektiv - an einen biblischen Text herantreten, durch Erwartungen und persönliche Einstellungen wird die Begegnung mit dem Text begrenzt. Als Instrumentarium, mit der ein Text besser verstanden werden kann, spielt in der bibeltheologischen Didaktik die Intertextuelle Lesart eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe lässt sich der biblische Text in das Gesamt der Bibel einordnen. Das hilft dem Leser die Aussage des Textes im richtigen Kontext zu betrachten und somit besser zu verstehen. Einen Text isoliert zu betrachten hieße nur einen kleinen Teil des Ganzen in den Blick zu nehmen und würde dessen Aussagekraft schmälern, wenn nicht sogar gänzlich verfälschen.[6]
II.1.2 Annäherungen an die Textwelt
Die oben genannten Punkte beschreiben, was alles beachtet werden soll, um einem biblischen Text gerecht zu werden. In einem weiteren Schritt steht nun das Wie im Vordergrund, durch welche Schritte kann sich der Leser der Textwelt annähern. Dabei geht es vor allem darum, die Texte der Bibel in ihrem Kontext wahrzunehmen, diese also in ihr Umfeld einzuordnen, denn ein Text steht nicht für sich allein, sondern in einer Rahmenerzählung. Er ist Teil einer größeren Erzählung und muss auch dementsprechend wahrgenommen und interpretiert werden. Hierfür sind drei Schritte notwendig, zuerst eine prozedurale Analyse, dann eine strukturale Interpretation und zuletzt eine zusammenfassende Interpretation.
Bei der prozeduralen Analyse geht es einmal darum, über den eigentlichen Text hinauszudenken, um dann ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen den vorliegenden Text wiederum zu interpretieren. Dadurch, dass der Leser die Texte betrachtet auf die der eigentliche Text hinweist, verändert sich seine Sichtweise des vorliegenden Textes. Dazu empfiehlt es sich zuerst nur den unmittelbaren Kontext und erst im Anschluss den gesamten Kontext der Bibel zu betrachten. Um den eigentlichen Text in seiner Gänze erfassen zu können ist es notwendig die Hintergründe herauszufinden. Im Hinblick auf die Effizienz dieser Analyse sollten nur die Hintergründe zur Sprache kommen, die unmittelbar zu einem besseren Verständnis des Textes beitragen. Hier rücken ebenfalls die Ideen vergangener und gegenwärtiger Leser ins Blickfeld. Zum Beispiel durch die Betrachtung von Bildern oder durch das Anhören von Musik, die Künstler in Auseinandersetzung mit einem biblischen Text geschaffen haben. Manche Texte haben die Auslegungsgemeinschaft mehr beschäftigt, als andere, bzw. in anderer Weise beschäftigt und für die gegenwärtigen Leser sind möglicherweise andere Texte bedeutsam, da sich die Kultur und somit auch die Werte in einem stetigen Wandel befindet. Zusätzlich zu den verschiedenen, in der Tradition vorliegenden, Auslegungen müssen auch Brüche, Doppelungen und andere Besonderheiten des Textes wahrgenommen werden. Es gilt ein Gespür dafür zu entwickeln, dass solche Vorkommnisse im Text eben keine Versehen sind, über die der Leser einfach hinweglesen sollte, sondern es stellt sich die Frage, was der Autor damit ausdrücken will. Sollen Brüche auf etwas aufmerksam machen, eventuell auf eine bewusste Ungereimtheit hinweisen? Unterstreicht eine Doppelung eine bestimmte Passage des Textes?
[...]
[1]Schambeck, M.: Bibeltheologische Didaktik, 19.
[2]Vgl. ebd., 38ff.
[3]Vgl. ebd., 55ff.
[4]Vgl. ebd., 63f.
[5]Vgl. ebd.; Hierzu vor allem Kapitel 4Das Konzept der bibeltheologischen Didaktik, 122ff.
[6]Vgl. ebd., 122ff.