Aspekte der literarischen Anthropologie in Schillers Schauspiel „Die Räuber“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Anthropologie bei den Gebrüdern Moor
2.1 Physiognomie bei Franz und Karl Moor
2.2 Franz und Karl Moor: Macht des Verstandes und der Affekte
2.3 Die Gebrüder Moor zwischen Traum und Fieber gleichem Wahn

3. Fazit

4 Literaturverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung:

„Man nehme dieses Schauspiel für nichts anders als eine dramatische Geschichte, die die Vorteile der dramatischen Methode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen, benutzt, […] .“[1]

Mit diesem Satz eröffnet Friedrich Schiller die Vorrede zu seinem Drama „Die Räuber“. Es handelt sich bei dem Schauspiel um Schillers Erstlingswerk, das er, während seiner Zeit in der Hohen Karlsschule, neben seinem medizinischen Studium, verfasste.

Wie schon in dem oben erwähnten Zitat beschäftigte Schiller sich mit der menschlichen Seele und ihrem Zusammenspiel mit dem Körper. Auch in seiner später verfassten Dissertation „ Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen“ beschäftigt ihn diese Thematik.

Die folgende Arbeit soll der Frage nachgehen, welche anthropologischen Aspekte Schiller in seinem Schauspiel „Die Räuber“ einfließen lässt und wie er diese darstellt. Die These ist, dass Schiller die ihm bekannten anthropologischen Zusammenhänge aus der Abstraktheit einer medizinischen Schrift in eine darstellbare, konkrete Form bringt.

Das Hauptaugenmerk soll dabei auf den Gebrüdern Moor liegen.

Das Werk „Die Räuber“ wird unter anthropologischen Gesichtspunkten werkimmanent betrachtet.

Wolfgang Riedels Studie „Die Anthropologie des jungen Schiller: Zur Ideengeschichte der medizinischen Schriften und der „Philosophischen Briefe““ beschäftigt sich mit Schillers anthropologischen Theorien und welche Quellen ihn beeinflussten.

Die Studie soll Ausgangspunkt dieser Arbeit sein, um zu betrachten, welche anthropologischen Aspekte Schiller in seinem Schauspiel „Die Räuber“ übernimmt und auf die Bühne bringt.

2. Anthropologie bei den Gebrüdern Moor:

2.1 Physiognomie bei Franz und Karl Moor:

Zu Beginn soll auf die äußere Erscheinung der Brüdern Moor eingegangen werden. Schiller lässt Franz Moor sich selber explizit in Szene 1 des ersten Aktes beschreiben:

„Warum gerade mir die Lappländersnase? Gerade mir dieses Mohrenmaul? Diese Hottentottenaugen? Wirklich, ich glaube, sie hat von allen Menschensorten das Scheußliche auf einen Haufen geworfen und mich daraus gebacken.“[2]

Schiller scheint sich hier auf Johann Caspar Lavaters Theorie über die Physiognomie zu beziehen. Lavater geht davon aus, dass die äußere Erscheinung der inneren Haltung entspricht und diese sichtbar macht.[3] Diesem zur Folge würde das Aussehen von Franz seinen üblen Charakter widerspiegeln und für alle sichtbar machen.

Professor Dr. Hans Richard Brittnacher weist darauf hin, dass Schiller Lavater in der Vorstellung von „einer zwangsläufigen Entsprechung von Häßlichkeit und Dummheit“[4] in seiner Figur des Franz Moors widerspricht, da er diesen als aufgeklärten, philosophischen Arzt in Erscheinung treten lässt.

Karl Moor unterscheidet sich nicht nur charakterlich von Franz, sondern auch durch sein Äußeres. Amalia preist Karl als eine Erscheinung, bei deren Anblick sich die umliegende Gegend „unter []Wohlgefallen“[5] verschönert. Karl, der als edler Charakter dargestellt wird, gibt Schiller Lavater folgend ein edles Äußeres, aber durch Amalia geht er noch weiter, er stilisiert Karl hoch zum „Meisterbild[]“[6].

Im weiteren Verlauf des Schauspiels wendet sich Schiller bei Karl Moor von Lavaters Theorie ab, hin zu Georg Christoph Lichtenbergs Vorstellung über die Physiognomie, der Schiller selber mehr zugeneigt ist als der Theorie Lavaters[7]. Lichtenberg wehrt sich gegen die charakterliche Deutung von festen Organen, wie Nase, Mund oder Schädelform, aber er stimmt zu, dass Mimik, die zusammen mit bestimmten Affekten auftritt, das Äußere eines Menschen verändern kann.[8]

Schiller nutzt dieses Wissen in Akt 4, als Karl Moor, unter dem Namen Graf von Brand, das väterliche Schloss besucht. Karl Moor wird von keinem, weder von Amalia noch von seinem Vater, erkannt. Selbst als er zusammen mit Amalia die Galerie des Hauses Moor besucht und sie sein Bildnis betrachten, schöpft Amalia keinen Verdacht.

Schiller zeigt hier indirekt einen Zusammenhang zwischen Karls Leben als Räuber und seiner physischen Veränderung auf. Lichtenberg folgend ist davon auszugehen, dass Karls lasterhaftes Leben Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen hat.

Karl Moor äußert sich selber zu seinem Bildnis, als er es in der Galerie sieht, mit den Worten: „Mich deucht, es ist eine unglückliche Physiognomie.“[9] Es bleibt hier offen, ob Karl, entsprechend Lavaters Theorie, davon ausgeht, dass das Unglück, das ihm mit dem vermeintlichen Brief seines Vaters geschehen ist, sich schon in seiner Physiognomie andeutete. Eine andere Deutungsmöglichkeit ist, dass die Charakterzüge, die Karl schon zur Entstehung des Bildes hatte, ihn ausschließlich ins Unglück führen konnten und ihm dieses bewusst wird.

„Der feurige Geist, der in dem Buben lodert, sagtet Ihr immer, der ihn für jeden Reiz von Größe und Schönheit so empfindlich macht; diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge spiegelt, […]“[10]

Schiller greift hier ein anderes äußerliches Merkmal von Karl auf: die Augen. In der Beschreibung von Franz über seinen Bruder bringt Schiller die Vorstellung ein, dass die Seele sich in den Augen widerspiegelt. Dieses Motiv, der Augen als Spiegel der Seele, setzt sich, genauso wie dem Motiv des feurigen Geistes, in weiteren Beschreibungen von Karl fort.

So äußert Amalia in einem Gespräch mit dem alten Grafen von Moor:

„Die träge Farbe reicht nicht, den himmlischen Geist nachzuspiegeln, der in seinem feurigen Auge herrschte.“[11]

Auch hier stellt Schiller wieder die Verbindung zwischen Charakter und Physiognomie her, wie schon in dem vorangegangenen Zitat von Franz. Auch der Vater von Karl beschreibt dessen Augen, als „Dieser huldreiche, erwärmende Blick“[12]. Wiederholt werden die Augen von Karl in Bezug zu positiven Eigenschaften gesetzt. Aber all diese Beschreibungen beziehen sich nur auf Karl Moor vor seiner Zeit als Räuberhauptmann.

Schiller durchbricht diese Art der Darstellung, als Kosinsky sich den Räubern anschließen will.

„Du bist’s – in dieser Miene – wer sollte dich ansehn und einen andern suchen? (starrt ihn lang an.) Ich habe mir immer gewünscht, den Mann mit dem vernichtenden Blicke zu sehen, wie er saß auf den Ruinen von Karthago – itzt wünsch ich es nicht mehr.“[13]

Gemeint ist zwar mit dem „Mann mit dem vernichtenden Blicke“ Gaius Marius, einem römischen Feldherrn, der sich als Vertriebener in Nordafrika aufhielt,[14] doch wird ein Bezug zu Karl hergestellt. Kosinsky vergleicht beide indirekt miteinander und scheint in Karl Moor seinen „Mann mit dem vernichtenden Blicke“ gefunden zu haben. Die Augen, in denen sich ehemals positiven Eigenschaften spiegelten, scheinen sich verändert zu haben hin zu etwas Zerstörerischem. Auch hier zeigt Schiller die Verbindung zwischen physischer Erscheinung und der Seele. Er geht noch weiter darin, dass sich nicht nur die Physiognomie selber verändert hat, durch das Leben, das Karl mit den Räubern führt, sondern auch, dass eine charakterliche Veränderung optisch sichtbar geworden ist.

Bei beiden der Gebrüder Moor macht Schiller deutlich, egal welcher Theorie folgend, dass es zwischen Physiognomie und Charakter eine Korrelation gibt. Abstrahiert ausgedrückt lässt sich sagen, dass es eine Korrelation zwischen der Physis und der Seele gibt.

[...]


[1] Friedrich Schiller: Die Räuber, Ein Schauspiel, 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart: Reclam, 2006 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 15) S. 3

[2] Schiller: Die Räuber, S. 19

[3] Wolfgang Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller: Zur Ideengeschichte der medizinischen Schriften und der „Philosophischen Briefe“, Würzburg Königshausen & Neumann, 1985 S. 143

[4] H.R. Bittnacher: Die Räuber In: Koopmann, Helmut; Schiller – Handbuch; Stuttgart; Kröner Verlag 1998, S.342

[5] Schiller: Die Räuber, S. 110

[6] Schiller: Die Räuber, S. 110

[7] Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller; S.144 f.

[8] Riedel, Die Anthropologie des jungen Schiller; S.144 f

[9] Schiller: Die Räuber, S. 97

[10] Schiller: Die Räuber, S. 14

[11] Schiller: Die Räuber, S.50

[12] Schiller: Die Räuber, S.50

[13] Schiller: Die Räuber, S.89

[14] Christian Grawe :Erläuterungen und Dokumente zu: Friedrich Schiller: Die Räuber; Stuttgart: Reclam 2009 S.71

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Aspekte der literarischen Anthropologie in Schillers Schauspiel „Die Räuber“
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für neuere deutsche und europäische Literatur)
Note
2
Autor
Jahr
2011
Seiten
19
Katalognummer
V268251
ISBN (eBook)
9783656584377
ISBN (Buch)
9783656584490
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
aspekte, anthropologie, schillers, schauspiel, räuber
Arbeit zitieren
Sandra Offermanns (Autor:in), 2011, Aspekte der literarischen Anthropologie in Schillers Schauspiel „Die Räuber“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268251

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