Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Welche Länder gelten als Entwicklungsländer?
3 Innen- und außenwirtschaftliche Stellung der Entwicklungsländer im internationalen Agrarhandel
4 Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)
4.1 Ziele und Prinzipien der GAP
4.2 Entwicklung der GAP
4.2.1 Vom Nahrungsmittelimporteur zum Selbstversorger
4.2.2 Enorme Produktivitätssteigerung
4.2.3 Krise in den 1980er Jahren
4.2.4 MacSharry-Reform 1992: Von der Marktstützungs- zur Einkommenspolitik
4.2.5 Agenda 2000
4.2.6 Agrarreform 2003
4.2.7 Health Check 2008
5 Auswirkungen der GAP auf die Entwicklungsländer
5.1 EU-Exportsubventionen schuld am .Abstieg “ zum Nettoagrarimporteur?
5.2 Direktzahlungen
6 Ausweg aus der Krise?
7 Ausblick - Reform bis 2013
Literatur
Anhang
World Bank list of economies (18 July 2011)
URL: http://shop.ifrs.org/files/CLASS.pdf
DAC List of ODA Recipient
URL: http://www.oecd.org/dataoecd/32/40/43540882.pdf
DAC-Liste der Entwicklungsländer und -gebiete
URL:http://www3.uni-bonn.de/studium/studium-in-bonn-fuer-internationale-studierende/betreuung- ausl aendischer- studi erender/dac-liste
Statistics on Resource Flows to Developing Countries: Figure 1, Table 4, 25, 26.
URL: http://www.oecd.org/dataoecd/ 53Z43Z47137659.pdf
OECD, 2011: Development Cooperation Report 2011 50th anniversary edition: 229, 232-33.
URL: PDF - Download des Dokumentes: http://www.oecd.org/document/50/0.3746.de_34968570_34968855_42193714_1_1_1_1.00.html
Europäische Kommission - Pressemitteilung: Die zehn Kernpunkte der Reform
URL:http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?
reference=IP/11/1181&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en
1 Einleitung
2009 flossen rund 59. 6 Mrd. € der gesamten Ausgaben des EU-Haushalts in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU). womit die Agrarausgaben im EU-Budget zum zweitgrößten Einzeletat gehören (Rohwer. 2010: 27). Oft werden und wurden diese Ausgaben für protektionistische Maßnahmen im Agrarsektor eingesetzt. um die EU-Bauern vor der internationalen Konkurrenz zu schützen. In der vorliegenden Hausarbeit möchte ich überprüfen. ob die Kritik gerechtfertigt ist. dass Entwicklungsländer durch die agrarpolitischen Praktiken der EU in ihrer Entwicklung gehemmt werden. In diesem Zusammenhang ist weiterhin zu überprüfen. ob die GAP negative Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Ernährungssituation in den Entwicklungsländern hat. Zuerst werde ich definieren. welche Länder unter die Begriffsgruppe „Entwicklungsländer“ fallen. um anschließend ihre innen- und außenwirtschaftliche Stellung im Weltagrarhandel herauszustellen. Anschließend soll die GAP der EU in ihren verschiedenen Entwicklungsphasen dargestellt werden. Dies ist erforderlich. um den historischen Einfluss der europäischen Agrarpolitik auf die Entwicklungsländer nachzeichnen zu können. Überdies soll der Wandel der GAP im Jahr 1992 und die Folgereformen auf positive und negative Wirkungen analysiert werden. Zum Schluss werde ich Lösungsansätze zur Behebung der negativen Folgen vorstellen und die Reform bis 2013 auf Basis der Lösungsansätze bewerten.
2 Welche Länder gelten als Entwicklungsländer?
Um die Auswirkungen der GAP auf die Entwicklungsländer herausstellen zu können. muss zunächst definiert werden. welche Länder unter den Begriff „Entwicklungsland“ fallen. Sehr oberflächlich definiert. fallen unter diesen Begriff alle Länder „mit einem relativ niedrigen Stand wirtschaftlicher. sozialer und politischer Entwicklung“ (Schmidt. 2004: 198).
Eine präzisere Definition ist durchaus problematisch. da es keinen allgemein anerkannten Kriterienkatalog gibt. der gleichermaßen zur Einstufung von Ländern angewendet wird. (bpb. 2005: 7/ Nohlen. 2002: 227f) Da die Einstufungskonzepte folglich auf verschiedenen Indikatoren1 zur Messung des sozialen oder wirtschaftlichen Entwicklungsstandes basieren. kann es wegen verschiedener Kennzahlen zur widersprüchlichen Einordnung ein und desselben Landes kommen. (bpb. 2005: 8-12/ 22-25) Hinzu tritt das Problem. dass mit Hilfe eines einzelnen Indikators die „komplexe Natur der 'wirtschaftlichen Entwicklung'“ (Scholing 1981: 1) eines Landes nicht in vollem Umfang erfasst werden kann.
Die Weltbank gruppiert Länder nach ihrem Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kop2 und unterscheidet zwischen Ländern mit niedrigem Einkommen (Low income Countries, LIC). mit mittlerem Einkommen (Middle income Countries, MIC) und mit hohem Einkommen (High income Countries, HIC). Die MIC sind ihrerseits in lower middle und upper middle income Countries unterteilt (http://data.worldbank.org/about/country-classifications). Länder. die bis Juli 2011 ein BNE von weniger als 1.005 US-Dollar aufwiesen. zählten zu den LIC. Länder. deren BNE zwischen 1.006 und 3.975 US-Dollar lag zu den lower MIC und Länder. deren BNE zwischen 1.006 und 3.975 US- Dollar lag zu den upper MIC. Bei einem BNE von über 12.276 US-Dollar sind die Länder laut Weltbank den HIC zuzurechnen ( http://data.worldbank.org/about/country-classifications/ World Bank list of economies dem Anhang beigefügt. URL: http://shop. ifrs. org/files/CLASS.pdf). Die LIC und beide Gruppen der MIC werden als Entwicklungsländer bezeichnet. Allerdings betont die Weltbank. dass die unter diese Gruppen fallenden Länder hinsichtlich ihres Entwicklungsstandes nicht als homogene Masse betrachtet werden dürfen „it is not intended to imply that all economies in the group are experiencing similar development (...) Classification by income does not necessarily reflect development status.“ (http://data.worldbank.org/about/country-classifications).
Das BNE pro Kopf als Maßstab zur Einstufung der einzelnen Ländern steht allerdings wegen seiner methodischen Mängel in der Kritik. Problematisch ist bereits seine Erfassung. da Subsistenzwirtschaft und der städtische informelle Sektor nicht erfasst werden. Weiterhin täuschen Durchschnittswerte in einigen Ländern über real existierende Ungleichheit der Verteilung hinweg. (bpb. 2005: 8f) Weiterhin wird die Begrenzung auf den wirtschaftlichen Entwicklungsaspekt als zu einseitig empfunden (Nuscheler. 2004: 188-190).
Trotz der Kritik am BNE greift die EU bei ihrer Definition von Entwicklungsländern auf die Empfänger-Liste des Entwicklungshilfe-Ausschusses „Development Assistance Committee“ (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zurück (Kommission der Europäischen Union. 2010: 9f. 13/ Kommission der Europäischen Union. 2007: 14/ Rat der Europäischen Union. 2005: 3). Die DAC zieht die Einkommensgruppen der Weltbank als Basis für ihre erste Liste (Liste I) heran. So werden in Liste I die Finanzvolumina öffentlicher Entwicklungshilfe (Official Development Assistance/ODA). die die Länder der einzelnen Einkommensgruppen beziehen. in Prozent des BNE pro Kopf ausgewiesen. Die Empfänger-Länder werden als berechtigt anerkannt. öffentliche Entwicklungshilfe/ODA zu erhalten (bpb. 2005: 22f) und gelten somit als Entwicklungsländer. „These consist of all low and middle income countries. except G8 members. EU members. and countries with a firm date for entry into the EU“ (http://www.oecd.org/document/45/0.3746.en 2649 34447 2093101 1 1 1 1.00.html). Demnach zählen alle Länder, die 2009 ein geringeres BNE pro Kopf als 11 455 US Dollar aufwiesen, zu den Entwicklungsländern (Empfänger-Liste: http://www.oecd.org/dataoecd/32/40/43540882.pdf. siehe Anhang). In der folgenden Grafik (OECD, 2011: 223) sieht man die Empfänger-Länder und kann vorab ohne Einsicht der detaillierten Liste einen groben Überblick über die bedürftigsten Entwicklungsländer gewinnen.
Liste 2 umfasst die „mittel- und osteuropäische(n) Staaten und eine Teilgruppe der in der Entwicklung weiter fortgeschrittenen Entwicklungsländer- und gebiete“ (bpb, 2005: 23), die u.a. wegen ihres höheren Industrialisierungsgrades und Bildungsniveaus nicht als Entwicklungsländer anerkannt werden. (bpb, 2005: 23) Bei den Geberstaaten wird zwischen DAC-Mitgliedern und Nicht- DAC-Mitgliedern3 (OECD, 2011: 140/ OECD, 2006: 37) unterschieden. Umfassende Auflistungen der Distributionen von ODA durch die Geberstaaten finden sich im Anhang.
In meiner Hausarbeit werde ich bei der Untersuchung der Auswirkungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auf Entwicklungsländer ebenso wie die EU die Liste des DAC als Basis verwenden. Trotz dessen, dass die Entwicklungsländer wie o.e. nicht als einheitliche Masse begriffen werden dürfen, werde ich aufgrund des begrenzten Umfanges der Hausarbeit nicht auf jedes einzelne Entwicklungsland eingehen können. Ich werde allgemein von Entwicklungsländern sprechen und auf Grundlage der innen- und außenwirtschaftlichen Stellung der Entwicklungsländer im internationalen Agrarhandel, zwei Gruppen von Entwicklungsländern herausarbeiten.
3 Innen- und außenwirtschaftliche Stellung der Entwicklungsländer im internationalen Agrarhandel
Der größte produzierende Bereich in den Entwicklungsländern ist allen voran der primäre Sektor, das heißt „Land-, Forstwirtschaft, Fischerei und Bergbau“ (bpb, 2005: 10), wobei der Landwirtschaft in der gesamtwirtschaftlichen Produktion und damit Nahrungssicherheit sowie im Export die größte Bedeutung zukommt (Sauber, 2004: 22) Der Agrarsektor hat so den größten Anteil am Volkseinkommen und beschäftigt die meisten Menschen. (Sauber, 2004: 22)
Der Außenhandel wird überwiegend mit den westlichen Industrieländern geführt (bpb, 2005: 10). Viele unterentwickelte Länder spezialisierten sich wegen ihres technologischen Rückschrittes und ihres komparativen Vorteils bei agrarischen Primärgütern früh auf deren Produktion und Export. Die Produktion von Halb- und Fertigwaren bzw. Investitionsgütern wäre weitaus weniger lukrativ gewesen, da die Industrieländer in diesem Bereich klar im Vorteil waren und sind (EnqueteKommission, 2002: 144/123). So importieren Entwicklungsländer die Halb- und Fertigwaren, was zu einem ungleichen Warenaustauschverhältnis und so zum Nachteil der Entwicklungsländer führt. Schließlich erzielen Industrieländer mit der Herstellung von Fertigwaren „größere Lerneffekte, technologische Fortschritte und Verdienstspannen“ (bpb, 2005: 21).
Insgesamt entstand so eine starke Abhängigkeit vom Westen und dessen Wirtschaftsentwicklung und Marktzugangsschranken, die ich in Punkt 5 thematisieren werde. Andererseits entwickelte sich in den Entwicklungsländern selbst eine „duale Wirtschaftsstruktur“ (bpb, 2005: 10), d.h. dass die traditionelle Subsistenzwirtschaft sowie Kleinstunternehmen (KMU) einem exportorientierten Anbau gegenüberstehen, wobei letzterer wie ein „Fremdkörper“ (bpb, 2005: 10) erscheint.
Die KMU agieren in den meisten Entwicklungsländern im informellen Sektor und werden durch Farmer gegründet, die im formellen Sektor keine Arbeit gefunden haben. Oft sind Entwicklungsländer in hohem Maße von der landwirtschaftlichen Aktivität der kleinen Farmerunternehmen geprägt. Immerhin leben „rund 80 Prozent der armen Bevölkerung (...) auf dem Land“ (Enquete-Kommission, 2002: 188). Die für den Export produzierende Agrarindustrie wirkt wiederum vernichtend auf die KMU. (Enquete-Kommission, 2002: 188) In vielen Entwicklungsländern hat nämlich die Konzentration auf große Agrarunternehmen und die Benachteiligung der kleinbäuerlichen Grundnahrungsmittelproduktion bis heute überlebt. Historisch betrachtet wurden Kleinbauern sogar behindert bspw. über diskriminierende Steuern oder die Bindung der Kreditvergabe an Konditionen, die die KMU nicht erfüllen konnten. Dies führte letztlich dazu, dass Kleinbauern heute oft nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu versorgen. (Reichert, 2011: 10-11/14) Bei den für den Export bestimmten Agrarprodukten handelt es sich meist um eine beschränkte und einseitige Produktpalette aus vorwiegend mineralischen und agrarischen Rohstoffen. (bpb, 2005: 10). Diese werden auch als Cash Crops bezeichnet. Typische Cash Crops sind Kakao, Baumwolle, Kaffee und Bananen. (Reichert, 2011: 9)
Insgesamt betrachtet, ging der Agrarhandel von 47 Prozent im Jahr 1950 auf neun Prozent des Welthandels im Jahr 2000 zurück und wurde maßgeblich durch den Handel mit Industrie- und Dienstleistungsgütern verdrängt (Enquete-Kommission, 2002: 122). Ein Kontrast bildet der innereuropäische Handel. Der Anteil des internen EU-Handels am Gesamtaußenhandel der EU- Staaten liegt bei ca. 60 Prozent, was sich v.a. im starken Wachstum des Agrar- und Lebensmittelhandels zeigt, wohingegen der Austausch von Industriegütern zurückging. (Le Monde, 2002: 23) Entwicklungsländer sind in den internationalen Handel mit Agrarprodukten (einschließlich Forstprodukten) stärker integriert als in den Welthandel insgesamt. (Enquete-Kommission, 2002: 338f) Letzterer wird vorwiegend innerhalb der Triade aus Nordamerika, Europa und Asien-Pazifik abgewickelt. (Le Monde, 2002: 23) Allerdings wird der größte Teil des Agrarprodukthandels von einer Hand voll transnationaler Konzerne (TNKs) beherrscht. (Enquete-Kommission, 2002: 338f).
Nach GERMANWATCH 2002: 45 (Quelle: Claimonte und Cavanaueh 1988)
Da ein großer Teil der Entwicklungsländer seine Exporterlöse aus aus dem Verkauf sehr weniger Agrarprodukte erzielt, sind sie sehr empfindlich gegenüber Nachfrageschwankungen, der Entwicklung des Weltmarktpreises für das betreffende Produkt sowie gegenüber Handelshemmnissen durch potentielle Handelspartner. (bpb, 2005: 10f)
Generell haben sich die Terms and Trade4 für Entwicklungsländer, die auf die Ausfuhr wenig nachgefragter Primärprodukte (Rohstoffe) angewiesen oder von inneren und äußeren Konflikten geprägt sind, verschlechtert. Länder, die Öl oder arbeitsintensive Industrieprodukte exportierten, konnten hingegen positive Terms and Trade erzielen. (Enquete-Kommission, 2002: 119, bpb, 2005: 10 & 21/ Le Monde, 2002: 23)
Vor dem Hintergrund der Fragestellung meiner Hausarbeit sind hinsichtlich des Terms and Trade die landwirtschaftlichen Export- und Importprodukte unter einem gesonderten Blickwinkel zu betrachten. Unterschieden werden kann zwischen Entwicklungsländern, die mehr für Agrarimporte ausgeben, als sie durch Agrarexporte einnehmen (Nettoimporteure) und Entwicklungsländern, die mehr durch Agrarexporte einnehmen als sie durch den Import von Agrarprodukten ausgeben (Nettoexporteure). Bis in die 1980er Jahre hatten die Entwicklungsländer noch überschüssige Agrarexporte zu verzeichnen. Erst seit den 1990er Jahren ergab sich tendenziell eine negative Handelsbilanz bei Agrarprodukten, so dass viele Entwicklungsländer heute zu den Nettoimporteuren zu zählen. (Reichert, 2011: 12). So zählen rund 63 Prozent der Entwicklungsländer zur Gruppe der Nettoimporteure, bei den am wenigsten entwickelten Länder sind es rund 74 Prozent. In Bevölkerungszahlen gesprochen, leben rund 55 Prozent der in Entwicklungsländern lebenden Menschen (3,012 Milliarden von 5,248 Milliarden Menschen) in Nettoimporteuroländern. (Fairbrother/ Quisthoudt-Rowohl, 2006: 7ff) Dies belegt auch eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 1999, die feststellte, „dass mehr als zwei Drittel (105) der untersuchten 148 Entwicklungsländer Netto-Nahrungsmittelimporteure sind. In Afrika südlich der Sahara trifft dies auf 60% aller Staaten zu“ (Reichert, 2011: 12f). Als Nettoexporteure überlebt haben v.a. Länder in Südamerika und Südostasien. (Reichert, 2011: 12) In meiner Arbeit werde ich besonders auf die Nettoagrarimporteure und die Auswirkungen der GAP auf diese Gruppe eingehen.
4 Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)
4.1 Ziele und Prinzipien der GAP
Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Unterzeichnung der Römischen Verträge von 1957 wurden die zuvor nationalen Interventionsmechanismen im Agrarsektor auf die Gemeinschaftsebene übertragen (Sauber, 2004: 13/ Watzek, 2002: 9). Ziel war die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes für landwirtschaftliche Produkte sowie für deren Handel (Lachmayer/ Bauer, 2008: 433), d.h. Abschaffung der Zollschranken und Kontingentierungen freier Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs (Rohwer, 2010: 27). Der Gemeinsame Markt sollte durch eine Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) begleitet werden (Lachmayer/ Bauer, 2008: 433), deren traditionelle Ziele im Artikel 39 des EWG-Vertrages festgelegt worden sind:
1. Erhöhung der Produktivität der Landwirtschaft (Wohlstandsziel),
2. Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung zu angemessenen Preisen (Verteilungs- und Sicherheitsziel),
3. Stabilisierung der Märkte (Stabilitätsziel),
4. Gewährleistung eines angemessenen Einkommens der Landwirte (Verteilungsziel),
5. und das Interesse, einen Beitrag zu einem harmonischen Welthandel zu leisten sowie der Wille zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handel und zum Abbau der Zollschranken (Handlungsziel). (bpb, 2006: 37/ Neisser, Verschraegen, 2001: 87/ Lachmayer/ Bauer, 2008: 433)
Die Gemeinschaftspreise der EU liegen über den Weltmarktpreisen (Watzek, 2002: 11). Daher war der Zielkatalog von dem Gedanken getragen, die EU-Landwirte vor dem niedrigen Weltmarktpreisniveau und dessen Schwankungen zu schützen, was bei freiem Wettbewerb der Fall gewesen wäre und so gleichzeitig die Versorgung zu angemessen Preisen sicherzustellen. (Neisser, Verschraegen, 2001: 87).
Weiterhin gelten zwei Prinzipien: Erstens das Prinzip der „Gemeinschaftspräferenz“, d.h. dass den in der EU produzierten Produkten gegenüber Importgütern „Vorrang einzuräumen ist“ und ausländische Produkte vom Inlandsmarkt fernzuhalten sind. So sollen die EU-Landwirte i.S. eines Außenschutzes vor der Konkurrenz auf dem Weltmarkt bewahrt werden (Neisser, Verschraegen, 2001: 87/Bellers, 2004: 345ff). (Instrumente sind Importabschöpfungen (später Agrarzölle) sowie Exporterstattungen (Exportsubventionen). (Neisser, Verschraegen, 2001: 87/Watzek, 2002: 11))
Zweitens gilt das Prinzip der „Finanziellen Solidarität“, das den Gedanken trägt, die gemeinsame Agrarpolitik gemeinsam zu finanzieren (Kofinanzierung). Dies wurde 1962 (Watzek, 2002: 12) mit dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) umgesetzt. Die Ausrichtung finanziert strukturpolitische Maßnahmen im Rahmen der Agrarstrukturpolitik und „fördert vor allem die Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe sowie die Erneuerung und Anpassung von Produktionsstrukturen“ (Neisser, Verschraegen: 87). Die Garantie befasst sich mit den Ausgaben wie den Exportsubventionen oder direkten Einkommensstützungen. (Neisser, Verschraegen, 2001: 87). Im Jahr 2006 sind rund 45 Prozent der gesamten Ausgaben des EU- Haushalts in die GAP geflossen, was einer Summe von rund 54,8 Mrd. € entspricht (bpb, 2006: 37), 2009 waren es rund 59, 6 Mrd. €, womit die Agrarausgaben im EU-Budget zum zweitgrößten Einzeletat gehören (Rohwer, 2010: 27). Diese immense Investition steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass 2005 nur 4,9 Prozent aller in der EU Beschäftigten in der Landwirtschaft arbeiteten. (bpb, 2006: 37/ Hartmann, 2001: 19-21)
Das zentrale Instrument der Gemeinsamen Agrarmarktorganisation ist das gemeinsame Marktordnungssystem5, welches grundlegend auf drei verschiedenen Marktordnungstypen basiert. Zum einem Marktordnungen, in denen EU-weite einheitliche Preise (einheitliches Agrarpreisniveaus) festgelegt werden (i.d.R. in Form von Garantiepreisen), zum anderen Marktordnungen, die den Handel mit Drittländern regeln und als Außenschutz vor der Konkurrenz auf dem Weltmarkt bewahren (i.d.R. in Form von Importzöllen). Weiterhin gibt es Marktordnungen, die die direkten landwirtschaftlichen Beihilfen für die Agrarproduktion wie direkte Ausgleichszahlungen (landwirtschaftliche Beihilfesysteme) und mengenmäßige Beschränkungen regeln. (Bellers, 2004: 345ff)
Im Folgenden soll die Rolle, Entwicklung und die Ergebnisse der GAP in Europa herausgearbeitet werden. Anschließend können die Auswirkungen und Liberalisierungsanstrengungen der EUAgrarpolitik auf die Entwicklungsländer beurteilt werden. Hier soll der Fragestellung nachgegangen werden, ob die GAP sich positiv oder negativ auf die Entwicklungsländer auswirkt, und ob die von der WTO geforderten Liberalisierungsmaßnahmen gerechtfertigt sind.
4.2 Entwicklung der GAP
4.2.1 Vom Nahrungsmittelimporteur zum Selbstversorger
Sei Ende der 60er Jahre bis zur „Wende“ der GAP im Jahr 1992 (bpb, 2006: 38f/Nohlen/ Grotz, 2011: 5ff/ Watzek, 2002: 18) hat die GAP die Ziele der „Marktstabilisierung und Versorgungssicherheit übererfüllt“ (Henze, 2000: 171). Dies ist v.a. mit dem Wunsch der EWG nach Selbstversorgung und Unabhängigkeit von Nahrungsmittelimporten in den Nachkriegsjahren zu begründen (Rohwer, 2010: 28). Zur Produktivitätssteigerung arbeitete die GAP verstärkt mit Produktionsanreizen wie Subventionen und garantierten Preisen (Rohwer, 2010: 28). So wurde das Einkommen der Landwirte über Preisstützung (Henze, 2000: 171), d.h. „Maßnahmen zur produktionsgebundenen direkten Unterstützung über die Agrarpreise“ (Watzek, 2002: 20), sichergestellt. Hauptinstrumente der GAP waren ein Abschöpfungs- und Interventionssystem, die den Wettbewerb auf EU- und internationaler Ebene verzerrten, und somit im Widerspruch mit dem 2. und 5. Ziel des EWG-Vertrages stehen (Henze, 2000: 171).
[...]
1 soziale Indikatoren wie Gesundheitszustand. Analphabetismus. Arbeitslosigkeit der Bevölkerung und wirtschaftliche Indikatoren wie das Pro-Kopf-Einkommen (Blum. 1974: 45)
2 BNE: Summe der von allen Bewohnern eines Staates (Inländer) erwirtschafteten Einkommen binnen einen Jahres. Ob das Einkommen im In- oder Ausland erwirtschaftet wurde. ist irrelevant. (Zandonella. 2009)
3 24 DAC-Mitglieder: Australien, Österreich, Belgien, Kanada, Dänemark, Finnland, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Japan, Korea, Luxemburg, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Großbritannien, USA, EU // 9 Nicht-DAC-Mitglieder: Tschechien, Estland, Ungarn, Island, Israel, Polen, Slowakei, Slowenien, Türkei (OECD, 2011: 140/ OECD, 2006: 37)
4 Terms and Trade bezeichnen das Preisverhältnis zwischen exportierten und importierten Gütern und geben somit das reale Austauschverhältnis der Güter im Außenhandel wieder. (bpb, 2009)
5 Marktordnungen sind Instrumente, „mit dem Märkte für bestimmte Agrarerzeugnisse wie (...) Getreide (...) organisiert werden“ (Schrader, 2000: 6)