Meine (fast) wahre Geschichte – Ethik im beruflichen Alltag


Essay, 2013

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Beschreibung der Situation und der daran beteiligten Personen, Organisationen und Hintergründe

2. Die unterschiedlichen Perspektiven

3. Der Kern der Problemsituation und mögliche Lösungen

4. Die theoretische Betrachtung und ihre Grenzen

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Gerade im Berufsalltag sind wir häufig ethisch relevanten Situationen ausgesetzt, in denen es für den Einzelnen eine große Herausforderung darstellt, sich jeweils „rich- tig“ im Sinne von moralisch vertretbar, zu verhalten. Ein Grund dafür ist, dass man in diesen Situationen eine Handlung nicht mehr nur vor seinem eigenen Gewissen, son- dern insbesondere auch vor den Interessen bzw. eventuellen Richtlinien und Vorga- ben des Unternehmens und / oder deren Kunden rechtfertigen muss. Situationen die- ser Art müssen daher unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, analysiert und bewertet werden.

Im Folgenden soll nun solch eine ethisch relevante Situation aus dem Berufsalltag eines Versicherungsangestellten beispielhaft untersucht werden:

Zuerst soll die Situation, die beteiligten Personen und Organisationen, sowie alle, für die Problemsituation relevanten Hintergründe dargestellt und erläutert werden. Im Anschluss widmen wir uns den einzelnen Perspektiven der, an der Situation beteiligten bzw. betroffenen, Personen. Dabei wollen wir den Kern des Dilemmas freilegen und mögliche Lösungswege aufzeigen. Diese sollen dann mit Hilfe einer oder mehrerer theoretischer Ansätze wechselseitig auf Validität überprüft, und etwaige Grenzen der theoretischen Perspektive aufgezeigt werden.

1. Beschreibung der Situation und der daran beteiligten Personen, Organisationen und Hintergründe

Die Situation die wie hier betrachten wollen ist folgende: Versicherungssachbearbei- ter Anton Schwarz ist mit der Bearbeitung einer fälligen Auszahlung der Lebensversi- cherung des kürzlich, an einem Herzinfarkt, verstorbenen Versicherungsnehmers Erwin Müller betraut. Kurz nach dessen Tod hat seine Witwe, Herta Müller, die Aus- zahlung der beachtlichen Versicherungssumme beantragt. Von einigen Telefonaten mit Frau Müller weiß Herr Schwarz, dass deren finanzielle Situation durch den frü- hen, unerwarteten Herztod ihres Mannes, der noch knapp fünf Jahre bis zu seiner Pensionierung hätte arbeiten müssen, eine äußerst prekäre ist: Da sich Familie Müller erst sehr spät ein Einfamilienhaus gekauft hatte, war die Finanzierung desselben bis auf den letzten Tag des Berufslebens von Erwin Müller kalkuliert. Somit reißt dessen vorzeitiges Ableben ein großes Loch in den Finanzierungplan und ein Verkauf des Hauses lässt sich für Frau Müller nur durch die, glücklicher Weise, abgeschlossene Lebensversicherung ihres Mannes abwenden.

Durch einen gemeinsamen Bekannten erfährt Herr Schwarz durch Zufall und auf inof- fiziellem Wege, dass Herr Müller bereits über Jahre, und vor Vertragsabschluss, an einer Herzmuskelschwäche litt und sich seit langem in medikamentöser Behandlung befand. Nach erneuter Durchsicht aller relevanten Versicherungsunterlagen stellt Herr Schwarz erschrocken fest, dass die Krankengeschichte von Herrn Müller hin- sichtlich der Herzkrankheit eine Lücke aufweist. Herr Müller hat diese bei Abschluss des Versicherungsvertrages entgegen den Versicherungsbedingungen nicht angege- ben. Her Schwarz befindet sich nun ganz offensichtlich in einem Dilemma: Soll er nun die auf inoffiziellen Wege erhaltene Information über die Krankengeschichte von Herrn Müller in dessen Akte vermerken - was zur Folge hätte, dass es zu keiner Aus- zahlung der Lebensversicherungssumme kommen würde - oder soll er die Informati- on ignorieren?

2. Die unterschiedlichen Perspektiven

Bevor wir uns zum Kern der eigentlichen Dilemma-Situation vortasten wollen wir uns den einzelnen Perspektiven der direkt und auch indirekt beteiligten Personen und Organisationen widmen:

Beginnen wir mit Frau Müller. Wir können davon ausgehen, dass Frau Müller über die Krankengeschichte ihres Mannes bestens informiert gewesen ist. Ob sie allerdings über die Versicherungsbedingungen im Detail bzw. über die Angaben ihres Mannes auf dem Versicherungsantrag bescheid wusste bleibt an dieser Stelle offen. Das heißt, wir wissen nicht, ob sie weiß, dass der Versicherungsvertrag nichtig war und ist und (eigentlich) kein Anspruch auf die Auszahlung der Versicherungssumme besteht. Fakt ist allerdings, dass sich Frau Müller in einer äußerst ungünstigen finanziellen Lage befindet und auf die Auszahlung gewissermaßen angewiesen ist. Mann könnte sagen, Frau Müller vertritt alleine ihre Interessen; doch ist als Erbin ihres Mannes als dessen Vertreterin anzusehen - mit allen Rechten und Pflichten.

Bei Herrn Schwarz gestaltet sich die Situation durchaus komplizierter: Er ist nicht nur sich selbst und seinem Gewissen gegenüber verpflichtet, sondern er vertritt in erster Linie seinen Arbeitgeber, das Versicherungsunternehmen. Herr Schwarz ist somit Teil einer Organisation. Diese Organisation hat eigene Regeln, denen Herr Schwarz mit der Unterzeichnung seines Arbeitsvertrages zugestimmt hat. In diesen Regeln - modern „Business Conduct Lines“ steht mit großer Sicherheit an einer Stelle, dass der Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitgebers zu handeln hat. Im Fall von Herrn Müller bedeutet das: Da die Vertragsbedingungen nicht eingehalten wurden darf es auch zu keiner Auszahlung kommen. An dieser Stelle könnten wir sagen - klarer Fall es ist ganz eindeutig was Herr Schwarz zu tun hat, nämlich die Information weiterzu- leiten und den Versicherungsbetrug anzuzeigen. Die Folge wäre natürlich dass eine Zahlung verweigert würde. Wie entsteht nun also das Dilemma aus der perspektive von Herrn Schwarz? Es hängt an dem vermeintlich winzigen Detail wie die Informati- on zu Herrn Schwarz geflossen ist: Nämlich auf inoffiziellen Wege. Das heißt im über- tragenen Sinne, offiziell ist die Information weder für Herrn Schwarz und demnach noch für die Versicherung existent. Fakt ist aber dass Herr Schwarz Bescheid weiß und sich damit in einem Dilemma zwischen den Ansprüchen seines Arbeitgebers, dem er nicht in Loyalität verpflichtet ist, sondern auf das er finanziell auch angewie- sen ist, und den Forderungen einer, schuldlos, in finanzielle Schwierigkeiten geratene Witwe steht.

Aus Sicht der Versicherung scheint es eine ganz klare Haltung zu geben: Bei Abschluss einer (Lebens-) Versicherung gelten bestimmte Vertragsbedingungen. Diese sind von dem Versicherungsnehmer bei Unterzeichnung anzuerkennen. Falls Falschangaben gemacht wurden bzw. Informationen nicht angegeben wurden kann dies rückwirkend zu einem nichtig-werden des Vertrages führen.

Als weitere, indirekt beteiligte Partei stellen sich die Versicherungsnehmer heraus. Diese gehen, wenn sie die Vertragsbedingungen akzeptieren, davon aus, dass erstens alle anderen Versicherungsnehmer auch alle Angaben richtig und vollständig ge- macht haben und zweitens, alle diejenigen, die diese Angaben ebenfalls gemacht, die Anforderungen aber nicht erfüllten, erst gar keinen Vertrag erhalten haben. Somit können wir als eine Art „Untergruppe“ der Versicherungsnehmer diejenigen zusam- menfassen, deren Vertrag aufgrund ihrer Redlichkeit erst gar nicht zustande gekom- men ist.

Zuletzt wollen wir der Vollständigkeit halber noch den „gemeinsamen Bekannten“ abhandeln. Dieser ist natürlich nur indirekt beteiligt aber gleichzeitig hat er das Di- lemma ausgelöstǤ Bei der „Weitergabe“ der Information musste er davon ausgehen - im Wissen dass sein Bekannter Herr Schwarz bei dem Versicherungsunternehmen arbeitet bei dem Familie Müller ihre Ansprüche gelten machen will, dass der Krank- heitsverlauf hinlänglich bekannt war. Dass heißt, der Bekannte musste, insofern er ein moralisch aufrichtiger Mensch ist, davon ausgehen, dass der Vertrag rechtmäßig zustande gekommen ist, sprich alle Angaben vollständig und richtig vorlagen.

3. Der Kern der Problemsituation und mögliche Lösungen

Wir wollen an dieser Stelle noch einmal den Kern der Problemsituation aufzeigen um dann verschiedene, mögliche Lösungen zu betrachten: Der Konflikt in dem sich Herr Schwarz befindet ist die Entscheidung für oder gegen ein Einzelschicksal, oder dem Wohle eines solventen, anonymen Großunternehmen. Das Einzelschicksal von Frau Müller ist bezogen auf den Schaden, der dem Versicherungsunternehmen entstehen würde um ein vielfaches höher und auch emotional greifbarer. Es ist viel einfacher, sich in die Lage von Frau Müller zu versetzen als in die des Großkonzerns. Zu berücksichtigen ist dabei nach wie vor, dass die Information zwar inoffiziell ist, aber dennoch existent. Das scheint der Kern des Problems zu sein

Welche Lösungen gibt es nun also?

Lösung 1) Herr Schwarz ignoriert die Information mit der Begründung, dass er diese nicht auf offiziellem Wege erhalten hat und somit auch nicht davon ausgehen kann, dass diese wahr ist. Es kommt zur Auszahlung. Frau Müller kann den Restkredit für das Haus ableisten und muss nicht verkaufen. Herr Schwarz hat nicht im Sinne der Versicherung gehandelt und gegen interne Richtlinien verstoßen. Weiterhin hat er indirekt einen Versicherungsbetrug begünstigt. Der Versicherung entsteht ein Scha- den und mit der Versicherung auch indirekt allen Angestellten, allen Versicherungs- nehmern die vollständige Angaben gemacht haben als auch all denjenigen, deren Ver- sicherungsantrag aufgrund ähnlicher Krankheitsgeschichten abgelehnt wurde.

Lösung 2) Herr Schwarz vermerkt diese Information in den Akten. Der Fall wird er- neut geprüft und die Krankengeschichte von Herrn Müller komplett aufgerollt. Auf- grund der bei Abschluss nicht angegebenen Informationen wird der Vertrag rückwir- kend für nichtig erklärt. Die Auszahlung wird verweigert. Frau Müller kann den Kredit für das haus nicht ablösen; Sie muss verkaufen und in eine kleine Wohnung am Stadtrand ziehen. Herr Schwarz hat ganz im Sinne der Versicherung und allen Versi- cherungsnehmern gehandelt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Meine (fast) wahre Geschichte – Ethik im beruflichen Alltag
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Wirtschaftswissenschaftlicher Vertiefungskurs
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
12
Katalognummer
V268593
ISBN (eBook)
9783656597278
ISBN (Buch)
9783656597292
Dateigröße
1034 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
meine, geschichte, ethik, alltag
Arbeit zitieren
Diplom Designer Tobias Schmidt (Autor:in), 2013, Meine (fast) wahre Geschichte – Ethik im beruflichen Alltag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268593

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