Rationalisierung und Entmenschlichung

Am Beispiel von Richard Sennetts „Der flexible Mensch“ und George Ritzers „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Der flexible Kapitalismus und Rationalisierung
1.1. Definitionsversuch: „flexibler Kapitalismus“
1.2. Definition: Rationalisierung

2. Merkmale der neuen Gesellschaftsordnung (nach R. Sennett)
2.1. Drift
2.2. Routine
2.3. Flexibilität
2.4. Unlesbarkeit
2.5. Risiko
2.6. Das Arbeitsethos
2.7. Scheitern
2.8. Das gefährliche Pronomen

3. Die McDonaldisierung der Gesellschaft (nach G. Ritzer)
3.1. Vorläufer
3.2. Kernpunkte
3.3. Vor- und Nachteile
3.4. Leben in der McDonaldisierten Gesellschaft
3.5. Kritik an Ritzer

4. Abschließende Gedanken

5. Literaturverzeichnis

1. Der flexible Kapitalismus und Rationalisierung

Richard Sennett nennt das „neue Regime“ in dem wir leben „flexiblen Kapitalismus“[1]. Die globale Ökonomie der Wirtschaft ist auf Kurzfristigkeit und Elastizität angelegt und die Auswirkungen sind drastisch. Sie fordert einen flexiblen Menschen, der immer bereit ist für neue Aufgaben, Arbeitsformen, eine neue Arbeitsstelle oder einen anderen Wohnort. Sennett beschreibt in seinem Buch „Der flexible Mensch“ die wesentlichen Merkmale dieses neuen Arbeits- und Lebensstils und stellt die Frage, wie diese Eigenschaften mit dem menschlichen Charakter vereinbart werden können. Denn dieser ist auf Langfristigkeit, Verlässlichkeit und Entwicklung angewiesen.

Ein weiteres Merkmal des „flexiblen Kapitalismus“ ist die zunehmende Rationalisierung. Während Sennett diese nicht explizit beschreibt, so ist sie Thema von George Ritzers Buch „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“. Er beschreibt die zunehmende Rationalisierung der modernen Gesellschaft. Als exemplarisches Beispiel für die verschiedenen Elemente der Rationalisierung dient ihm dabei die weltweit expandierende Fast-food-Kette McDonald`s.

Diese sei, so Ritzer, Ausdruck einer sich ausbreitenden Produktions-, Wirtschafts-, ja sogar Lebensform. Die Vorläufer der Rationalisierung, deren Kernpunkte, Vor- und Nachteile und Tipps zum Leben in der McDonaldisierten Gesellschaft führt Ritzer anschaulich anhand zahlreicher Beispiele auf.

Während Richard Sennett die Schattenseiten der Flexibilität beschreibt und von deren schädlichen Wirkung auf den menschlichen Charakter, warnt Ritzer vor den negativen Auswirkungen zunehmender Rationalisierung und spricht sogar von „Entmenschlichung“.

Es folgt zunächst eine knappe Definition der Begriffe. In Punkt 2. werde ich die wesentlichen Inhalte des Buches „Der flexible Mensch“ darstellen, um dann in den folgenden Punkten den Schwerpunkt auf G. Ritzers Buch zu legen. Zum einen scheint es mir persönlich provokanter und kritikwürdiger, zum anderen hat es bei mir auch größeres Interesse geweckt. Aus diesen Gründen lege ich den Schwerpunkt der Kritik ebenfalls auf Ritzers Buch.

1.1. Definitionsversuch: „flexibler Kapitalismus“

Sennett gibt keine klare Definition für diesen Begriff, sondern erklärt lediglich dessen Bedeutung. Demnach geht es im „flexiblen Kapitalismus“ darum, sich flexibel zu verhalten, offen für kurzfristige Veränderungen zu sein, ständig Risiken einzugehen und gleichzeitig weniger abhängig von Regeln und Formalitäten zu sein. Starre Routine und Bürokratie haben hier keinen Platz mehr.

1.2. Definition: Rationalisierung

„[...] mit vielfältigen Bedeutungen gebrauchter Begriff mehrerer Sozialwissenschaften, meist im Sinne von Prozessen der Vereinfachung, der Effektivierung, der klareren Strukturierung.

[...] Bei M. Weber und anderen Autoren Bezeichnung für einen Teilprozess oder ein Moment der Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaft bzw. der industriellen Gesellschaft: R. als Einrichtung der Lebensführung auf geplante Zweck – Mittel – Beziehungen, als Durchsetzung rationaler Rechnungsführung und Betriebsführung, als Aufkommen einer rationalistischen ökonomischen Gesinnung und als Verbreitung rationaler Verwaltung.“[2]

„[...] Der Prozess der abendländischen R. beinhaltet einen wiss. orientierten Fortschritt der Technik, die Ausbreitung der Zweck – Mittel – Rationalität, einer rationalen, erfolgsorientierten Wirtschaftsweise, des formalen Rechts u. der bürokratischen Verwaltung sowie einer rationalen Lebensführung.

[...] R. ist zwangsläufig verbunden mit Arbeitsteilung, Normierung u. Standardisierung, Organisation und Bürokratisierung.

[...] Ökonom. u. techn. R. wirkt immer auch als Veränderung der soz. Beziehungen, so dass beachtet werden muss, welche Spannungen zw. den individuellen Lebensbedürfnissen der Menschen u. den neuen Systemnormen von R.prozessen durch welche R.fortschritte erkauft werden. Hauptproblem im Sinne von modernen Humanitätsvorstellungen fortschrittl. R. ist darum die Verbindung optimal wirksamer Kooperationssysteme mit einer optimalen Erhöhung der subjektiven Befriedigungserlebnisse der beteiligten Personen.“[3]

2. Merkmale der neuen Gesellschaftsordnung (nach R. Sennett)

2.1. Drift

Unter Drift versteht Sennett ein „zielloses Dahintreiben“. Gemeint ist damit häufiges Umziehen, Stellenwechsel, flüchtige Freundschaften, keine Ortsgemeinde und die damit einhergehende Angst, die Kontrolle über das Leben (und über das Gefühlsleben) zu verlieren. Der Grund für den Drift ist die Arbeitsweise, welche der flexible Kapitalismus fordert. Flexible Institutionen sind leichter zu verändern oder abzuschaffen, ihre Lebensdauer lässt sich verkürzen und der Computer sorgt für schnelle Kommunikation. Dies alles bringt eine zunehmende Bürokratisierung mit sich. Moderne Institutionen erwarten von ihren Mitarbeitern weder Loyalität noch das Gefühl der Verpflichtung. Denn diese Charaktereigenschaften können sich nur entwickeln, wenn genügend Zeit vorhanden ist. Heute ist in vielen Institutionen eine flüchtige Form von Gemeinsamkeit nützlicher. Die Werte einer flexiblen Gesellschaft kommen dabei zum Tragen: Distanz und oberflächliche Kooperationsbereitschaft. Das Motto dabei lautet: „Bleib in Bewegung, geh keine Bindungen ein und bringe keine Opfer.“ Damit bedroht der flexible Kapitalismus jene Charaktereigenschaften, die Menschen aneinander binden und ein stabiles Selbstwertgefühl vermitteln.

2.2. Routine

Schon Adam Smith war der Meinung, Routine stumpfe den Geist ab. Die heutige Gesellschaft stimmt ihm dabei zu. Dennoch gibt es auch gegenteilige Ansichten. So sah Diderot Routine nicht als geistlos an. Er war der Meinung, die Wiederholung lehre den Menschen, eine gegebene Aktivität zu verändern. Dabei könne er durch Wiederholung und Rhythmus die Einheit von Geist und Hand erreichen. Arbeitsvorgänge könnten kontrolliert werden und der Arbeiter zur Ruhe finden. Dies sind natürlich Ideale, die auf diese Art und Weise vermutlich kaum vorzufinden waren oder sind.

Adam Smith erkannte, dass Arbeitsteilung die Arbeiter abstumpfte und die Routine selbst-zerstörerisch wirkte. Die Menschen verlieren die Kontrolle über ihre eigenen Handlungen und der Verlust der Kontrolle über die Arbeit bedeutet, geistig abzusterben. Der Mensch wird zu einem stumpfen und einfältigen Geschöpf, er verliert an Charakter. Außerdem führt stumpfsinnige Arbeit zu Depression und vermindert die Produktivität.

Man kann Routine nicht pauschal beurteilen. Wo sie auf der einen Seite Sicherheit und Stabilität bietet und das Leben zusammenhält, kann sie andererseits erniedrigen und zersetzen. Auffällig in modernen Biographien ist allerdings, dass Routinearbeit nicht erlaubt, die weitreichende Vorstellung einer Zukunft zu gestalten und keine historische Erzählung hervorbringt.

2.3. Flexibilität

Unter Flexibilität wird eine Art Dehnfestigkeit verstanden, die es erlaubt, sich wechselnden Umständen anzupassen, ohne von ihnen gebrochen zu werden. (Dabei kann es passieren, dass die einwirkenden Kräfte einen Mensch zwar nicht brechen, aber nachhaltig verbiegen.) Diese Biegsamkeit steht im Kontrast zur Starrheit, vor allem der Starrheit der Routine. Im modernen Gebrauch des Wortes Flexibilität versteckt sich ein Machtsystem, welches besteht aus:

- dem diskontinuierlichen Umbau von Institutionen
- flexibler Spezialisierung
- der Konzentration der Macht ohne Zentralisierung

Institutionen verlangen Flexibilität und meinen damit die Bereitschaft zur Veränderung. Das trifft den Arbeitnehmer als auch die Institution selbst. Die bürokratische Routine durchbrechend verändern sich Institutionen heute so einscheidend und unwiderruflich, dass keine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart mehr besteht. Damit einher geht eine Grundeinstellung, nach der jede Art von Wandel erstrebenswerter ist, als das Weiterführen des Bisherigen. Ein Merkmal dieser Umstrukturierung sind unter anderem drastische Personaleinsparungen.

Ein weiteres Merkmal ist die flexible Spezialisierung, wobei eine breite Produktpalette möglichst schnell auf den Markt kommt. Die Firmen kooperieren und konkurrieren zugleich, indem sie Marktnischen suchen, die sie nur vorübergehend belegen, bis sich eine bessere Alternative bietet. Diese „Strategie der permanenten Innovation“[4] will sich dem dauernden Wandel anpassen, anstatt den Versuch zu unternehmen, ihn beherrschen zu wollen. Computer, schnelle Kommunikationsmittel und schnelle Entscheidungen durch kleine Arbeitsgruppen sind die Bestandteile dieser Strategie. (In den USA wird die Unterordnung der staatlichen Bürokratie unter die Wirtschaft betont. Dies führt zwar zu niedriger Arbeitslosigkeit, hat aber den Nachteil einer wachsenden Einkommensschere. Die Gesellschaft wird zweigeteilt: es gibt nur wenige Gewinner, aber immer mehr Verlierer.)

Außerdem ist die Konzentration der Macht nicht mehr zentralisiert, was eine Veränderung der Netzwerke, Märkte und Produktionen vorausgesetzt hat. Die Behauptung, die neue Organisationsform der Arbeit würde den Menschen auf niedrigeren Ebenen mehr Kontrolle über ihr Handeln geben, ist nicht richtig. Zwar zeigen sich flachere Hierarchien und Verschlankung von Betrieben, aber kleinere Arbeitsgruppen (z.B. infolge von Personaleinsparung) werden überlastet. Zudem ist die Freiheit nur vorgegaukelt, weil sich nun Kontrolle über Produktions- oder Gewinnvorgaben ausüben lässt. Diese müssen die Gruppen erreichen, ihnen bleibt lediglich überlassen, mit welchen Mitteln sie dies tun.

Die flexible Persönlichkeit sollte in dieser Organisationsform die Fähigkeit mitbringen, sich von der eigenen Vergangenheit zu lösen und Fragmentierung zu akzeptieren.

[...]


[1] Definition siehe 1.1.

[2] Lexikon zur Soziologie. Opladen 1994, S. 324

[3] Hillman, K.-H.: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1994, S. 716

[4] Sennett, R.: Der flexible Mensch. Berlin 1998, S. 64

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Rationalisierung und Entmenschlichung
Untertitel
Am Beispiel von Richard Sennetts „Der flexible Mensch“ und George Ritzers „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau  (Erziehungswissenschaft)
Note
1,3
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V26865
ISBN (eBook)
9783638290753
ISBN (Buch)
9783656236139
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Untertitel: Auswirkungen des "flexiblen Kapitalismus" auf den Menschen. Achtung!!! Diese Arbeit enthält Inhalte, die zum Teil auch in meiner Arbeit "Siegeszug der Rationalisierung - Die McDonaldisierung der Gesellschaft" vorkommen.
Schlagworte
flexibler Kapitalismus, Richard Sennett, Der flexible Mensch, Rationalisierung, Entmenschlichung
Arbeit zitieren
Anonym, 2004, Rationalisierung und Entmenschlichung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26865

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Titel: Rationalisierung und Entmenschlichung



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